Billionengewinner – und Millionen Verlierer Immobilienboom als Gefahr für die Gesellschaft (Kommentar) #Mietenwahnsinn #wirbleibenalle #Spekulanten

Der Häuserkampf dauert an. Sogar FfF haben ein Haus in Aachen besetzt. Nun hat Thomas Fricke im SPIEGEL eine vielbeachtete Kolumne geschrieben: Billionengewinner- Millionenverlierer.

„In Deutschland wird bisher spektakulär unterschätzt, wie sehr hochschnellende Hauspreise das Land spalten. Diesen Schluss legen neue Berechnungen nahe. Wie lange ist die Ungleichheit noch auszuhalten?“, leitet Fricke seinen Artikel ein.

Und zitiert dann gleich das Mantra von einem Land, in dem es doch wirtschaftlich super laufe – eigentlich. Das ist der erste Eindruck, der hängen bleibt. Und dann kommt er auf Clemens Fuest, den Nachfolger von Werner Sinn als Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung zu sprechen.

Ein Wissenschaftler.

Fuest hat bei Anne Will vor einer Woche gesagt, die Mieter seien die Verlierer des Mietendeckels in Berlin. Danach habe ich die ohnehin auf grottigem Niveau geführte Diskussion abgeschaltet. Das passiert mir wirklich selten. Ich kann normalerweise einigen politischen und sonstigen Blödsinn aushalten. Aber Fuest war mir doch too much. Volkswirtschaftslehre ist keine Wissenschaft im engeren Sinn, das sieht man an Typen wie ihm.

Apropos Wissenschaft – gibt es wirklich keine hinreichenden Statistiken, die als Alarmzeihen hätten dienen können?

SPIEGEL-Journalisten entdeckten das Recherchieren anscheinend wieder ganz neu, ich lese da eher eine subjektive Wahrnehmung heraus.

Selbstverständlich gibt es Statistiken. Zum Beispiel welche, mit denen man das Märchen vom Jobwunder widerlegen kann; mit denen man darlegen kann, dass die gleiche Arbeit auf immer mehr Menschen verteilt wird. Daran ist nichts Wunderbares, sondern vom gleichen Kuchen müssen immer mehr Menschen satt werden. Hingegen gibt es keine Umverteilung, die den Effekt mildert.

Über die Entwicklung von Mieten und Kaufpreisen von Immobilien gibt es selbstverständlich Statistiken. Die braucht man dann nur mit denen der Lohnentwicklung abzugleichen und man weiß grundsätzlch Bescheid. Und wenn man es genauer haben will, kann man Marktsegmente und Regionen einerseits und Kohorten andererseits untersuchen. Das ist kein Rocket Science.

Wir wissen also Bescheid.

Ich war nicht dem Glauben aufgesessen, alle sei gut. Ich beobachte diese Fehlentwicklungen seit Jahren. Dass höhere Immobilienpreise zu einer Vermehrung des Vermögens von Immobilieneigentümern führen, hat mich auch nicht vom Hocker gehauen. Wer sich anschauen will, wie es im Ganzen aussieht, der soll sich einfach die OECD-Statistiken über das Durchschnittsvermögen in einzelnen Ländern und vor allem das Medianvermögen anschauen (misst nicht die durchschnittliche Vermögensgröße, sondern, wie viel Vermögen hat ein Mensch in einem Land durchschnittlich besitzt). Wenn man das tut, wird schnell klar, dass in Deutschland die meisten kaum noch substanzielle Rücklagen vorweisen können. Dieser Trend wird sich in der nächsten Generation verstärken, sofern jemand keine größere Erbschaft macht.

„Nach den Schätzungen haben allein die rasant steigenden Immobilienwerte dazu geführt, dass diejenigen, die hierzulande Häuser besitzen, seit 2011 um sage und schreibe mehr als drei Billionen Euro an Vermögen gewonnen haben. Anders gesagt: Die Häuser sind heute über drei Billionen Euro mehr wert als damals. Schon das wirkt komplett irre. Zumal so ein Haus ja seither nicht produktiver geworden ist. Und die Besitzer nicht mehr dafür tun als vorher. Außer zufrieden die Preisentwicklung zu verfolgen“, heißt es weiter unten.

Ich habe etwa seit 2010 Diskussionen mit Menschen geführt, die Immobilien besitzen und seitdem leistungslos reicher geworden sind. Ich habe damals gesagt, so um 2014 wird Schluss sein mit dem künstlichen Auftrieb. Die Zinsen werden sich normalisieren und das Kapital wird wieder in andere Anlageformen strömen. Womit ich nicht gerechnet hatte, ist, dass die europäische Wirtschaftspolitik tatsächlich weiterhin und seit nunmehr zehn Jahren im Notstandsmodus gehalten wird und natürlich nicht dem verstärkten Zuzug der letzten Jahre, der Peak war das Jahr 2015, was zu einer verstärkten Nachfrage geführt hat. Letzteres ist aber der weitaus kleinere Effekt, der sich ohnehin mit dem allgemeinen Zuzug in die Großstädte verbindet.

Die meisten dieser Menschen brauchen günstigen Wohnraum und darauf hat die private Immobilienwirtschaft keine Antwort, weil man damit angesichts explodierender Bodenpreise nicht genug Gewinn machen kann. Das ist wiederum ein allgemeines Phänomen.

Sind die Wertsteigerungen so wundersam?

Es ist wie mit dem Jobwunder. SPIEGEL-Journalisten sollten dieses breitgetretene Wunderwort aus dem Framing nehmen. Es gibt in der Wirtschaft keine Wunde, also auch keine wundersamen Geldvermehrungen. Es gibt nur Konsequenzen wirtschaftspolitischer Entscheidungen, wie etwa Massen von billigem Geld zu erzeugen, das überall auf dem Globus herumzieht und verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten sucht. Und da Immobilien vergleichsweise sicher wirken, tatsächlich in der Landschaft stehen und man hofft, dass sie, anders als die heutige virtuelle Blasenwirtschaft X.0 nichtplötzlich massiv an Wert verlieren können und weil Immobilien immerhin überhaupt noch Rendite erwirtschaften, zieht das Kapital dorthin, wo die großen Häuser stehen. Man vertraut damit auch nicht der Innovation, sondern der konservativsten Anlageklasse.

Können Häuserblasen nicht auch platzen?

Das kam schon vor und war einer der Auslöser für die Finanzkrise 2008. Aber das Kapital kann nichts dazulernen, es muss einfach irgendwo hin. Der Allokationsnotstand, der Verwertungsnotstand, der Systemnotstand schlagen jede Vernunft und sorgen zudem bei der Mehrheit der Menschen für Angst und erzeugen die Gefahr der Verdrängung. Angst haben übrigens auch die Kapitalisten, dass ihr wackeliges Modell einstürzen könnte, sonst wären sie nicht so hysterisch, wenn die Politik etwas mehr Mieterschutz organisiert.

Das Kapital reagiert immer gereizt, wenn es irgendwelchen Einschränkungen unterliegen soll.

Im Moment ist da aber seitens der Lobby ein diffamierender Ton drin, der bis zu Nazivergleichen reicht. Immer, wenn sonst nichts mehr zieht, kommt dieser Vergleich. Gelassenes Handling in der Demokratie üblicher Interessenkonflikte sieht anders aus bzw. klingt anders.

Die untere Hälfte hat gar nichts vom Immobilienboom und nur 10 bis 20 Prozent profitieren wirklich.

Auch Eigenheimbesitzer sitzen derzeit zwar auf höheren Werten als vor einigen Jahren, aber was haben sie davon? Sie spekulieren ja nicht mit Häusern, wenn sie nur das Haus haben, in dem sie wohnen. Einmal kommt ihnen derzeit vielleicht der erhöhte Wert doch zugute: Wenn sie ihr Häusle verkaufen und ins Altersheim ziehen, da können sie vom Erlös länger die Kosten tragen. Aber nur, falls ihr Haus nicht in einer Ecke steht, die am Immobilienboom kaum teilnimmt. Aber wenn sie ihr Haus verkaufen, weil sie woanders hinziehen, müssen sie für den Neuerwerb auch entsprechend mehr auslegen als früher. Und die Tendenz besteht, dass Menschen von billigeren Gegenden in teure ziehen, also in die bevorzugten größeren Städte oder deren Speckgürtel.

Es profitierten also Vermieter, Immobilienaktien-Besitzer, Fondsanteil-Eigner und vor allem – Grund- und Häuserspekulanten. Für alle anderen sind die Vermögensgewinne eher gefühlt und sind Buchwerte.

Die unteren 20 Prozent geben 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus.

Die ganz unteren bekommen die Miete vom Staat übernommen, sie macht dann aber über 40 Prozent der gesamten Transferleistungen aus. In Berlin zwischen 50 und 60 Prozent. In Berlin ist aber der Durchschnittswert schon bei 40 Prozent. Ein_e durchschnittliche_r Berliner_in gibt jetzt vier von zehn netto verdienten Euro fürs Wohnen aus. Vor Beginn der Rallye waren es 28 Prozent. Da wird auch massiv Kaufkraft abgezogen, die Probleme in anderen Wirtschaftsbereichen versucht. Auch gesamtökonomisch ist das, was hier abläuft, ein Riesenproblem.

Der Mietendeckel ist also auch Eigennutz der Stadt?

Unbedingt. Denn die Transferleistungen der Stadt an bedürftige Menschen steigen ja auch, wenn die Mieten explodieren. Sie dürften mittlerweile den größten Posten im Sozialhaushalt ausmachen.

„Dieses Auseinanderdriften [der Vermögenswerte, A. d. Verf.] sei auch krasser als anderswo, so Schularick. Schon weil bei uns einfach weniger Leute in den eigenen vier Wänden leben als etwa in den USA – und Eigenheime bei den oberen Zigtausend konzentriert vorkommen. In den Vereinigten Staaten profitiert auch die Mittelschicht stärker von höheren Preisen auf die (eigenen) Häuser, wie Rechnungen von Schularick ergaben“, lesen wir dann.

Die USA sind als Vergleich immer problematisch. Eine andere Zahl: Jüngst habe ich gelesen, 39 Prozent der Amerikaner können nicht mal eine unvorhergesehene 400-Dollar-Ausgabe ohne Probleme stemmen, das sind derzeit ca. 360 Euro. Die Menschen, die jetzt Eigenheime erwerben, tun das nicht aus Rücklagen, sie müssen sich stark verschulden, das darf man bei dieser Berechnung nicht vergessen. Wir haben das oben schon erläutert. Der höhere Eigenheimanteil hat deswegen auch Tücken. Die Amerikaner ziehen bekanntlich auch häufig um und  sehen Häuser eher als Gebrauchsgegenstände denn als Teil ihrer Altersversorgung und als Elemente der Selbstverwirklichung. Wenn diese Gebrauchsgegenstände im Preis stark steigen, steigt auch der Verschuldungsgrad.

Fricke spricht über das Gebrabbel gutsituierter Kommentatoren, hingegen müsse man sich grundlegender mit dem Stopp des Mietenwahnsinns befassen.

Das war’s denn auch und alle Antwortmöglichkeiten bleiben offen. Auch diese Kolumne ist ein Beispiel dafür, wie viel weiter wir in der Diskussion sind, als Zivilgesellschaft. Wir wissen, wo es langgehen muss. Einen Vorteil hat der Artikel aber: Mit grundsätzlich könnte auch ein Stopp der Fehlsteuerung auf EU-Ebene gemeint sein.

Es könnte aber auch ein Nachdenken darüber inkludiert sein, ob Wohnen überhaupt Wahre sein darf. Wir glauben zwar nicht, dass ein SPIEGEL-Kommentator das so grund-grundsätzlich meint, aber immerhin wäre es denkbar und ist besser, als Empfehlungen zu geben, die dann doch wieder durchblicken lassen, dass nichts verstanden wird. Dafür, dass der Beitrag derzeit in den sozialen Medien so viel geteilt wird, ist er nicht gerade bahnbrechend. Immerhin ist es besser, Meinungsmacher schreiben sowas, als wenn sie undifferenzierten Mumpitz wie „bauen, bauen, bauen“ von sich geben.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

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