Titelfoto © NDR, Meyerbroeker
Charlotte und Klaus fahren Taxi
Taxi nach Leipzig ist die 1000. Folge der Fernsehreihe Tatort. Es handelt sich hierbei um eine Crossover-Folge der Kommissare Charlotte Lindholm und Klaus Borowski. In Gastrollen wirken die früheren Tatort-Darsteller Hans Peter Hallwachs als Oberleutnant a. D. Peter Klaus, Günter Lamprecht als Franz Markowitz (ehemaliger Kommissar in Berlin) und Karin Anselm als Kommissarin a. D. Hanne Wiegand mit.
Charlotte Lindholm und Klaus Borwoski haben die Ehre, im 1000. Tatort ermitteln zu dürfen, der nach der legendären allerersten „Folge“ benannt wurde (Rezension des Originals). Das ist insofern logisch, als der NDR, der den Jubiläumstatort produziert hat, auch den allersten Beitrag zum deutschen Krimi-Dauerbrenner beigesteuert hat.
So, das war nun also das mit Hochspannung erwartete größte Jubiläum, das es bisher im deutschen Fernsehen gab. Und war der Film des Ereignisses würdig? Das klären wir in der -> Rezension.
Handlung, Besetzung, Stab
Charlotte Lindholm aus Hannover und Klaus Borowski aus Kiel teilen sich im Anschluss an eine Tagung gemeinsam mit einem weiteren Kollegen, Sören Affeld, ein Taxi. Doch der Fahrer Rainald will eigentlich gar keine Gäste befördern. Der ehemalige Elitesoldat will sich nach seinem Einsatz in Afghanistan an seiner Exfreundin Nikki rächen, bevor ihre Hochzeit mit einem Vorgesetzten stattfindet. Daher ist er eigentlich auf dem Weg nach Leipzig. Als es im Taxi zum Streit kommt, erschlägt Rainald den übereifrigen Affeld und nimmt Lindholm und Borowski als Geiseln.
Maria Furtwängler (Charlotte Lindholm), Axel Milberg (Klaus Borowski), Florian Bartholomäi (Rainald Klapproth), Hans-Uwe Bauer (Sören Affeld), Luise Heyer (Nicki Lowkow), Trystan W. Pütter (Erik Tillmann), Christian Beermann (Martin Sarge), Karin Anselm (Gast), Hans Peter Hallwachs (Gast), Günter Lamprecht (Gast), Friedhelm Werremeier (Gast)Regie: Alexander AdolphDrehbuch: Alexander AdolphMusik: Christoph M. Kaiser, Julian MaasProduzent: Georg Feil, Dagmar Rosenbauer / Schnitt: Max Fey / Kamera: Jutta Pohlmann / Produktion: Cinecentrum Hannover Film- und Fernsehproduktion
Rezension
Das zweite Taxi nach Leipzig, der erste Eindruck?
Es ging schon gut los. Lindholm schmeißt im Seminarsaal wieder ihre Überdrüber-Blicke und ist schwerst gelangweilt, während Borowski nach dem Servierwagen schielt. Oder nach den beiden Damen, die ihn bewegen? Eindeutigkeit gegen Zweideutigkeit, das arrogante Verhalten des Establishments, wegen dem so viele Amis Trump gewählt haben, die Gefühle von Hunger nach irgendwas Schönem, die wir alle nachvollziehen können.
Und dann?
Sprechen wir über die Hard Skills eines Krimis. Da hat nichts gestimmt, und nach dem Beginn gleich zum Ende des Films: In über 500 Rezensionen, von denen bisher inklusive dieser 455 für den Wahlberliner veröffentlicht wurden, habe ich kaum ein dooferes Ende gesehen. Aus einer Entfernung von gefühlt weniger als 100 Meter schießt ein Ex-Elitesoldat 1.) überhaupt viel zu früh und 2.) meterweit daneben und trifft ausgerechnet sein Schutzobjekt. Und dann die elegischen Sekunden danach. Dass Borowski und sogar Lindholm sich fragen, ob sie in einer Parallelwelt leben, sieht man ihnen an und ich muss leider zustimmen. Das ist eine parallele Krimiwelt. Sie ist postfaktisch. Womit wir wieder beim Establishment und seinen Weltdeutungen wären. Auch der provozierte Unfall mit der Art der ihm zuzurechnenden Verletzungen war gruselig, aber da ich ja zu den gehorsamen Staatsbürgern gehöre und mich dem Diktat des Postfaktischen beuge, gehe ich nicht zu sehr ins Detail, was die physischen und logischen Abläufe des Films angeht.
Vielleicht dann von der Logik zur Psychologik?
Licht und Schatten. Das Selbstbild der beiden Superpolizistne ist herrlich nachgezeichnet, in einer so fordernden Situation wie der vorliegenden versagt eben das Wissen, sind alle Erfahrungen relativ, und da kommt es nicht mehr drauf an, ob man beim 27. Deeskalationsseminar gut aufgepasst hat. Aber im Vergleich mit seiner anfänglichen Haltung lässt sich Klapproth dann viel zu schnell auf einen Dialog mit den beiden Cops ein. Das hätte noch eine nette Plauderstunde werden können, wenn nicht die Zielerreichung in Leipzig dazwischen gekommen wäre. Die beiden Schauspieler Milberg und Furtwängler mussten in dem Film viel zeigen, das hat mir gefallen, und Furtwängler hat sich beachtlich geschlagen. Milberg bleibt besser, aber es war eine Adäquanz vorhanden und man spürte, dass es einen Grund hat, dass beide auf unterschiedliche Weise zu den Großen im Tatortgeschäft geworden sind. Ja, wenn ich das über Lindholm schreibe, muss was dran sein. Das Händchen halten am Ende doch süß und stimmte auch – genau, psychologisch. Trotzdem, der einzige Moment, der mich persönlich berührt hat, war die Schlussansprache des Seminarleiters Günter Lamprecht. Der einzige der alten Garde, der nicht schon lange oder gerade verblichen ist, unser Markowitz aus Berlin. Seufz. Lass uns noch ein paar dieser großartigen Schauspieler für ein Weilchen, lieber Gott!
Florian Bartholomäi als Klapproth?
Bartholomäi ist in seinen noch recht jungen Jahren schon eine Tatort-Institution und spielt, soweit es das Drehbuch zulässt, hervorragend. Ganz klar ein Kandidat für künftige Kommissarsrollen: In der Vergangenheit hat man schon weit weniger versierten Darstellern eine ganze Tatort-Stadt anvertraut. Die zu schnelle Annäherung nach anfänglich ganz fester Determinierung auf ein bestimmtes Abgrenzungsverhalten, den gestolperten Wandel von seiner Rächer-Attitüde zum Beichtknaben, den hat er nicht zu verantworten, der ist u. a. der Tatsache geschuldet, dass der Film eben nur 90 Minuten hat. Wie zerbrechlich doch Soldaten sind. Man soll aber keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es gibt viele Heimkehrer mit Kriegstraumata, mehrere Tatorte haben diesen beklagenswerten Folgeeffekt der Auslandseinsätze der Bundeswehr schon ins Zentrum der Handlung gestellt. Aber Klapproth ist ungewöhnlich sensibel und schert aus dem Muster aus, dass niemand für einen falschen Befehl eines anderen verantwortlich gemacht werden kann. Insofern eine moderne Figur, besonders, wenn man bedenkt, wie dereinst Millionen von Mitwissern sich auf ihre Befehle berufen haben.
Aber musste man nicht doch Angst um die Kommissare haben?
Fluch und Segen dieses Tatorts liegen dicht beieinander. Die mangelnde Logik sorgt für einen hohen Unberechenbarkeits-Faktor. Was weiß der Zuschauer schon, welche Volte sich der Drehbuchverfasser, der hier auch Regisseur ist, als nächstes ausgedacht hat? Da kann wirklich alles passieren, und das schaut sich spannend. Das Spiel der drei Hauptakteure, die Nachtfahrt, von der klar war, dass sie mal unterbrochen wird.
Wieso klar?
Sonst hätten sie nicht einen ca. 20 Jahre alten Opel Omega II als Taxi verwendet. Dass der Wagen draufgeht, war anhand des Uralt-Modells klar. Aber Vorsicht, sonst komme ich doch noch dazu, dass es kaum denkbar ist, dass eine Insassin im Fond, angeschnallt, haargenau die gleiche sichtbare Verletzung hat wie der nicht angeschnallte Fahrer – und der wischt sich einmal durchs Gesicht und sieht aus wie neu. Und zuvor diese seltsame Szene mit der Waffe, die er trotz „Schädelbasisbruch“ oder dergleichen einfach krallt und Borowski kann sie ihm nicht entwinden und sagt doch „der ist fertig“. Und wie konnte Lindholm aus dem Auto steigen, zwischenzeitlich, obwohl sie gefesselt und angegurtet war? Und ich habe weder zu Beginn der Geiselnahme noch nach Lindholms Alleingang bemerkt, dass der Entführer sie und den Kollegen Borowski fürsorglich angeschnallt hat. Man merkt schon, dass die Dialoge und inneren Monologe der Figuren die Kapazität des Drehbuchautors so komplett gebunden haben, dass der Rest eher nachlässig abgehandelt werden musste.
Das Visuelle und die Rückblendentechnik?
Schade, dass es keine Rückblenden bei Klaus gibt, da hätte ich auch gerne was aus der Kindheit erfahren. Aber dass Charlotte mal ein Angsthäschen war, macht sie sympathisch, ohne dass ihre Darstellerin etwas dafür tun muss. Aber dass sich bei ihr etwas wie Beschützer-Instinkt regt, dafür muss man wirklich in eine Zeit zurück, in der sie sieben oder acht Jahre alt war. Also war es nicht das ganze Gerechtigkeitsgedöns, sondern eine Art Konfrontationstherapie, dass sie Polizistin geworden ist und die ganz Arroganz verbirgt nur – genau, die Angst. Okay, das ist eine Teil-Teilerklärung. So einfach liegen die Dinge für mich nicht, aber ich habe ja nicht nur diesen einen Film zur Verfügung, um mir ein Bild von den Figuren zu machen. Bei Borowski sind es derzeit 27 Tatorte, inklusive des typischen Einführungsfilms mit dem Namen „Väter“. Die Nr. 1000 wird beim Tatort-Fundus Lindholm zugerechnet, nicht ihm. Bei Lindholm sind es demgemäß jetzt 24 Fälle, wobei man sie aber nur allmählich entdecken kann und dabei zunächst auf das höchst unausgewogene Verhältnis zu Martin Felser, Krimi-Schriftsteller, angewiesen ist.
Der Tatort 1000 ist also auch unausgewogen?
Leider ja. Er hat schöne Momente und das Spiel hat mir gut gefallen, diese Qualität darf man nicht unterschätzen, und er war spannend. Aber wenn ich alle zwei bis drei Minuten denke, „Was wird uns da wieder aufgetischt? Wölfe der Welt, lasst euch diese Rufschädigung nicht gefallen!“ trübt das den Eindruck nicht unerheblich. Als Essenz ergibt sich ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Glaubwürdigkeit hat etwas mit stimmigen Fakten und Abläufen zu tun und wir sind doch nun anerkanntermaßen postfaktisch eingenordet.
Tja, und was sagt das? Alles ist inkohärent. Auch mein Verhalten als Rezensent. Ich bin ja doch nicht bereit, keine Abzüge für all die Mängel zu machen, nur, weil ich mich gut unterhalten fühlte. Vermutlich kommt das daher, dass ich den Begriff „postfaktisch“ für ebenso schräg halte wie „alternativlos“, und immer kommen diese Neologismen, mit denen man uns für dumm verkaufen möchte, aus derselben Ecke. Vielleicht sind die Urheber dieser Wortschöpfungen postfaktisch und postintellektuell, aber bei allem, was ich Tatorten mittlerweile nachsehe: Ein gewisser Kern, der nur das Denkbare beinhalten soll, nicht das Wahrscheinliche, den möchte ich bewertungsseitig nicht preisgeben.
Finale
Der Original-Tatort „Taxi nach Leipzig“ war gut, aber noch kein Higlight der Reihe (7,5/10), ich halte ihn aber für besser als das moderne Titel-Pendant von heute Abend. Dieses aber stellt eine Steigerung gegenüber dem letzten Borowski-Tatort, ebenso dem letzten Lindholm-Tatort dar. Die Wertung ergibt sich daraus beinahe von selbst. Sie muss auf 6,5 oder 7/10 lauten. Und weil ich tausend Tatorte würdige und nicht zu sehr ins Nörgeln drehen und mich darauf versteifen möchte, dass ich gerade von einem solchen Jubiläumsfilm mehr erwartet hätte, ziehe ich die 7.
7/10
© 2018, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Alexander Adolph |
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| Drehbuch | Alexander Adolph |
| Produktion | |
| Musik | |
| Kamera | Jutta Pohlmann |
| Schnitt | Max Fey |
| Premiere | 13. Nov. 2016 auf Das Erste |
| Besetzung | |
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