Einen Tag nach dem #KonzertgegenRechts in #Chemnitz – #Wirsindmehr, mehr aber auch nicht // #c0309 #Antifa #Merkel #Untertanen #Aufstehen #Wagenknecht #Nazis

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Wir haben es gestern Abend kurz gemacht und einfach nur getextet:

„Gruß nach #Chemnitz zum #KonzertgegenRechts / #c0309 #Antifa #WirsindmehrWir wünschen allen aufrechten Antifaschist_innen ein supertolles und friedliches Konzert in Chemnitz!“ Hier noch einmal der Mitschnitt der gesamten Veranstaltung:

 

Aber das war auch ein emotionaler Moment. Und wie sieht die Aufbereitung am helllichten Folgetag aus?

65.000 Menschen auf einem Platz können nicht irren? Doch. Wenn man nichts dagegen tut, wäre es denkbar, dass auch 65.000 Rechte irgendwann zusammen dastehen und einem Rock-gegen-die-Freiheit oder Rock-gegen-Links lauschen. Natürlich ist ein For-Free-Konzert auch eine tolle Gelegenheit, mal einige deutsche Band-Legenden live zu sehen, ohne dass man gleich als in der Wolle gefärbter Antifaschist gelten muss. Und dann die Toten Hosten und die Ärzte, die Erzkonkurrenten, auf einer Bühne. Protest eint, und das ist gut so.

Ich werde hier sicher nicht auf jedes Statement eingehen können, das im Rahmen der Veranstaltung mehr oder minder gekonnt abgegeben wurde. Ich habe gestern ein bisschen live reingehört, aber mir fehlt die Zeit für eine Totalauswertung – im Moment reicht’s nicht einmal, um die Presskonferenz zur Gründung von #Aufstehen von heute morgen durchzuarbeiten, und die war nur 100 Minuten lang, das Event in Chemnitz gestern Abend kommt auf 262 Minuten „Spielzeit“.

Aber da wir zu Chemnitz in den letzten Tagen doch einiges geschrieben haben*, wäre es doch ein schöner und hoffentlich versöhnlicher Abschluss, wenn eine Neuntagesperiode, in der das ehemalige Karl-Marx-Stadt im Brennpunkt des Interesses stand und die sehr zum Nachdenken anregt, mit diesem Konzert zu Ende gegangen wäre. Chemnitz und gut, nächstes Thema.

Tatsächlich? Journalistisch muss man natürlich so denken, aber vorher könnte man ein wenig nachspüren, ob sich im Land etwas verändert hat.

Nie so viele?

Den bisher größten rechten Aufmärschen, die auf mehr als 5.000 Teilnehmer kamen, folgten ähnlich große Kundgebungen der Gegenseite und dann dieses Konzert. „Nie zuvor so viele gegen Rechts“ in Ostdeutschland, war heute der Tenor.

Ich erinnere mich gut:

Wir gegen die Nachrüstung. 500.000 in Bonn, 250.000 im Hunsrück, mitten auf einer Waldlichtung. Udo Lindenberg sang, ich habe noch schöne Bilder davon, Fotografieren war damals mein Ding, neben Schwimmen. Und das gelbe Auto mit politischem Aufkleber. Keine Details. Leute, das waren Zahlen!, könnte ich jetzt rufen und stolz sein. Aber auf was? Dass wir mehr politisiert waren als die heutige junge Generation? Ich war nicht wirklich in der Friedensbewegung, aber ich hatte eine Freundin bei den Jusos, also hatte ich mich extrinsisch interessiert.

Andere Zeiten und doch.

Wir waren damals an fast allem interessiert. Sowas von einer interessierten Generation war nie. Nicht mal 68, da waren’s ja nur ein paar Studis, denen der Rest der Gesellschaf,t ratlos gegenüberstand. Die Eltern inbegriffen.

Quatsch! Interessiert waren die meisten von uns genauso wenig wie die jungen Menschen heute und voll naiv waren wir fast alle – bis auf die mit 15 schon sattelfesten Ideologen, und die fand ich damals schon schräg und eher charakterlich links als sozial ausgerichtet und ich hatte Gründe dafür. Schwamm drüber.

Aber für die meisten musste was Besonderes passieren, damit sie sich in Bewegung setzten, sie waren nicht Kern einer Bewegung, auch wenn die Anti-AKW-Sonne, orange auf gelb, so schick war und die Buttons, die vielen verschiedenen auf den Rucksäcken oder gar an der Jacke. Seufz. Es gab also Massenevents, wie später die Fußballmeilen.

Den Weg bis zum Neoliberalismus-Bellizismus, den viele, die damals dabei waren, gegangen sind, den kennen wir. Er hat einen grünen Anstrich, in erster Linie. Das sind die Leute, die heute noch nicht den sozialen Zusammenhang von rechts wählen und sich sozial unsicher fühlen verstehen und wie es eine Gesellschaft verändert, wenn sie nach außen und nach innen immer kriegerischer und konkurrenzgeiler wird. Die selbstgefälligen Mainstreamer sind dann auf dem Kriegspfad, was sonst, wenn ein Chemnitz passiert. Und heutzutage treten ja nicht mehr geordnete Schlachtreihen gegeneinander an, sondern der Krieg ist total. Da haben wir ja auch besondere Erfahrungen, als Deutsche. Da bringen wir aus der Vergangenheit die richtigen Sachen mit. So wird aus dem Kampf gegen erkennbare Nazis gleich der Krieg gegen alle Sachsen. Natürlich auch gegen die 75 Prozent, die nicht mal AfD wählen würden, wenn jetzt Landtagswahl wäre.

2018 also again.

Auch deswegen brauchte ich etwas Anlauf, um mich mit #Wirsindmehr dann doch einzulassen, aber ich werde den Hashtag sicher nicht in meine Social-Network-Profilfotos integrieren. Damit sind mir zu viele unterwegs, die mir nicht wirklich mit humanistischen Motiven unterwegs zu sein scheinen.

Denn für mich gilt weiterhin der Vorbehalt, dass es beim Aufstehen gegen Rechts nicht um Ausschlüsse, sondern um ein Aufeinander-Zugehen geht und dass das langfristig wirkt. Ich habe da eben mehr einen sozialarbeiterischen Ansatz, auch wenn ich kein Sozialarbeiter bin. Vor allem aber: Dass man nicht wegen fünf Prozent echter Nazis oder Rechtsaußen in einem Land das Land Scheiße findet und – ja, in Wirklichkeit jemand anderen meint. Ja, genau. Im Film oder in der Literatur werden Spiegel (-bilder) gerne als Symbol für unsere Janusköpfigkeit eingesetzt. Ein Blick in den Spiegel kann erhellend sein, wenn man versteht. Wenn man verstehen will. Wenn man typisch deutsche Totalität plötzlich auch bei sich selbst erkennt.

Hin und wieder kam es mir vor, als ob ein gewisser medialer Mainstream-Tross nur darauf gewartet habe, dass endlich wieder was passiert, worüber man so richtig von oben herab herziehen kann. War vorher zu ruhig und es gab nur „Aufstehen“, wo man dann ja auch gleich die Rassismus-Nationalismus-Keule ausgepackt hat, aus lauter Garstigkeit, aus Übellaunigkeit darüber, dass es sonst so ruhig war. Aber die schwachen Argumente, die dabei ins mediale Licht krochen, die ließen erahnen: Der Medientross ist nur zäh in Stellung zu bringen gegen etwas, das nicht so schlecht ist wie vieles andere in unserer Politik – und dem einen oder anderen Leitartikler sind dabei sogar differenzierte Statements rausgerutscht.

Der Mensch ist eben unberechenbar, manchmal sogar in seiner Eigenschaft als Journalist. Und den richtigen, harten NS-Vorwurf hat es nur von einem Rechtsaußen-Kolumnnisten gegeben, der für die BILD regelmäßig auf Mobbingtour ist. Nebbich!

Das ging ja nochmal fast gut, wo doch jeder weiß, wie schwierig eine echte linke Einstellung in diesem Land darzustellen ist, die nicht alles in Selbstgefälligkeit ruhend belassen will. Aber dieses Hin und Her und die Schwierigkeit, mal wirklich stichhaltig zu argumentieren, und das mitten in diesem heißen, trockenen Sommer. Uff. War das nervig für alle Beteiligten!

Endlich wieder das Eindeutige.

Aber dann die Erlösung. Es wurde kühler. Und ein Mord geschah. Komischerweise ausgerechnet, als es nicht mehr so heiß war, dass man vor lauter angestatuter Aggression am liebsten den Klimawandel umgebracht hätte. Und da waren sie.

Nazis! Echte rechte Glatzen, keine Hipsterglatzen, mit echten Hitlergrüßen! Mitten auf der Straße! Im letzten Moment, bevor sich der bessere Rest der Gesellschaft, tief gespalten, wie er ist, wegen mangelnder Möglichkeiten zum Aggressionsabbau  noch selbst in die Arme gekratzt hätte.

Aber dann kam es. Das Böse da draußen im wilden Sachsistan. Es ist wieder da!

Revelation! Auf nach Chemnitz!

Nazis gehen immer am besten, medial und ethisch gesehen. Das weiß jeder. Und noch besser im Osten, denn für ihn sind sie typisch, typischer, am typischsten. Es gibt im Osten nichts Typischeres als den marodierenden Nazi. Ganz weit dahinter kommt der allgemeine, miefige CDU-Wähler. Der wird gerne mal zum Nazi, der macht rüber, das weiß man ebenfalls. Im Osten haben ja immer schon viele versucht, rüberzumachen. Vor allem in Sachsen machen sie das. In Sachsen, wo die allermeisten Nazis wachsen. Hui, ist das rechts da. Gruselgrusel. Bloß da nicht hinfahren. Die Nazis erkennen das Linksversiffte in uns schon daran, dass wir kein Thor-Steinar-Outfit tragen, sondern irgendwelche Windjacken mit Wolfstatzen und anderes Old-School-Mainstream-Zeug – – –  und dann aber! Dann werden wir durch die Stadt gehetzt werden bis in den Tod und was dabei alles passieren kann! Dass man stirbt, beispielsweise. Wie Daniel, der von allen Seiten Instrumentalisierte. Nachtunsicherheit in den Städten, ein Thema, das uns alle angeht! Ja, gibt es, hier und da. Ob die Nachtunsicherheit, da, wo es sie hier und da gibt, möglicherweise auch von woanders herkommt als von den Thor-Steinar-Trägern? In Berlin vielleicht? Hier und da? So um de Görli rum? Am Cotti? Am Alex? Turmstraße? Neukölln-südlich-östlich-von-Kreuzkölln? (Usw.) Nönö. Null Problemo. Nazis! Und wer doch ein Problem erkannt haben will: Nazi!

Eigentlich müsste es ja dann in Niedersachsen noch schlimmer sein, dass das ist ja Sachsen mit einem Low davor.

Ganz falsch: Aus Niedersachsen kommt der Schröder, der nach meiner bescheidenen Ansicht viele Rechtswähler gebacken hat, die jetzt natürlich alle Traditionsnazis geworden sind und diese Reichskriegsflaggen im Schlafzimmer hängen haben, am liebsten an der Decke, denn der Himmel eines Nazis hängt recht tief und voller Erinnerungen.

Ansonsten gibt es dort, also im anderen, im besseren Sachsen, westlich der alten Demarkationslinie, nur gute Menschen. Aber ein Schröder hat schon gereicht, damit ich alle (in) Niedersachsen scheiße finde. Ich bin halt vollkommen subjektiv, wie die meisten Deutschen. Das hat aber auch damit zu tun, dass Gerhard der Grausame mehr Einfluss auf das Land genommen hat als alle Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg bisher zusammen. Und dieser Einfluss, der war kein guter. Und der Weg zurück ins Licht, der wird kein leichter sein.

Und die Grünen haben ihm bereitwillig assistiert, als Auslandskrieg die neue Verteidigung wurde und Hartz IV die neue spätrömische Dekadenz. Das wollen wir hier mal nicht vergessen, Mesdames et Messieurs vom fast noch bisschen linken Mainstream. Deswegen wählen wir sie auch schon länger nicht mehr. Anfangs in Berlin, da war das noch so. Das war sogar nach Schröder. Auch das hatte Gründe, klar als subjektiv erkennbare Gründe natürlich. Zum Beispiel, dass ich aus Österreich recht entspannt und guter Dinge hierherkam und fast nix über Berlin und die neue Welt wusste, die Schröder der Grässliche hinterlassen hat. Mehr erzähle ich ein anderes Mal, man soll ja nie das Persönliche so in den Vordergrund stellen.

Und dabei gerät die soziale Frage wieder mal an den Rand.

Ich sage nun, nach Chemnistz wieder mal: Gut gemacht, ihr Scheiß-Nazis, ihr Klumpen Dreck, der uns alles versaut, wo wir doch das System retten wollen, irgenwie und irgendwo und irgendwann, wie es ist oder ein bisschen sozialeifrig reformiert oder gar transformiert, geduldig und mehr hoffend auf ein Wunder als mutig voranschreitend in stolzer Selbstermächtigung – während ihr gerne das Vierte Reich hättet. Und ihr arbeitet echt an euren Zielen, nicht wie #Wirsindmehr, die Mehrheit, die keine echten Ziele hat.

Ihr seid wirklich nicht wie wir. Ihr seid gar keine Menschen, hab ich das heute schon erwähnt?

Von diesem verschissenen Aktivismus, den ihr drauf habt, müssen wir uns jetzt endlich abgrenzen. Viel zu lange waren wir nicht radikal genug, also nicht wie ihr. Von euch lernen, heißt aber: Lösungen finden lernen! Eine neue Welt aufbauen! So, jetzt habe ich einen Absatz gestrichen, weil ich nicht Menschen anmachen will, die sich einzeln und individuell fürs Gute engagieren.

Aber damit wir darüber nicht so nachdenken müssen, wie sinnvoll das am Ende des Tages sein wird, das invididull richtige Engagement, wenn der Systemzusammenhang nicht passt: Chemnitz! Nazis. Und wie erwartet habt ihr ja reagiert, ihr Medien-Faschos und Social-Network-Sozialdarwinisten. Das hat mal wieder funktioniert. Endlich wieder echte Feinde, kein unbefriedigendes Herumstochern mehr im Morast der tausend Gründe dafür, warum links nicht wird und nicht wirkt.

Immer noch Untertanen. Immer noch deutsch.

Wenn also die fiese Störchin rumtwittert, die Konzertgänger von gestern seien alle Merkels Untertanen von heute, hat sie Recht. Wenn auch anders, als sie selbst es gemeint hat. Nicht, weil gegen die Nazis angesungen und auf dem Platz gestanden wird, sondern, weil der Merkelismus es einmal mehr geschafft hat, den sozialen Diskurs abzuwürgen.

Progression wenigstens mal denken, das geht gar nicht, weil ja nun alle gegen die Nazis zusammenstehen müssen, die sonst einander wenig zu sagen haben, und damit ist die Kapazität, die persönliche, auch erschöpft, weil aus dem sozialen Mikromilieu heraustreten, dem postindustriellen Ersatz für den Hasenzüchterverein, das ist sowas von anstrengend. Glückwunsch, guter alter Neoliberalismus, auf dich ist Verlass, you made it. Make Schweine-Capitalism great again. In deinem Zeitalter zeigen sich die Vereinzelten nur noch gemeinsam, wenn es gegen Nazis geht. Oder zum Fußball auf die Fanmeile für fast alles, die Straße des 17. Juni in Berlin – aber die Geschichte ist leider spätestens seit der WM 18 auserzählt und die Loveparade gibt es schon lange nicht mehr, weil dabei jedes Mal der Tiergarten verwüstet wurde.

So viel Liebe und Ökologie überall – und ein bisschen Nabelschau nebenbei.

Wir schreiten voran in den echten Rechts-Staat, wenn das so weitergeht und am Ende will niemand dran schuld gewesen sein, weil, damals, am 03.09.18, da waren wir doch mehr und alle gegen die Nazis!

Es ist nicht vorbei.

Es wird ein neues Chemnitz geben, in Chemnitz, in Dresden, in Sachsen oder anderswo. Wismar!, wispert es schon durch den Medienwald.

Die Medienschlacht, der Überbietungswettbewerb mit apokalyptischen Schlagzeilen wird folgen. Das Ritual ist festgelegt. Ein Übergriff, ein Tod, Demo, eine Gegendemo, ein Aufruf, ein Konzert, ein Schein-Wir symbolisierender Hashtag. Der bisher beste Hashtag war ja #Wirschaffendas. Damit hat Angela Merkel den Hashtagismus begründet und uns alle in die Pflicht genommen, nur sich selbst natürlich nicht. So macht man das, mit der Systemveränderungsverhinderung. Die Leute ordentlich beschäftigen. Merkl war immer und bleibt eine Klasse für sich, die Demobilisierung der Linken und aller anderen auch (bis auf die Nazis) betreffend.

Kommt ein Chemnitz, ein Dresden, ein anderswo, dann werden wir uns letztlich doch alle in die Selbstversicherungsgemeinschaft einreihen, weil wir klarstellen müssen, dass wir nienicht rechts sind. Da werden wir das Forschen, das Hintergründeln mal wieder einstellen müssen, sonst wirkt es noch wie Sympathie mit den Falschen. Und wir werden keine Chance haben, über das wirkliche Links zu diskutieren. Wieder einmal nicht.

Denn am Ende des Tages sind wir alle Untertanen. Von Merkel, die uns sanft befiehlt, es zu schaffen und ansonsten die Klappe zu halten. Von denjenigen, denen Merkel untertan ist. Von denjenigen, denen diejenigen untertan sind, denen Merkel untertan ist.

Oder nicht?

Oder wir stehen auf. Auch diejenigen, die sich gerne einen schlauen Fuß machen und dafür beispielsweise jedes wirklich unhaltbare Medienklischee über die Initiatoren von #Aufstehen dankbar aufnehmen. Na, werden wir? Oder finden wir wieder ein Haar in der Suppe, ein Systembequemlichkeitshaar?

Wir könnten doch mal mit einem schönen Konzert gegen die Macht der Globalkonzerne anfangen. Aber kriegen wir Künstler zum Mitmachen, die so schön vom System profitieren, wie es ist? Für gutes Eintrittsgeld vielleicht. Doch, da geht was.

© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

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