Der 4. September 2018: Start der #Bewegung #Wagenknecht

Kommentar 44

Am 4. September 2018 startet Sahra Wagenknecht ihre Links- / Mitte-Links-Bewegung und erfährt dabei viel Zuspruch und auch Ablehnung – Letzteres vor allem aus den eigenen Reihen, wenn man DIE LINKE als solche ansieht. Wie fühlt man sich als Mitglied der Partei DIE LINKE angesichts des nahenden 4. September?

 Der 4. September wird die Welt verändern.  Das zumindest scheint sicher, wenn man es aus der Perspektive der Anhänger_innen der Bewegung sieht, die leider immer noch keinen Namen hat. „Allianz“ wird sie wohl nicht heißen, wie es dieser Telepolis-Beitrag an einer Stelle  nahelegt. Aber auch der Begriff „Fairland“, der vor einigen Monaten im Umlauf war, wird sich wohl nicht durchsetzen.

Mein Gefühl ist sehr wohl, dass wir einen Aufbruch brauchen und es nicht weitergehen darf wie bisher, denn das linke Spektrum verliert in der Tat von Wahl zu Wahl und zudem gibt es eine Verschiebung innerhalb dieses Spektrums, die zu beachten ist.

Mein primärer Wunsch ist, dass die wenigen Linken in Deutschland, die organisiert sind, nicht auseinanderdriften und keine Spaltung stattfindet. Ich bin ja kein alter Kämpfer in dieser Partei, der sich in einem der Strömungsgräben  eingefunden hat und von dort aus auf die anderen feuert, sondern wünsche mir, dass etwas, das ich erst vor knapp zwei Jahren für mich angenommen habe – ja, lebendig, gerne auch kontrovers auf mich wirken darf, aber nicht so, dass es zum Auseinanderbrechen verurteilt ist. Links ist eh fragmentiert genug und ich verweise immer wieder darauf, dass die „La France insoumise“, die Linksbewegung von Jean-Luc Melénchon in Frankreich, die ja offen als Vorbild benannt wird, das linke Spektrum angezapft, aber nicht erweitert hat und nicht die dortige Regierungspolitik bestimmt.

Im Telepolis-Artikel wird auch einen Beitrag von Wagenknecht in der WELT erwähnt, in dem sie anscheinend ziemlich in die Grütze gehauen und einen offenen Bruch mit der „Reformer-Fraktion“ in der LINKEn geradezu provoziert haben soll.

Mir ist es heute schlicht zu heiß, um diesen heißen Text genau zu analysieren, ich will mir ja nicht die Finger oder die Seele daran verbrennen. Wenn er eine Art Mission Statement für die Bewegung sein soll, muss diese Analyse freilich noch erfolgen.

Auf eines möchte ich trotzdem hinweisen: Es steht jedem frei, in dieser „Fassadendemokratie“ DIE LINKE zu wählen, aber im neuesten Deutschlandtrend verliert sie wieder einen Prozentpunkt und steht jetzt auf 8. Ob das bereits damit zu tun hat, dass man ihr Auseinanderfallen angesichts der neuen Bewegung erwartet oder weil sie sich aufgrund der unterschiedlichen Positionen ihrer Spitzenpolitiker_innen schwer tut mit neuesten Themen wie „#MeTwo“, dazu habe ich aktuell keinen Idee, aber Die Grünen sind schon länger wieder das „In“ in der linksliberalen Politikszene, die Wagenknecht ansprechen will. Sie hatten im Herbst 2017 ihr bisher zweitbestes Wahlergebnis im Bund (wie DIE LINKE) und steigen seitdem ständig an. Und mein Eindruck ist, dass das Interview vor allem deren gut situiertes Publikum anzielt, das sich  nach Wagenknechts Ansicht leicht tut mit wohlfeilen Statements zur Weltoffenheit, die nach ihrer Ansicht nur dem Konzernkapitalismus nützen.

Im Moment findet eine Polarisierung zwischen den Rechten und den Weltoffenen, die von Wagenknecht, sagen wir, in dem Beitrag benannt werden, nicht so sehr auf wirtschafts- wie auf gesellschaftspolitischem Feld statt. Dass beides zusammengehört, stellt Wagenknecht in ihren Bundestagsreden häufig klar, aber warum sehen es so wenige und wird sich das ändern, wenn nun Wagenknecht nicht mehr (nur) für DIE LINKE, sondern für ihre Bewegung ans Mikrofon tritt?

Mehr Medienaufmerksamkeit als sie kann man kaum bekommen, wie man daran sieht, dass auch „Die Welt“ sie publiziert – natürlich hat sie dabei die Absicht, in ebenjene Zonen des Wählersprektrums hineinzuwirken, in der sie viel Potenzial vermutet und das nicht so grundrassistisch ist wie viele BILD-Leser_innen. Sondern beispielsweise dem gequälten Mittelstand angehört, den sie anspricht.

Und natürlich hat sie Recht mit dem Kanon wichtiger Themen, den sie alternativ zur ewigen Migrationsdebatte benennt, denn im Grunde löst ja hier nur ein Schwerpunkt den anderen innerhalb des Großthemas ab, neu ist nichts an dem, was wir aktuell sehen, diesbezüglich kann man nur hoffen, dass nicht immer neue Hashtags produziert werden, die Aufmerksamkeit von den Grundthemen abziehen, denn was soll Wagenknecht darauf antworten, wenn sie sieht, dass jede Antwort auf einen dieser Hypes zu einer weiteren Spaltung derer beitragen könnte, deren Zusammenhalt für eine soziale Revolution unabdingbar ist?

Viele der sozialen Bewegungen, mit denen sie reden will, stehen nämlich eher der OBF (der Open-Border-Fraktion im linken Spektrum) nah als dem, was sie im Welt-Beitrag und vielfach an anderer Stelle kund tut. Und natürlich verringern solche Debatten, wie sie jetzt laufen, die Möglichkeiten, sich sachlich mit der Immigration auseinanderzusetzen. Das Ganze läuft grundfalsch, weil es in Wirklichkeit den illiberalen Kräften dient, aber das muss man in diesem nicht nur temperaturmäßig heißen Sommer erst einmal so darstellen können, dass es die Menschen erreicht, die gegenwärtig – sic! – leicht erhitzbar und weniger aufnahmefähig sind als in kühleren Zeiten.

Ursprünglich, heißt es im Telepolis-Beitrag, sollte die Bewegung früher starten, aber man hielt sich zurück, weil – Fußball-WM und dadurch geringere Aufmerksamkeit. Nach meinem Wissen aus den Mails von „Team Sahra“ war schon länger ein Start im Herbst geplant, was ja auch deshalb sinnvoll ist, weil dann die neue Sitzungsperiode des Bundestags beginnt und die Schulferien zu Ende gehen, aber im Moment verdichtet sich der Eindruck, dass dies eher noch zu früh ist. Das Sommerloch war selten so gut mit echten und erkennbar als Steuerfeuer lancierten Themen gefüllt und dies wird im September noch Nachwirkungen haben.

TH


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