Alles was Sie sagen – Tatort 1056 / #Crimetime 63 #Tatort #Falke #Grosz #NDR #allessagen

Crimetime 63 – Titelfoto © NDR, Christine Schroeder

Kann gegen Sie verwendet werden?

Als Thorsten Falkes Partnerin wechselte, war es nicht so leicht, sich von der aparten Petra Schmidt-Schaller zu verabschieden, aber ich schrieb schon zum ersten Fall, in dem Franziska Weisz ihre Rolle übernahm, das hat Potenzial. Bei Wotan Wilke Möhring als Polizistentyp finde ich eine symmetrisch angelegte Partnerin besser als eine, die vom Typ doch sehr gegensätzlich zu ihm ist. Jetzt darf ich mir auf die Schulter klopfen – spätestens. Und die beiden haben den unbestreitbaren Vorteil, dass man sie sich als reale Polizeikräfte vorstellen kann.

„Alles, was Sie sagen“ ist ziemlich sicher der bisher beste Falke-Tatort und hier erweist sich, dass die Ähnlichkeit der Typen Falke und Grosz der Dynamik des Films sehr dienlich ist. Dass die beiden sich am Ende endlich duzen, wirkt so stimmig, angesichts der Chemie, die wohl doch stimmt. Man weiß es zwischenzeitlich nicht so genau, es kann alles gespielt sein, um den großen Widersacher hinters Licht zu führen, aber im vorherigen Film der beiden waren die Dissonanzen ja noch echt und haben auch ein wenig genervt.

Das ist dieses Mal absolut nicht der Fall gewesen – allerdings kann mir dabei die Überlegung zuhilfe, die mir gesagt hat, wenn die beiden heil aus der verfahrenen Kiste kommen wollen, müssen sie einander vertrauen. Und nun alle raus aus dem Lesespaß, die nicht die Auflösung erfahren wollen, denn die findet man in der -> Rezension.

Handlung

Die Kommissare Thorsten Falke und Julia Grosz überprüfen in Lüneburg die Identität eines Mannes, der verdächtigt wird, Angehöriger einer Miliz gewesen zu sein, die Kriegsverbrechen begangen hat. Im Rahmen der Ermittlungen wird bei einem Zugriff eine Zeugin tödlich verletzt.

Aus Falkes Waffe wurden zwei Schüsse abgefeuert. Er und seine Kollegin Grosz geraten unter Verdacht und müssen sich internen Ermittlungen stellen. Doch es gibt auch andere, die ein Interesse am Tod der jungen Frau gehabt haben. Wurden Falke und Grosz benutzt und sollen sie nun zu Sündenböcken gemacht werden oder ist ihr Einsatz tatsächlich aus dem Ruder gelaufen?

Rezension

2018-10-03 Tatort 1056 Alles was Sie sagen NDR Grosz Falke Wotan Wilke Möhring Franziska Weisz 2Mir war relativ schnell klar, wer das „Leck“ in der Polizei darstellt, aber ein sehr cleveres Drehbuch, eines der besten, die in den letzten Jahren für das Format verfilmt wurden, hält trotz der Tatsache, dass dieses Erahnen seitens des Zuschauers einkalkuliert wird, eindeutig die Spannung – denn die verlagert sich von der Ermittlung des Lecks oder dem Interesse am Schicksal des syrischen Geflüchteten Abbas Khaled hin zu dem, was nun mit den beiden Bundescops passiert. Der ständige Wechsel zwischen Rahmenhandlung und Binnenhandlung, diese wiederum aus zwei Perspektiven, ist zudem sehr schön filmisch umgesetzt. An einer Stelle dachte ich sogar, meine Aufzeichnung habe einen Sprung, aber dann kam ja doch noch die Abweichung, die durch die zweite Sichtweise, die von Grosz, bedingt ist – ein Moment der Unaufmerksamkeit hat mir einen der besten Momente des Films zweimal geschenkt.

Ein paar Seltsamkeiten gibt es in jedem Tatort, das gehört mittlerweile einfach dazu. Dass Abbas just dazukommt, als der Kriminalrat Rehberg seine Geschäfte tatsächlich in der Bar des Libanesen Al-Sabban abwickelt, kommt nicht so glaubwürdig, denn dass der Chefpolizist dort zugange ist, steht nicht dafür, solche Deals kann man abwickeln, ohne dass der Bestochene sein Geld mit Entdeckungsrisiko in einer so kleinen Stadt in einer Bar in bar abholt. An seiner Person macht sich ein weiteres Problem fest: Hat er über Bundespolizisten überhaupt Befehlsgewalt und kann er sie mit all den alten Tricks, die Falke schon kennt, verhören? Sei’s drum, ansonsten ist das Szenario leider nicht  unrealistisch. Noch mehr in Gefahr als Menschen, deren Asylantrag anerkannt wurde, wie Abbas Khaled, sind jene, die es vermutlich nicht schaffen werden und daher ein leichtes Opfer für die Armeen im Schatten, die libanesischen Clans, sind. Ob es einen solchen Clan in Lüneburg wirklich gibt, ist mir nicht bekannt, aber in Berlin ist locker Platz für mehrere davon und warum soll nicht eine solche Organisation in einer kleineren Stadt gleich die Polizei von ziemlich weit oben her kaufen, anstatt sich mühsam durch die Ränge zu arbeiten.

Damit der gut integrierte Abbas für diesen Clan arbeitet, muss also etwas geschehen sein, womit man ihn erpressen kann, und das ist, was er gesehen hat. Er darf sein Leben behalten, wird aber ins Drogenverteilsystem eingebunden.

Mit der guten Integration hat es der Film auffallend häufig und in diesem Fall finde ich das sehr sinnig, denn Regisseur Özgür Yildirim, Sproß einer Gastarbeiterfamilie, reflektiert in diesem Tatort auch seinen eigenen Werdegang, obwohl er das Drehbuch nicht verfasst hat – nämlich den einer besonders gelungenen Integration. Er hat mit „Alles, was Sie sagen“ seinen dritten Falke-Tatort gemacht und gilt laut seinem berühmten Landsmann Fatih Akim als talentiertester junger Regisseur Deutschlands. Spätestens nach diesem Tatort würde ich sagen: Er ist einer der talentiertesten und diese orientalische Erzählkraft, gepaart mit einer gewissen Struktur, die man ja bei uns vergleichsweise leicht erwerben kann, führt zu einem modernen, aktionsreichen, verbal straffen – und doch nicht platten Duktus, der sich klar von den oft sehr akademisch wirkenden Filmen abhebt, die sonst für das Format gedreht werden. Wobei man fairerweise sagen muss, das größere Problem sind die Bücher mit ihren schrecklichen Konstruktionen und hölzernen Dialogen, nicht ein Mangel an Regiekunst.

Manche Dialoge zwischen Grosz und Falke haben mich sehr an die Art erinnert, wie Migranten in Berlin miteinander sprechen – in gewisser Weise augenfällig rituell, aber in einem Modus, der mehr Selbstvergewisserung zulässt und belastbarer wirkt als das, was wir in den letzten Jahrzehnten als doch recht sozialpädgogisch gefärbte Sprache entwickelt haben. Man kann es auch als basic bezeichnen, alles eine Frage der Sichtweise. Ich empfinde die Emotionen, die man mit dem, was Grosz gegenüber Rehberg als Falkes Temperament bezeichnet, so klar und auch  mit viel Witz transportieren kann, aber als eine große Bereicherung im Repertoire des hiesigen Films.

Der kernige Typ Wotan Wilke Möhring, dessen Vorname wirklich Programm ist, passt hervorragend zu diesem Filmstil und ich würde mir mehr solcher Schauspieler in Deutschland wünschen. Möhring ist sicher nicht mit der erlesensten Variabilität ausgestattet, aber diese Genreschauspieler, die es in anderen Ländern, besonders in den USA und Frankreich, seit Langem gibt, diese etwas härteren Typen, die fehlen fürs Krimi-und Actionfach hierzulande fast vollkommen. Und Franziska Weisz ist endlich ein glaubwürdiger weiblicher Gegenpart – nicht übertrieben, sondern auf ihre Art auch ziemlich robust und emanzipiert, ohne dass sie dafür komplett abgehoben und um sich selbst kreisend wirken muss, wie, sagen wir mal, andere Kommissarinnen, die im Norden fürs Tatort-Format filmen. Vielleicht kommt mit diesem Team endlich die Selbstverständlichkeit und eine gewisse Plausibilität in ein Polizeiteam dieser Fernseh-Reihe; so dass man sich sogar vorstellen kann, ein solches Team könnte es wirklich geben, irgendwo bei der Bundespolizei oder in einer großen Stadt. Das Gefühl sagt mir, die beiden sind der Zeit immer noch ein wenig voraus, aber voraus ist etwas anderes als komplett neben jeder denkbaren Variante, die im harten Polizeialltag wirklich Bestand haben könnte.

„Alles, was Sie sagen“ ist einer der humorvollsten Tatorte der letzten Zeit, ohne dass er die Gefahr der OK verharmlost. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich der libanesische Besitzer von Lüneburg alles aneignet, was ihm eignet, ist ebenfalls etwas, das man in Berlin gut beobachten kann. Der Außenauftritt der Clanies ist durchaus selbstbewusst bis einschüchternd, die OK macht sich nicht die Mühe, zurückhaltend zu wirken. Und das wiederum stellt Fragen an die Polizei, die durchaus in die Richtung gehen könnten, die wir in „Alles, was Sie sagen“ gezeigt bekommen. Der Film ist aber nicht zynisch, wie einige der Tatorte mit ethnischer verortbarer OK, die auffällig häufig im Norden inszeniert werden (oder in Österreich) – hier wird kein mehrteiliges Epos, kein Dauer-Titanenkampf zwischen einem Rambo wie Nick Tschiller in Hamburg und dessen Feinden aus der Unterwelt dargeboten, so spekulativ ist „Alles, was Sie sagen“ nicht – und es wird schon gar nicht kapituliert. Hier gewinnt die Polizei noch, auch wenn gerade der Part nicht ganz so realitätsnah ist. Aber durch dieses Wiederherstellen der Ordnung wird „Alles, was Sie sagen“ angesichts seiner sonstigen Qualitäten ein großer Zustimmungswert in der Tatortgemeinde sicher sein.

Finale

In den letzten Monaten gab es ohnehin manch gelungenen neuen Tatort, das Niveau steigt nach dem schwachen 2017 wieder, aber unter diesen gelungenen Filmen ist „Alles, was Sie sagen“ ganz gewiss einer der besten. Vielleicht finde ich das, weil das Team Grosz / Falke sich genau so entwickelt, wie ich es seit dessen Start für logisch erachtet habe und wer bekommt nicht gerne seine Erwartungen bestätigt. Es liegt aber auch am Film selbst, der kaum echte Schwächen offenbart, aber große Stärken dort zeigt, wo es oft hapert: Beim Plot. Ein bisschen übertrieben ist okay, solange es in sich stimmig wirkt und die Figuren sich so verhalten und so handeln dürfen, dass man ihnen gerne zuschaut. Es gab sogar eine Stelle, an der ich darüber nachgedacht und mich darüber gefreut habe, dass ich noch viel länger hätte dabei zusehen können, wie die beiden Helden, und das sind sie ja doch, so wie die Story gestaltet ist, wie sie mit immer weiteren Perspektiv- und Zeitebenen-Wechseln etwas tun, was für jeden Krimi, jeden Film, jedes Buch wichtig ist: Sie bieten uns den Code dar, der uns knackt. Der uns in jener Weise empfangsbereit für ein Werk macht, die sich  unsere innere Uhr, unser „Ticken“ zunutze macht. Ob bewusst oder nicht, bei guten Büchern oder Filmen haben wir das Gefühl, alles ist irgendwie richtig und thrillig und wir werden emotional immer gut bedient, bei Laune gehalten,   so manipuliert, dass wir’s mögen. Das also hat „Alles, was Sie sagen“ bei mir geschafft. Dass ich am Schluss die Entwicklung des Teams bejubelt und nicht mehr über das Schicksal der Bedrängten nachgedacht habe, beweist es.

Ein bisschen Abzug gibt es unter anderem für die Musik, die mir in den Actionszenen  mit ihrem Wummern das Geschehen zu stark kommentiert. Das ist mittlerweile wieder Brauch, ich mag es auch, wenn musikalisch nicht nur ein dystopisch klingender Synthesizer dudelt, wie in den 1980ern oder frühen 1990ern. Viel abwechslungsreicher wirkte die Musik jedoch heute auch nicht, nur eben zeitgemäß krass bombastisch. Und für mich heißt es außerdem immer noch „Alles, was Sie sagen“. Das ist jetzt schon der zweite neue Tatort hintereinander, dessen Titel die Grammatik biegt. Diese Art von Bereicherung kann weg.

9/10

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Hauptkommissar Thorsten Falke – Wotan Wilke Möhring
Oberkommissarin Julia Grosz – Franziska Weisz
Kriminalrat Joachim Rehberg – Jörn Knebel
Polizeihauptmeister Olaf Spieß – Marc Rissmann
Ermittler Junker – Gerdy Zint
Abbas Khaled bzw. Tarek Salam – Youssef Maghrebi
Alima Khaled – Sabrina Amali
Said Kahwagi – Walid Al-Atiyat
Ibrahim Al-Shabaan – Marwan Moussa
Handlanger von Al-Shabaan – Mesut Sayili
Lehrer Stefan Hansen – Moritz Grove
u.a.

Drehbuch – Arne Nolting, Jan Martin Scharf
Regie – Özgür Yildirim
Kamera – Matthias Bolliger
Schnitt – Sebastian Thümler
Szenenbild – Carola Gauster
Ton – Matthias Wolf
Musik – Timo Pierre Rositzki

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