Klimaziele einzelner Sektoren streichen? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 514 | KER Klima-Energie-Report, Wirtschaft, PPP Politik Personen Parteien

Briefing 514 Sektorenziele, Klimaschutzgesetz, CO₂-Reduktion, Sofortprogramme, Subventionen, Verkehr, Gebäude, Industrie, grüne Energie

Gerade gestern hatten wir in unserem Umfrage-Artikel zur Schuldenbremse geschrieben: Da einige Sektoren die Klimaziele 2030 ganz sicher nicht erfüllen werden, müssen andere Sektoren dies kompensieren. Und es müssen Sektoren sein, auf die der Staat mit seiner Investitionspolitik so direkt wie möglich Einfluss nehmen kann. Heute fragt Civey, ob es Sinn ergibt, die Sektorenziele zu streichen und durch ein Gesamtziel der CO₂-Reduktion zu ersetzen:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes, wonach die Klimaziele einzelner Sektoren durch ein gemeinsames Ziel ersetzt werden? – Civey

Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Der Bundestag hat am Freitag die Reform des Klimaschutzgesetzes beschlossen. Bisher hatte jeder Sektor eigene jährliche Emissionsziele und musste bei Verfehlung ein Sofortprogramm vorlegen. Zuletzt verpassten etwa „Gebäude” und „Verkehr” ihre Ziele. Ab jetzt müssen alle Sektoren nur noch ein gemeinsames Ziel erreichen, das alle zwei Jahre kontrolliert wird. Bei Verfehlungen können nun alle Ministerien den CO₂-Überschuss ausgleichen, Sofortprogramme sind nicht mehr nötig. Die Reform war ein langes Streitthema der Ampel und stieß in der Opposition auf starke Ablehnung. 

Der CDU-Abgeordnete Thomas Heilmann hatte vorab erfolglos versucht, das Gesetz per Eilantrag zu stoppen. Der Bundestag habe zu wenig Zeit gehabt, sich über die hochkomplexe Gesetzesänderung zu informieren, die eine Schwächung des Klimaschutzes bedeute, argumentierte Heilmann laut ntv. Johannes Vogel (FDP) beteuert indes, dass die Regierung das langfristige Klimaziel Deutschlands, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent zu verringern, weiter einhalten werde. Es sei sinnlos, planwirtschaftlich einzelne Sektoren zu betrachten, sagte er am Freitag im rbb. Das beste Instrument für den Klimaschutz sei ihm zufolge der Zertifikatehandel für CO₂. 

Umweltverbände kritisieren die Reformpläne schon lange. Sie befürchten laut rbb, dass der Wegfall der einzelnen Sektorenziele die Klimaschutzleistung der Regierung schwäche, da die Verantwortung nun zwischen den Ministerien hin- und hergeschoben werden könnte. Wenn in der Folge verfassungsrechtliche Klimaziele verfehlt werden, könnte dies „EU-Strafzahlungen in Milliardenhöhe” nach sich ziehen. Diese Gelder würden dann für Klimaschutzmaßnahmen fehlen, warnte WWF-Klimaschutzchefin Viviane Raddatz in einer Pressemitteilung. Der BUND spricht auf seiner Webseite von einem „Schlag gegen den Klimaschutz“ und warf der Ampel Verantwortungslosigkeit vor. 

So sehr wir Fans des Klimaschutzes sind: Wenn es mit einzelnen Sektoren nicht funktioniert, die Klimaziele zu erreichen, dann funktioniert es eben nicht. Was soll man auf dem Verkehrssektor im Sinne eines Sofortprogramms tun? Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen endlich umsetzen? Das würde unsere Zustimmung finden, ebenso wie die der Bevölkerungsmehrheit, aber mit der FDP als Regierungspartei ist das nicht möglich. Bliebe, die Menschen zum Umstieg auf E-Autos zu zwingen. Beim Gebäude-Klimaschutz ist das Thema etwas komplexer, aber letztlich liefe es auch hier darauf hinaus, Zwangsmaßnahmen anzuordnen.

Wir glauben, die Umweltverbände haben sich vor allem erhofft, dass die Sektorenziele zu einer Übererfüllung der Ziele führen. Es versteht sich ja von selbst: Wenn alle Sektoren ihr gesetztes Ziel erreichen, werden sicher einige auch darüber hinausschießen, denn exakt auf den Punkt lassen sich Ziele nie erreichen. Durch die Segmentierung wurde das Klimaschutzziel 2030  also zu einem Mindestziel. Dass Ministerien einander die Verantwortung zuschieben, wenn es mit der neuen Gesamtzielausrichtung nicht klappt, ist möglich, zumal bei dieser zersstrittenen Ampelregierung, aber wäre das bei Beibehaltung der Sektorenziele  nicht auch so gewesen?

Im Gegenteil, aus der Gesamtzielbetrachtung erwächst eine Pflicht. Damit diese Gesamtziele zu erreichen sind, muss vermutlich der Ausbau der Erneuerbaren Energien noch schneller als bisher geplant vorangehen, weil die absehbare Nichterfüllung der Sektorenziele Gebäude und Verkehr kompensiert werden muss. Das ist eine große Herausforderung. Nach unseren Informationen liegt bisher nur der Ausbau der Solarenergie im Plan, also wiederum nur ein Teilbereich des Energiesektors, während beim Thema Wind u. a. viel Bautätigkeit offshore zu vermelden ist, sich das aber offenbar noch nicht komplett auf die Windkraftgewinnung auswirkt, sprich, weil einige große Windparks noch nicht in Betrieb sind.

Deshalb halten wir es für richtig, den Druck von den einzelnen Sektoren etwas wegzunehmen und zu schauen: Wo erzielen wir die größten CO₂-Reduktionen mit dem geringsten Aufwand? Vermutlich wird das nicht sein, E-Autos so zu subventionieren, dass man sie quasi geschenkt bekommt, abgesehen davon, dass bei deren Betrieb derzeit auch noch fossil erzeugte Energie zum Einsatz kommt. Gerade ist der Absatz von Stromern aber rückläufig, weil die Regierung die Förderungsregeln geändert hat. Die sehr ambitionierten Ziele sind auf dem Sektor bis 2030 nicht mehr zu schaffen. Um das zu verstehen, muss man nur ein paar Grunddaten des Automobilmarktes im Kopf haben. Dann kommt man nämlich dahin, dass von jetzt an alle Neuzulassungen E-Autos sein müssten, um den Bestand bis 2030 noch auf etwa 12 Millionen Fahrzeuge zu bringen. Und selbst dies nur, wenn der Absatz von Neufahrzeugen durch Subventionen wieder erheblich angekurbelt würde.

Dass Haushalte auf längere Sicht vom Gas weg müssen, finden wir richtig, aber es darf nicht darauf hinauslaufen, dass z . B. Vermieter zu einer neuen Heizung gezwungen werden und die Mieter die Kosten tragen, ein weiterer Auftrieb auf einem Sektor, auf dem die Preise ohnehin aufgrund einer viele Jahre währenden verfehlten Bau- und Wohnungspolitik durch die Decke gehen. Bei Hausbesitzern darf man nicht vergessen, dass noch in den 2010ern Gasheizungen gefördert wurden, also im Grunde fast neue Anlagen ausgetauscht werden müssen. Aber, siehe oben, das Thema Gebäudeenergie ist komplex, darüber müssen wir mehr recherchieren, um über diesem Sektor profund berichten zu können. Was uns aus unseren Branchenerfahrungen aber klar ist: Die CO₂-Neutralität der Bausbustanz wird nicht alles von heute auf morgen zu erreichen, wenn man nicht zu rigiden Zwangsmaßnahmen greifen will, deren Kosten hauptsächlich wieder einmal die Ärmeren zu tragen haben.  Wir müssen ja alle schon bei den hohen Energiepreisen mitmachen, die die plötzlich so rasante Umstellung vorerst noch mit sich bringen wird.

Es muss also alles im Wesentlichen von vorne gedacht werden, beginnend bei der Energiegewinnung. Da besteht der größte Spielraum und den muss die Politik nutzen. Nach 2030 wird es sowieso wieder kritisch. Um bis 2045 klimaneutral zu sein, müssen nämlich bis dahin tatsächlich alle Sektoren auf Kurs sein, die Industrie, der Verkehr, die Gebäude. Gebäude sind immerhin in Deutschland verankert, aber bei der Industrie besteht das zusätzliche Problem, sie trotz hoher Umwelt- und Klimaschutzausgaben und trotz der hierzulande teuren Energie wettbewerbsfähig zu halten. Nach allen Prognosen wird ein Teil sowieso abwandern, und es steht in den Sternen, ob dies durch bessere, grüne Technologie kompensiert werden kann. Im Moment sieht es nicht danach aus, weil andere Staaten viel deutlicher die Zeichen der Zeit erkannt haben und massiv in diese Technologien investieren oder Private so anlocken, dass sie es tun. Womit wir wieder bei den massiven Schäden sind, die die Schuldenbremse verursacht. Sie verhindert nicht nur Investitionen in saubere Energie, sondern auch in neue Technologie, die diese saubere Energie dann verwenden könnte.  Mit etwas Pech könnte es aufgrund der neuesten Entwicklungen der Finanzpolitik so aussehen, dass alle Sektoren im Jahr 2030 ihre Ziele nicht erfüllt haben.

Dass die FDP den Zertifikatehandel ins Spiel bringt, hat unser Abstimmungsverhalten nicht beeinflusst. Wir halten diesen Handel, diesen Ablasshandel, könnte man es nennen, mit dem man auch noch Profit generieren kann, mithin die Finanzialisierung von Umwelt und Klima. Das ist ein typischer Ansatz von politischen Kräften, die glauben, die Einbindung des Kapitalmarkts in das Projekt Klimaschutz würde tatsächlich zu mehr Klimaschutz führen. Vielleicht glauben sie das auch gar nicht, sondern wollten der Finanzindustrie eine neue Handels- und Spekulationsmöglichkeit verschaffen. Um es klar auszudrücken. Ein Zertifikat reduziert keine CO₂-Emission, sein Handel verursacht höchstens eine solche.

Wir haben unabhängig von diesem Aspekt klar für die Aufgabe der Sektorentrennung gestimmt, damit sind wir aktuell bei der größten Gruppe (35 Prozent), 30 Prozent sind allerdings strikt dagegen.

TH

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