Kein Berliner, der bei Verstand ist, begibt sich freiwillig hierher / #Berlin #Berliner #Gentrifikation #Verdrängung #Mietenwahnsinn #NewYork #NYC #TimesSquare #Sonntag #Montagsblues #Sonntagselegie #PotsdamerPlatz

Die Gentrifizierung ist überall. Immerhin kommt das Wort auch in diesem Beitrag in der ZEIT vor und in einem Bericht über bestimmte Ecken in Brooklyn haben wir erstmals das Wort „Hypergentrification“ gelesen, mit dem wir nun in Berlin denen drohen, deren Freiberufler- und Abgeordnetengehälter nun auch bald nicht mehr ausreichen werden, um in bestimmten Lagen zu kaufen oder zumieten.

Damit sie endlich begreifen, dass sie aus Eigeninteresse aufwachen müssen, wenn schon andere Motive kaum zur Mobilisierung geeignet sind. Nun bietet es sich an, den Titel zu übersetzen: „Kein Berliner, der bei Verstand ist, geht zum Potsdamer Platz.“ Das mag richtig sein. Dahinter steckt aber nicht das Gleiche. Damit würde man dem Potsdamer Platz bei weitem zu viel Ehre antun. Der Originalbeitrag trägt in seiner deutschen Übersetzung diesen Titel: “

„Kein New Yorker, der bei Verstand ist, begibt sich freiwillig hierher.“ Der Schriftsteller Kent Russell meidet den Times Square seit Jahren. Nun macht er eine Ausnahme. Und stellt fest: Dieser Ort hält New York den Spiegel vor.

Berlin ist nicht New York und wird ihm nie nahekommen und das wollen wir auch gar nicht. Und weil wir hier nichts forcieren müssen, wir sind gut im Plan, geben wir nicht der Versuchung nach, diesen Sonntags-Entspannungsbeitrag in die Serie „Mieter, kämpft um diese Stadt“ einzugliedern und mit dem Klammeraffen direkt an einige Lieblingsadressaten zu senden. Es ist offensichtlich, dass hier jemand nicht kämpft, sondern beobachtet, der Schriftsteller Kent Russell, und sein Leben ein wenig zu dem in Bezug setzt, was er beobachtet, aber es sind eher Emotionen, die von Nostalgie unterlegt sind, die den Tenor des Textes setzen, als ein Aufruf, sich irgendwie in Marsch zu setzen. Wie auch? Die Berliner können froh sein, dass sie in Berlin leben, denn hier mutet es noch nicht an wie ein Witz, wenn man sich zur Wehr setzt.

Und wir, wir tragen der Tatsache Rechnung, dass sich auch Berlin jeden Tag verändert. Und dass morgen leider schon wieder Montag ist, was den Sonntag immer ganz anders färbt als den Samstag, weil wir uns am Samstag ja auf den freien Sonntag freuen, obwohl wir wissen, dass die Sonntagsstimmung schon überschattet sein wird vom sicher zu erwartenden und zutiefst gerechtfertigten Montags-Blues.

So ist aber unsere Wahrnehmung und das muss sie auch, sonst würden wir jetzt schon den Kopf in den Sand stecken angesichts der Probleme, die 2019 noch auf die Welt zukommen werden, es gibt eh schon so viele, die unlösbar scheinen.

Wir bräuchten auch gar nicht mehr über irgendein Stadtthema zu schreiben, angesichts von allem, was sonst auf der Welt geschieht. Aber Berlin ist doch unser Times Square, es spiegelt mehr als jede andere Stadt in diesem Land alles Gute und Schlechte, was ist, was war und was sich am Horizont abzeichnet.

Vielleicht wird die eine oder andere dunkle Wolke, die wir dort zu erkennen glauben, noch abdrehen, bevor sie ausgerechnet in unserem Kiez mit Hagel und Donnerschlag, mit kapitalistischen Angriffen auf die Soziale Stadt niedergeht und für weitere Sorgen sorgt. Vielleicht kommt alles abgeschwächt, schleicht sich nicht aus, sondern ein, wie in den letzten Jahren schon – aber vielleicht wird auch etwas uns herausfordern, ganz schnell, was noch überhaupt nicht zu erkennen ist. Und gibt es nicht noch Themen neben der Gentrifzierung? Doch. Zwei von drei heutigen Beiträgen waren einer anderen Reihe des Wahlberliners gewidmet. Mindestens beim Verfassen eines von ihnen hätten wir auch wieder auf dem Verdrängungsklavier spielen können, ganz leichthändig. Aber das fällt uns jetzt erst ein. Gut so. Ein bisschen Gelaber über die Welt, die niemals anhält? Aber klar. Morgen ist doch schon wieder Montag. Wir haben doch nicht so ganz widerstehen können und die Berliner in den Titel gesetzt.

Dabei verwenden erstmals das gestern renovierte Medienspiegel-Logo. Eigentlich wurde nur das Format geändert, damit es mit diesen blöden Facebook-Fenstern matcht, die dazu neigen, Fotos oben und unten abzuschneiden. Es muss nicht immer die Welt neu erfunden oder gerettet werden. Schon gar nicht sonntags.

TH

Medienspiegel 196


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