Wo Social Media unfrei ist (Statista + Kommentar)

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Als Demokratieverfechter publizieren wir im Rahmen unserer zeitlichen Möglichkeiten so viel wie möglich von dem, was im Rahmen unserer zeitlichen Möglichkeiten an Statistiken und Einschätzungen über die Freiheit auf der Welt zugänglich ist. Oft fasst Statista es in Schaubilder, wie die heutige Karte über die Freiheit der sozialen Netzwerke.

Begleittext von Statista

Seit 2015 haben rund 66 Länder weltweit den Zugang zu sozialen Netzwerken blockiert oder zumindest eingeschränkt. Zu diesem Ergebnis kommt das Online-Privacy und Security Unternehmen Surfshark im Rahmen ihrer Studie unter 196 Nationen und Regionen. Momentan blockieren etwa zehn Prozent der untersuchten Länder den Zugang zu Social Media und Kommunikations-Apps – die meisten befinden sich in Asien.

In China, Nordkorea, Turkmenistan und dem Iran sind hauptsächlich ausländische soziale Netzwerke wie etwa Twitter und Facebook gesperrt. Wobei zu erwähnen ist, dass China sein ganz eigenes nationales Ökosystem an sozialen Netzwerken und Kommunikations-Apps besitzt. Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate beschränken die Nutzung von Internet-Telefonie durch Voice-Over-IPs.

Laut den Analyst:innen stehen solche Restriktionen oft im Zusammenhang mit undemokratischen Regierungen. Daher haben afrikanische und asiatische Länder in den vergangenen Jahren am häufigsten Zugänge eingeschränkt. Die Restriktionen sind allerdings in den meisten Fällen nur vorübergehend.

In Europa und Nordamerika ist die Nutzung von sozialen Netzwerken weitestgehend unbeschränkt. Die USA drohen zwar seit einiger Zeit die Kurzvideo-Plattform TikTok zu verbieten, zu einer endgültigen Sperrung ist es bisher jedoch nicht gekommen. Aber auch in Europa wird TikTok zunehmend kritischer gesehen. Ein aktueller Fall einer solchen Social-Media-Blockade ereignete sich zuletzt in Albanien: Regierungschef Edi Rama ließ die chinesische Plattform für den Zeitraum von einem Jahr sperren, nachdem ein 14-jähriger Schüler bei einer Messerstecherei getötet worden war. Die beiden beteiligten Gruppen Jugendlicher hatten sich im Vorfeld der Tat auf Tiktok gegenseitig angefeindet.

Kommentar

Wir beschäftigen uns ergänzend mit diesem Aspekt: Freiheit des Zugangs ist nicht Freiheit der Inhalte. Die halbe Welt hat zwar insofern freien Zugang zu den sozialen Netzwerken, als ihre Nutzung in den jeweiligen Ländern nicht generell eingeschränkt oder gar verboten / unmöglich ist, aber eine inhaltliche Zensur findet fast überall statt. In unterschiedlichem Ausmaß freilich, wobei die EU und Deutschland sich auf einer kniffeligen Bahn zwischen „das wird man doch mal sagen dürfen“ und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Menschenrechte im Allgemeinen bewegt.

Wir sind nicht der Ansicht, dass man wirklich alles sagen darf, denn das fordern vor allem jene, die auf die eine oder andere Weise Schwierigkeiten mit einer verfassungsgemäßen und rechtsstaatlichen Haltung haben. Rosa Luxemburg hat gesagt: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“, und ergänzend: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit.“  

Das wird heutzutage leicht missverstanden als Übergriff auf die Rechte anderer. Als das Zitat entstand, hatte es in Deutschland noch nie eine vollständige Demokratie gegeben, es ging vor allem darum, dass die linke Opposition unterdrückt wurde, Luxemburgs Schicksal ist bekannt. Danach haben wir andere Erfahrungen gemacht, in Deutschland. Nämlich wie mit der Billigung einer enthemmten Mehrheit Minderheiten vernichtet wurden, weil sie bestimmten Gruppen angehörten oder nicht angehörten. Deshalb kann es nicht angehen, dass man einfach alles sagen darf, zum Beispiel, diese Vernichtung gutheißen oder den gesamten Diskurs immer mehr nach rechts und von der Verfassung weg verschieben, die eine Wiederholung solcher Zustände ausschließen will. 

Die sozialen Medien spiegeln auch ein grundsätzliches Problem der Demokratie: Dass die meisten Menschen nur solange demokratisch sind, wie ihre Meinung sich durchsetzt, und das kann leicht in den Terror der Mehrheit gegen Minderheiten münden. Deswegen muss eine Demokratie, die zum Schutz von Minderheiten verpflichtet ist, wehrhaft gegen den Terror einer Mehrheit sein, die anderes Denken und anderes Sein nicht tolerieren will.

In Deutschland spielt mittlerweile ein überwiegender Teil des politischen Spektrums mit dem Feuer und kommt dem Trend zum undemokratischen Populismus weit entgegen. Von den im Bundestag vertretenen Parteien sind im Grunde nur noch die Grünen und die Linke davon einigermaßen frei. Sie repräsentieren zusammen gemäß den Ergebnissen der letzten Bundestagswahl gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung, aktuelle Umfragen zeigen kein wesentlich anderes Bild.

Trotzdem und gerade deshalb muss ein AfD-Verbot geprüft werden, um die Demokratie möglicherweise zu retten, deshalb muss auch in den sozialen Netzwerken darauf geachtet werden, wie weit Hassrede und Hetze gehen dürfen. Ist die Demokratie damit also ein Minderheitenprojekt? Was ihre Schutzfunktionen angeht, eindeutig ja. In diesem Sinne kann sie niemals der Mehrheit jedwede Freiheit geben. Die Demokratie entspringt aufklärerischen, humanistischen Prinzipien, nicht der Idee der absoluten Freiheit der Stärkeren und der Mehrheit, die als solche generell stärker ist als jede Minderheit.

Mit der Ausnahme, dass eine Minderheit als ökonomisch dominante Klasse definiert wird. Vor deren überbordender Macht schützt eine Demokratie nach deutschem Muster keineswegs, und gerade an dem Punkt versagt die Demokratie aktuell, weil es hier nicht um eine schützenswerte Minderheit geht, sondern um eine solche, der mehr Pflichten auferlegt werden müssten. Die Demokratie ist schwierig und fragil. Eine Demokratie, in der eine ökonomisch dominante Minderheit zusammen mit einer intoleranten Mehrheit, die zudem gegen ihre Interessen handelt, kollusiv im Sinne der Demokratie zusammenwirkt, ist bereits gekippt. Jetzt merkt man das auch immer deutlicher, nachdem der Trend seit Jahrzehnten eher schleichend in diese Richtung gegangen ist. 

Deswegen wäre es ein richtiges Zeichen, die sozialen Netzwerke tatsächlich dort einzuschränken, wo verfassungsfeindliche und die Persönlichkeitsrechte anderer verletzende Inhalte publiziert werden. Der Mut, die Demokratie zu verteidigen, ist immer der Mut einer vergleichsweise kleinen Minderheit. Ihr obliegt es, zivilisatorische Errungenschaften zu verteidigen, wenn es schwieriger wird, sie zu verteidigen.

Die sozialen Netzwerke aber werden leider auf falsche Weise zensiert. Denn nicht demokratische Institutionen wachen über die Inhalte, sondern im Wesentlichen diejenigen, welche diese Plattformen technisch betreiben. Diese sind nicht die besten Demokraten, und sie fördern die Bildung von Blasen und Echoräumen, anstatt einen wirklich freien und fairen Diskurs zu initiieren und so zu gestalten, dass alle zu Wort und vor allem in einen fairen Austausch kommen. Diese Plattformen sind nicht demokratisch motiviert und moderiert, und neben dem Hetzen und Hassen und auch im Zusammenhang damit wird außerdem eine unglaubliche Zahl von Fake News und Clickbait-Schrott veröffentlicht. Teilweise machen sich undemokratische Staaten die sozialen Netzwerke zunutze, um Demokratien anzugreifen. Dagegen und auch gegen Manipulationen von innen müssen sich Demokratien wehren können.

Das Grundgesetz verlangt sogar diese Wehrhaftigkeit. Bedauerlicherweise wird sie von der herrschenden Politik nicht ernst genommen. Nicht nur in der AfD sind viele Politiker:innen tätig, für die Demokratie als ein humanistisches Konzept nicht mehr viel bedeutet. Nach unserer Ansicht müsste es eine Aufsicht über die sozialen Netzwerke geben, die unabhängig vom Staat, aber auch unabhängig von den Betreibern der Netzwerke arbeitet. Sie müsste gemäß ethischen Standards vorgehen, die auch für Journalisten gelten, ergänzt durch versierte Rechtsstaats-Experten. Sie müsste versuchen, diese Netzwerke im Sinne der Demokratie zu moderieren. Das ist eine schwierige Aufgabe. 

Innerhalb dieser Aufgabe würden wir auch eher den Akzent auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten als auf die Fakenews legen. Erstere sind leichter zu ermitteln, bei Letzteren kann es zu Auseinandersetzungen kommen, die ausgehen wie das Hornberger Schießen, wenn man die Prüfung ernst nimmt und nicht sagt, offizielle Quellen haben immer recht. Das stimmt leider sehr häufig nicht, und gerade Journalisten sollten das wissen und ihr kritisches Auge darauf werfen. Davon, dass soziale Netzwerke den Investigativjournalismus beflügeln, sind wir aber weit entfernt, im Gegenteil. Die Nichtdemokraten bringen alles in Misskredit, was nicht in ihr Weltbild passt.

Das Realleben, wie wir es seit der Einführung des Grundgesetzes kennen, ist aus Erfahrungen mit dem Niedergang der Zivilisation heraus viel stärker moderiert und reglementiert als die sozialen Netzwerke. Und das ist unerlässlich im Sinne der Demokratie. Denn es verhindert, dass die Stärkeren und die Intoleranten die Übrigen vernichten können. Es ist alles ungleich genug, in diesem Land, vor allem ökonomisch, aber noch nicht wie in einer Diktatur, in der die Ungleichheit und die Unterdrückung programmatisch sind.

Die sozialen Medien müssten jedoch den verfassungsrechtlich vorgegebenen Mindest-Regelungsgrad, der ein auskömmliches gesellschaftliches Zusammenleben ermöglicht, nachbilden, denn sie sind ein Teil der Realität geworden. Das tun sie aber nicht. Bei Weitem nicht. Sie sind zu wenig und falsch reguliert. Die Freiheit des Zugangs sagt also nichts über die demokratische Qualität der sozialen Netzwerke aus. Und damit sind sie eine Gefahr für die Demokratie. Eine von vielen, die sich immer bedrohlicher dem entgegenstellen, was in einer günstigen Stunde der Geschichte als eine einmalige Chance für die Zukunft dargestellt hat. Es ergibt keinen Sinne mehr, alle aufzurufen, diese Chance zu bewahren und weiter an der Verbesserung der Realität zu arbeiten. Wir müssen uns darauf verlassen, dass eine Minderheit von Demokraten Regeln verabschiedet, die uns als Demokraten, als Minderheit also, schützt. Wir können das als „Zivilgesesellschaft“ nicht mehr schaffen, dafür ist der rechte Furor zu mächtig geworden, auch, weil im Herzen undemokratische Politiker es zugelassen haben. Politiker, die von einer Mehrheit bezeichnenderweise gewählt wurden. 

Viele Karten sind differenzierter als die obige, wenn es um Freiheit und Demokratie geht, da schneidet Deutschland nicht mehr so gut ab wie die halbe übrige Welt, da zeigt sich ein anderes Bild als oben. Wir werden in den nächsten Jahren, wenn die Indizes, die von verschiedenen Organisationen erstellt werden, nicht relativieren, sondern ihre bisherigen Standards aufrechterhalten, dass Deutschland weiter an Boden verlieren wird, wie viele andere Demokratien. Die Unter- und Fehlregulation der sozialen Netzwerke wird dazu beitragen. 

TH


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