Strafmündigkeit von Kindern von 14 auf 12 Jahre senken? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 533 | Gesellschaft, Kriminalität, Strafrecht, PPP Politik, Personen, Parteien

Briefing 533 Gesellschaft, Kriminalität, Strafrecht, PPP, StGB, Strafmündigkeit, Zivilisation, kriminelles Umfeld, schlechte Vorbilder, Populismus gegen und für Kinder, GdP, CDU, der kleine und der echte Merz

 Rechtspolitische Themen sind für uns mit die schwierigsten, weil wir auf dem Gebiet die meisten Abwägungen zu treffen haben, die sich am bestehenden Rechtsrahmen orientieren. Die Normen und wie sie sich verändern,  sind aber Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen. Deswegen ist es immer wichtig, anhand von Forderungen nach Verschärfung von Strafen aller Art die eigenen Grundpositionen ins Gedächtnis zu rufen.

Nachdem nun einige offenbar ein Sonderstrafrecht mit Privilegien für angegriffene Politiker:innen gefordert haben und eine Mehrheit dies in einer Umfrage abgelehnt hat, soll es nun den Kindern an den Kragen gehen, die straffällig geworden sind:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung von Carsten Linnemann (CDU), eine potentielle Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre mithilfe einer breit angelegten Studie zu überprüfen? – Civey

Der Bgleittext aus dem Civey-Newsletter

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert eine Debatte über die Absenkung des Strafmündigkeitsalters. Nötig sei diese angesichts der gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität im letzten Jahr, begründete er auf t-online in einem Gastbeitrag vom Montag. Um diese einzudämmen, müssten die Täter:innen so früh wie möglich Konsequenzen spüren. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden 2023 rund 104.000 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren ermittelt. Dies sei ein Zuwachs von zwölf Prozent im Vergleich zu 2022. 

„Ob sich der Reifungsprozess der Kinder und Jugendlichen nach vorne verschoben hat“, sollte laut Linnemann in einer Studie geprüft werden. Würde sich seine Theorie darin bestätigen, müsse die gesetzliche Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre gesenkt werden, fordert er. NRW-Innenminister Herbert Reul stieß jüngst eine ähnliche Debatte an und verwies im WDR auf Länder, in denen 12-Jährige strafmündig seien. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings, hält die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters für eine geeignete Abschreckungsmaßnahme. 
Grüne, Polizei und Pädagog:innen kritisieren den Vorstoß. „Das Wegsperren von Kindern ist ganz sicher keine Lösung“, sagte NRW-Grünen-Politikerin Julia Höller dem WDR. Stattdessen sollten Präventivmaßnahmen ausgebaut werden. Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) im Deutschlandfunk. Demnach glaubt die GdP nicht, dass so Straftaten verhindert werden. Der Pädagoge Burak Yilmaz verweist indes auf die Gefahr, dass Kinder im Jugendstrafvollzug so noch früher mit Jugendlichen mit hohem krimineller Energie in Kontakt kämen, die sie weiterhin negativ beeinflussen könnten.

Unser Kommentar

„Der kleine Merz“, wie CDU-Scharfmacher Carsten Linnemann auch gerne genannt wird, hat wieder ein Thema gefunden, mit dem sich populistische Wellen schlagen lassen. Solche Ideen kommen besonders häufig in Wahlkampfzeiten auf, und wir stehen kurz vor der Europawahl und natürlich denkt die CDU auch an die bevorstehenden drei Landtagswahlen im Osten im September. Im Osten, so rechnet man sich bei der Union aus, die sich immer noch christlich nennt, kann man mit autoritären, rechten Ideen besonders gut punkten. Wir können uns jetzt schon gut vorstellen, wie eine Studie, die als wissenschaftliches Feigenblatt für immer weitere Verschärfungen von Recht dienen soll, ausgeht. Natürlich sind die Kinder von heute etwas früher reif, das gilt ja auch im sexuellen Bereich, als sie das vor 70 Jahren waren. Aber sind sie deswegen auch charakterlich weiter entwickelt und haben mehr Rechtsbewusstsein? Voraussetzung für die Strafmündigkeit ist, dass man einer heranwachsenden Person zutraut, bereits ein gewisses Rechtsbewusstsein entwickelt zu haben.

Auch immer gut propagandistisch verwertbar: was andere Staaten machen, wenn es die eigenen humanistischen Standards unterfährt. In Kerneuropa hat nur Frankreich eine niedrigere Strafmündigkeit als Deutschland, alle anderen europäischen Staaten, sogar Russland, haben eine Strafmündigkeit ab 14, einige sogar erst ab 16.

Vielleicht hat Linnemann sich wieder einmal die USA als Vorbild genommen, wo es tatsächlich Bundesstaaten gibt, die überhaupt keine Untergrenze für die Strafmündigkeit können. Dort könnte im Grunde ein Dreijähriger zum Tode verurteilt werden. Lediglich ein geplanter Mord könnte in dem Alter schwer nachzuweisen sein.

Frankreich ist innerhalb Europas schon lange für seinen rigiden Polizeistaat bekannt und auch für das komplette Versagen von Integration in doppelter Bedeutung des Wortes. Wir haben gerade „Hass“ gesehen, den berühmten Film über Jugendliche in den Banlieues aus dem Jahr 1995. Die gezeigten jungen Männer darin waren älter – und doch in mancher Hinsicht noch kindlich. Nur die Gewalt der Viertel da draußen, die hat sie alle geprägt, auf unterschiedliche Weise.

Wir haben mit „eher nein“ gestimmt, aber heute sehr spontan, wir hätten eigentlich ganz eindeutig sein müssen. Aber da schwirrt eben doch dieses Narrativ im Kopf herum von den Jungs, die mit 8 Jahren schon Mitschüler abstechen und natürlich irgendwie schon wissen, was sie tun. Strafmündigkeit setzt aber mehr voraus als das Wissen, dass man jemanden verletzt, wenn man ihm ein Messer in den Bauch rammt.

Der gesamte Ansatz ist falsch, wenn auch CDU-typisch. Dass auch die Polizei nicht glaubt, dass sich durch die Herabsetzung der Strafmündigkeit etwas verbessern wird, ist ein starkes Indiz dafür, dass es wirklich nichts bringt, denn die GdP ist nicht gerade sozialarbeiterisch orientiert, sondern nickt gerne, wenn die Politik nach mehr Polizeistaat ruft. In dem Fall geht es aber nicht um die Exekutive, sondern um die Justiz und die Legislative, die der Justiz eine  Handhabe geben soll,  um schärfer gegen deliktisch auffällig gewordene Kinder vorzugehen. Und es sind Kinder, denn per Definition beginnt der Jugendliche nun einmal mit 14, ein solcher zu sein. Das heißt, man würde Kinderstrafbarkeit zulassen, wenn  man das Alter für die Strafmündigkeit absenken würde.

Und damit zu dem Grund, warum wir nicht ganz eindeutig mit  „nein“ gestimmt haben. Sollte sich tatsächlich profund nachweisen lassen, dass Menschen heute insgesamt, auch bezüglich ihres ethischen Verständnisses, „weiter vor“ sind als früher, dann müsste zunächst die Altersgrenze für die Jugendlichkeit auf 13 oder 12 Jahre herabgesetzt werden. In der Folge könnte man die Strafmündigkeit anpassen. Dass fast alle zivilisierten Länder nicht so vorgehen, ist aber neben der reservierten Haltung der Polizei ein weiteres starkes Indiz dafür, nicht über jedes populistische Stöckchen zu springen, das Herren wie Linnemann und Merz uns hinhalten wollten.

Natürlich hat es eine überwiegende Mehrheit im Land doch wieder getan. Im Moment sind fast 70 Prozent der Abstimmenden eindeutig für die Überprüfung – die Frage lautet im Langtext wieder einmal anders als in der Kurzversion als Überschrift der Infomail, die wir bekommen haben, und zwar sinnverändernd anders. Das heißt also, man soll zunächst darüber abstimmen, ob es zu einer Studie kommt. Seien wir ehrlich: Im Grunde läuft gerade die Abstimmung über eine Herabsetzung der Strafmündigkeit, und es ist in allerhöchstem Maße bedenklich, dass mehr als zwei Drittel derer, die sich schon geäußert haben, eindeutig, nicht einmal unter Vorbehalt und unter Voraussetzungen, dafür sind, immer jüngere Menschen zu kriminalisieren und ihnen damit auch die Zukunft zu verbauen.

Auch das Argument, das im letzten Absatz vorgetragen wird, ist nämlich richtig: Strafanstalten machen Jugendliche nicht besser, sie sind keine Besserungsanstalten, auch wenn es diesen Begriff einmal gab, der aber nicht für Gefängnisse verwendet wurde, sondern für Heime.

Nur etwa 15 Prozent haben sich derzeit exakt oder latent dagegen ausgesprochen – nun ja, eine solche Studie durchzuführen, aber wenn wir beim obigen Narrativ bleiben: Kinder weiterhin vor Strafe durch den Staat zu schützen.

Zur Befriedung der Gesellschaft wird eine Herabsetzung der Straffähigkeit überhaupt nichts beitragen, solange die Justiz zum Beispiel bei Erwachsenen so lasch ist, die in der Organisierten Kriminalität arbeiten. Was können aber Kinder dafür, wenn sie in einem solchen Umfeld aufwachsen und vielleicht schon mit 10 als Hilfsarbeiter im Drogenbusiness eingesetzt werden, eben, weil sie nicht strafmündig sind? Die Strafmündigkeit auf 10 Jahre herabsetzen, was es in keiner zivilisierten Demokratie der Welt gibt?

In Wirklichkeit gibt man damit Staatsversagen zu. Kein Zugriff auf die OK der Erwachsenen, keine vernünftigen Ideen zur Integration, und kein Durchgriff dort, wo er Sinn ergeben würde. Wir wären, wie es zum Beispiel in Schweden der Fall ist, schneller dabei, notorisch kriminellen Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen. Denn die Kinder sind die einzige Hoffnung für jedes Land und jede Gesellschaft und um sie muss man kämpfen, nicht sie wegsperren.

Dieses massiv kinderfeindliche Abstimmungsergebnis, das wir derzeit sehen, wirft eher mal wieder ein Schlaglicht auf die gesamte hiesige Gesellschaft als auf angeblich gestiegene Kinderkriminalität. Noch einmal, auch als Rückgriff auf einen früheren Artikel, in dem wir über die insgesamt gestiegene Kriminalität geschrieben hatten: Sie zieht gerade wieder an, nach vieljährigem Rückgang. Die Zahl der Straftaten ist heute geringer als während der 2000er und vermutlich werden bestimmte Delikte sogar mehr angezeigt als früher, und es gibt quasi Novitäten wie den Hass und die Hetze im Internet. Außerdem sind Tatverdächtige keine ausermittelten Täter, auch das zur Klarstellung. Und wie viel bitte sind 104.000 Fälle gegenüber 6 Millionen Delikten insgesamt? Viele Tötungsdelikte können es sowieso nicht sein, denn diese sind insgesamt nicht wesentlich angestiegen und werden in aller Regel von strafmündigen Menschen begangen, ebenso wie große Vermögensdelikte.

Es ist rauer geworden, in den Vierteln, unter Kindern, auf den Schulhöfen und sogar in den Klassenzimmern. Aber wer das mit einer Strafrechtsverschärfung in den Griff bekommen will, beweist nur, dass er billigen Populismus betreibt, anstatt nach nicht ganz billigen Lösungen zu suchen. Das Schicksal der Kinder ist diesen Leuten egal, es geht nur darum, einer dumpfen Gewaltgeneigtheit das Wort zu reden, die sich auch leider im Abstimmungsergebnis ausdrückt. Gewalt gegen Kinder ist viel weiter verbreitet als Gewalt von Kindern, und dass beides zusammehängt, muss wohl kaum erläutert werden.

Kein Wunder, dass gerade im extrem kinderfeindlichen Deutschland ein solches Ergebnis zustandekommt. Wer weiß, wie viele Eltern sogar so abgestimmt haben, die ihre Kinder dermaßen falsch behandeln, dass die Kinder Straftaten begehen. Im Grunde hasst diese Gesellschaft sich immer stärker selbst. Bei den „Biodeutschen“ sind da alte Mechanismen am Werk, die offenbar immer weiterwirken. Sicher haben aber auch Menschen mit Migrationshintergrund so abgestimmt, die in autoritären Strukturen aufgewachsen sind und dieses autoritäre Denken nicht ablegen können.

Gewalt gegen Kinder, die keine Gelegenheit hatten, in einem empathischen und friedliebenden Umfeld aufzuwachsen und nach unserer Ansicht vor allem die Konsequenzen und gesamtgesellschaftlichen Folgen ihres Tuns noch nicht einschätzen können. Das gilt ja selbst für viele Ältere. Nicht umsonst kann bis zum 21. Lebensjahr Jugendstrafrecht angewendet werden, um den Mangel an „sittlicher Reife“ auf die nächsthöhere Altersklasse zu ziehen, die ab 18 Volljährigen. So gesehen, müsste man einigen 14- und 15-Jährigen auch zu billigen, dass man sie für nicht strafmündig erklärt, wenn sie sich etwas älter geworden denkt und mit 20 noch nicht fähig, „erwachsen“ zu handeln.

Wir sind durchaus dafür, dass der Staat sich um die Kriminalität kümmert, aber bitte dort konzentriert, wo es am meisten Sinn ergibt und wo in der Regel keine Kinder das Sagen haben, in der OK, in der Mehrheitsgesellschaft, die nach allen Regeln des Missbrauchs der Freiheit trickst und betrügt.

Selbstsverständlich schauen Kinder sich das ab, wenn Erwachsene damit durchkommen und sich als schlechte Vorbilder etablieren, die sich sogar mit ihrer Gesetzlosigkeit brüsten. Darunter übrigens viele Abgeordnete, gerade von der Union, die in Lobbyskandale etc. verwickelt sind. Sie brüsten sich damit offiziell natürlich nichtm, aber sie sind sehr ungeniert im Umgang mit dem Recht. Die Tatsache, dass Kinder dieses System noch nicht durchschauen und nicht merken, wie Politiker manipulieren, um die Gesellschaft aufzuhetzen, von sich abzulenken, den Interessen der wirklich großen Rechtsbrecher zu dienen, macht solche Übergriffe allzu leicht. 

Dass Erwachsene es auch nicht durchschauen, und wieder mal gegen Kinder abstimmen, anstatt diesen Populisten etwas genauer auf die Finger zu schauen und zu prüfen, wofür diese wirklich stehen, ist ein Ausdruck davon, dass mangelhaftes Rechtsbewusstsein und auch mangelhaftes politisches Wissen keine Altersfrage ist. Wohl aber ist die Schutzwürdigkeit von Kindern eine Altersfrage.

Es zu kommentieren, ist immer wieder ärgerlich, aber notwendig. Gerade wegen solcher Ergebnisse ist es notwendig, zum Nachdenken aufzurufen. Die Gesellschaft, wie sie ist, wurde von Erwachsenen geformt, nicht von Kindern. Die Neigung von so jungen Menschen zum Verbrechen ist nicht naturgegeben, sie resultiert aus dem, was die Erwachsenen tun.

Vielleicht sollte man mal anders denken. Kausalität ist doch wichtig, wenn es um Straftaten geht: Die Eltern einsperren, wenn die Kinder straffällig werden und die Politiker, die unverhohlen zur Diskriminierung und zum Hass anstacheln. Eltern stiften nämlich Kinder oft tatsächlich ganz konkret zu Straftaten an oder bedienen sich ihrer, siehe oben. Und Politiker suggerieren, dass man jede Gemeinheit ungestraft sagen darf. Die CDU ist dabei im Moment ganz vorne, weil sie mit – sic! – aller denkbaren verbalen Gewalt den Diskurs an sich reißen will. und den Wind von rechts nicht nur zum Mitsegeln ausnutzen, sondern einen Sturm daraus machen will, mit dem sie selbst auf der höchsten Welle reiten kann, nicht die AfD. Dass dabei die Zivilgesellschaft, die versucht, versöhnend zu wirken oder gar konkret vor Ort mit Kindern zu arbeiten, um ihnen mehr Chancen zu ermöglichen, in höchste Not gerät, ist diesen Leuten egal. Keiner von diesen Leuten würde sich die Mühe machen, jeden Tag für einen besseren Alltag benachteiligter Kinder zu kämpfen. Dabei verdient man ja auch nicht so klotzig wie ein populistischer Abgeordneter, der versucht, alle Erfolge harter, kleinteiliger Alltagsarbeit verbal vom Tisch zu wischen.

Unser vorgeschlagenes Modell der Inhaftierung der Verantworlichen würde auch der darbenden Bauwirtschaft helfen, die nicht durch eine gute staatliche Wohnungspolitik stabilisiert wird, denn es wäre in den bestehenden Strafanstalten nicht mehr genug Platz, würde dieses Modell umgesetzt. Wenn man dort auch alle unterbringen würde, die gerne Kinder ins Gefängnis stecken würden, könnte man draußen endlich wieder frei atmen. Man würde sich daran erfreuen, wie friedlich es dann wäre und wie wenig Illegales passieren würde. Ja, wir können auch populistisch sein. Aber für die Kinder dieser Welt, nicht gegen sie.

TH

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