Tiefer Fall – Tatort 601 / Crimetime 349 // #Tatort #Leipzig #Sachsen #Ehrlicher #Kain #Fall #TieferFall #Tatort601

Crimetime 349 - Titelfoto © MDR, Hardy Spitz

Wie Bruno Ehrlicher eine wackere Steinbrucharbeiterbrigade rettet

Eine Vermutung aus der Vorschau hat sich bewahrheitet: Kain und Ehrlicher sind flauschiger als in ihrer Dresdner Zeit. Vielleicht kommt das daher, weil sie ein bisschen Baumaterial für private Zwecke nutzen dürfen. In diesem Film steckt aber wieder viel Kapitalismuskritik, es könnte doch fast sein wie in den alten Dresdner Zeiten des Duos –  die dicke Überraschung kommt am Ende. Dazu und mehr in der -> Rezension.

Handlung, Besetzung und Stab

Der achtjährige Tommy Beck wird in einem Waldstück tot aufgefunden. Die tragische Nachricht vom Tod seines Sohnes erreicht Sprengmeister Holger Beck bei der Kreditbank. Er und seine Kollegen nehmen Hypotheken auf ihre eigenen Häuser auf, um mit diesem Geld ihre Arbeitsplätze zu retten. Ihrem Chef Günter Siebert, dem Besitzer des Steinbruchs, fehlen die Mittel für eine dringend notwendige Investition. Nur so kann er sich um einen Auftrag für die Großbaustelle des Leipziger City-Tunnels bewerben.

Die Hauptkommissare Ehrlicher und Kain denken zunächst an ein Sexualdelikt. Doch dann stellt sich heraus, dass Tatort und Fundort nicht identisch sind. Tommy ist an Bausplitt erstickt, der in Sieberts Steinbruch produziert wird. Die Spuren des Steinbruchs an Tommys Kleidung wurden jedoch beseitigt. Und auch Tommys Schulranzen ist verschwunden. Ehrlicher ist sicher, dass darin Hinweise zur Lösung des Falls zu finden sind.

Holger Beck verdächtigt unterdessen seinen arbeitslosen Schwager Dieter Fink, an Tommys Tod schuld zu sein. Die beiden haben trotz seines Verbots häufig in einem abgesperrten, gefährlichen Sektor des Steinbruchs gespielt. Dieter fühlt sich in die Enge getrieben und belastet nun seinerseits Holger Beck. Er habe eine heimliche Sprengung durchgeführt, bei der Tommy ums Leben gekommen sein könnte.

Am nächsten Morgen finden Kollegen den ermordeten Holger Beck auf dem Gelände des Steinbruchs. Die Spuren führen die Kommissare ins Büro des Firmenchefs Günter Siebert, wo offensichtlich ein Kampf zwischen den beiden Männern stattgefunden hat. Ehrlicher und Kain müssen nun herausfinden, worum es bei dieser tödlichen Auseinandersetzung ging.  

Rezension (mit Angaben zur Auflösung)

Damals, im ersten Jahrzehnt nach der Wende, da hätte es keine vom Hauptkommissar höchstpersönlich organisierte Rettung für den Steinbruchbetrieb gegeben und das Ende ist schon irgendwie auch naiv und lässt – vermutlich ungewollte – Rückschlüsse darüber zu, wie der Kapitalismus mancherorts eben doch nicht verstanden wird, obwohl wir nun schon einige Jahre weiter sein. Aber es ist auch ein schönes Märchen, wie die gesamte Geschichte von den solidarischen Arbeitern und ihren Familien, die Haus und Hof verpfänden, um nach einer schweren technischen Panne neues Gerät kaufen und weiterarbeiten zu können. Dass sie von ihrem Häuptling verraten werden, ist ganz bitter und vielleicht realistischer als dieser extreme Zusammenhalt unter den Kumpeln des Übertage-Steinbergbaus.

Aber wir sind ja auch in der Welt von Tausendundeine Nacht und am Ende ist es Bruno Ehrlicher, der die Wunderlampe in Person des weißen Ritters unter den Bankern findet. Wenn es so gemeint ist, dann ist es wirklich zauberhaft, auch wenn der arme kleine Junge und sein Vater davon nicht wieder lebendig werden.

Wie Ehrlicher und Kain sich im Steinbruch durch Unvorsichtigkeit selbst einstauben und beinahe Opfer einer Sprengung werden, ist recht sehenswert und die Figuren sind zwar nicht maximal ausgeformt, es gibt ja auch recht viele, aber die Darsteller können sie routiniert zum Leben erwecken. Vor allem gilt das für Henning Peker, der den gefeuerten Fink spielt. Allerdings hat die hohe Aufmerksamkeit, die wir seiner Rollenfigur schenkten, auch den Grund, dass wir sie mit seiner Darstellung des Krajewski in Babylon Berlin verglichen. Da kann man eine Linie erkennen, aber in „Babylon“ haut er auf jeden Fall nochmal einen mehr raus; die Figuren in dieser teuersten deutschen Serie bis dato sind generell sehr scharf, teilweise überspitzt gezeichnet.

Obwohl wir immer das Gefühl hatten, irgendwas stimmt nicht so ganz, mit dieser schwierigen Spurensuche im riesigen Quarztagebau, ist die Idee mit dem Einsatz der Polizeischülter_innen witzig und wir konnten keine augenfälligen Fehler finden. Das attestieren wir, wie routinierte Leser_innen wissen, den Tatort-Drehbüchern nicht  standardmäßig, sondern schauen etwas genauer hin, gerne auch mit Hilfe findiger anderer Zuschauer, deren Reaktionen wir checken. Das Ende ist also märchenhaft, einige überzogene Stellen wie das geradezu herbeigezauberte Versteck im Schulranzen gibt es ebenfalls. Es ist ein Druckknopf, keine Niete, aber, siehe oben: solche Elemente sind möglicherweise kein Zufall und wir erinnern uns gut, dass wir auch nach dem Schatz gesucht hatten, mit einer selbstgemalten Karte und im Alter von acht Jahren. Was für eine Zeit. Und, ja, eine reale Bank hätte wohl die schriftliche Bestätigung des Großauftrags angefordert, bevor sie die Häuser der gesamten Steinbruchbelegschaft als Sicherheit annimmt. Aber eine solche Bestätigung wird jemand auch fälschen, der sich schon so weit verstrickt hat – also hätte der zuständige Banker sogar beim Auftraggeber nachhaken müssen, um wirklich sorgfältig zu handeln. Es hätte also immer einen Ausweg gegeben, der Plot enthält nichts, was ihn beim Einsatz des Realismusfilters als unmöglich enttarnen würde.   

Ein bisschen DDR-Polizeiruf weht auch durch den Film, als ein wenig Baumaterial für den Außenbereich von Friederikes Kneipe abgezweigt wird, aber damals hätten niemals die Ermittler solch ein kleines Geschenk angenommen und es ist ja auch alles andere als unkritisch, denn es stimmt von dem Mann, der sich als Verräter herausstellt, mithin vom unwillentlichen Täter im Fall des toten Jungen und willentlichen Täter beim nachfolgenden Tod des Vaters.

Finale

Selten wahr Ehrlicher ehrlicher und niemals hilfreicher als in „Tiefer Fall“, der insgesamt gut gefilmt und gespielt ist und nie war so klar, warum Kain seinen Namen trägt. Kein Bier im Außenbereich von Friederikes Kneipe, wo die neuen Steinplatten eine bessere Verwendung gefunden haben als der Quarz, der nicht im City-Tunnel verbaut werden wird. Oder doch? Vielleicht kann sich ja ein einheimisches Unternehmen auch mal bei einer Ausschreibung durchsetzen, die nach dem Billigstprinzip EU-weit erstellt werden muss. Die Verluste an Solidarität und Menschen können hoch sein, doch man soll die Hoffnung nie aufgeben, das ist die Botschaft von „Tiefer Fall“. Der Kampf geht weiter!

7,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke 

Vorschau: Es wird dreckig

Man erkennt es auf dem Titelfoto. Aber wie kommt es dazu? Wir wissen es noch nicht, denn „Tiefer Fall“ zählt zu den „Ergänzungstatorten“, die wir noch nicht gesehen haben, deshalb hier nur eine Vorschau, nicht die Rezension als Vorab-Info. Wir werden heute Abend aufzeichnen und in den nächsten Tagen die Kritik zum Film  nachliefern. Vermutlich wird es darauf hinauslaufen: Ehrlicher und Kain in Leipzig gefallen uns besser als zuvor in Dresden, weil dies immerdüstre östlich Klagelied während der Messestadt-Dienstzeit der beiden Kommissare nicht mehr so angestimmt wurde – und das hat durchaus eine Bedeutung im Hier und Jetzt. Leipzig ist weltoffener, das hat sich bei der Europawahl gezeigt, wo der Wahlkreis oder die Wahlkreise um den Messeturm im Grün aus Blau und Schwarz herausgeragte(n).

Da passt es gut, dass wir Leipzig von allen sächsischen Städten am besten kennen und wenn wir dort waren, hatten wir nie das Gefühl, dass es furchtbar ist. Es gibt immer noch ein paar verwunschene Ecken, zumindest war das bei unserem letzten Besuch 2012 so, aber im Ganzen strahlt die Stadt doch recht hübsch. Da wir wenigstens hin und wieder mal einen Kinofilm schauen wollen, neben dem derzeitigen Mega-Uprush mit „Crimetime“; weil wir ein besonderes Augenmerk auf DEFA-Produktionen legen, um unsere Kenntnisse zu vertiefen, war es am Sonntagabend „Du und ich und Klein-Paris„, also Leipzig, und die Heiterkeit des Films ansteckend. Leider wird die Kritik dazu vorerst nicht erscheinen, weil innerhalb des gegenwärtigen Programms kaum Zeit für die Fortführung der Reihe „Filmfest“ bleibt.

„Tiefer Fall“ hingegen wird genau 14 Jahre nach seiner Erstausstrahlung vom MDR wiederholt.

TH

Kommissar Bruno Ehrlicher Peter Sodann
Kommissar Kain Bernd Michael Lade
Techniker Walter Walter Nickel
Frederike Annekathrin Bürger
Günter Siebert Rüdiger Joswig
Monika Siebert Janina Hartwig
Holger Beck Martin Feifel
Irene Beck Deborah Kaufmann
Dieter Fink Henning Peker
Rolf Löschner Torsten Ranft
Heidrun Löschner Sabine Urig
Hans Raven Lutz Blochberger
Tommy Beck Alban Mondschein
Regie: Thomas Freundner
Buch: Pim Richter
Kamera: Philippe Cordey
Musik: J. J. Gerndt

 


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