Crimetime 253 – Titelfoto © Wiedemann & Berg / MDR, Daniela Incoronato
Tschau, Hennie!
„Die Schauspielerin Alwara Höfels verlässt den Tatort Dresden nach nur sechs Einsätzen. In ihrer Rolle als Oberkommissarin Alwara Höfels fühlte sich die Darstellerin nach eigener Aussage nicht mehr wohl, ihr fehle der „künstlerische Konsens“. Auch von „unterschiedliche[n] Auffassungen zum Arbeitsprozess“ mit dem Produktionssender MDR sprach Höfels.“ (Tatort Fans)
Wie’s denn so war, zum letzten Mal mit Hennie, darüber steht mehr i der -> Rezension.
Handlung
Die 22-jährige Studentin Doro Meisner wird auf dem Parkplatz vor einem Dresdner Club erdrosselt. Henni Sieland und Karin Gorniak ermitteln, dass es sich offenbar um einen Racheakt der „Vogeljäger“ handelt, einer Gruppe Männer, die von Doro in einem Onlinedating-Portal mit falschen Liebesversprechen betrogen wurden. Doro hatte sich allerdings längst vom Portal abgemeldet. Um die Ermittlungen schnell voranzutreiben, lassen Karin Gorniak und Henni Sieland sich auf einen Undercover-Einsatz ein. Auf der Suche nach dem Mörder tauchen die Kommissarinnen in die Welt des Online-Datings ein.
Rezension in F & A
Ergänzen Sie den Satz: Wer jetzt allein ist …
… und ohne weitere Fälle und ohne Partner, hat vielleicht das bessere Ende für sich. Wie Hennie Sieland.
Weil die Zuschauer die Kollegin Gorniak sowieso mehr schätzen?
Unter den Tatort-Fans, die sich kommentierenderweise beim Tatort-Fundus versammelt haben, gibt es tatsächlich eine Tendenz in diese Richtung. Alwara Höfels hat ihre Figur zurückhaltender und vergleichsweise natürlich gespielt, auch im Vergleich mit anderen Tatort-Ermittlerinnen, aber das Zackig-Knackige der Interpretation von Karin Hanczewski entspricht wohl mehr dem Zeitgeist.
Wie jemand die dezente Art von Höfels / Sieland als nervig empfinden kann, erschließt sich mir nicht. Als Typ finde ich Gorniak auch recht knorke, aber ich halte ihre Darstellerin nicht für die bessere Schauspielerin, sondern Höfels zumindest für variantenreicher. Ich denke, sie ist aus Gründen ausgestiegen, die ihre eigenen Ansprüche betreffen. Schade ist es dennoch, der letzte Fall („Déjà-vu“, Tatort 1045, meine Wertung: 9/10) war der vielleicht beste bisher in 2018. Okay, das hat für die folgende Rezension einen großen Vorteil. Ich kann nicht als gegen das Team voreingenommen gelten.
Das klingt nach Anlauf für einen Verriss.
Leider hat es auch damit zu tun, dass ich aufgrund des Tatorts 1045 nun besonders enttäuscht bin. Ich verstehe nicht, wie es kommt, dass Drehbücher wie das für „Wer jetzt allein ist“, den Weg in dieses teuerste Krimiformat des deutschen Fernsehens finden.
Die Not muss wirklich groß sein. Eine solche Ansammlung von Logiklücken und Unwahrscheinlichkeiten wie gestern Abend ist selbst für heutige Tatortverhältnisse und unter Berücksichtigung der von uns längst vorgenommenen Achsenverschiebung in der Bewertung, was gutes Fernsehen oder auch ein guter Krimi ist, ungewöhnlich. Wir sind ohnehin der herrschenden Linie schon ein Stück weit gefolgt und messen der Qualität des Krimiplots weniger Bedeutung zu als früher. Dass es anders geht und trotzdem hinreichend modern sein kann, hat aber der Tatort1045 bewiesen. Das Einzige, was ich dieses Mal besser fand, war, dass Martin Brambach als Kripo-Chef Schnabel nicht so hemmungslos überziehen musste, sondern seine schrullig-humorvolle Seite angemessen einsetzen konnte.
Was war hingegen das Schlimmste?
Die Art, wie Sieland und Gorniak ermitteln. Natürlich, auch daran ist Schnabel beteiligt, aber dann zieht er sich ja Gottseidank zurück und bringt dem Sohn von Gorniak Mathe bei, was bei heutigen Schülern offenbar nicht mehr ohne Freiheitsberaubung möglich ist. Trotzdem ist der Part vergleichsweise gelungen. Das No-Go einer verdeckten Ermittlung per Einstieg in die Datingszene wird aber erst schön dargestellt und natürlich ist der Chef dagegen, dass die Frauen einen so haarsträubenden Ansatz verfolgen wollen, aber dann macht er nicht nur mit, sondern stellt sich als Babysitter für einen ca. 17-Jährigen zur Verfügung. So gesehen, ist die Prämisse oder Voraussetzung für den gelungensten Teil des Films auch Mist.
Was ist zum Dating zu sagen?
Immerhin, man bekommt durch die sehr weitreichenden Dating-Feldversuche zum ersten Mal eine Ermittlerin fast gänzlich nackt zu sehen. Es ist ja schon nicht PC, derlei zu erwähnen, aber es war nun einmal auf dem Bildschirm, sogar mit dem darmaturgischen Aufbau, dass vor der Unterwasser-Nacktszene der Einstieg über einen Einfrauen-Wet-T-Shirt-Contest erfolgt. Eine Tendenz hin zu wieder mehr Haut würde ich darin aber nicht ausmachen wollen. Das ist Einzelfall-Exploitation einer hübsch figurierten Ermittlerinnen-Darstellerin gewesen, möglich, weil diese Darstellerin auch mitgemacht hat – ich würde mich zu der Behauptung versteigen wollen, Höfels hätte das abgelehnt.
Aber auch ihre Aufmachung ist etwas lächerlich, als sie Norman Bates umgarnt, der ihre Schlafzimmerforschung missversteht und sie ihn dann auf eine Weise anschreien darf (bei der anschließenden Vernehmung), die ich auch schon wieder als übergriffig empfand. Ich glaube, da hat Höfels auch bisschen in die Grütze gehauen und das darf man durchaus mit einem Anflug von Ironie verstanden wissen.
Der Film hat also einen doofen Plot?
Kindisch, um es auf den Punkt zu bringen. Ein kindisches Drehbuch für die kindischeren unter den Tatort-Fans, die sofort losgeifern, wenn etwas „spannend“ ist und sonst nichts und „spannend“ ist zudem Definitionssache. Ich finde allzu abstruse Plots generell nicht spannend, weil ich nicht richtig einsteigen kann, wenn ich das Gefühl nicht loswerde, als Zuschauer hopp genommen zu werden.
Der Mord auf dem Parkplatz ist schon lächerlich, denn jeder normale Mensch, der noch sein Auto erreicht, würde auch die Tür sofort von innen verriegeln, außerdem entspricht er psychologisch nicht dem Muster von jemandem, der auf offenbar ein Trauma auslösende Weise verlassen wurde und eine daraus resultierende, tiefsitzende und langanhaltende Kränkung verarbeitet.
Tut Mord generell nicht, aber davon ab ist besonders die Ausführung viel zu offensiv, der Typ, der hier tätig wird, ansonsten zu normal. Der Versuch, auch Gorniak um die Ecke zu bringen, wirkt im gegebenen Umfeld zuhause in der Villa einen Tick realistischer, abzüglich wiederum der Voraussetzung, dass die Naivität der Polizistin ein Witz ist und die Motivation vollkommen unterentwickelt. Immerhin, einige Szenen sind gut gefilmt, aber das trifft ja auf alle Tatorte mittlerweile zu, dass die Kamera-Arbeit nichts zu wünschen übrig lässt.
Ist ein Tatort übers Online-Dating nicht sowieso etwas outdated?
Auf dem Niveau von „Wer jetzt allein ist“ ganz sicher. Man hätte an Dating-Tatorte der 2000er anknüpfen können, als das Treffen verabreden via Internet ein Hype war, heute ist es Normalität. Man könnte deswegen das Universelle und Überzeitliche, das Menschen dazu bringt, sich auf diese Weise Spaß oder Entrinnen aus der Einsamkeit zu organisieren, mit einem tieferen Blick in diese mittlerweile etablierte Kontaktanbahnungsform verbinden, aber was passiert? Nichts dergleichen.
Alles auf absolutem Anfänger-Niveau, sogar das Hooking der erwählten Partner aus der Vogelfänger-Crew. Doch, eines war schon witzig: Die klassische Situation der zehn Verdächtigen, aus denen flugs zwei gemacht werden, damit man den Film vom Whodunit mehr ins Thrillermäßige übergehen lassen kann. Spätestens bei diesen beiden Typen, die übrig blieben, war mir aber klar, Bates kann es nicht gewesen sein.
Der Mann im alten Haus mit der alten Mutter?
Der mordete ja dann doch noch, und auch wieder auf eine Weise – oh Mann. Dieser verdruckste Mensch, der gerade seine Mutter verloren hat, krallt die Finger in die Frontpage des Boulevard-Blattes, auf der gerade berichtet wird, dass der Chef der Dating-Agentur der Abzocker war, nicht die arme Birdy, geht schnurstracks in die Firmenzentrale und ersticht den Mann von hinten mit einem Schraubendreher und ein Mitarbeiter hinter der Glaswand schaut erst interessiert zu und sucht dann das Weite.
Als erstmalig das Innere des Hauses des Bates-Epigonen gezeigt wurde, fürchtete ich, wenn er jetzt ins Schlafzimmer zu Muttchen geht, liegt da nur noch ein Gerippe im Bett. Aber irgendwo hört selbst bei einem Drehbuch wie diesem der Spaß auf. Eigentlich gerade in dem Fall schade, dann hätte jeder gemerkt, es handelt sich eben doch um Satire. Vielleicht noch kurz zum Autor: Erol Yesilkaya hat schon bessere Bücher geschrieben, aber mein Verdacht ist, dass die wenigen, die es in Deutschland können, das Scripten, überstrapziert werden und man eben nicht so viele gute Ideen haben kann, dass das Niveau erhalten wird. Und wenn man kreativ ausgepowert ist, kommt ein so blödsinniger Film wie dieser heraus und kommt tatsächlich – genau, heraus, pünktlich um 20:15, wenn auch dieses Mal an einem Montagabend.
Manche Ereignisse wie der Tod des Wachposten-Haushälters oder was er darstellt und am Eingang des Villen-Anwesens von Andreas Koch wohnt, werden gar nicht erst aufgelöst, es passiert halt einfach mal so und was wollte der Mann der auf Abwegen befindlichen Gorniak denn mitteilen? Dass sie etwas vorsichtig sein soll, weil der Mörder immer der Erbe ist? Quatsch!
Wie war der Abgang von Sieland?
Ich werde jetzt nicht recherchieren, ob Alwara Höfels ihren Ausstieg schon verkündet hatte, bevor der Film gedreht wurde oder ob man die Schlussszene nachträglich angehängt hat.* Letzteres würde ihre hölzerne und wieder einmal unstimmige Ausformung erklärbar machen, Ersteres wäre ein weiterer Beleg dafür, dass hier im Grunde gar nichts stimmt. Es hätte eher Gorniak sein müssen, die schmeißt, nach dem Erlebnis mit dem Koch, der ein Mörder ist. Klar, Sieland hat auch einen Stressmoment oder zwei, aber was haben die beiden in vorherigen Fällen nicht schon alles erlebt? Und die Sache mit vielleicht doch Kinderwunsch und kein Partner etc. wirkt zu nachgeschoben. Ist eine solchermaße enttäuschende Szene, die noch einmal alle Enttäuschungen, die mir der Film zuvor bereitet hat, zusammenfasst oder spiegelt, besser als ein komplett unkommentierter Abgang? Da bin ich nicht sicher.
Eine neue Chance für Dresden?
Der MDR hatte immer schon Probleme damit, gute Bücher zu bekommen. Das anfangs betont konservative Filming ist im Lauf der Jahre moderner geworden. Ein Rückblick auf fast 30 Jahre Ost-Tatort ist heute nicht angesagt. Jedenfalls ist es schade, dass schon wieder ein Team auseinandergerissen wurde, das Potenzial hatte.
Erinnert mich ein wenig an die Künstlerinnen-Krise beim Duo Steier-Mey in Frankfurt vor ein paar Jahren. Manche Schauspieler haben den Humor, über die Untiefen mancher Tatorte souverän wegzusteigen, wie es bei Martin Brambach offenbar der Fall ist, andere sind froh, überhaupt in dieser Premium-Reihe für gutes Salär mittun zu dürfen – andere irgendwann nicht mehr, weil sie ihre künstlerische Integrität durch die Ausformung ihrer Rollen und vermutlich durch die Unmöglichkeit, deren Weiterentwicklung mitgestalten zu dürfen, beeinträchtigt sehen. Wenn ich das Team Dresden mit dem gescheiterten Jugendkult-Erfurt-Experiment vergleiche, mit den früheren Ermttler_innen in Leipzig und Dresden und mit den beiden Mickymausfiguren, die in Weimar unterwegs sind, hat der MDR jedenfalls genau dort wieder ein Problem, wo es zuletzt am besten ausgesehen hat. Aber es wird weitergehen und es werden hoffentlich wieder Filme wie „Déjà-vu“ kommen.
Die Bewertung?
Ich muss kurz ausholen. Als ich noch für mein früheres Blog geschrieben habe, war die 10er-Bewertung so angelegt, dass ich weniger als fünf Punkte nur vergeben habe, wenn zu großen Qualitätsmängeln politische Gründe kamen, die Tendenz der Filme oder Figuren betreffend, die eine noch schwächere Bewertung gerechtfertigt hatten. Mein Statement war, dass ich die Tatorte generell als hochwertig und mit viel Hingabe und Kompetenz gemacht einschätze, es gibt also nur besser oder schlechter auf der insgesamt annehmbaren Seite. Aber mir geht langsam die Geduld aus und ich greife ab und zu auch ohne mehr oder weniger verdeckte faschistische Tendenzen mal tiefer. So wie jetzt. Wir kommen genau bei der Hälfte des letzten Dresden-Falles „Déjà-vu“ heraus.
4,5/10
*Für die Wiedervorstellung der Rezension im Zweiten Wahlberliner haben wir eine neue Einleitung verfasst bzw. von Tatort Fans übernommen, dort steht zu lesen, dass Alwara Höfels‘ Ausstieg vor dem Dreh sicher war. Und, wenn wir dabei sind: Erol Yesilkaya hat inzwischen auch wieder bessere Bücher geschrieben.
© 2019, 2018 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Oberkommissarin Henni Sieland – Alwara Höfels
Oberkommissarin Karin Gorniak – Karin Hanczewski
Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel – Martin Brambach
Kriminaltechniker Ingo Mommsen – Leon Ullrich
Gerichtsmediziner Falko Lammert – Peter Trabner
Doro „Birdy“ Meisner – Svenja Jung
Laura Nix, Doros Freundin – Kyra Sophia Kahre
Thomas Frank, Betreiber von „Lovetender“ – Bernd-Christian Althoff
Mitarbeiter von „Lovetender“ – Oliver Simon
Andreas Koch, Mitglied der „Vogeljäger“ – Daniel Donskoy
Petrick Wenzel, Mitglied der „Vogeljäger“ – Aleksandar Jovanovic
Matthias Schirmer, Mitglied der „Vogeljäger“ (Nickname „Silversurfer“) – Daniel Hoevels
Jens Groppa, Mitglied der „Vogeljäger“ – Viktor Tremmel
Ronny Brockmann, Mitglied der „Vogeljäger“ – Markus Gertken
Herr Böhme – Johannes Kiebranz
Aaron Gorniak, Sohn von Karin Gorniak – Alessandro Schuster
u.a.
Drehbuch – Erol Yesilkaya
Regie – Theresa von Eltz
Kamera – Juan Sarmiento G.
Schnitt – Christian Reinhardt
Szenenbild – Thomas Franz
Ton – Ben Krüger
Musik – Christian Meyer
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