Der Mann aus Zimmer 22 – Tatort 46 / Crimetime 374 // #Tatort #WDR #Essen #Haferkamp #Zimmer

Crimetime 374 -  Titelfoto © WDR

3/22 in Essen

„Der Mann aus Zimmer 22“ ist der dritte von 22 Haferkamp-Tatorten. 22 Filme waren für die Verhältnisse der 1970er sehr viel und Haferkamp ist eine Legende, neben Finke, der für den NDR in Kiel ermittelt hat, vielleicht der profilierteste und prägendste Ermittler im ersten Jahrzehnt jener unvergleichlichen Krimi-Reihe, die 2020 ihren 50. Geburtstag feiern wird. Nicht alle Filme mit dem ernsteren Nachfolger des Zollfahnders Kressin aber gelten als herausragend – wie wir „Der Mann aus Zimmer 22“ einschätzen, steht in der -> Rezension.

Handlung

Eine junge Frau wird in einem Hotelzimmer ermordet. Schon bald verhaftet die Polizei einen Kellner, doch Haferkamp bezweifelt die Schuld des jungen Mannes. Zu Recht, wie es scheint, denn ein zweiter Mord, ähnlich dem ersten, geschieht.

Haferkamp hat alle Hotelgäste überprüfen lassen, auch Oberstudinrat Maurer, der sich gegenüber dem Mordzimmer mit seiner Geliebten Ursula Danz, der Frau eines Kollegen, zu einem Schäferstündchen getroffen hatte. Maurer will nichts bemerkt haben.

Rezension

Anni: Sagt der Haferkamp „blöder Hund“, als dieser Kellner gefasst wird, der die Uhr des Opfers verscherbelt hat. Wahrscheinlich, weil der Film beinahe zu Ende gewesen wäre, wenn der Zimmerkellner sie wirklich um die Ecke gebracht hatte. Und das nach etwa 50 Minuten.

Tom: Ja, hätte den Film kaputt gemacht – wenn der Zuschauer es nicht besser gewusst hätte, denn das ist ja ein „Howcatchem“, bei dem man den Mörder gleich kennt. Ungewöhnlicherweise hat man diese Art des Plots aber nicht genutzt, um den Mörder so richtig gut zu charakterisieren, sondern konzentriert sich auf das Schicksal des Zeugen von nebenan, also von Zimmer 21. Das hat mich schon gewundert.

Anni: Vielleicht hatten sie damals noch keine Ahnung, wie psychisch kranke Mörder so richtig ticken … ich meine, sie ticken ja nicht richtig, aber halt – wie es kommt, dass sie jahrelang unauffällig sind und dann anfangen, innerhalb von ein paar Tagen eine Frau nach der anderen umzubringen. Das ist doch eh unrealistisch, oder?

Tom: Auf jeden Fall. So kurz hintereinander morden Triebtäter nicht, die bisher nie getötet haben, zumindest nicht, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten – und die sehe ich iher nicht; und aus der Akte von diesem Peter-Lorre-Gedächtnistyp, die Haferkamp & seine Crew natürlich, schwups, aus dem nächstgelegenen Schrank ziehen, nachdem der Zeuge, der Lehrer, ihn ganz schnell identifiziert hat …

Anni: Schwups!

Tom: … geht ja hervor, dass er zwar in einer geschlossenen Einrichtung war, vorher schon auffällig war, aber eben noch niemanden umgebracht hat. Das würde im Umkehrschluss ja auch bedeuten, dass der Mann erst in der Anstalt so richtig scharf gemacht wurde.

Anni: Welch ein Gedanke. So hab ich’s noch gar nicht gesehen. Aber sie hätten den Film auch nicht in weniger als 80 Minuten fertiggekriegt, wenn zwischen den Morden immer Monate gelegen hätten.

Tom: Da wird im Film immer beschleunigt, weil sich sonst die Handlung zu lang dehnen würde – aber das kann man besser machen. Und vor allem, es gibt so gute Vorlagen für solche Mörder, also, dass man damals noch nicht wusste, wie man sie darstellen soll … Nee. „M“, mit dem erwähnten Peter Lorre oder, bloß zwei Jahre vor diesem Tatort, Hitchocks „Frenzy“. Das war ein fantastischer Krawattenmörder, zu dem konnte man richtig Gefühle entwickeln …

Anni: Muss ich jetzt Angst kriegen? Nein, schon klar. Aber das war im Tatort sicher eine der ersten Darstellungen dieser Art, an das schwierige Ding mit den Triebtätern hat man sich wohl vorsichtig herangetastet und ist dadurch einigermaßen auf sicherem Terrain geblieben. Und Kindermörder-Triebtäter gab es schon gar nicht. Vielleicht, weil man dachte, bloß keine schlafenden Hunde oder tickenden Psychopathen-Zeitbomben wecken.

Tom: Darüber lag gewiss in den 1970ern noch ein Tabu, Kinderleichen im Wald und was es heute alles gibt, no way. Aber es gab schon erste Ansätze, zum Beispiel im allerersten Bayern-Tatort „Münchner Kindl“ gab es schon Ansätze, da ging es aber noch um eine Kindesentführung.

Anni: Haferkamp ermittelt aber sehr knackig weiter, oder? Und dann dieses Ding mit dem falschen Mord. Also, bei dem musstest du aufpassen, der hatte fiese Tricks drauf. Kein Wunder, dass er nach 80 Minuten den Täter hat, bei den Methoden.

Tom: Nicht korrekt, wie wir, aber effizient. Aber er hat dieses Mal keinen Täter bzw. Verdächtigen gelinkt, sondern eine Zeugin, um Druck aufzubauen und sie zur Aussage zu bewegen. Und das ist verwertungstechnisch etwas anderes, als wenn er ein Geständnis mit einem solchen Trick erwirkt hätte, das hatte er mal in „Schussfahrt“ getan, wenn ich mich recht erinnere. Sowas kommt immer dann zum Einsatz, wenn die Handlung feststeckt und der Drehbuchautor kurz davor ist, aus Verzweiflung vom ersten Stock in den Garten zu springen. Ein früher Optimierer unter den Kommissaren, ziemlich ruppig auch im Ton, und dann wieder sentimental.

Anni: Dieses Mal hört er aber keinen Jazz von vor 1930, damit die Ohren der Zuschauer nicht zu sehr strapaziert werden … sondern Frank Sinatra. Da kann ich mitgehen.

Tom: So ein sentimentaler Hund. Ruppig und sentimental, das passt sogar ganz gut, ich finde die Figur auch dieses Mal wieder spannend und dynamisch. Anders als den Fall selbst, trotz der vielen Beschleunigungsmethoden, die sie darin angewendet haben. Offenbar haben sie schon mal Lehrer geht fremd für „Reifezeugnis“ geübt. Wenn auch viel simpler, psychologisch.

Anni: Und die Frau des Fremdgeher-Paares ist die Mutter von Moritz Bleibtreu. Da wundert mich nichts mehr. Nein, ich weiß, nur eine Rolle von Monica Bleibtreu. Interessanter Typ übrigens.

Tom: Wenn du es sagst. Modern, für die damalige Zeit, das auf jeden Fall. Ganz im Gegensatz zum Lehrer-Ehepaar. Er ist mit ihr in eine Riesenvilla eingezwängt, die sie geerbt hat, und darin ist das Leben kälter als der Tod. Brrr … und Kinder haben die Lehrerpaare auch nicht, beide. War übrigens in „Reifezeugnis“ auch so. Lehrer und Kinder, das geht offenbar nicht, im Tatort.

Anni: Da merkst du schon, dass man sich auf die heutige allgemeine Kinderlosigkeit eingestellt hat. Da haben die Filmemacher gar nichts bei gefunden, dass ausgerechnet Pädagogen keine eigenen kleinen Menschen zum Trainieren von Erziehungsrealismus hatten. Aber warum hat Haferkamp den Fremdgeher-Lehrer eigentlich besucht. Ich meine, er ahnte doch damals noch nicht, dass er der Zeuge ist.

Tom: Haferkamp ist ein kriminalistischer Wünschelrutengänger, und wenn er nicht auf die komische Idee gekommen wäre, mal den Kollegen von dem Mann von der Frau zu befragen, die er im Hotel getroffen hat, wo wäre dann überhaupt Spannung gewesen? Die entsteht ja mehr daraus, wie der Rektor-Fremdgeher aus der Kiste rauskommt als aus dem durch die Gegend schleichenden Mörder mit der Puppe.

Anni: Chucky, die Mörderpuppe, hihi. Er vergewaltigt die Frauen offenbar vorher nicht, ist also kein Sexualmörder. Das macht diesen kleinen, immer schwitzenden und irre umherguckenden Menschen ja noch mehr zu einer traurigen und vernachlässigten Figur. Es ist alles so sinnlos. Ich will damit nicht sagen, dass es sinnvolle Morde gibt …

Tom: Auch wenn ich nicht gerade diese Scheiß-Grippe hätte und dadurch melancholischer wäre als sonst – ich weiß, was du meinst. Dieser Tatort ist eben auch in der Hinsicht typisch 1970er. Ziemlich kühl, trotz Haferkamps Besuch bei der Ex mit Sinatra-Song spielen, trotz der Bettszene am Anfang, in der man merkt, dass der Lehrer und die Lehrersfrau nicht nur auf Sex aus sind, sondern was suchen, was ihnen ihre Ehen wohl nicht bieten. Aber das ja auch Ausdruck eines Mangels in der eigentlichen Beziehung.

Anni: Und mindestens er hat ja auch zuhause keinen Sex, damit motivmäßig alles ganz klar ist. Bei ihm wenigstens. Ist das jetzt die soziale Aussage des Films? Dass man keine Villen-Erbin heiraten soll und diese einseitigen Geldverhältnisse zu gar nichts anderem führen können, als sich die Gefühle aushäusig zu besorgen?

Tom: Als Rektor, also wohl  Studiendirektor oder Oberstudiendirektor, verdient er ja wohl genug, um nicht zu hungern. Aber sicher ist da so eine Aussage über den Wohlstand und die seelische Entfremdung drin.

Anni: Und Haferkamp sagt, die Frau des Lehrers, die passt zur Villa, er nicht. Krass. Er hat sofort gewusst, sie hat das Geld, er nicht. Mann, waren die Leute damals schlau.

Tom: Damals waren die Verhältnisse wohl eindeutiger als heute. Und die Deutungshoheit von Polizisten und überhaupt deutlich größer. Kaum hat man jemanden zum ersten Mal gesehen, da hatte man schon eine komplette Bewertung über ihn parat.

Anni: Haferkamps Welt war noch voller Schubladen mit ner gewissen Ordnung drin.

Tom: Im Gegensatz zu unseren Schubladen, die von dir gemanagt werden. Stimmt, es hat sich viel verändert.

Anni: Ich bilde mir halt nicht ein, die Welt durch Kästchenverwaltung erfassen zu können. Aber ich geb dem Tatort 7,5/10. Ich fand ihn spannend, die gewissen Seltsamkeiten, die du gerne als Logikfehler bezeichnest, haben mir nicht so viel ausgemacht. Und sie haben Cognac getrunken oder andere Spirituosen getrunken, wenn sie Stress hatten, und nicht Yoga gemacht, was ja viel mehr Zeit kostet.

Tom: Und lange, dünne Zigarren im Dienst geraucht. So viel zu unserer heutigen, viel größeren No-Go-Area im Vergleich zu ein paar Themen, die damals nicht gingen, wie den Kindermördern. Also, mehr als 6/10 sind bei mir nicht drin. Nicht nur einige Plot-Schwierigkeiten beeinflussen meine Wertung, ich nenne sie manchmal Logik-Löcher, auch die holzschnittartige Figurenzeichnung war mir etwas zu wenig des Guten. Da spielt auch der Vergleich mit anderen, wesentlich fetteren Haferkamp-Filmen rein. Mein Favorit ist immer noch „Rechnung mit einer Unbekannten.“ Da waren die Figuren toll herausgearbeitet.

Anni: Das hatten wir noch nicht, dass wir bei X,75 herauskamen.

Tom: Wird abgerundet.

Anni: Ist klar. Machen wir genauso, wenn du die höhere Wertung vergibst.

6,5/10

© 2019, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kommissar Haferkamp – Hansjörg Felmy
Ingrid Haferkamp – Karin Eickelbaum
Anna Maurer – Eva-Maria Meineke
Kaslik – Ulrich von Dobschütz
Ursula Danz – Monica Bleibtreu
Walter Maurer – Alexander Kerst
Elmar Holz – Ulli Lommel
Helga – Marie-Louise Marjan
Gastkommissar Böck – Hans Häckermann
Oberstaatsanwalt – Kurt Zips
Scheffner – Bernd Schäfer

Drehbuch – Oliver Storz
Regie – Heinz Schirk
Musik – Klaus Doldinger


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