Lost in Translation – Zwischen den Welten (Lost in Translation, USA / JP 2003) #Filmfest 1088 #Top250

Filmfest 1088 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (160)

Schlaflos in Tokio

Lost in Translation („In der Übersetzung verloren“, Alternativtitel Lost in Translation – Zwischen den Welten) ist der zweite Spielfilm der Regisseurin Sofia Coppola.

Schade, dass Sofia Coppola bisher bei so wenigen Filmen Regie geführt hat, und dass keiner von den anderen, die sie inszeniert hat, an „Lost in Translation“ heranreicht – für ihn erhielt sie den Oscar für das beste Originaldrehbuch bei der Preisverleihung 2003. Bill Murray bekam einen Golden Globe für seine Darstellung und wir sehen Scarlett Johansson im Alter von gerade 18 Jahren in der weiblichen Hauptrolle. Johansson wurde durch diesen Film international wahrgenommen; Bill Murray, der Star aus „Ghost Busters“ und „Täglich grüßt das Murmeltier“ war schon zuvor als einer der besten Tragikomödien-Darsteller bekannt. Wie er dieses Mal gespielt hat, mit Scarlett Johansson, und mehr zum Film steht in der Rezension.

Handlung (1)

Der alternde US-amerikanische Filmstar Bob Harris reist für eine Woche nach Tokio, um dort seine schwindende Popularität für eine WhiskyWerbung zur Verfügung zu stellen. Im selben Hotel wohnt die Amerikanerin Charlotte, die junge Ehefrau eines flippigen Boulevard-Fotografen. Dieser wurde vom Verlag der Illustrierten, bei welcher er arbeitet, für eine mehrtägige Auftragsarbeit nach Japan geschickt. Charlotte hat erst kürzlich ihren Abschluss in Philosophie absolviert. Während ihr Mann tagsüber seiner Arbeit nachgehen muss und ihm sein hektischer Job kaum Zeit für seine Frau lässt, bleibt Charlotte allein im Hotel zurück. Um die Zeit bis zu Johns Rückkehr zu überbrücken, blättert sie in Zeitungen, unternimmt kleine Spaziergänge oder schaut einfach nur gelangweilt aus ihrem Zimmer hoch über der Stadt in die Straßenschluchten Tokios hinunter. Nachts kann sie nicht schlafen. Als sie ihren Mann einmal zu einem Treffen mit den Stars, die er fotografiert, begleitet, wird ihr bewusst, wie oberflächlich seine Welt und wie fehl am Platze sie an seiner Seite ist. So beginnt sie, an dem Sinn dieser Reise zu zweifeln, ihre Ehe infrage zu stellen und sich der Ziellosigkeit ihres eigenen Lebens bewusst zu werden.

In der Hotelbar trifft sie auf Bob Harris, in dessen 25-jähriger Ehe es ebenfalls an Erotik fehlt, wie die wortkargen Telefongespräche mit seiner Frau andeuten. Wie Charlotte leidet auch er an Schlaflosigkeit und fühlt sich in Tokio fremd und verloren. Symptomatisch ist der Dreh des Whisky-Spots, in dem sich der Titel des Films manifestiert: Der japanische Regisseur gibt Bob ausführliche Anweisungen, wie er sich bei der Szene zu verhalten habe, die Dolmetscherin aber fasst diese jeweils in nur einem einzigen, einfachen Satz zusammen.[2] Der eigentliche Inhalt geht also buchstäblich „in der Übersetzung verloren“, ist also lost in translation. (…)

Rezension

 Wir wissen nicht, ob die eigenen Tokio-Erfahrungen von Sofia Coppola überwiegend positiv oder negativ waren, aber sie hat eine Stimmung kreiert, die das Fremdsein sehr stark in den Mittelpunkt rückt, und das kommt ausgezeichnet rüber. Man muss gar nicht in einem Land sein, dessen Sprache man nicht versteht, um beim Herumreisen aus geschäftlichen Gründen genau dies zu empfinden oder zu sehen oder zu erleben, was Bob und Charlotte erleben, sehen, fühlen. Gerade in der Fremde und der damit verbundenen Einsamkeit reflektiert man auch das Leben zu Hause besonders deutlich und dabei kann es zu Bilanzierungsattacken kommen. Man trifft gewiss nicht jeden Tag eine verwandte Seele, mit der man das verlorene Sein teilen kann, aber ohne eine solche Begegnung gäbe es keine Story. Man kann hingegen gezielt nach Anschluss suchen, aber der ist eben nicht romantischer, sondern professioneller Natur.

„Lost in Translation“ ist eine der schönsten nichterfüllten Romanzen des Nach-Millennium-Kinos, ein feiner, kleiner Film voller Traurigkeit und Komik und mit Gefühlswelten, die uns sehr echt vorkamen. Bezüglich der komischen Elemente muss man allerdings konstatieren, dass sie einen rassistischen Einschlag haben und auf alles abheben, was Japaner und Asiaten generell etwas lächerlich machen soll: geringere Körpergröße, die Unfähigkeit, ein „R“ zu sprechen, eine Höflichkeit, die für unsere Verhältnisse erheblich zu sehr ins Devote und gleichzeitig Formalistische geht, eine selbst für die Amerikaner offenbar kaum nachvollziehbare Technologie-Hörigkeit und eine Form von Exaltiertheit, die  comichaft wirkt. Vor allem aber die Adaption und Imitation westlicher Kulturelemente ohne jedes tiefere Verständnis dafür. Es gibt in diesem Film keine japanische Figur, die nicht  Weise stereotyp wäre. Nur ein einziger Moment, als Charlotte einen Hochzeitstempel besucht und Zeugin einer Trauung wird, hebt sich in seiner leisen, beobachtenden Art der fremden Kultur davon ab, ein Moment, der beinahe von Yasujiro Ozu stammen könnte.

Andererseits – wenn die Fremdlinge Bob und Charlotte in der Lage wären, die kulturelle Wand zu durchbrechen, dann wäre die Stimmung der Fremdheit weg. Da gibt es leider keinen Mittelweg, keine Teil-Annäherung. Entweder man kann sich einlassen und wird eingelassen, oder man reist ebenso schlau oder dumm wieder ab, wie man hergekommen ist. Und das tun fast alle Touristen und auch viele, die längere Zeit aus geschäftlichen Gründen in einem Land verweilen (müssen). In gewisser Weise bezeugt der Film auch die Unfähigkeit der Westler, in die Seele fremder Völker vorzudringen, zumal, wenn diese auf einer oberen Ebene den Westen auf eine so verfremdete Art nachahmen, wie die asiatischen Aufsteiger-Länder der letzten Jahrzehnte es tun. 

Eine Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension neun Jahre nach der Abfassung des Entwurfs: Es gibt durchaus eine Gegenbewegung, die zwar nicht die Technologielastigkeit abhebt, aber eine Eigenständigkeit, die in diesem Film nicht gerade hervorgehoben wird, nicht zuletzt dadurch, dass  zum Beispiel das neue koreanische Kino immer bedeutender wird, außerdem sind japanische Ikonen auch in den westlichen Film übergegangen. 

Dummerweise funktioniert der Film nur  mit diesem „Aliens in Tokyo“-Touch. Würde er beispielsweise in Paris spielen, hätte man die Stadt zwar ebenfalls melancholisch, in gedeckten Farben, auch bei Regen als Setting zeigen können, aber es hätte weitaus mehr einer Individualisierung der Einsamkeit bedurft, die aus der Abgeschlossenheit vom Leben vor Ort resultiert. Und die komischen Szenen wären nicht in dieser Art denkbar gewesen. Man stelle sich vor, alle Franzosen in einem Bistro wären als manierierte Konsumenten zäher, hagerer Froschschenkel dargestellt worden oder man hätte anstatt der scheinbaren japanischen Unterwürfigkeit den echten Pariser Kultursnobismus gleichermaßen prägnant ins Bild gerückt. Unmöglich, damit einen ähnlichen Effekt zu erzielen Es hätte in einer europäischen Stadt immer wieder kulturelle Konnotationen gegeben, die das zentrale Motiv der Entfremdung relativiert hätten und man hätte nicht die Unterschiede so hervorheben und glaubwürdig verabsolutieren können, wie es hier geschehen ist.

Aber dass es Situationen wie diese gibt und man sich wie auf einem fremden Planeten vorkommt, und jetzt nehmen wir die Sicht von Bob und Charlotte ein, das ist möglich und nachvollziehbar, es geht nicht so sehr um eine bewusste Einstellung wie um einen mentalen Zustand, der besonders bei Bob zu beobachten ist: Wenn man nicht in seiner inneren Mitte ist, das Herz mit dem eigenen Verstand fremdelt, kann man auch nicht ins Herz anderer Menschen blicken. Charlotte ist immerhin jung genug, sich Partyfreundschaften zu suchen und durch die Clubs zu ziehen, aber ob das ein Versuch ist, mehr zu verstehen, dürfen wir bezweifeln. Es ist eher ein Versuch, der Langeweile zu entkommen. Am Ende des Films ist eine wirkliche Öffnung beinahe möglich, aber es ist gut, dass es nicht zu einer intimen Beziehung zwischen Charlotte und Bob kommt. Das wäre einfach zu banal gewesen.  Bekanntlich sind die großen Romanzen, besonders im Film, meist unerfüllt.

Finale

In gewisser Weise ist der Film auch ein Spiegel der Zeit kurz nach 9/11, in seiner traurigen Grundstimmung, diese Entfremdung, die nur mit einem Humor aufgelockert werden kann, der die Fremdheit der Amerikaner in der Welt spiegelt, ist auch ein wenig Ausdruck einer klaustrophobischen Situation. Besonders Bob Harris ist eine Art Relikt aus besseren, optimistischen Tagen, das aber dem Pessimismus anheimgefallen ist und damit eine negative Persönlichkeitswandlung vollzogen hat. Unausgesprochen schwingt ein Wunsch nach Erlösung mit, den es in der Schluss-Kussszene für einen Moment tatsächlich gibt, obwohl wir nie erfahren werden, was Charlotte in Bobs Ohr geflüstert hat. Alles, was uns besonders oder groß, aber auch klein und verzagt machen kann, sei es den Chancen des Lebens oder fremden Kulturen gegenüber, spiegelt dieser Film in einer Weise, die uns anspricht, weil sie ehrlich wirkt. Ob in den 1990ern oder heute so wenige Kritiker wie in der Sondersituation des Jahres 2002 die Kultursicht-Probleme des Films angemerkt hätten, lässt sich schwer einschätzen, aber man merkt, wie haargenau der Film die Stimmung der Zeit getroffen hat, ohne auch nur ein Wort über die Besonderheiten der Zeit zu verlieren.

Anmerkung 2 anlässlich der Veröffentlichung des Textes: In gewisser Weise ist der Film auch eine zeittypische Entromantisierung der zeittypischen Romcom „Schlaflos in Seattle“, die zehn Jahre zuvor entstanden war, deshalb haben wir den obigen Titel gewählt. 

Der Film stand eine Zeitlang in der Top 250 der IMDb, deswegen auch seine entsprechende Einordnung, siehe eingangs. Er hat immer noch eine sehr gute Durchschnittsbewertung von 7,7/10 bei den IMDb-Nutzer:innen. 

80/100

© 2024 Der Wahlberliner, Alexander Platz (Entwurf 2015)

Regie Sofia Coppola
Drehbuch Sofia Coppola
Produktion Sofia Coppola,
Ross Katz
Musik Kevin Shields
Kamera Lance Acord
Schnitt Sarah Flack
Besetzung

 

 

 

 

 

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