Vor zwei Tagen hat die Berliner Zeitung gemeldet, 63 Prozent der Bundesbürger halten Enteignungen nicht für ein geeignetes Mittel, um neuen Wohnraum zu schaffen. Diese Umfrage wurde vom ZIA, der gerade Gastgeber des Lobbykongresses „TDImmo19“ in Berlin war, in Auftrag gegeben und lief über das Umfrageinstitut Civey.
Wir orientieren uns bei der Bewertung der allgemeinen politischen Stimmungslage auch an Civey, unter anderem, weil man jederzeit den aktuellen Stand abrufen kann. Aber ist deshalb die Umfrage, um die es hier geht, ein Gradmesser für die Bewertung von Meinungen im Spannungsfeld von Enteignung, Neubau, Renditen im Bestand und der Sozialen Stadt? Wir schauen etwas näher hin.
1.) Die Fragestellung
Jeder, der sich mit dem Thema befasst, weiß, dass die Enteignung nicht Neubau schaffen, sondern die Preistreiberei der privaten Immobilienwirtschaft beim Bestand beenden soll. Neubau hingegen wird gleichzeitig und unabhängig davon geschaffen und nach unserer Ansicht noch viel zu wenig unter der Ägide der Öffentlichen Hand.
Jedenfalls aber wird derzeit gebaut, was die Kapazitäten der Bauwirtschaft in Berlin hergeben. Es ist hingegen logisch, wenn viele Umfrageteilnehmer*innen der Manipulation auf den Leim gehen, dass Enteignung keine Wohnungen schafft, wenn Begriffspaare miteinander verknüpft werden, die man nicht einander gegenüberstellen kann. Berühmtestes Beispiel einer solchen Manipulationskampagne in der Nachkriegsgeschichte ist vermutlich „Freiheit statt Sozialismus“, denn es handelt sich hier nicht um ein Gegensatzpaar. Hätte aber beinahe zu einer CDU-Alleinregierung geführt. Heute könnte man mit mehr Berechtigung „Freiheit statt Renditetreiberei“ oder schlicht „Freiheit statt Kapitalismus“ texten und der Zusammenhang wäre viel eindeutiger als der zwischen dem Neubau und der Enteignung von Großwohnkonzernen mit zu viel Marktmacht, die sich ihre Mietenspiegel selber machen und dann noch gegen sie klagen.
2.) Die Region
Bei Civey kann jeder mitmachen, und zwar aktiv, von sich aus. Civey-Umfragen sind keine Telefonbefragungen, wie bei den „klassischen“ Instituten. Wir haben in einem anderem Zusammenhang schon geschrieben, dass es nicht entscheidend ist, ob irgendwo im ländlichen Raum die Menschen für oder gegen Enteignung sind, wenn dort überhaupt keine Knappheit an bezahlbarem Wohnraum herrscht oder wenn der Anteil an Eigenheimen bei 60 oder 70 Prozent liegt. Was zählt, ist, was die die Berliner*innen denken, denn hier gibt es die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ und bisher sonst nirgends. Diese Unterscheidung wurde aber in der Umfrage nicht gemacht. Hätte man dies getan, wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen.
3.) Die Umfragemethodik
Wir schätzen Civey bei Großumfragen wie der permanent laufenden „Sonntagsfrage Bund“ sehr, weil aus vieljähriger Auswertung von Millionen von Datensätzen die Algorithmen mit Sicherheit sehr ausgefeilt sind, mit denen Rohdaten auf repräsentative Daten umgerechnet werden.
Zur Erklärung: Infratest, Forsa und die anderen traditionellen Meinungsforschungsinstitute behaupten, schon tausend oder zweitausend Anrufe bei ausgewählten Bürger*innen würden ausreichen, um ein repräsentatives Meinungsbild zu einer Frage zu erstellen. Das sei deshalb der Fall, weil die Angerufenen repräsentativ ausgewählt würden. Wir diskutieren hier nicht, ob das stimmen kann, aber bei Civey ist es anders und bei dieser abweichenden Methode sind 2.500 Antworten für Sonderthemen-Umfragen wie dieser sehr wenig. Meist kommen über 10.000 Votes zustande, dann gilt die Umfragequalität erst als „hoch“. Civey weist die Umfragequalität auf seinen Schaubildern aus.
Wir halten es schlicht für unmöglich, bei nur 2.500 abgegebenen Stimmen zu einem neuen Thema bzw. einer so bisher noch nie erfolgten Fragestellung die Rohdaten so mit einem Algorithmus abzugleichen, dass daraus repräsentative Daten werden. Bei den oben erwähnten Großumfragen ist das möglich, weil man aus Erfahrung, durch den Abgleich sehr vieler Datensätze, weiß, dass z. B. Wähler*innen kleinerer Parteien häufiger votieren, also aktiver bei diesen frei zugänglichen Umfragen zugange sind. Besonders AfD-Anhänger*innen rechnet man das zu, weil sie, ausgestattet mit einem gewissen Fanatismus, ihre Partei damit nach oben treiben wollen.
Ähnliches darf man bei einer Umfrage vermuten, die von einem Lobbyverband der Immoblienindustrie in Auftrag gegeben wurde und die deren Mitgliedern ganz sicher, der Allgemeinbevölkerung aber wenig bekannt ist. Nur hat Civey in diesem Fall nicht die Möglichkeit, anhand von Erfahrungswerten Rohdaten sinnvoll in repräsentative Daten umzuwandeln.
4.) Was der ZIA erreichen will
Wenn doch eine Mehrheit dagegen ist, was wollen dann die Linkschaoten in Berlin mit Enteignungen? Hier wird mit Umfragen nicht die Stimmung am richtigen Ort wiedergegeben, sondern versucht, mit Umfragen, die wenig Aussagekraft haben, allgemein Stimmung zu machen.
Alles, was wir geschrieben haben, gilt auch für die Umfrage zum Mietendeckel, bis auf 1.) Führt der Mietendeckel zu weniger Investitionen müsste ausdifferenzier werden: Führt er zu weniger privaten Investoren?
Unsere Antwort: Offen, denn bisher gibt es eindeutig einen Interssentenüberhang bei den Projekten, das wäre wohl anders, wenn die Immobilienblase platzen würde, und dazu könnte der Mietendeckel durchaus beitragen. In Berlin wollen aber derzeit viel mehr Investoren bauen, als Grund und Boden dafür vorhanden ist und Genehmigungen erteilt werden (können). Letzteres behaupt die Immobilienwirtschaft selbst.
Führt der Deckel zu weniger von jenen öffentlichen Investitionen, die wir bevorzugen würden? Nein, im Gegenteil. Denn soziales Bauen wird attraktiver, wenn Grundstücke nicht zu Spekulationspreisen gehandelt werden. Sollte also der Mietendeckel und sollte die Enteignung tatsächlich die Preise nach unten bewegen, wäre das ein Gewinn für alle, die tatsächlich genau das wollen, was die Konservativ-Liberalen doch so vehement fordern: zu günstigen Preisen bauen. Denn die Bodenpreise sind mittlerweile das Problem, nicht die Baukosten.
5.) Ein Beleg für die Richtigkeit einiger unserer obigen Annahmen
Wir erinnern jetzt an eine Umfrage, die der Tagesspiegel, ebenfalls bei Civey, in Auftrag gegeben hat. Sie stammt aus dem Januar 2019 und weist ein ganz anderes Bild zur Enteignung aus. Entscheidender Unterschied: Es wurden nur Menschen aus Berlin gefragt. Damals waren 54,8 Prozent der abstimmenden Berliner*innen für die Enteignung. Das Ergebnis dieser Umfrage ist nach Parteianhänger*innen aufgeschlüsselt, ebenfalls gefiltert wurde nach Einkommen. Selbst bei Menschen der höchsten Einkommensklasse kam es damals zu einer (relativen) Mehrheit für Enteignungen und lediglich Anhänger der FDP, der CDU und der AfD (knapp) in Berlin waren mehrheitlich gegen eine Enteignung nach dem beschriebenen Muster.
Anhänger*innen von 2RG hingegen zu 68 (Grüne) bis 82 Prozent (DIE LINKE) dafür. Die Frage ging von klaren Prämissen aus, nämlich dem Ziel der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. Es ging (und geht) nur um allzu marktmächtige Großunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen, die sich zudem in Großwohnanlagen ballen – und die zweite Bedingung war: Eine Entschädigung wird gezahlt.
Welche Umfrage stimmt also nun dort, wo sie relevant ist, nämlich in Berlin, welche wirkt seriöser, obwohl beide Male dasselbe Institut beauftragt wurde? Wenn der ZIA sich auf die schwammmige und mit falscher Fragestellung auf den Weg gebrachte Umfrage dieses Monats bezieht, dann halten wir dagegen und stützen uns auf eine wesentlich elaborierter wirkende Umfrage vom Januar. Es könnte sein, dass der Mietendeckel das Bild leicht verändert hat, das war ja auch von der SPD so gewünscht, die ihn erfand. Aber wir sind ziemlich sicher, dass es in Berlin weiterhin eine Mehrheit pro Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. gibt.
TH
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
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