Drei (DE 2010) #Filmfest 1384

Filmfest 1384 Cinema

Drei ist ein deutsches Filmdrama des Regisseurs Tom Tykwer aus dem Jahr 2010. Die weltweite Erstaufführung fand am 10. September 2010 auf der Biennale von Venedig statt; Start in den deutschen Kinos war am 23. Dezember 2010.

Über Tom Tykwers „Lola rennt“ hatten wir für den „ersten Wahlberliner“ (Rubrik „FilmAnthologie) eine der ausführlichsten Rezensionen bis dahin geschrieben, und niemand kann behaupten, wir hätten diesen Film nicht gerne gemocht und seinen Regisseur nicht gelobt. Dies sei vorausgeschickt.

Handlung (1)

Die Kulturmoderatorin Hanna und der Kunsttechniker Simon sind seit 20 Jahren ein Paar. Sie haben schon vieles (z. B. mehrere Fehlgeburten) miteinander erlebt und nun einen Zustand erreicht, in dem sie beide immer mehr nebeneinander als miteinander leben. In dieser Situation wird Simon auf zweifache Weise mit dem Tod konfrontiert: Er selbst erfährt, dass er an Hodenkrebs leidet und gleichzeitig ist seine Mutter Hildegard unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Vor Hanna verheimlicht Simon seine Krankheit zunächst, während Hildegard einige Vorkehrungen trifft und dann einen Selbstmordversuch unternimmt. Sie wird aber noch lebend gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Hildegards Gehirn ist jedoch schon unheilbar geschädigt. Simon holt sie nach Hause und begleitet seine Mutter einige Zeit bei ihrem Sterben, bevor er die Geräte abstellt, die sie versorgen. Hildegard stirbt.

Gleichzeitig hat Hanna auf einer Sitzung des Ethikrats den Stammzellenforscher Adam kennengelernt, der dort über Chimären berichtet. Durch verschiedene Zufälle treffen sich die beiden immer wieder und Hanna ist zunehmend von diesem Mann fasziniert. Schließlich verbringt Hanna die Nacht mit ihm. Doch genau an diesem Abend muss Simon wegen seiner Krebserkrankung in ein Krankenhaus eingeliefert und noch in der Nacht operiert werden. Verzweifelt versucht er Hanna telefonisch zu erreichen, doch sie erfährt erst am nächsten Morgen von seiner Operation. Fortan ist sie stets an seinem Krankenbett, erzählt ihm aber nichts von ihrem Seitensprung. Anlässlich der Beerdigung seiner Mutter verlässt Simon das Krankenhaus und bittet im Anschluss an die Beerdigung Hanna, seine Frau zu werden. Sie stimmt zu, und kurz darauf heiraten sie. (Erste zwei Abschnitte der Inhaltsangabe in der Wikipedia.)

 Rezension

Aber bei „Drei“ ist die Trennlinie zwischen Kitsch und Kunst wirklich schwer zu ziehen. Während „Lola“ noch diese Frische und Energie hat, die alles überstrahl, was man an dem Film artifiziell finden kann, ist es bei „Drei“ nicht mehr so eindeutig, die Benefits von den eklektizistischen Stilübungen zu trennen. Dieses Spitz-auf-Knopf-Gefühl über Daumen hoch oder runter reicht von der visuellen Gestaltung über die Dialoge bis hin zum Schauspiel – ja, sogar zum Spiel von Sophie Rois, die immer dann, wenn sie zu sehen ist, klar macht, dass sie den männlichen Darstellern Sebastian Schipper und Devid Striesow, die mittlerweile in der Tatort-Reihe angekommen sind, einiges an Originalität und Ausstrahlung voraus hat. Zumindest wirkt es in diesem Film so.

Man kann den Film auf zwei Arten schälen, um zum Kern zu gelangen. Lässt man die vielen Fremdwörter und fachsprachlichen Ausdrücke weg, die klarmachen, dass es sich beim Personal von „Drei“ um Intellektuelle in der Großstadt handelt, um Kultur- und Wissenschaftsmenschen, dann ist das, was zu sagen ist, recht banal. Die gelungene Anwendung von Hochsprache kaschiert, dass es um eine simple Dreiecksbeziehung geht, die keinerlei philosophischer Ausdeung bedarf, weil sie allein auf der Ebene der körperlichen Anziehung und der körperlichen Bedürfnisse erklärbar ist. Das Milieu fügt dem wenig hinzu, was nicht unter Normalmenschen ähnlich funktionieren würde. Aber es ist eben superschön zu inszenieren. Selbst das im Film wenig besuchte Winter-Badeschiff in Treptow wird so zu einem Ort, an dem die besonderen Leute sich treffen und besondere Erfahrungen machen. Schön wär’s, wenn die Wirklichkeit dem annähernd entspräche.

Natürlich mögen wir es, wenn Berlin so weltstädtisch und pittoresk gezeigt wird wie hier, selbst internationale Kritiker finden darin etwas Besonderes, das vielleicht nicht einmal New York hat. In der Tat, Berlin als eigenständige Figur ist eine der Höhen des Films. Es sind überwiegend sehr typische Elemente der Stadt, die gezeigt werden. Selbstverständlich kennen wir den Martin-Gropius-Bau von mehreren zum Teil extravaganten Ausstellungen, wissen, wie das mit dem Umbau der Platten in der Leipziger Straße zu Luxuswohnungen gelaufen ist und wie symbolisch es für die Sonderentwicklung der Stadt ist. Dass Kunst und Wissenschaft hier tatsächlich eine Symbiose eingehen – könnten, wenn man sie denn lassen würde – wirkt plausibel. Es gehört aber auch zu dieser Total-Inklusion am Ende des Films, der wir neben anderen Elementen nicht recht trauen. 

Es beginnt mit Überlandleitungen. Wo und zu welchem Zweck es die heute gibt, ist nicht wichtig. Sie illustrieren das, was Simon aus dem Off sagt, während er offensichtlich im Zug sitzt: Wie zwei Menschen, Hanna und er, einander immer wieder näher kommen und sich voneinander entfernen – und dann hören beide Leitungen auf, beinahe gleichzeitig, aber nicht so gleichzeitig, dass nicht ganz klar wird, dass eine Leitung ein Leben darstellt, das nicht genau zeitgleich mit einem anderen enden kann.

Das ist gewollt vielsagend gemacht und weist schon darauf hin, dass „Drei“ sich über seinen Anspruch definiert, in dem Fall den visuellen Anspruch. Danach wird dieser mit dem Holzhammer dokumentiert, als es bis zu vier Split-Screen-Teile gibt, und in jedem von ihnen wird andauernd gesprochen. Frühere Filme mit geteilten Bildschirmen haben genau das klugerweise vermieden, denn der erste Eindruck ist, dass hier eine Kakophonie des Lebens installiert werden soll, in der alle Stress haben und teil-abgespalten und teil-verwirklicht sind.

All diesen Dialogen zu folgen, kann wiederum nicht der kognitive Anspruch sein, aber glücklicherweise gibt es noch etwas wie die unterschiedliche Lautstärke der parallel gezeigten Szenen, die uns zum Wichtigen leiten soll. Später im Film, bereits das Finale andeutend, in dem sich alles findet und sich alle finden, gibt es diese Bildschirmteilung noch einmal, zwischendurch immer mal wieder optische Finessen ähnlicher Art, in denen aber nicht die Visualität ganz so ausgequetscht wird. Und dann viele Passagen, die normal wirken. Ah ja, die Tanszene vor weißem Hintergrund wollen wir nicht vergessen. Vor allem nicht den Moment, als links am Bildrand das Ende der Folie sichtbar wird. Ein gewollter Einbruch des begrenzten Lebens in ein Szenario, das zum Ende immer mehr durch Erfüllung in unbegrenzter Flexibilität hinsichtlich der Geschlechter und der Zuneigung von Menschen zueinander mündet.

Diese gelöffelte Dreierbeziehung, die im letzten Bild gezeigt wird und sich sozusagen ins weiße Allüberall erhebt, basiert darauf, dass Hanna mit Adam fremdgeht und  deren Freund Simon ebenfalls. Man darf eben die Geschlechterzuordnung nicht so deterministisch verstehen. Und da Adam Adam ist, hat er diese Aufhebung aus seinem grundlegenden Verständnis von der Zellbiologie entwickelt, die sein Job und seine Passion ist. So, wie man Stammzellen zu allen möglichen Funktionszellen machen kann, kann man Menschen geschlechtlich jederzeit umpolen. Das Ganze hat etwas  Wokes und zugleich Futuristisches, ist aber nur ein kunstvolles Arrangement der Tatsache, dass manche von uns bisexuell sind und daher ein Beziehungsmodell wie dasjenige, in dem der Film endet, zumindest führen könnten – wenn es denn nicht die blöden, alltäglichen Emotionen verhindern würden, die im Verlauf von „Drei“ hinweggezaubert werden. Dieser Endzustand hat etwas sehr Klinisches. Und Momente wie die Schlussszene haben uns in der Tat dazu angeregt, entweder Tom Tykwer einen schrägen Humor zuzurechnen oder uns selbst, weil wir diese Szene übertrieben und lächerlich fanden.

Man könnte auch sagen, der Film ist mit seiner postmodernen Beliebigkeit, die er preist, sehr neudeutsch. Beim ersten Anschauen auf DVD kurz nach deren Erscheinen waren wir auf dem Sofa mit einer Mathematikerin, und die fand ihn gut. Ob aber Wissenschaftler, die sich an den geschliffenen Worthülsen delektieren können, ein gutes und vor allem hinreichendes Zielpublikum darstellen, mit ihrer oft beachtlichen Weltfremdheit mitten in der Weltstadt?  Damals haben wir schon für den Wahlberliner geschrieben, uns den Film aber lieber noch einmal allein und in HD angeschaut, was bei seinen schönen Bildern lohnenswert ist. Außerdem können wir uns beim Gucken in Begleitung nie mit allen Sinnen und ohne Schwingungen anderer Personen auf das Geschehen auf der Leinwand konzentrieren. Wir erinnern uns, dass wir beim ersten Sichtren weitaus mehr akustische Verständnisprobleme hatten als nun zu Hause. Das zeitweilige Genuschel ist dennoch nicht avantgardistisch, sondern ganz banal der Stil einer Zeit, in der das einzelne Wort nicht mehr zählt. Wir sehen eine parallele Entwicklung auch im Fernsehfilm – und auch die immer stärkere Betonung der Optik gegenüber dem, was nach dem Ausfiltern als Extrakt übrig bleibt, ist voll im Trend.

Andererseits gibt es heute keinen Avantgardefilm mehr, und wer einen machen möchte, ist angeschmiert. Alles, was man optisch und inhaltlich in diesem ausgereiften Medium darstellen kann, lässt sich schnurstracks auf Vorbilder zurückführen, die der Regisseur vielleicht gar nicht im Sinn hatte. Die letzten Jahrzehnte sind, wie bei den Autos, kinotechnisch nur noch evolutionär, nicht mehr revolutionär, bei abnehmender Evolutionsgeschwindigkeit.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2025: Bei den Autos gab es durch die Elektrifizierung jetzt wieder einen Sprung, beim Film jedoch nicht.

Deswegen sind Sätze wie „du bist dogmatisch, ich bin totalitär“, sagt sie, ein Paarverhältnis definierend. Das heißt, er will immer Recht haben, aber sie herrscht über ihn derart mit eiserner Knute, mit Terror und einem meinungsstark ausgedrückten Deutungshoheitsmonopol, sodass er damit nicht durchkommt. Kein Wunder, dass sie in der Szene, in der diese Bemerkung fällt, auf ihm sitzt. Es ist immer gefährlich, Begriffe aus der Rechts- oder Politikwissenschaft im Bett zu verwenden, nur, weil sie im Kontrast hip klingen und eine Dialektik suggerieren, den es auf Basis unpassender Begriffs-Gegensatzpaare nicht geben kann.

Zwischen dem, was bei der Sitzung des Ehtikrates verhandelt wird und dem, was Adam seiner Hanna später am Institut erklärt, gibt es auch ein paar Wischer, was die Voraussetzungen der faszinierten Hanna eingeht, die darauf zu basieren scheinen, dass sie sich bisher nicht richtig ausgekannt hat mit der Materie, was aber bei jemandem, der im Ethikrat zu einem Forschungsgebiet sitzt, ausgeschlossen sein sollte. Oder ist der Ethikrat derjenige, der sich grundsätzlich mit allem befasst, was ethisch relevant ist? Das würde die für uns Zuschauer instruktive, für Fachleute aber zu banale Show erklären, die Adam vor jenem Rat hält, um für seine Disziplin der Stammzellengenetik zu werben, in der, wie er ausführt,  Deutschland wegen ethischer Bedenken just abgehängt werde. Was übrigens der Realität entsprach, bevor es hierzulande dann auch einige Forschungserleichterungen gab. Ganz offensichtlich steckt aber hier wenigstens eine Botschaft: Tykwer ist pro Gentechnik, wenn sie so sinnvoll und lebende Wesen nicht beeinträchtigend angewendet werden kann wie hier, wo es um den Ersatz von krankem Zellgewebe durch gesundes aus Stammzellenzucht und –spezialisierung geht. Das ist bei Weitem nicht das Gleiche wie das Klonen eines Schafs.

Man muss „Drei“ attestieren, dass er das Gefühl von Rhythmus hat, diesen Swing, den wir auch bei „Lola“ schon gesehen haben. Der Rhythmus ist ein vollkommen anderer, aber er rekurriert offenbar auf etwas in uns, das wir in der Außenwelt gespiegelt sehen möchten. Die Szenenabfolgen, die Schnitte, alles wundervoll arrangiert, wobei wir aufgrund der Fähigkeit heutiger Regisseure in diesem Bereich aber nicht sagen würden: Ah, ein Tykwer!, wenn wir den Film ohne Vorkenntnisse ansehen würden. Fairerweise geschrieben, das liegt weniger an Tykwer als an der Tatsache, dass es heute schwierig ist, einen unverwechselbaren eigenen Stil zu kreieren. Meist bleibt uns nur, hinterher zu sagen: Ja, das passt ins Werk eines Künstlers oder es ist etwas für ihn Neuartiges, aber die Vorab-Zuschreibung, die man in Hollywood einst sogar am Stil bestimmter Studios vornehmen konnte, ohne das Logo im Vorspann zu sehen, die ist leider kaum noch möglich. 

Finale

Tykwers Film regt zum Nachdenken über das Medium Film an, mehr, als wir es an dieser Stelle ausführen können, und wir sind sehr geneigt, Großstadtmärchen wie das der drei Beziehungssucher Hanna, Simon und Adam zu genießen, weil wir wissen, sie sind eben dies: Märchen. Die Konfliktbeladenheit gänzlich offen wirkender Beziehungsstrukturen haben wir hingegen schon mehrfach im Bekanntenkreis erleben dürfen. Und wenn es keine offenen Konflikte gab, dann emotionale Mangelerscheinungen, die zur Inklusion weiterer Personen, auch uns selbst, in Bereiche hinein führt, in den wir als Nicht-Partner im Grunde nichts zu suchen haben. Bedenken muss man dabei, in Berlin sind nur wenige mit jenen sinnvollen Selbstabgrenzungen vertraut, die ständiges emotionales Hyperventilieren verhindern. Auch dies ist eine Anmerkung nach zehn Jahren mehr Berlin-Erfahrung, also im Jahr 2025 hinzugetextet.

„Wer will was von wem – nicht woraus, sondern warum?“ könnte ein Leitfaden sein, um sich durch einen Film voller Flirts mit Möglichkeiten zu finden. Wenn man so herangeht, ist es allerdings möglich, dass man nicht fündig wird. Es soll ja nicht der Beliebigkeit das Wort geredet werden. Vielmehr einer niedlichen Form von Balance, unter Menschen, die lange zusammen waren und sich ganz neu aufstellen, die Ex-Familien haben und doch etwas wie eine Vergangenheit, Eltern, die ebenfalls schon getrennt lebten und alles sowas, was heute nicht unüblich ist.

Wenn wir das Dokument abschließen, stellen wir fest, dass wir manches Mal schmunzeln mussten, dass er Film uns doch ein wenig bereichert hat, weil er eben solche Einlassungen hervorruft. Ein tolles Kinostück ist er deshalb noch nicht.

62/100

2025 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Rezension 2015)

Regie Tom Tykwer
Drehbuch Tom Tykwer
Produktion Stefan Arndt
Musik Tom Tykwer
Johnny Klimek
Reinhold Heil
Gabriel Mounsey
Kamera Frank Griebe
Schnitt Mathilde Bonnefoy
Besetzung

 

 


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