Es ist Wochenende. Zeit der Kolumnen von jenen Journalist_innen, die in der Woche Wichtigeres zu tun haben. Heute wird zum Beispiel kräftig gegen den Berliner Mietendeckel angeschrieben. Sowohl aus Hamburg (gestern und heute wieder entgegengesetzt vom SPIEGEL) wie auch aus Berlin selbst.
Da wir wieder mehr kommentieren wollen, tun wir das heute zum selben Thema wie gestern. Dabei beschäftigt uns mehr und mehr das Buch über den Mietenwahnsinn. Der Deckel über den Mieten und damit über dem Wahnsinn treibt viele Meinungsmacher_innen um und einige finden ihn ihrerseits wahnsinnig.
Christine Richter, die Chefredakteurin der Berliner Morgenpost, die sicher nicht 2RG nahe steht, hat den Sonntag genutzt, mit dem BER-Fail und nicht ernst gemeinten sozialen Verbesserungen als geschicktem Einstieg, für beides ist die SPD verantwortlich, gegen den Mietendeckel zu schreiben. Der Einstieg ist deshalb geschickt, weil der Mietendeckel mit äußerst misslungenen Vorhaben und äußerst leeren Versprechungen verknüpft wird.
Der Mietendeckel schafft keine neuen Wohnungen. Dieses Argument können wir mittlerweile wirklich nicht mehr ernst nehmen: Niemand behauptet, dass wegen des Mietendeckls der Neubau eingestellt wird, er ist außerdem zeitlich begrenzt – und solange die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten ausschöpft, kann niemand nachweisen, dass der Mietendeckel die Investitionen behindert. Außerdem soll er nicht für den frei finanzierten Neubau gelten, was ja gerade dazu führen müsste, dass nicht mehr so viel am Bestand herumgemurkst (= herausmodernisiert), sondern mehr Neubau in Angriff genommen wird. Zumindest wäre das die Marktlogik.
Wie ist es aber mit der sozialen Gerechtigkeit, auf die CDU-FDP-Wähler_innen immer dann abheben, wenn sie damit den freien Markt propagieren wollen? Klar gibt es Menschen in Berlin, die sich Mieten von 40 oder 50 Euro pro m² leisten können, aber die Bezieher niedriger Einkommen (noch mehr) zu subventionieren (als bisher), anstatt die Mieten zu begrenzen, bedeutet, dass Vermieter sich ihre Mieten künftig vom Staat bezahlen lassen – und das wird bei immer mehr Menschen notwendig werden, wenn die Mieten weiterhin schneller steigen als die Einkommen. Die Anhänger der neoliberalen Wirtschaftsweise wären die ersten, die neue soziale Ungerechtigkeiten beklagen würden: Die Leistungsträger müssen alles selber zahlen, während die Underachiever immer höher subventioniert werden. Die dadurch weiter rasant steigenden Sozialkosten würden die Haushaltskasse massiv belasten, die Schuldenbremse wäre gefährdet, die CDU und die FDP hätten wieder was zum Bemeckern.
In diese Falle will der Senat ausnahmsweise mal nicht tappen und das ist gut so. Denn in Wirklichkeit handelt es sich hier nicht um Marktwirtschaft, sondern die Privaten stoßen sich auf Kosten des Staates gesund, weil die Preisexzesse sozial abgefedert werden müssen. Die Alternative wäre tatsächlich die anhaltende massive Verdrängung, die dazu führt, dass diese Stadt jedwede Individualität verliert – und das sehr schnell, falls die Mieten weiter im bisherigen Tempo steigen, denn die Berliner Einkommen sind nun mal nicht mit denen in London oder New York zu vergleichen.
Witzig finden wir die fast schon an Storytelling grenzenden Einlassungen über die eigene Redaktion, die Frau Richter präsentiert. Selbstredend gibt es auch dort ein Gehaltsgefälle und wir haben die starke Vermutung, dass Frau Richter als Chefredakteurin eine eigenzentrierte Sichtweise hat und es ihr relativ egal ist, ob die weniger gut situierten Kolleg_innen noch in der Stadt wohnen können. Sie muss die Fahrtkosten ins Umland für die Verdrängten, die dadurch auch noch aus ihrem Umfeld gerissen werden, über das sie z. B. als Lokalreporter_innen schreiben sollen, nicht aus der eigenen Tasche oder aus dem Budget der MoPo zahlen. Ist dies eine soziale Einstellung? Wir meinen, eher nicht.
Kostendeckung trotz Mietendeckel. Wir hatten gleich den Verdacht, dass Frau Richter mehr Vermieter_innen als Mieter_innen kennt. Wer bisher nur Mieten in Kostenhöhe nimmt, hätte ja das kapitalistische Prinzip nicht verstanden und das halten wir, bis auf ein paar Ausnahmen, die meist auch pressenotorisch werden – zum Beispiel, weil die Finanzämter dann „Liebhaberei“ vermuten und Instandhaltungskosten-Absetzung verweigern – für ein Gerücht. Wir kennen eher Fälle, in denen die Vermieter_innen bis zum 17.06. noch schnell versucht haben, die Mieten anzuheben, oft zu einem unzulässigen Zeitpunkt, weil die letzte Mieterhöhung noch nicht lange genug zurückliegt – was auch bedeutet, dass bisher die Mieten ebenfalls erhöht wurden und man das nicht einfach vergessen hat.
Die meisten schicken Altbauten, mit denen der Mietspiegel hochgetrieben wurde, sind außerdem in den letzten Jahren so saniert worden, dass kein größerer Investitionsbedarf besteht. Frau Richter argumentiert für Bruchbuden, die von ihren Eigentümern sträflich vernachlässigt wurden, nicht für normale Häuser mit alltäglichen Kleinreparaturen. Diese Kleinreparaturen, Achtung, Frau Richter, ein wenig Wirtschaftskunde, wir haben es oben schon angedeutet, die man steuerlich absetzen kann, weil sie zur Instandhaltung zählen. Wenn die Preise dafür steigen, steigt auch der Absetzungsbetrag. Sogar viele Kosten, die der Modernisierung dienen, können abgesetzt werden, sofern sie den Wert eines Gebäudes nicht erheblich steigern.
Im Großen ist mittlerweile in den meisten Quartieren und Gebäuden ein Standard erreicht, der innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht noch einmal angehoben werden muss. Bezeichnenderweise wehren sich Mieter_innen gegen unsinnige Luxussanierungen eher, als dass sie darüber begeistert sind, dass sie den Vermieter_innen alle Aufwertungen bezahlen und längerfristig sogar mehr als das.
Außerdem, der Clou für Vermieter_innen: Bestimmte Modernisierungen sollen ja weiterhin Mieterhöhungen erlauben, auch wenn diese Maßnahmen genehmigt werden müssen. Wir halten diesen Ansatz übrigens für falsch, weil er wieder diejenigen Mieter_innen in Stress bringt, die bisher noch recht günstig wohnen und diejenigen privilegiert, die keine Mühe hatten, zuletzt für 15 oder 20 Euro pro m² anzumieten, also ab Vertragsschluss vollsaniert wohnen. Wenn es eine soziale Ungerechtigkeit gibt, dann wieder zulasten der Ärmeren. Wir würden es hingegen hinnehmen, dass auch die hohen Mieten aus Verträgen, die in letzter Zeit geschlossen werden, mit den niedrigeren zusammen begrenzt werden und uns nicht darüber sorgen, ob Menschen, die nun 20 Euro pro m² zahlen, auch 25 zahlen würden, wenn es denn den Mietendeckel nicht gäbe.
Und wer soll das alles überwachen? Einen generellen Mietendeckel zu überwachen, ist nun wirklich nicht so aufwendig wie die Beachtung von tausend Sonderregelungen, zu denen allerdings auch genehmigungsbedürftige Modernisierungen zählen. Was Frau Richter vollkommen außer Acht lässt: Modernisierungen, die Mieterhöhungen nach sich ziehen, solche gemäß § 558-559 BGB, müssen im Milieuschutz bisher auch genehmigt werden. Dieses Verfahren auf die gesamte Stadt zu übertragen, ist keine Zauberei.
Warum haben die Genossenschaften so vehement gegen den Mietendeckel protestiert? Die Vehemenz können wir uns nur damit erklären, dass sie sich zuletzt häufig übergangen, zu wenig beachtet und unterstützt fühlten, nicht mit dem Mietendeckel selbst. Wir wissen aus Erzählungen von Genoss_innen, dass der Stadtbausenat sich gegenüber Belangen der Genossenschaften nicht gerade aufgeschlossen gezeigt hat und sie beklagen sich darüber, dass sie nicht genug bauen können. Aber gerade deshalb ist ihr Argument sehr durchsichtig, denn sie sitzen, wenn sie gut gewirtschaftet haben, auf erheblichen Reserven, die sie in den fünf gedeckelten Jahren ganz gewiss nicht aufbrauchen werden; die sich vermutlich nicht einmal vermindern werden.
Und sie erhöhen die Mieten nach dem, was wir mitbekommen, sehr moderat – was aber wiederum darauf hinweist, dass der Mietendeckel sie nicht tödlich treffen wird. Sie haben weitere Möglichkeiten: Erstens die Rückzahlungen verringern, die sie jährlich an die Mieter_innen-Genoss_innen auskehren. Das kommt nämlich bei Genossenschaften gar nicht selten vor. Zweitens: Die Satzungen erlauben in der Regel, dass für Sonderreparaturen gesonderte Beiträge von den Genoss_innen erhoben werden, wenn die angesammelten Instandhaltungsrücklagen nicht ausreichen. Diese Beiträge gelten nicht als Mieterhöhungen und sind weiterhin zulässig.
In Berlin regiert also nicht der Wahnsinn, aber es ist Wahnsinn, wie wenig elaboriert manche Journalisten mit dem Thema umgehen und dadurch die Spaltung schüren, die sie so scheinheilig beklagen.
Aber warum dann diese ganzseitigen Artikel, die der MoPo viele Einnahmen bringen?
Wären wir Genoss_innen, würden wir unseren Vorstand fragen, was uns die Großanzeigen persönlich gekostet haben und uns darüber streiten, ob wir diesen falschen Lobbyismus bezahlen müssen. Auch Genossenschaftsvorstände sind oft recht machtbewusst – und sie fühlen sich durch den Senat schlicht in ihrer Autonomie beeinträchtigt. Wie der Senat mit ihnen umgeht, wurde schon häufiger aus anderen Gründen kritisiert. Zu Recht teilweise, aber das, was jetzt läuft, sieht nach Revanchefoul aus, ausgeübt unter anderem, weil man mit den Genossenschaften nach deren Ansicht ihre Meinung nicht hinreichend gehört hat, als es um die Konstruktion des Mietendeckels ging. Es gibt Kommunikationsprobleme, für die 2RG senatsseitig verantwortlich ist, keine Frage.
Aber wir sind uns ziemlich sicher, dass wegen des Mietendeckels keine Genossenschaft fallieren wird. Das gilt übrigens auch für junge Genossenschaften, kleine Genossenschaften, für Dachgenossenschaften und selbstverwaltete Wohnformen.
Hier noch ein weiterer Artikel der Berliner Morgenpost, ein Gastbeitrag des Historikers Hubertus Knabe:
Wir empfehlen, die Darstellung der historischen Wohnsituation in der DDR zu lesen. Wir haben nur in einem Tweet kurz geantwortet. Wir konnten nicht überprüfen, ob die in dem Beitrag gemachten Angaben zu dieser Situation stimmen, aber es war leicht, eine Gegenüberstellung mit der heutigen Lage in Berlin vorzunehmen. Und diese ist ziemlich entlarvend.
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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