Kommentar 80
Horst Seehofer hat zu Chemnitz lange geschwiegen, weil er sich erst einmal gut informieren wollte. Das Ergebnis seiner Recherchen ist „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“.
Ein Inninmister hat in aller Regel ein konservativeres, „rehteres“ Gepräge als ein Außenminister, der in Deutschland fast nur noch einen Grüß-August darstellt, weil die aktuelle Kanzlerin von ihrer Richtlinienkompetenz intensiv, wenn auch nicht immer zum Besten des Landes aller anderen Länder Gebraucht macht.
Aber ein Innenminster ist meist etwas mehr Hardcore als alle anderen Minister.
Blicken wir mal ein wenig zurück, natürlich nicht bis zum Anbeginn der BRD. Welcher berühmte und zeitweilig beliebteste deutsche Politiker war zum Beispiel Innenminister? Wolfgang Schäuble, zweimal sogar. Danach war er fit für das ebenfalls sehr harte Amt des Finanzministers. Oder Otto Schily. Vom RAF-Verteidiger zum sowas von konservativen Innenminister, nach einem Parteiwechsel. Oder Friedrich Zimmermann, der Innenminister und Helmut Kohl von 1982 bis zur Wende, der nicht unwesentlich zum damaligen Eindruck beigetragen hat, die Bundesrepublik entwickelt sich gesellschaftlich rückwäts und wird bald wieder in den 1950ern sein. Zuvor war Gerhard Baum von der FDP Innenminister. In jenen goldenen Jahren der Partei im FDP-Mainstream, heute einer der letzten echten Bürgerrechts-Liberalen, ein eher untypischer Innenminister schon damals, heute undenkbar in dieser Position.
Mit Seehofer haben sie also strukturell, die Ansichten betreffend, genau den Richtigen ins Amt gebracht. Erst schweigt er, dann provozier er, damit er als Innenminister auch richtig zu tun bekommt. Denn wo die Leute aufgebracht sind, da passieren in der Regel auch mehr Delikte aller Art. Aber wieso habe ich den Eindruck, dass es Seehofer mehr um mögliche Gegenreaktionsdelikte von Links geht, auf die er geradezu wartet, als um solche von rechts.
Natürlich kann man in einem echten Trauerzug mitgehen. Damit ich nicht Dunja Hayali triggere, schreibe ich das mal so. Nur – wieso gerade in Chemnitz und wieso gerade bei Daniel H.? Es gibt in Deutschland jährlich etwa 2000 Tötungsdelikte. Natürlich, da kann man nicht bei jedem Opfer zur Beerdigung gehen, nicht mal, wenn man als Innenminister mit dem Hubschrauber von Beisetzung zu Beisetzung fliegt und nur von oben kurz einen Kranz abwirft. Und viele dieser Delikte finden im familiären Umfeld oder im eigenen Clan statt, es geht um Eifersucht, Habgier, Abgrenzung von Territorien, also wieder ums Geschäft, alles ganz unpolitische Motive.
Aber dem Vernehmen nach sind schon einige Menschen mit Migrationshintergrund von Deutschen umgebracht, verletzt, sind ihre Heime abgefackelt worden, weil sie einen Migrationshintergrund hatten, wohingegen nicht belegt ist, dass Daniel H. von den in Rede stehenden Personen erstochen wurde, weil er Deutscher war. Deutscher mit Migrationshintergrund. Ich finde schon, dass das einen Unterschied macht.
Ich würde Seehofer nicht verwehren wollen, sich bei den Angehörigen eines Mordopfers zu zeigen und ihnen zu kondolieren, das ist doch eine sehr richtige Geste, grundsätzlich denn als Innenminister ist man ja für die Innere Sicherheit verantwortlich und jede offene Trauerbezeugung ist ja auch eine Art Buße.
Aber selbst ein Innenminister ist aus politischen Gründen verpflichtet, nicht hemmungslos subjektiv zu sein. Beim nächsten Anschlag irgendeiner Art, bei dem Menschen mit Migrationshintergrund eben aus dem Grund ihrer Herkunft gejagt oder verletzt oder gar getötet werden, erwarte ich von Seehofer auch ein klares Statement. Und möglichst nicht erst nach mehreren Tagen und dann so, dass es wirkt, als habe er sich so lange Zeit gelassen, um am richtigen Duktus für die Provokation zu feilen, nicht, weil das die Informationsbeschaffung so schwierig war.
Chemnitz betreffend, haben sich ganz viele Menschen aus allen politischen Lagern so richtig die Kanne gegeben und einen unglaublichen Blödsinn abgesondert. Es gibt mehr falsch wirkende Äußerungen als welche, die man im Sinn der Ausgewogenheit und der Gerechtigkeit, der Klarheit und der Benennung und der richtigen Bewertung der Probleme in Chemnitz und in Sachsen für gut befinden kann. Bei dem Thema ging einigen die ansonsten so oberschlaue Rhetorik flöten.
Aber dass am Ende auch Seehofer nicht fehlen darf und das Ganze so einseitig wie möglich darstellt, das war irgendwie klar.
Nicht, weil er Innenminister ist, sondern, weil in Bayern demnächst gewählt wird. Aber: Schon die Obergrenzendebatte nach dem Herbst 2015 und die in Bayern wieder eingeführten Grenzkontrollen nach Österreich haben die CSU nicht beflügelt, wenn man den aktuellen Wahlprognosen glaubt. Nicht, dass ein falsche Statement richtiger würde, wenn es von Erfolg gekrönt wäre, aber als nichterfolgreiches falsches Statement wirkt zusätzlich hilflos und schafft nur neue Probleme, ohne auch nur eines zu lösen, nämlich die AfD am weiteren Aufstieg zu hindern.
Die sozialen Probleme, die zumindest für einen Teil des Rechtsdralls in Deutschland und in vielen anderen Ländern, die keinen hohen Nazi-Bodensatz haben, verantwortlich sind, die verantwortet seit nunmehr 13 Jahren die Regierung Merkel und zuvor war die Lage auch nicht besser. Wenn man sich in Berlin umschaut, kann man durchaus feststellen, dass es migrationsbedingte Probleme gibt. Wer das abstreitet, dem schreiben wir mal eine detaillier Auflistung, die schlicht faktisch ist. Aber viel von dem, was sich zeigt, ist Folge einer CDU-Erzählung, die Deutschland nicht als Einwanderungsland begreifen wollte, also Ankommende nicht aktiv begleiten wollte bei einem guten Weg in die Mitte der Gesellschaft.
Je länger ein fehlerhaftes Setting aufrecht erhalten wird, desto grvierender sind die Folgen. Die zuständigen Kultus- und Innenpolitiker hätten frühzeitig andere Akzente setzen müssen, dann wären auch nicht fragwürdige Diskussionen um ein Demokratieförderungsgesetz notwendig geworden.
Aber Ursachen und Folgen so billig zu verdrehen, das sollte selbst ein Seehofer endlich mal sein lassen können, als verantwortlicher Bundespolitiker – Wahlkampf hin oder her.
Wenn die Migration die Mutter aller Problem sein sollte, dann ist die Mischung aus neoliberalem Sozialdumping und scheintolerantem Laisser faire, wenn die Probleme noch beherrschbar sind und gleichermaßen kooperativ wie konsequent gelöst werden könnten, Vater, Großvater, Großmutter und überhaupt die ganze Ahnenreihe. Wer die Menschen sozial marginalisiert und ihnen gute Bildung verunmöglicht, sie nicht achtet, macht sich genauso an schwierigen Zuständen schuldig wie jemand, der die Exekutive damit beschäftigt, in der Bevölkerung Feindbilder gegen links aufzubauen, anstatt sich um zentrale Probleme durch die Entwicklung mafiöser Strukturen in den großen Städten zu kümmern – das auf der deliktischen Ebene angesiedelte Beispiel.
Deswegen haben wir heute eine Situation, die alles andere als problemfrei ist, aber Horst Seehofer war zumindest bisher ein Teil des Problems und hat mit der CSU Attacken gegen die eigene Schwesterpartei geführt, die immer wieder Kraft gekostet und viel Wind verursacht, aber nicht ein einziges Problem gelöst haben. Nicht einmal das Problem, dass die CDU bei der nächsten Wahl richtig abgestraft werden wird. Das wird geschehen, da kann Seehofer noch so heftig nach rechts blinken.
Aber es ist nie zu spät, nicht einmal für Horst Seehofer: Ab dem nächsten Übergriff aus Menschen mit Migrationshintergrund, der politisch motiviert ist, also von rechts kommt, würde ich gerne jedes Mal Bestürzung und Trauer beim Innenminister sehen.
Ich hoffe, er kommt dann aus dem Trauermodus nochmal raus, damit er sich um eine Politik kümmern kann, die Menschen einander näher bringt anstatt Aggressionen und Spaltungstendenzen zu verstärken.
© 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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