Antisemitismus in deutschen Parteien – und wie das Bewusstsein die Analyse beeinflusst

2018-07-26 Antisemitismus in deutschen Parteien

Medienspiegel 32

Auf das nebenstehend gepostete Schaubild wurde ich durch diesen Beitrag in einem anderen WordPress-Medium aufmerksam. 

Ich möchte dem Wahlberliner schrittweise die Welt anderer  Blogger_innen öffnen und dabei auch hin und wieder die Kontroverse nicht scheuen. Was sich mental ereignen kann, wenn  man sich nur in der Blase der linken Alternativmedien verortet, weiß ich ja längst, es ist eben wie mit jeder Blase: Man fängt an, nur noch nach Bestätigung zu suchen und sich anderen Meinungen zu verschließen.

Freilich müssen sich beide Seiten oder alle Beteiligten auf ein Verfahren des freien Austauschs einlassen, das nach fairen Regeln abläuft. Zu denen ggehört meinerseits die Offenlegung, dass meine Position nicht anders sein kann als links und solidarisch, das darf also jeder Gesprächspartner wissen. Vor allem solidarisch als Grundlage der Definition von links. Dabei erlaube ich mir eine eigentändige Meinung in vielen einzelnen Fragen.

Aber gerade die ersten Ausflüge ins Nahost-Thema vor ein paar Wochen belegen mir, wie hochgradig brisant das alles ist und wie man sich vor falschen Narrativen schützen muss – und ein Schutz kann es sein, ausgewogen und tatsächlich an Menschenrechten orientiert zu schreiben und sich nicht ideologisch zu sehr einfangen zu lassen.

Wie aber ist es in Berlin? Wer schreibt hier? Das sollte mich doch besonders interessieren, zumal ich ja ein Zugezogener bin wie so viele andere, die alle eine unterschiedliche Sicht auf die Stadt haben.

Aus meiner Blase sind das recht viele Personen und die Rechten und die Verfechter des politischen Islams sind auch sehr aktiv, aber bisher selten habe ich private jüdische Stimmen wahrgenommen. Und nun ist mir ebenjener obige Beitrag aufgefallen und ich folge, wenn er’s mir nicht verbietet, dem Autor desselben. Obwohl ich ihn in meiner ersten Erwähnung gleich korrigieren muss.

Statistiken lesen, ich geb’s zu, gehört ja auch zu meinen Hobbys, daher fiel mir relativ schnell etwas auf und ich möchte es hier richtigstellen, weil es auch mich betrifft und die Partei, in der ich Mitglied bin. Die FAZ hat (wann, steht leider nicht dabei, das hätte mich auch interessiert) gefragt: „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss – stimmt das?“ Man konnte nur mit Ja oder Nein antworten. Nun schreibt der Autor, der sich auf diese Umfrage bezieht:

„Spitzenreiter ist wenig überraschend die AfD, dicht gefolgt von der DIE LINKE, dann SPD, dicht dazu FDP, dann CDU/CSU und schließlich GRÜNE. Aber 36% (GRÜNE) sind noch immer als viel zu viel zu erachten.“

Als Mitglied der LINKEN muss ich diese Darstellung zurückweisen. Denn hier werden  rote und blaue Balken verwechselt. In Wirklichkeit ist die AfD die einzige Partei, deren Anhänger überwiegend mit „Ja“ geantwortet haben. Hingegen weisen die Unterstützer der LINKEN mit 50 Prozent „Nein“-Stimmen den größten Anteil an jenen auf, die eine solchen zu hohen Einfluss der Juden auf der Welt nicht sehen. Sie haben mit 20 Prozent Zustimmenden zwar auch zwischen 1 und 4 Prozent mehr als die anderen Parteien jenseits der AfD, die anderer Ansicht sind, aber dem steht ja auch jener größte Ablehner-Anteil gegenüber. Man kann auch sagen: Linke sind am dezidiertesten in ihrem Meinungsbild, diese Frage betreffend – wiederum von den AfD-Anhängern abgesehen, aber eben von der Tendenz umgekehrt. Typisch hingegen, dass die Grünen sich insgesamt so unklar positionieren. So nehme ich deren Klientel häufig wahr. Unüberzeugt von irgendwas außer einer komplett surrealen Haltung in der Migrationsfrage. Auch die, sagen wir mal, wohlwollende Gleichgültigkeit dem Islamismus gegenüber, die sich als Toleranz verkleidet, halte ich bei den Grünen für am stärksten ausgeprägt.

Man darf selbstverständlich auch die Anteile von 16 bis 20 Prozent bei den „Altparteien“ inklusive der LINKEN nicht kleinreden, aber es ist eben doch nicht das Gleiche, als wenn es Mehrheiten pro zu viel jüdischem Einfluss gäbe und selbst in diesen Minderheiten gibt es ganz gewiss Abstufungen hinsichtlich der Ausprägung dieser Ansicht und der Konsequenzen fürs gesamte Weltbild. Wenn man nur links und nicht antisemitisch oder rassistisch in irgendeiner Form denkt, muss man vielmehr folgende Feststellung treffen, und dazu bin ich jederzeit bereit: Der freidrehende Finanzkapitalismus (den man bitte nicht mit „freier“ Marktwirtschaft verwechseln möge) hat zu viel Einfluss auf der Welt. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Religionszugehörigkeit einzelne Personen haben, die in dessen Institutionen und Unternehmen Stellungen bekleiden.

Was mich aber doch betroffen macht, ist die Mentalität, die ich hinter einer so fundamentalen Fehlinterpretation eines simplen Schaubilds wahrnehme: Es wirkt, als ob diese Interpretation einer Erzählung folgt, die alles, was Deutschland (und Berlin, wie dieser Beitrag zeigt) betrifft, doch sehr, sehr düster sieht. Ich bin in vieler Hinsicht kritisch, aber wir dürfen auch nicht so tun, als liefen bei uns nur oder überwiegend Antisemiten und Islamisten herum. Wenn ich bedenke, wie viele Linke im Nahostkonflikt auf der Seite der Palästinenser stehen, auch solche, die ich persönlich kenne und für ihr Engagement pro Frieden schätze, finde ich die Antworten der Unterstützer der LINKEn im Grunde sehr intelligent, weil zwischen den dortigen Verhältnissen und einer generellen Einstellung den jüdischen Menschen gegenüber klar unterscheiden. Bei mir verhält es sich so: Wenn ich einen Staat für sein Verhalten in einem Krieg kritisiere, dann gilt die Kritik diesem Staat und dessen Regierung und den Extremisten, die es fast in jedem heutigen Staat gibt, nicht einer Religion oder einem Volk, das sich überdies auf sehr viele Staaten verteilt und in dem es wiederum viele unterschiedliche Positionen zur Weltpolitik gibt.

Die Traumata der Vergangenheit sind  schwer zu bewältigen, aber wir dürfen uns nicht so sehr von ihnen dominieren lassen, dass wir nicht frei sind fürs aufeinander zugehen hier, jetzt und in Zukunft. Um das tun zu können, ist es wichtig, klarzustellen, dass es in keiner deutschen Partei außer der AfD auch nur annähernd einen überwiegenden Anteil von antisemitisch eingestellten Menschen gibt.

TH


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