Am 20. März 2019 fand in der Motorradwerkstatt „Pfiffikus“ in der Trettachzeile 15 (Reinickendorf, Alt Tegel) die Diskussionsveranstaltung „Bezahlbares Wohnen für alle in Berlin?!“ statt, zu der die Bundestagsabgeordnete der LINKEn Caren Lay eingeladen hatte.
„Am 20. März 2019 stellt Caren Lay ihre Ideen für eine Politik der Mieterinnen und Mieter bei einer Podiumsdiskussion in Berlin-Reinickendorf vor. Mit dabei sind Katina Schubert (Mitglied des Abgeordnetenhauses und Landesvorsitzende DIE LINKE. Berlin), Heinz-Jürgen Korte (Mieter*inneninitiative Trettachzeile „Altes Wasserwerk Tegel“) und Michael Prütz (Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen).“
Das war natürlich eine sehr interessante Veranstaltung. Unsere Zusammenarbeit mit der IG HAB (@HeimatNeue, der Mieter_innen-Initiative der Habersaathstraße 40-48 in Berlin Mitte), hat in dem Fall zu einem neuen Modul geführt: Vor Ort wird von der IG HAB dokumentiert, bei uns wird der Beitrag dazu verfasst. Leider erst drei Tage später, daran lässt sich noch arbeiten.
Wir haben uns entschlossen, den Artikel zweizuteilen. Wir wollten uns im heutigen ersten Teil mit der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ befassen, die in der Trettachzeile von Michael Prütz vorgestellt wurde. Michael Prütz hat „DW enteignen“ auch in sehr anregenden Fernsehdiskussionen vertreten.
Die Initiative derzeit in aller Munde ist, war vor einiger Zeit auch bei der LINKEn in Charlottenburg zu Gast und wird sicher weiter durch Berlin touren, um Werbung für ihr Anliegen zu machen, das – machen wir uns nichts vor – unser aller Anliegen sein sollte.
Wer „DWenteignen“ nicht unterstützt, wird sich vorwerfen lassen müssen, nicht alles getan zu haben, was man gegen den Mietenwahnsinn tun kann. Wir haben erst gestern wieder klargestellt, dass wir der Ansicht sind, alle Instrumente müssen mit maximalem Einsatz entwickelt werden und dass man nicht die Enteignung gegen den Mietendeckel und andere Maßnahmen ausspielen darf, zuletzt in dieser Reflektion über den Berliner Finanzsenator Michael Kollatz. Wir verdichten einen Ausschnitt aus dem Diskussionsbeitrag von Michael Prütz für unsere Leser_innen und kommentieren stellenweise.
Die Grundfrage, so Prütz, sei, ob wir tatsächlich – weiterhin – renditegetriebene Konzerne als Hauptakteure am Wohnungsmarkt haben wollen oder doch etwas anderes. Berlin sei eine Stadt mit einem Mieter_innenanteil von 85 Prozent an der Gesamtbevölkerung und die Frage sei, ob wir Verhältnisse haben wollen wie in London oder Paris, wo kein normaler Mensch mehr in den Innenstädten leben kann. Prütz nennt eine Miete von 126 Euro pro m² in London.
Selbst für Londoner Verhältnisse dürfte es sich dabei um einen Ausnahmepreis handeln. Gesichert ist, dass in der Innenstadt klassische „3-Bedroom-Apartments“ im Durchschnitt mehr als 2.000 Pfund pro Monat kosten, Studios etwa 1.000 Pfund. Solche Preise sehen wir in Berlin vereinzelt auch schon.
Nun sei es nicht so, sagt Prütz weiter, dass nicht versucht worden sei, mit den Konzernen und den internationalen Glücksrittern zu reden. Selbstverständlich habe man versucht, mit der Deutsche Wohnen SE ins Gespräch zu kommen und auch mit anderen großen Vermietern. Man habe sie gebeten, ihre Politik zu mäßigen, sich zurückzunehmen, denn Berlin sei eine Stadt, in der die Einkommen der Menschen nicht so hoch sind wie in andere Städten.
London und Paris als Hauptstädte sind auch Spitze bei den Einkommen, Berlin ist in Deutschland davon weit entfernt und die Kaufkraft liegt derzeit bei 91,5 Prozent des deutschen Durchschnitts. Zum Vergleich: In München sind es fast 140 Prozent.
„Ich sag’s mal volkstümlich, die haben auf jeden Ratschlag geschissen. Die haben gesagt, interessiert uns überhaupt nicht, wir werden aus den Leuten rauspressen, was rauszupressen ist“, so Prütz wörtlich. „Und dann stellen sie sich in der Öffentlichkeit hin und sagen, wir wissen gar nicht, was die Leute wollen. Wir haben doch durchschnittliche Mietpreise von 6,60 Euro pro Quadratmeter. Die halten die Leute für dumm – denn in den Geschäftsberichten steht drei Zeilen weiter: Mit Steigerungspotenzial von 50 Prozent in den nächsten fünf Jahren.“
Die Berliner landeseigenen Wohnungsgesellschaften liegen derzeit bei ca. 6 Euro / m“ im Schnitt der Bestandsmietverträge und sind per Kooperationsvereinbarung mit dem Land gehalten, die Mieten nicht um mehr als 2 Prozent jährlich zu erhöhen. Bei einigen Häusern, welche die Deutsche Wohnen gerade in Berlin gekauft hat, lagen die Mieten schon beim Einstieg höher.
So also argumentiere die Deutsche Wohnen gegenüber ihren Aktionären, stellt Prütz fest und stellt noch einmal die rhetorische Frage, ob wir das in Berlin wollen. Man habe die Initiative gegründet, weil man einen anderen Weg für das Wohnen in Berlin will und auch für machbar hält. Prütz erwähnt die vielen Mieter_innen-Initiativen in der Stadt, die für ein einzelnes Haus oder Areal kämpfen, aber es fehle eine grundsätzliche Antwort, die klarmacht: Bis hierher und nicht weiter.
Über die vielen Hausinitiativen wissen wir ja mittlerweile das eine oder andere und das ist wirklich der Punkt. Auch wenn sie nicht nur in Bezug auf ihre eigene Situation, sondern für das stadtgesellschaftliche Engagement enorm wichtig sind und bleibenden Wert haben, kann es nicht sein, dass um jedes Haus, das an einen Miethai verscherbelt wird, auf Biegen und Brechen gekämpft werden muss, damit Menschen nicht verdrängt werden. Manchmal klappt es mit der Kommunalisierung, manchmal nicht. Das wirkt nach außen oft sehr zufällig.
Allerdings ist angesichts der Größenordnung ab 3.000 Wohnungen als Enteignungs-Untergrenze, welche die Initiative derzeit anzielt, gesichert, dass es weiterhin viele Kämpfe geben wird und wir möchten auch noch darüber diskutieren, wie es mit Firmengeflechten aussieht, von denen jeder rechtlich selbstständige und formal von unterschiedlichen Personen geführte Teil bei weitem keine 3.000 Wohnungen erreicht, aber trotzdem erkennbar ist, dass eine Zentralsteuerung für diese „Spinnennetz-Imperien“ und demgemäß eine große Marktmacht vorhanden ist. Nun zur Idee von „DW enteignen“:
Wir haben herausgefunden, so Prütz, dass es im Grundgesetz den Artikel 15 gibt, der besagt, dass die Vergesellschaftung von Grund und Boden und auch von Produktionsmitteln im Sinne des Gemeinwohls möglich ist. Dieser Artikel sei 1949 ins Grundgesetz gekommen, aber er ist niemals angewendet worden. 1949 wollten alle irgendwie Sozialisten sein, sogar die CDU, meint Prütz.
Die CDU als sozialistische Partei sorgte für einige Erheiterung im Publikum. Der Art. 15 war in der Tat in dessen Urfassung bereits enthalten, die am 23.05.1949 verkündet wurde und die konkrete Ausformung der Wirtschaftsordnung wurde seinerzeit bewusst offen gehalten – freilich gab es auch schon die Eigentumsgarantie nach Art. 14 I GG als Grundtatbestand und dieser hat seitdem die Wirtschaftsweise der BRD geprägt, daher:
„Dann haben sie diesen Artikel einfach vergessen. Keiner hat jemals daran geglaubt dass man auf die Idee kommen könnte diesen Artikel anzuwenden.“, so Prütz.
Selbstverständlich habe man sich daher juristischen Rat eingeholt und es kam dabei heraus, man könne den Art. 15 GG in der Tat anwenden. Nicht nur das, es sei auch möglich, dass das Land Berlin und dass die anderen Länder eigene Gesetze dazu erlassen, also die Gesetzgebungskompetenz wäre demnach nicht beim Bund angesiedelt. Man habe sich dann entschlossen, den Konzernen die Stirn zu bieten und darum startet am 6. April auf der großen Mietendemo das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“.
Zwischenapplaus sowie nachträglicher Applaus von uns. Wir haben bereits mehrfach geschrieben, dass wir unterzeichnen werden. Nun kommt Prütz auf die Größenordnung zu sprechen und wir haben endlich die Zahl in der Hand, die wir für weitere Beiträge brauchen. Nicht 200.000 Wohnungen, was vielfach umgeht, auch nicht 260.000, die der Senat bei seinen Überlegungen als Grundlage hernimmt, sondern
243.000 Wohnungen, konzentriert auf 10 Gesellschaften seien das Ziel der Initiative.
Damit würde sich der kommunale Wohnungsbestand von derzeit ca. 320.000 Einheiten auf 563.000, also um 75 Prozent erhöhen. Erstmals seit dem Beginn des Mietenwahnsinns wäre damit eine Kommunalisierungsgröße erreicht, die preisdämpfende Auswirkungen auf den Gesamtmarkt haben könnte – vor allem in den Gebieten, in denen die Konzerne strategisch größere „Portfolien“ kaufen, um den Mietspiegel liften zu können.
Es verstehe sich von selbst, so Prütz, dass die Wohnungswirtschaft nun nervös werde. Und sie habe nun einen bezahlten Gutachter, einen Herrn Sodan ins Bundespresseamt eingeladen und der hätte ein Gutachten geschrieben, wie verfassungsfeindlich die Enteignung sei. Der habe auch mal ein Gutachten gefertigt, in dem stehe, der Mindestlohn sei verfassungswidrig. Die Meinung solcher Menschen kann für uns kein Kriterium sein, führt Prütz weiter aus. Auf der Homepage des Stadtbausenats habe Katrin Lompscher, die Senatorin, daraufhin drei Gutachten von unabhängigen Juristen vorgestellt, die vom Gegenteil überzeugt seien. Nach deren Ansichten sei die vorgesehene Form der Enteignung verfassungsgemäß – und den Weg dorthin beginne man am 6. April. Das Ziel sei keineswegs, die ersten 20.000 Unterschrifte zu erhalten, sondern innerhalb der ersten vier oder fünf Wochen auf eine Zahl von 100.000 zu kommen, um deutlich zu zeigen, bis hierher und nicht weiter, Wohnungskonzerne!
In den aufbrandenden Applaus hinein wird gefragt, wie es denn mit den Kosten der Enteignung aussehe. Zum Gutachten von Helge Sodan dieser Beitrag der Berliner Morgenpost. Zur „Retourkutsche“: der Tagesspiegel. Und zu den Gutachten, die der Senat ausgestellt hat, hier.
Natürlich, führt Prütz aus, stellen sich die Konzerne das so vor, dass es das kosten soll, was sie als Wert ihrer Immobilien in die Bücher schreiben. Dann müsste der Senat etwa 38 Milliarden Euro ausgeben. „Wenn es nach mir ginge, würde jeder Konzern mit genau einem symbolischen Euro abgefunden“, so Prütz, aber man müsse sich da ein bisschen mäßigen und man habe eine Kostenschätzung erarbeitet, die von 7 bis 13 Milliarden Euro ausgehe.
Von diesen Summen habe Berlin einen Eigenkapitalzuschuss von etwa 20 Prozent zu leisten, der weitaus größere Teil sei über einen Kredit zu finanzieren, den die neue Wohnungsbaugesellschaft, die aus der Enteignung hervorgehen soll, aufnehmen soll und der sich über 30 bis 50 Jahre durch die Mieten abbezahlen lasse. Vermutlich wäre es sogar möglich, die Mieten leicht zu senken und dennoch die Wirtschaftlichkeit zu wahren. Die juristischen Überlegungen liefen klar darauf hinaus, dass nicht zum Marktwert entschädigt werden müsse, man müsse also Berlin nicht ins Elend stürzen, um die Enteignung durchzuführen.
Wir nehmen als neue Information mit, dass nicht etwa die enteigneten Wohnungen auf die bestehenden sechs Wohnungsbaugesellschaften des Landes verteilt werden sollen, sondern eine sehr große, eigene Gesellschaft zu diesem Zweck gegründet werden soll, die dann auch der mit Abstand größte Vermieter in Berlin wäre. Wir wissen ja, dass sich eine Ratingagentur schon zur Enteignung geäußert und dem Land Berlin mit Herabstufung der Kreditwürdigkeit gedroht hat, allerdings wurde dabei von der wesentlich höheren, marktkonformen Enteignung ausgegangen, die auch Grundlage der Berechnung des Finanzsenats ist.
Vor Ort: IG HAB @HeimatNeue, Bericht + Kommentar: © 2019 Thomas Hocke für Der Wahlberliner
Kommentar 199, Medienspiegel 303
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