Wahre Liebe – Tatort 918 / Crimetime 19 / #TatortKöln #Koeln #WahreLiebe #Ballauf #Schenk #WDR #Tatort #Tatort918

Crimetime 19 - Titelfoto © WDR, Thomas Kost

Ein echter Fall für Max

In der Vorschau haben wir noch ein wenig über Max Ballauf reflektiert und wie gut der neue Fall zu ihm passt – und schwups, da haben sie die Polizeipsychologin Lydia Rosenberg wieder ausgekramt. Gut so. Und, lieber Gott, lass es ein Weilchen dauern mit den beiden! Es muss ja nicht für immer sein, aber vielleicht für ewig?

Handlung

Natascha Klein (Suzan Anbeh: „Der Kriminalist“, „Die Rosenheim-Cops“) war eine schillernde Persönlichkeit. Gerade erst hat die auch von der Presse geschätzte „Liebes-Päpstin“ den zwanzigmillionsten Kunden ihrer Internet-Partneragentur Lovecast gefeiert. Jetzt wurde sie erschlagen in ihrem Büro gefunden. Neben der Leiche liegt ein Briefumschlag mit fünfzigtausend Euro: Hier hatte offensichtlich jemand eine ganz persönliche Rechnung mit der jungen Frau offen. Könnte sich ein enttäuschter Kunde an der Agenturchefin gerächt haben?

Die Kommissare Ballauf und Schenk ermitteln in alle Richtungen. Offensichtlich waren hier in jüngster Zeit mehrere Frauen einem Heiratsschwindler zum Opfer gefallen und um erhebliche Geldbeträge betrogen worden. Das berichtet Lovecast-Geschäftsführer Gerd Machnow (Bernd Moss: „Heiter bis tödlich – Zwischen den Zeilen“, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“). Auf andere Weise enttäuscht von seiner Beziehung war auch Natascha Kleins Ehemann Jörg Klein (Holger Daemgen: „Tatort: Franziska“, „Die Garmisch-Cops“). Da er zur Tatzeit jedoch auf einer Geschäftsreise war, hat er ein Alibi. Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche: „Turbo & Tacho“, „Heiter bis tödlich – Nordisch herb“) empfiehlt Ballauf und Schenk verdeckt zu ermitteln. Ein gefährlicher Einsatz für ihre neue Aushilfsassistentin Gabi (Kathi Angerer: „Mord mit Aussicht“, „Russendisko“), die sich freiwillig als Lockvogel meldet. Ihre Kontaktanzeige bei Lovecast bleibt nicht lange unbeantwortet. 

Rezension

Wir halten also fest: Der Zauberer ist nicht der Mörder. Der Mörder ist hingegen nicht der Gärtner, sondern der Hausmeister. Der Zauberer hingegen ist ein Ex-Kommilitone der Agenturleiterin, der wohl den Algorithmus für die Liebesformel geschrieben hat. Der wurde von der späteren Anbahnungs-Unternehmerin aber kommerziell ausgebootet und hat sich als alter Charmeur, der er doch blieb, an den Kundinnen gerächt, indem er sie um eine Menge Geld erleichterte, bis hin zur Existenzvernichtung. Der Mörder war auch nicht der Ehemann, den die Frau mit dem Hausmeister betrogen hat.

So in etwa die Hintergründe des Tatorts. Klingt schräg und ist es auch. Wenn wir die Rezensionen allerdings immer so aufziehen würde, dass wir die Tatorte zuerst nackt machen und dann anfangen, sie wieder mit allem, was sie neben den oft verschwurbelten Motiven auszeichnet zu bekleiden, dann läsen sich die meisten dieser Zusammenfassungen genau so, nämlich nicht sehr glaubwürdig.

Wir sind anderer Ansicht als die meisten Tatort-Fans, die schon beim Fundus gewertet haben. Allerdings nicht vollkommen anderer Ansicht. Die Auflösung war schwach, dem stimmen wir zu. Wenn das Ende eher gestolpert wirkt in einem Tatort, der anfangs so kristallklar und präzise in die Welt der echten und falschen Gefühle, der Hoffnungen und der Hoffnungslosigkeit, der knappen Worte und kleinen Gesten, der ätherischen Settings und der roten Herzen schreiten will, die gen Himmel steigen, dann ist das unbefriedigend. Vor allem die Szene an und in den Polizeiautos zum Schluss ist zu banal, angesichts der Hausmeister-Poesie zuvor.

Nun aber zum Leben der Singles in den Großstädten – nicht zum ersten Mal. Kiel ist zwar nicht ganz so großstädtisch, aber da hatte Klaus Borowski sogar selbst undercover ermittelt („Borowski und die einsamen Herzen“)und manch nette Einsicht dabei gewonnen. Die fliegenden Herzen hingegen kennen wir aus Frankfurt, von „Oscar“ – allerdings gab es dort nur eines, und das hatte einen noch einmal melancholischeren, ja ernsttraurigen Hintergrund.

Die Liebe aber ist immerhin möglich, trotz der Partneragenturen mit ihren Liebesformeln, die wie Pilze aus dem offensichtlich sehr fruchtbaren Boden schießen. Ja, und Herbst ist es auch. Da fliegt ein Blatt in Zeitlupe, wie schön, denn wir bekommen den Indian Summer und wer jetzt keine Partnerin hat, wird sich allein in den kalten Winter frieren müssen – und der ist in Berlin nun einmal besonders kalt. Manchmal.

Großstadtindianer so, können wir da etwas zum Thema sagen? Selbstverständlich. Einige Partnerbörsen machen tatsächlich Werbung damit, dass sie aufgrund ihrer psychologischen Tests die richtigen Leute zusammenführen können. „Matching-Punkte“ heißen sie zum Beispiel beim Marktführer Parship. Der Film bezieht diesbezüglich Stellung, indem hin und wieder jemand anmerkt, alles Hokuspokus, und dann doch mitmacht und dann die Liebe doch ganz in der Nähe findet.

Vieles, was uns nützt, ist nützlich, weil wir daran glauben. Tests mit Placebos haben das bewiesen. Also kann auch diese Verwissenschaftlichung nützlich sein. Besonders für Kopfmenschen, die nicht einfach mal loslegen, sondern sich schon sicher sein wollen, das Richtige zu tun, bevor sie sich überhaupt aus dem emotionalen Schneckenhaus wagen. In den Tests liegt der Vorteil, dass sie eine gewisse Sicherheit suggerieren, was die Vorauswahl im riesigen Netzbetrieb angeht – aber es gibt auch die Kehrseite: Dass man dadurch Erwartungen aufbaut und vielleicht sogar an den richtigen Menschen vorbeigeht,an denen, auf die man aufmerksam würde, wenn man sich auf sein Gefühl, und nicht darauf verlassen würde, dass beide potenziellen Partner Golf auf derselben gesichtslosen Anlage im Brandenburger Umland spielen und je ein Mini Cabrio fahren (sie in rot, er in grün mit weißem Dach als Clubman, als Zweitwagen vielleicht zum Range Rover, wie Herr Kleinen einen fährt? Oder wars nur ein Land Rover Discovery? Seufz).

Das Gleiche, das allzu Gleiche, ist tückisch. Okay, oben haben wir etwas zur Polemik gegriffen, um es zu demonstrieren, um klarzumachen, warum wir dem Glück aus der Retorte nicht so recht trauen, wenn man alles zu wörtlich nimmt, was die Anbieter des Retortenglücks versprechen.

Aber diese Zusamenführungsmodelle sind doch etwas tricky. Es werden ja nicht nur die Interessen von Probanden abgeglichen. Vielmehr sollen Charaktere mit psychologisch schlauen Fragen oder Bildauswahlen ermittelt werden, damit Leute beim ersten Date einander gegenübersitzen, die einander so vertraut sind, als wären sie ein altes Ehepaar und schon durch mit allem, was das Leben wunderbar macht. Kann es das sein? Da könnten sogar kollusive Beziehungen entstehen, weil die Leute sich in ihren Schwächen gegenseitig bestärken und dadurch die Stärken wegkippen. Nein, nein und abermals nein! Denn so eine Partneragentur kann mehr. Bei manchen Eigenschaften ist der Test angeblich so gepolt, dass die meisten Übereinstimmungspunkte nicht aus der Gleichheit, sondern aus der Gegenpoligkeit entstehen. Wo der eine keinen Instinkt hat, hat der andere kein Gefühl. Das kann ja was werden.

Im Ernst – es kommt, und das wird im Film glücklicherweise deutlich, darauf an, was man daraus macht. Insofern sind viele Eingangsworte, die Agenturchefin Natascha Klein spricht, bevor ihre Stimme nicht mehr aus dem Off kommt und wie ein narrativer Kommentar klingt, sondern sich sozusagen auf das 20 Millionen-Event im Haus banalisiert … ja, viele dieser Worte sind wahr. Welche Anbahnungsform man wählt, meinen wir sogar, ist zweitrangig, auf die Einstellung zu anderen Menschen im richtigen Moment und überhaupt kommt’s vornehmlich an. Und die ist manchmal vertrackt. Wir würden ja gerne und wollen auch, können aber nicht Liebe, weil wir den Zugang zu den einfachen Dingen verloren haben, davon leben die großen Partneragenturen und warum sollen sie aus unserer Unfähigkeit in zwischenmenschlichen Angelegenheiten kein Geschäft machen? Daran ist nichts Verwerfliches. Schließlich sind die Agenturen nur Erscheinungsbilder, Symptome unserer heutigen Lebens- und Denkweise.

Neulich haben wir in einem der ARD-Magazine eine den Agenturen gegenüber sehr negative Dokumentation gesehen. Darauf gehen wir hier nicht ein, aber eine  Zahl war sicher falsch: Dass nur ein paar wenige Prozent der Menschen sich heutzutage übers Internet kennenlernen. Das kann nicht stimmen, das sagen schon die Quoten in unserem Bekanntenkreis, und das sind nicht alles Sozialverweigerer. Gerade in den großen Städten schätzen wir die Zahl auf 30-40 %. Und wieder: Warum nicht? Ist es nicht so, dass nicht nur die jungen, im Film angesprochenen Männer sich nicht entscheiden können und dass wir alle ein Recht auf große Auswahl haben? Das moderne Dasein ist so stressig, da kann die Technik, die uns mehr beherrscht, als dass wir sie beherrschen, wenigstens an einer Stelle für einen echten Zugewinn an Möglichkeiten sorgen.

Man muss einen Zugang zum Thema haben, dann findet man den Tatort 918 gewiss nicht blöd, zumindest von ebenjenem Thema aus betrachtet. Wir mussten oftmals schmunzeln und stellenweise sogar lachen. Vor allem, wenn sich alles in Freddy und Max, vor allem in Max, spiegelt, ist „Wahre Liebe“ gut. Und wir hatten so gehofft, dass er bei all der menschlichen Tristesse mal nicht der Einsamste von allen ist, sondern uns das Köln-Gefühl aufrecht erhält: Dass irgendwo ja doch immer für irgendwen irgendetwas gut wird. Lydia zuhaus statt Würstchenbude mit Freddy, wenn das keine gesunde Weiterentwicklung ist.

Etwas Krimi-Köln. Der Krimi ist bei diesem Tatort bissl nebensächlich, deshalb an dieser Stelle ein Goodbye an Staatsanwalt Prinz, (Christian Tasche), den wir hier letztmalig sehen dürfen. Ausgerechnet in diesem Film wirkt er so heiter. Nach Franziska der zweite Abschied innerhalb kurzer Zeit. Hoffentlich finden die Kölner bald den Assistenten oder die Assistentin für die nächsten Jahre. Wir wollen in diesen immer wieder wechselhaften Zeiten endlich wieder Konstanz am ewigen Dom.

Falls sich die Tendenz fortsetzt, die wir im Moment beobachten, wird die Ballauf & Schenk-Kurve (siehe Vorschau) mit „Wahre Liebe“ wieder abknicken. Sehr schade. Aber dadurch, dass der Tatort im Verlauf nachlässt und die Spannung sich dadurch abbaut, welche die Figuren zu Beginn durchaus erzeugen können, hat er sich das ein wenig selbst zuzuschreiben. Es ist nicht, weil die Fans keine leisen und intensiven Tatorte können, aber gerade die Liebhaber der Schauspieler-und-Figuren-Tatorte haben sich, so der gegenwärtige Stand, nicht zu den ganz hohen Bewertungen durchringen können. Diejenigen, die den Tatort gerne zwischen CSI und Cobra angesiedelt hätten, waren ohnehin nicht zu begeistern. In der Gesamtheit ergibt das nach unserer Ansicht eine Unterbewertung, denn der Film hat schöne Momente und die Schauspieler sind nicht etwa schlecht, sie werden ganz gezielt so eingesetzt, dass sie Stereotypen verkörpern – Stereotypen von Singles eben.

Eine Sache hat uns schon bei früheren Single-Tatorten gestört: Die Suggestion, dass die Suche übers Internet gefährlicher sei als andere Wege der Kontaktanbahnung. Gut, dass der Mörder nicht der Zauberer ist, sondern aus dem Umfeld der Agenturchefin stammt. Aber diese Heiratsschwindler-Geschichten sind Horrormärchen, vermitteln ein schräges Bild. Menschen können einander jahrelang aus dem Dorf oder von der Arbeit gekannt haben und machen bei Beziehung irgendwann gemeinsame Kasse und der eine legt den anderen herein oder kann nicht wirtschaften. Das alles gibt’s unabhängig vom Internet und gab’s immer schon. Sicher nimmt im Moment des Verliebens der gesunde Menschenverstand ab, doch wenn jemand das ausnutzen will, dann tut er das heute deswegen übers Internet, weil es das Medium der Zeit ist, sonst steckt nichts dahinter.

Fazit

Ein Hammer wie die letzten Köln-Tatorte ist „Wahre Liebe“ nicht,und er behandelt auch nicht als erster innerhalb der Reihe dieses Thema, aber es gibt nun einmal Sujets, die haben Bestand und man kann sie immer wieder nutzen, um einen Krimi zu konstruieren. Die Kölner können diese Art von Tatorten, das steht außer Frage. Überall, wo Gefühle und Sehnsüchte im Spiel, wo sich das Verhalten von Verdächtigen, Opfern, Beteiligten ohne allzu große Distanz im eigenen State of Mind spiegeln lässt, sind, da sind Max und sein robuster Gegenpol Freddy in ihrem Element.

7/10

© 2019, 2018, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke 

Max Ballauf wird gespielt von Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär ist Freddy Schenk, außerdem wieder mit dabei sind Juliane Köhler („Bella Dilemma – Drei sind einer zu viel“, „Zwei Leben“) als Polizeipsychologin Lydia Rosenberg und Joe Bausch als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth („Ohne Gnade“, „Rommel“). In weiteren Rollen zu sehen sind Oliver Bröker („Tatort: Keine Polizei“, „Flemming“) sowie Judith Engel, Matthias Bundschuh, Sabine Orléans, Rainer Furch, Andreja Schneider, Manuela Alphons, Sabine Vitua u.v.a.

Das Drehbuch stammt von Maxim Leo („Haltet euer Herz bereit: Eine ostdeutsche Familiengeschichte“). Regie führt André Erkau („Das Leben ist nichts für Feiglinge“, „Arschkalt“).


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