Medienspiegel 85
Sicher wird es morgen noch eine Nachlese geben, mindestens zwei Themen sind noch offen: Die Schäuble-Rede beim Festakt und der Tag der offenen Moschee. Nicht hingegen der unglaubliche Schwachsinn, der heute von allen Seiten in den Sozialen Netzwerken gepostet wurde und der belegt, dass bei den meisten Diskussionsteilnehmer_innen der innere Kompass für den Anstand und das Maß der Dinge verloren gegangen ist.
Aber in meinem WordPress-Reader habe ich noch einen Blog-Beitrag gefunden, der rasch gelesen werden kann, weil er viel kürzer ist als bei dieser Publikation üblich, die sich übrigens dadurch auszeichnet, dass sie Statistiken ausführlich von rechts betrachtet – manchmal mit überraschenden und bedenkenswerten Ergebnissen, aber bei Weitem nicht immer.
Dieser Beitrag ist jedoch rein an den Fakten orientiert und den will ich gerne mal für die unter meinen linken Freunden weiterreichen, die so tun, als sei die arme, wunderschöne DDR vom Westen überfallen und erobert worden. Nein, so war es nicht. Das Volk hatte abzustimmen und sich für genau diesen Weg entschieden, nämlich den Beitritt, nicht eine Vorerst-Koexistenz, die wirtschaftlich allerdings auch kaum umzusetzen gewesen wäre.
Niemand behauptet, im Zuge des Einheitsprozesses seien keine Fehler gemacht worden und es waren auch ziemlich gravierende darunter. Zum Beispiel der Umtausch der DDR-Vermögen im Verhältnis 1:1 bzw. oberhalb gewisser Summen von 1:2 zu Westgeld, das war eine Fehlkonzession an die Neubürger seitens der Kohl-Regierung, damit sie sich gut angenommen fühlen sollten. Hat nicht viel genützt, wie wir wissen.
Und ebenjener im Text erwähnte Oskar Lafontaine hat unter anderem vor dieser Maßnahme gewarnt und vor nationaler Besoffenheit und wurde dafür bei seiner Kanzlerkandidatur 1990 mit einem fast historisch schlechten Ergebnis bestraft.
Das Timing war aber auch zu blöd, niemand wollte damals Warnendes hören. Und einige weitere Folgen der – wenn auch in Wirklichkeit zwangsläufigen – schnellen wirtschaftlichen Vereinigung hat er richtig vorausgesehen, man darf ihm also nicht generell ein Analysevermögen mit prognostischem Einschlag absprechen.
Aber es ist das alte Lied, das ich gerade wieder erklingen höre: Das Meckern über alles reicht nicht, auch wenn Tatbestände in diesem Song über die vielen Fails des Systems richtig wiedergegeben werden. Wenn man aufstehen will, und dafür hat man sich ja vielerorts den Tag der Einheit herausgesucht, muss man auch Vorschläge machen, die die Menschen anziehen, weil sie aufscheinen lassen, wie es besser gehen könnte.
Schön sind auch die Plakate von damals, man wird daran erinnert, dass zum Beispiel der Ostteil der heutigen Bündnisgrünen sich gegen eine Anwendung des Art. 23 GG, also gegen die Beitrittsvariante, gestellt hatte. Und wie der schmächtige Lothar de Maizière das Motto des mächtigen Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ aufgriff und damit klarmachen wollte, die Story werde sich wiederholen. Aber schon das unterschiedliche Format der beiden Politiker hätte besonders scharfsinnige Beobachter nachdenklich machen können. Geschichte wiederholt sich eben nie, das scheint nur so, wenn man nicht genauer hinschaut.
Es gibt Darstellungen, die belegen sollen, dass die Wahlen von den Beitrittsparteien deshalb gewonnen wurden, weil u. a. die West-CDU im Osten massiv Wahlkampf betrieben hat. Natürlich hat sie das getan, aber die Demos, in denen nicht mehr „Wir sind das Volk“ skandiert wurde, sondern „Wir sind ein Volk“, die gab es vorher schon und die Drohung, dass man, wenn die DM nicht kommt, einfach zur DM rübermachen werde, ebenfalls. Es ist klar, dass das Volk nicht alles so wollte, wie es kam, aber sehr wohl die „Übernahme“ gegenüber einer Kooperation präferierte und es gab nicht dieses „Ja, hätte man ganz anders machen müssen“, als hätte die Politik sich das damals einfach aussuchen können. Es sei denn, man hätte mal wieder keine freien Wahlen zugelassen und die Menschen weiter bevormundet.
Ob das angesichts der Naivität, mit der viele im Osten dem Westsystem gegenübertraten, nicht besser gewesen wäre, also eine Gewöhnungphase in einer geschützten Ostzone? Quatsch. Denn dann hätte man auch die Grenze wieder schließen müssen. Daran kann man sehen, wie realistisch die PDS-Oberen mit ihrer Zwei-Systeme-Wahlkampfstrategie waren. Die Fluchtbewegungen, die es bis zum Mauerbau gab, hätten bei halbwegs offenen Grenzen wieder eingesetzt. Noch stärker als ohnehin geschehen. Das Gebiet der Ex-DDR ohne Berlin hat seit der Wende über 2 Millionen Menschen durch Wegzug in den Westen, ins Ausland oder nach Berlin verloren.
Und die PDS hätte die Wahl auch nicht gewonnen, wenn sich kein einziger West-Wahlhelfer der CDU oder der SPD hätte im Osten blicken lassen. Vielleicht sollten die DDR-Nostalgiker doch mal überlegen, wie es dazu kommen konnte, dass die SED-Nachfolgerin nur mit 16 Prozent aus der ersten freien Wahl in der damals noch bestehenden DDR nach über 40 Jahren herauskam.
Und nochmal zurück zu Oskar Lafontaine, mit Bedacht als eigener Absatz am Ende. Gemäß einem Artikel in der FAZ sagte er 2010 anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung dies: „Die Behauptung, er sei gegen die Einheit gewesen, sei aber „grundfalsch“. Er sei seit Jahrzehnten ein Anhänger der europäischen Einigung: „Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass darunter auch die deutsche Einigung fällt.“
Das ist natürlich sehr tricky, aber wir wissen, dass die EU immer noch kein Bundesstaat ist und vermutlich auch keiner werden wird, weil man den Willen der Völker mal wieder falsch interpretiert oder absichtlich übergangen hat und eben, im Gegensatz zur deutschen Wiedervereinigung, keine demokratischen Abstimmungen übers Wesentliche zulässt. Außerdem ist Lafontaine doch mittlerweile zu Recht ein Kritiker der EU in ihrer heutigen Verfassung und Verfasstheit, die eher spaltet als vereint.
TH
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