Björn Höcke (AfD): Nutzen oder Schaden durch Prozess? (Umfrage + Zusatzinfos + Kommentar) | Briefing 510 | PPP Politik, Personen, Parteien, Demokratiein Gefahr

Briefing 510 PPP, Björn Höcke, SA-Parolen, Nazi-Jargon, Strafprozess, Demokratie, Verfassungsrecht, GG, BVerfG, StGB

 Die AfD, die Justiz, der Nutzen oder Schaden – das haben wir anhand einer Artikelreihe diskutiert, die sich mit dem Eingriff des Bundesverfassungsgerichts gegen die AfD befasst hat. Darunter war auch eine gegen Björn Höcke persönlich gerichtete Möglichkeit, die Grundrechteverwirkung nach Art. 18 GG. Spielen die damaligen Erwägungen nun auch im Strafprozess wegen SA-Parolen eine Rolle? Civey hat daraus eine Umfrage gemacht, die eine Einschätzung über den politischen Nutzen oder Schaden dieses Prozess abverlangt.

Hier können Sie schon abstimmen, aber es warten weitere Informationen auf Sie:

Civey-Umfrage: Wird der aktuelle Gerichtsprozess gegen den Chef der Thüringer AfD, Björn Höcke, ihm politisch nachhaltig eher nutzen oder eher schaden? – Civey

Der Begleittext dazu aus dem Civey-Newsletter.

Letzte Woche begann der Prozess gegen Björn Höcke (AfD) vor dem Landgericht Halle. Der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag ist wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen angeklagt. Konkret soll er bei einem Wahlkampfauftritt eine verbotene Losung der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) verwendet haben, berichtete die FAZ. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vom Hintergrund der Losung gewusst zu haben. Historiker Patrick Wagner erklärte im MDR, dass die Verwendung derartiger Parolen die Würde der Opfer des Nationalsozialismus erneut verletze. 

Höcke gab am Dienstag die Verwendung der Worte zu. Er habe jedoch nicht gewusst, dass es sich um eine verbotene SA-Parole handle und sei daher „völlig unschuldig”. Unbekannt sei ihm auch gewesen, dass es bereits Verfahren gegen andere AfD-Mitglieder wegen dieser Parole gab. Der Soziologe Andreas Kemper bezweifelt genau wie die Staatsanwaltschaft die Unwissenheit des ehemaligen Geschichtslehrers. Dabei verwies Kemper im MDR darauf, dass der Angeklagte regelmäßig etliche Vokabeln des Nationalsozialismus in seine Reden einflechte.  

Eine Urteilsverkündung könnte Mitte Mai erfolgen. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Am zweiten von vier geplanten Prozesstagen erklärte die Kammer dem Handelsblatt nach, dass Höcke wohl maximal mit einer Geldstrafe und nicht, wie vorab gemutmaßt, mit einer Freiheitsstrafe rechnen müsse. Damit wäre der Verlust des passiven und aktiven Wahlrechts ausgeschlossen. Höcke ist AfD-Spitzenkandidat für die thüringische Landtagswahl im September. Seine Partei liegt seit Monaten in den Umfragen vorn.

Wir finden, bevor man abstimmt, sollte man zu nächst wissen, worum es geht, das wird von Civey nämlich nicht erwähnt. Wir hatten schon den Verdacht, dass es mit einem Pressekodex zu tun hat, der die Benennung des Gegenstands verbietet, damit die Verwendung nicht populär wird.

Im Mai 2021 soll Höcke die verbotene SA-Parole „Alles für Deutschland!“ in einer Rede in Merseburg in Sachsen-Anhalt (Saalekreis) verwendet haben. Dabei soll er gewusst haben, dass es sich beim letzten Teil der Slogans „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland“ um einen verbotenen Ausspruch handelt.

Außerdem wird dem Politiker vorgeworfen, die Losung im vergangenen Dezember bei einer Veranstaltung der AfD im thüringischen Gera verwendet zu haben. Dabei soll Höcke als Redner den Angaben zufolge den ersten Teil „Alles für“ selbst gesprochen und das Publikum durch Gesten animiert haben, „Deutschland“ zu rufen. Björn Höcke vor Gericht: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Prozess (rnd.de)

Ein weiterer Aspekt ist die „Unwissentlichkeit“, die Björn Höcke bezüglich des SA-Parolen-Bezugs seiner Aussagen oder Aufrufe für sich geltend macht:

Björn Höcke hat Sport und Geschichte auf Lehramt studiert und unterrichtet. Nach seinem Abitur im Jahr 1991 ging er zur Bundeswehr und versuchte sich zunächst im Jurastudium, wechselte aber nach rund einem Jahr den Studiengang1Später war er als Studienrat an der Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau tätig, wo er Sport und Geschichte unterrichtete2

Glauben Sie, dass ein Geschichte-Lehrer diesen Bezug nicht kennt? Zumal er ihn im zweiten oben geschilderten Fall als Code verwendet hat, auf den das Saalpublikum reagierte oder reagieren sollte? Höcke und seine Freunde wissen alles, und sie versuchen absichtlich, immer weitere Grenzen einzureißen und Nazijargon wieder hoffähig zu machen.

Deswegen erübrigt sich im Grunde auch die Umfrage. Es hat ein Strafgericht nicht zu interessieren, ob ein Prozess dem Angeklagten politischen Nutzen bringen könnte (das glauben gegenwärtig 45 Prozent der Abstimmenden) oder ihm schaden könnte (diese Ansicht vertreten 35 Prozent). Man kann eine Anklage nicht fallen lassen, weil man glaubt, dass jemand politisch davon sogar profitieren könnte, Stichwort Opfermythos.

Insofern ist es aber gut, dass offensichtlich eine Freiheitsstrafe nicht in Frage kommt. Eine Geldstrafe wird kaum geeignet sein, diesen Mythos im Fall Höcke zu etablieren, schließlich ist festgestellt worden, dass man ihn als Nazi bezeichnen darf. Nichts Neues also, aber es bedeutet nicht, dass die – fortwährende – Verwendung von NS-Parolen mit der bloßen Feststellung, dass es welche sind, abgehandelt wäre.

Die Petition „Grundrechtsverwirkung“ gegen Björn Höcke war nach Unterschriften die stärkste, die wir jemals hier besprochen hatten, hinter sie hatten sich mehr Menschen gestellt als gegen ein absolutes oder teilweises Verbot der AfD. Gleichwohl ist bekannt, dass Art. 18 GG noch nie erfolgreich angewendet wurde und viele Unwägbarkeiten beinhaltet. Und dass ein Vorgehen gegen Björn Höcke weder die AfD, noch deren Gedankengut beseitigt und tatsächlich einen Opfermythos hätte entstehen lassen können. Denn wie bei einer Verurteilung nach StGB, die Freiheitsstrafe beinhaltet, läuft Art. 18 GG darauf hinaus, dass jemand nicht mehr als Repräsentant einer Partei gewählt werden kann, mithin auf ein politisches Berufsverbot, soweit es parlamentarische Arbeit betrifft.

Wird ihm der Prozess aber nun schaden oder nützen? Wir haben mit „unentschieden“ votiert, wie immerhin 20 Prozent der Abstimmenden. Lange Zeit schien es so, als ob alles, was gegen die AfD gerichtet ist, ihr nur weiteren Zulauf bringt, eine Art politische Raserei, die sich permanent durch Abwehr der Rechtsextremen verstärkt. Was wiederum stärkere Abwehr hervorrufen müsste.

Doch seit einigen Monaten fällt die AfD in den Umfragen, zumindest bei der Sonntagsfrage Bund, ohne dabei ihre Position als stärkste Kraft in Ostdeutschland zu verlieren, die ihr gegenwärtig von allen Meinungsforschern zugerechnet wird. Außerdem weiß man nicht, ob der Rückgang auf die Demos gegen rechts zurückzuführen ist, auf eine allgemein als etwas entspannter angesehene Lage, was allerdings rein subjektiv wäre, oder ob die BSW-Gründung dabei die Hauptrolle spielt, denn das BSW als „seriöse Alternative für AfD-Wähler:innen“ (Sahra Wagenknecht) käme überall in Ostdeutschland wohl auf Anhieb in die Parlamente, wären jetzt Landtagswahlen.

Damit ist auch unklar, ob der Rechtsdrall zumindest an Momentum verloren hat, oder ob nur ein etwas sozialer wirkendes Rechts für einige Menschen tatsächlich attraktiver ist. Sollten die Anti-AfD-Demos tatsächlich ein Nachdenken bei den etwas gemäßigteren potenziellen AfD-Wähler:innen bewirkt haben, dann dürfte auch der Höcke-Prozess der AfD keinen Zulauf bringen, denn er bestätigt ja die Gründe für die Demonstration, vor allem, wenn es zu einer Verurteilung kommt. Das Gericht scheint dazu schon vorab eine gewisse Meinung zu haben bzw. schließt bestimmte Rechtsfolgen aus, was wir nicht unproblematisch finden. Damit ist aber vom Tisch, dass Höcke die Folgen seiner Wortwahl tatsächlich so zu spüren bekommt, dass seine politische Aktivität behindert wird. Es wäre ein Ausrufezeichen: Höcke ist ein wegen verbotener NS-Rhetorik verurteilter Straftäter!

Wenn man die Justiz, wie sie bei uns aufgestellt ist, eh verachtet, wird man natürlich umso überzeugter AfD wählen, aber das wäre auch ohne den Prozess der Fall gewesen. Es geht also um diejenigen, die sich selbst vielleicht für Protestwähler halten. Protestiert man also gegen die aktuelle Politik oder auch gegen die Justiz, obwohl der Sachverhalt klar ist, falls es zu einer Verurteilung kommt. Und da sind wir uns eben nicht sicher. Diese Staatsverdrossenheit, die in die falsche, rechte Richtung Wirkung entfaltet, nimmt nach unserer Ansicht keine Institution des Rechtsstaats generell aus.

Wir können in diesem Fall keine Abstimmungsempfehlung geben, denn es geht ja nicht um Ihre Meinung über Höcke, sondern darum, ob der Prozess gegen ihn für oder gegen die AfD wirkt. Ein paar Überlegungen dazu haben wir aus unserer Sicht einfließen lassen. Sie drücken aber aus, dass wir  uns dieses Mal nicht sicher sind, wie die Lage einzuschätzen ist. Hier noch einmal der Link zur Abstimmung:

Civey-Umfrage: Wird der aktuelle Gerichtsprozess gegen den Chef der Thüringer AfD, Björn Höcke, ihm politisch nachhaltig eher nutzen oder eher schaden? – Civey

TH

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