Schäuble, der Marxist, die Schwarze Null und warum die deutsche Wirtschaft etwas Besonderes ist (Teil 1) / #SchwarzeNull #WolfgangSchäuble #Austerität #Wirtschaftsgeschichte

Schäuble, der Marxist, die Schwarze Null und warum die deutsche Wirtschaft etwas Besonderes ist. Nachdenken über ein Interview von OXI mit Werner Abelshauser.

Analyse 6 / Teil 1

Ich möchte gleich zu Beginn darauf hinweisen, OXI ist ein linkes Wirtschaftsmagazin, nicht die Hauspostille der Wirtschaftsliberalen. Wolfgang Abelshauser ist einer der führenden deutschen Wirtschaftshistoriker und seine Thesen, die anfangs umstritten waren, haben sich in den letzten Jahrzehnten immer größerer Akzeptanz erfreut. Ich hingegen freue mich, dass OXI ihm die Gelegenheit gegeben hat, die deutsche Wirtschaftsgeschichte in Kurzform für ein Publikum aufzurollen, das davon in der Regel wenig Kenntnis haben dürfte.

Gleichzeitig ist dies die erste mehrteilige Analyse, die wir für den neuen Wahlberliner verfassen. 

„Im Privatleben der Bürger, also außerhalb der Wirtschaft, ist es fast eine Binsenwahrheit, dass Schulden eine Last sind und deshalb möglichst niedrig gehalten werden sollten. Und in den Finanzmarktkrisen im Jahr 2002, zuletzt 2008 und 2009 haben die Leute erlebt, wie belastet und fragil dieses Finanzsystem ist. Und der dritte Punkt: In den Genen, in der DNA der deutschen Wirtschaftskultur steckt die Überzeugung, dieses Modell funktioniert nur mit tragfähigen Finanzen und stabiler Währung. Viele Menschen ahnen das, auch diejenigen, die sich wenig mit Wirtschaft beschäftigen. Und diese Einschätzungen und Anforderungen bündeln sich meines Erachtens in der Schwarzen Null. Deshalb hat eine große Mehrheit der Bevölkerung das Gefühl, wenn wir diese Schwarze Null erreichen, dann ist das gut für den Staatshaushalt und damit für uns alle.“

So die erste Antwort von Werner Abelshauser. Aber eine Volkswirtschaft ist doch keine schwäbische Hausfrau, wie ein in der LINKEn populärer Linkskeynsianer es ausdrücken würde.

Eine Volkswirtschaft hat, im Gegensatz zur schwäbischen Hausfrau, eine Bank, die Geld drucken kann, die Zentralbank ist das in der Regel. Deutschland hat aber keine Zentralbank mehr, sondern muss sich mit anderen europäischen Ländern abstimmen, um auf die Europäischen Zentralbank bzw. auf deren Politik einzuwirken Diese Bank steht zwar in Frankfurt, aber Deutschland „hält“ an ihr nur etwa 30 Prozent. Deutschland halt also keine Alleinhoheit über Wirtschaftspolitik per Währungspolitik.

Das andere ist die spezielle deutsche Wirtschaftsgeschichte. Wir sind so sehr mit unserer Geschichte im Allgemeinen zugange und das ist ja auch richtig. Nie wieder! Das ist für 1933-1945 richtig und vielleicht auch für 1914, obwohl ich kein Anhänger der „Alleinschuldthese“ bin.

Aber so, wie die politische Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Deutschland sehr negativ verlaufen ist und sehr speziell war, ist auch die Wirtschaftsgeschichte sehr speziell – und dies eben nicht im negativen Sinn. Sie ist auch ein Modell für die Zukunft, das man weiterentwickeln kann, darauf werde ich noch eingehen. Wer dafür kein Gespür hat und dazu keinen Zugang hat, der wird jedoch immer Fehlinterpretationen erliegen und sich allzu leicht von falschen Propheten einfangen lassen.

So wie die Linkskeynsianer?

Es ist doch folgendermaßen. Wir leben noch recht pluralistisch in Deutschland und jeder darf eine Meinung haben, sei sie noch so schräg – und diese auch publizieren. Die Mainstream-Medien verkürzen oft, sind nicht so neutral, wie zumindest die öffentlich finanzierten sein sollten, aber wenn ich den ganzen Tag nur RT Deutsch, Sputnik und die Linke Zeitung und der gleichen lese, bekomme ich ganz sicher kein realistisches Weltbild. Alles kann bedacht werden und in eine umfassende Meinungsbildung einfließen, aber man darf dabei nicht zu einseitig werden, sonst wird man vom Wahrheitssucher zum Ideologen – und Ideologen, das sind viele Linke nun einmal und nach meiner Ansicht verbauen sie uns damit eine realistische Sicht auf die Wirtschaft.

Bei den jungen Linken sehr populär ist die Zeitschrift „Makroskop“, ein klar linkskeynsianisches Objekt. Nicht neoliberal, okay. Aber auch nicht sozialistisch, das muss man einfach klarstellen. Und in der Wirtschaft ebenso eine Mindermeinung wie die propagandistischen Darstellungen der oben genannten „alternativen Medien“ in der Politik. Wenn man nur „Makroskop“ liest, wird mit permanent mit einer rein monetaristischen Sicht der Dinge zugepflastert, die aber die deutsche Wirtschaftsgeschichte komplett außen vor lässt und damit die Bedingungen, die Deutschland so erfolgreich gemacht haben. Wir sind so geschichtsbeflissen, politisch gesehen und so geschichtsvergessen, wirtschaftlich gesehen. Eine linke Regierung wäre ohne Geschichtsbewusstsein politisch zum Scheitern verurteilt. Das Gleiche gilt aber auch, wenn sie die Wirtschaftsgeschichte einfach weg lässt und glaubt, Deutschland wäre ein Land wie irgendein anderes, wie Griechenland zum Beispiel. Es ist anderen Ländern sehr wohl ähnlich, darauf komme ich noch. Wenn man aber genau hinschaut, lässt sich die Geschichte doch offenbar nicht negieren.

DIE LINKE fordert vor allem mehr Staatsinvestitionen und eine bessere soziale Absicherung, da ist die Schwarze Null nicht zu halten, sagt sie.

Die Linke ist einfach süß in ihrer Inkonsequenz und  Zerrissenheit. Weil das so menschlich ist. Sie ist wie ein einzelner Mensch mit all seinen Widersprüchen, nur größer. Aber politisch ist es gefährlich, sich dermaßen zu verheddern und auch zu verzetteln. Ich rede heute nicht übers Verzetteln, nur übers Verheddern und ich wäre nicht in der LINKEn, wenn ich nicht ihre sozialen Forderungen teilen würde. Nun gehen wir zurück ins vergangen Jahr und zur Bundestagswahl. Kurz nach der Wahl erschien ja das Interview mit Abelshauser bei OXI und damals war Wolfgang Schäuble auch noch Finanzminister.

Wir können nachlesen, dass im Bundestagswahlprogramm 17 der LINKEn riesige Mehrausgaben von 177 Milliarden Euro, also eine Aufstockung des Staatshaushalts um ein schlappes Drittel pro Jahr gefordert werden. Damit wäre die Schwarze Null natürlich futsch. Damit wäre aber auch jede seriöse Politik futsch, weil der Staatshaushalt plötzlich ein Minus von sechs Prozent des BIP hätte und DIE LINKE weiß, so kann man die Deutschen nicht ködern, weil sie halt doch mehrheitlich ein bisschen rechnen können. Ich stimme zu, wir müssen den Sozialstaat wieder in Ordnung bringen und viel mehr in die Infrastruktur investieren, und zwar möglichst durch den Staat selbst und nicht in dieser schwierigen Form, wie es mit ÖPPen umgesetzt wird. Aber nur einfach mit mehr ausgeben?

Weil DIE LINKE nicht nur links ist, sondern auch eine deutsche Partei, also ambivalent, hat sie zum BTW 17 ein Gegenfinanzierungsmodell erstellt, das Steuermehreinnahmen vor allem durch die Abschöpfung der Reichen erbringen soll – und zwar in Höhe von 180 Milliarden Euro jährlich. Dabei ist sie sehr steil gegangen, nach meiner Ansicht. Ich hätte es realistischer gefunden, sie hätte von 130 bis 150 Millarden gesprochen und der Rest ist ein Haushaltsdefizit von 30 bis 60 Milliarden, also 1 ein bis knapp 2 Prozent des BIP. Zumindest, bis die wichtigsten Einmalinvestitionen, vor allem die in die Sanierung der Bildungsgebäude und deren bessere Ausstattung mit Technik und Personal, erledigt sind.

Was aber tut DIE LINKE? Sie geht, vorsichtig ausgedrückt, an die Grenzen der Glaubwürdigkeit, um was zu produzieren, mit ihrem Gegenfinanzierungsmodell? Genau, eine Schwarze Null – plus 3 Milliarden, zu allem Überfluss.

Wenn das nicht inkonsequent ist, weiß ich nicht, was inkonsequent ist. Ich habe mal in meiner politischen Gliederung auf diese Seltsamkeit hingewiesen und nie eine Antwort erhalten. Wie auch. Es gibt keine rationale Antwort auf diese augenfällige Ambivalenz. Es gibt aber eine doppelte politisch-psychologische: 1.) DIE LINKE argumentiert gegen Schäuble politisch, aber nicht faktisch, weil er nun mal zu den politischen Gegnern zählt. Wenn ich Schäuble gewesen wäre, hätte ich mit dem Gegenfinanzierungsmodell der LINKEN sehr schnell den Zahn gezogen und ihre seltsame Inkonsequenz entlarvt, denn Schäuble ist ja auch einer der wenigen Steuerfachpolitiker, die es in Deutschland gibt und hätte nebenbei noch erklären können, warum Mehreinnahmen von 80 Milliarden Euro jährlich nur aus einer wiedereinzuführenden Vermögensteuer nicht realistisch sind. Selbst wenn ich alles andere schlucke, was in diesem Gegenfinanzierungsmodell steht, das Bundesverfassungsgericht würde eine so hohe Abschöpfung nicht zulassen und natürlich würde das Kapital auch ausweichen – noch mehr, als es das ohnehin tut. Es gibt aber andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen, deswegen soll das hier nicht zu sehr vertieft werden.

2.) Einige in der LINKEn, selbst wenn sie mit Wirtschaft nie zu tun hatten, und das trifft ja auf fast alle zu, dass in ihrem Leben wenig dazu beigetragen haben, was den Staat finanziert, haben aber doch diese deutschen Wirtschaftsgene in sich und können es einfach nicht vermeiden, dass sie sich über die Gegenfinanzierung Gedanken machen, weil, es geht ja um irgendeine Form von Seriosität. Sie würden gerne darauf verzichten aber sie ahnen, dass sie damit aus dem Takt kommen und die Wähler noch mehr die Stirn runzeln als eh schon bei einigem, was in diesem Programm steht.

Und warum nicht auf den Bauch hören, der nach 150 Jahren Industrie in Deutschland doch einigermaßen ahnt, wie es funktioniert, selbst wenn der persönliche Bauch nie am Produktionsprozess beteiligt war? Und wie es eben auch ein bisschen anders funktioniert als in den allermeisten anderen Ländern und wie es nocmal besser funktionieren kann, ohne dass man die Finanzen ruiniert. Und so kommt es, dass DIE LINKE hingeht und Schäuble bezüglich der Schwarzen Null noch toppen will. Alles verständlich und an guten Tagen mag ich es, in schwierigeren Stunden nervt mich dieser kognitive Großgap, den die Linkskeynsianer so eifrig gerne noch ein wenig mehr vergrößern möchten, indem sie uns einreden wollen, wir würden andere Länder mit der hiesigen Wirtschaftsausrichtung quasi zerstören. Ich rede von der Wirtschaftsausrichtung, nicht vom Krisenmanagement ab 2008 und bitte darum, dass diese Unterscheidung strikt beachtet wird, denn auch da werfen Monetaristen gerne alles in einen Topf, damit die Suppe für uns in Deutschland möglichst ungenießbar wird.

Eine zentrale These, die Abelshauser hier vertritt, ist, dass das, was für Deutschland gut sein kann, für andere Länder schlecht sein kann.

Das ist schon lange genau meine Ansicht. Deutschland kann mit einer maßvollen Ausgabenpolitik umgehen, Griechenland ist auf eine expansivere Politik angewiesen. Damit kommen wir zu einem Kernpunkt, nämlich der Unterschiedlichkeit der Volkswirtschaften.

Abelshauser erklärt aber im Grunde nicht, warum der Export des deutschen Modells für andere Länder schlecht ist.

Da hätte der Interviewer nachhaken können. Doch Abelshauser tut es indirekt, indem er die Wichtigkeit eines verlässlichen Ordnungsrahmens für die deutsche Wirtschaftsstruktur erläutert und darstellt, was in Griechenland anders ist. Es ist aber ganz leicht: Griechenland immer sparen zu lassen, bringt dort keine Dynamik hervor, weil es keine Wirtschaftsstruktur gibt, die von einer festen Währung und einem maßvoll agierenden Staat profitieren könnte. Der Tourismus oder die Olivenbäume würden viel mehr Menschen anlocken bzw. deren Produkte viel mehr Absatz finden, wenn Griechenland eine Währung hätte, die es bei Bedarf abwerten könnte, als wenn ihm eine Verwaltungseffizienz aufgezwungen werden soll, die Deutschland teilweise selbst nicht mehr hat, aber natürlich ist sie besser als in Griechenland. Die Importe würden sich dann übrigens verteuern und damit auch deutsche Autos etc. Das ist es aber nicht, was Schäuble verhindern wollte und was ihn antrieb, Griechenland im Euro zu halten, da bin ich ziemlich sicher, weil das Volumen aufgrund der Wirtschaftskrise ja ebenfalls zurückgegangen ist.

Der Verkauf von Staatseigentum ist auch in Deutschland ein Problem, nicht nur in Griechenland, das geht generell nicht und man sieht ja, was dabei herauskommt, China kauft sich in der EU ein. Und in Deutschland werden ÖPPen gemacht und die Infrastruktur leidet, siehe oben: Trotzdem und trotz der verfassungsmäßigen Schuldenbremse, die von findigen Landesregierungen wie der in Berlin eh auf verschiedene Weise umgangen wird, sinken ja selbst die nominalen Schuldenstände kaum. Da das BIP aber maßvoll steigt, sinken sie relativ zum BIP und ich halte es für möglich, dass Deutschland die Maastricht-Kriterien bald einhalten kann. Auch die 60 Prozent Schulden der Öffentlichen Hand in Relation zum jährlichen BIP. Zumindest offiziell und ohne die auf Länderebene zunehmenden Schattenhaushalte, die im Grunde sehr undeutsch sind, weil hier rumgetrickst wird wie in – naja, wie in Griechenland zum Beispiel, das ja aufgrund falscher Wirtschaftsdaten in den Euro genommen wurde. Ich hätte es lieber gesehen, wenn man sagt, ein gewisses Staatsdefizit muss sein, auch in den guten Zeiten, weil eben so viel an Investitionen liegen gelassen wurde. Denn es ist ja im Grunde auch eine Lüge, einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu feiern, wenn er nicht mit einer Erhaltung der Zukunftsfähigkeit des Landes einhergeht. Aber im Grunde ist das nicht die Schuld des deutschen Staates sondern der Deutschen selbst: Wenn die Zahl der nachfolgenden Steuerzahler höher wäre und die Reproduktion gesichert wäre, könnte der Staat auch offensiver sein mit dem Geldausgeben. So aber besteht die Gefahr, dass eine kleine nachfolgende Generation von Wirtschaftssubjekten überlastet ist, wenn sie den horrenden Schuldenberg stemmen soll, den wir aufgebaut haben.

Schäubles (sicher nicht bewusste) Anlehnung an den Marxismus, nämlich, dass alle noch zurückstehenden Länder sich am höherstehenden Wirtschaftsmodell orientieren (sollten), ist also falsch, mithin steht aber Marx‘ Modellanordnung in diesem Bereich infrage.

Mehr dazu morgen in Teil 2 der Analyse.

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