Nachtdienst – Polizeiruf 110 Fall 363 / Crimetime 384 // #Polizeiruf #Polizeiruf110 #München #BR #vonMeuffels #Brandt #Pflegeheim

Crimtetime 384 - Titelfoto © BR / die film gmbh, Hendrik Heiden

23 auf einen Schlag

Es sind die Spätwirkungen. Matthias Brandt wird nun die Rolle als Kommissar Hans von Meuffels abgeben. Dass er das nicht schon getan hat, nachdem er in „Nachtdienst“ 23 Todesfälle mehr oder weniger provoziert hat oder an ihnen doch nicht ganz unschuldig war, ist ein Wunder an Durchhaltevermögen und innerer Stärke. Aber irgendwann wird es zu viel, wie auch das Leben an sich den alten Menschen doch irgendwann zu viel wird, weil sie es in einer  Verwahranstalt verbringen, anstatt in Würde. Dank einer Generation von altenfeindlichen, egozentrischen Mistkröten, die sie selbst aufgezogen haben und dann kriegen die Opas und Omas einen Vermerk: Bei Versterben in der Nacht die Verwandten bitten nicht stören, tot ist halt tot. Es kommt alles zurück, auch wenn es da eine Ungerechtigkeit gibt: Es geht nicht gegen die jetzige Elterngeneration, sondern eben gegen die Großeltern. Gehen wir nochmal etwas tiefer in die Analyse: Wo hat es denn angefangen? Von nichts kommt nichts. Und es muss sich doch dringend etwas ändern. Vor allem mit uns. Mehr Eindrücke aus dem Anschauen von „Nachtdienst“ stehen in der -> Rezension.

Handlung

Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels zieht es in den wohlverdienten Feierabend. Da taucht die sehr verwirrte 80-jährige Elisabeth Strauß im Kommissariat auf und berichtet von einem Mord, den sie angeblich beobachtet hat.

Hanns von Meuffels nimmt die Ermittlungen auf, die ihn in ein Münchner Altenheim mit überforderten Pflegern und vielen betreuungsintensiven Patienten führen. Die Suche nach der Wahrheit erweist sich für Meuffels als sehr schwieriges Unterfangen. Es ist der Beginn einer Nacht, die er so schnell nicht mehr vergessen wird.

Rezension

Hans von Meuffels, dargestellt von Matthias Brandt,„der der zwischen Zorn, Ironie, Penetranz & mit einem gewissen Charme den Pflegenotstand quasi im Vorbeigehen aufdeckt“, sei der einzige Kommissar, dem man das so abnimmt, schreibt der Kritiker Rainer Tittelbach. Das dachten wir bein Anschauen auch, als wir die Riege durchgingen. Die anderen, alle Tatortkommissare inbegriffen, sind zu kantig oder nicht seriös genug; auf eine etwas andere Art ausgespielt könnten es die Kölner vielleicht, vor allem Freddy Schenk, der schon undercover als Krankenpfleger gearbeitet hat. Ulrich Tukur (Rolle Felix Murot) vielleicht, obwohl er einen Tick zu pfiffig wirkt. Aber sonst fällt uns auch niemand ein, der so gut als Beobachter eingesetzt werden könnte. Mit ihm geht die Kamera leichthändig, vorsichtig, aber immer mit klarer Tatbestandserfassung durch das Pflegeheim (es ist kein Altenheim im Sinne dessen, was man heute Seniorenresidenz nennt, sondern eine Anstalt, in der Menschen untergebracht sind, die der Intensivpflege bedürfen).

„Nachtdienst“ ist ein stiller, gewaltiger Film, er tickt leise und explodiert in einem Moment und am Ende kommt es zu einer Tötungsserie, die vermutlich den höchsten Bodycount aller bisherigen Polizeirufe hervorbringt. Das hatte von Meuffels nicht vorausgesehen, als er dem früheren Kollegen mitteilt, eine Pressekonferenz über die Aufklärung des ursprünglichen Tötungsdelikts sei wohl nicht der Ort, um Beschwerden über den Pflegenotstand zu platzieren. Kein Wunder, dass ihm kurz darauf sein gealtertes alter Ego „Arschloch!“ zuruft und davonschlurft. Vielleicht auch deswegen, weil er einfach nicht aufgibt, allen auf die Nerven geht und immer weiter zwischen den alten Menschen und ihren überlasteten Helfer_innen ermittelt – und die Katastrophe heraufbeschwört.

Zumal ihm seine Erkenntnis über die Täterin nicht so viel bringt, die Frau hat in Notwehr gehandelt. Wir hatten das kürzlich schon im hoch eingeschätzten Stuttgart-Tatort „Anne und der Tod“, in dem die mobile Pflege ähnlich intensiv ausgeleuchtet wird wie hier die stationäre Variante: Ein alter Mann kann sich zwar kaum noch aufrecht halten, aber um Frauen zu belästigen, reicht die Energie noch. Im Tatort nimmt die Sache eine überraschende Wendung. Die Frau stellt sich gegen Geld nackt aus.

Komplett kurios allerdings und nicht mit der Verdichtung und Stilisierung zu entschuldigen, von denen dieser Film mit seinem dicken Ende geprägt ist: Dass der Herr Urban auch noch eine Videokamera am Kopf hat und alles filmt, was er tut. Klar, von Meuffels hätte bis zum Sankt- Nimmerleins-Tag ermitteln können, wäre dieser Anstoß nicht gekommen, der das Wesen des Patienten offenbart, der auch auf DVD überspielte Sado-Maso-Sexfilme aus den 1970ern goutiert. Da wird der Film dann doch etwas plump, im Grunde ebenso bei den Waffen des Herrn Grübner. Niemals darf ein Patient in einem solchen Pflegeheim, in dem die Sicherheit ja auch eine Rolle spielt, alte Waffenbestände behalten, auch wenn viele Erinnerungen daran hängen mögen, wie bei dem Ex-SEK-Mann, der geistig viel klarer ist als die Mit-Leidensgenoss*innen.

Direkt nach dem Anschauen des Films dachten wir, da hat man, um den Pflegenotstand möglichst drastisch darzustellen, doch zu sehr in die Grütze gehauen, die Einzelschicksale, die so großartig gezeichnet werden, gehen unter im Blutrausch der letzten Minuten. Das war nicht nötig, wir haben auch so verstanden. Als nächstes vielleicht ein Film über einen gedemütigten Hartz IV-Bezieher, der das Jobcenter per Massentötung leert. Undenkbar ist das nicht, wenn man sieht, wohin die Tendenz in den Premium-Fernsehkrimis geht. Undenkbar ist es auch nicht, dass jemand in der Realität auf diese Weise die Verhältnisse anprangern will. Jemand, der gar nicht durchdreht, also nicht Amok läuft, nicht in einem psychischen Ausnahmezustand massakriert, im Sinne amerikanischer Schultragödien, sondern sich genau ausdenkt, was er mit seiner Tat oder Tatserie erreichen will. In gestreckter Version haben wir das ja auch immer wieder bei den Fernseh- oder Film-Serienmördern, die Zeichen setzen, auf welche die Außenwelt aufmerksam werden soll. Es fing wohl mit Steven King an. Freilich gibt es hier doch einen Kurzschlusseffekt. Grübener hatte diese Tat nicht vor, erst die Konfrontation mit dem noch aktiven Kollegen, der offenbar nur seinem Dienstinteresse nachgeht, löst den Massenmord aus.

Beeindruckend ist, wie die Darsteller_innen der alten Menschen ihre Rollen spielen. Selbstredend sind sie nicht dement oder so hinfällig, wie einige gezeigt werden, das wäre ja grausam und außerdem könnten sie dann einem Drehbuch nicht konzentriert folgen, aber gerade die zentrale Figur Elisabeth Schwarz wird von der damals 79jährigen Elisabeth Strauß so wundervoll und anrührend verkörpert und zeigt alle Erscheinungsformen der Demenz, die sich in unterschiedlcher Abbildung von Erinnerungen aus verschiedenen Lebensphasen ausdrücken. Und dann schafft sie das Stück nicht mehr, das sie am Klavier spielen will und von Meuffels hilft ihr aus und die beiden reden über Theolonius Monk – das ist auch beim Schreiben noch anrührend, unabhängig davon, ob die Kommunikation zwischen den Generationen noch symmetrisch sein kann. Die Filmtochter von Frau Schwarz wird von Elisabeth Schwarz‘ tatsächlicher Tochter Therese Hämer gespielt, die wie meistens auch hier seltsam lückenhafte Besetzungsangabe der ARD unterschlägt das.

Allerdings erwächst aus diesem doch sehr intensiven und positiven Mutter-Tochter-Verhältnis eine weitere Frage: Grübner empfiehlt dem Kollegen von Meuffels, fürs Alter gut vorzusorgen, damit er sich was Besseres als diese Verwahranstalt leisten kann. Der Pflegenotstand ist evident, aber vielleicht ist dieses Heim gar nicht schlechter als andere. Da aber Mutter und Tochter Strauß als recht wohlhabend dargestellt werden, hätten sie ja tatsächlich etwas anderes organisieren können.

Das radikale Ende hingegen macht es dann doch unmöglich, dass von Meuffels nochmal eine Schippe drauflegen kann – noch erschütterter, geschaffter, Schatten in einer Schattenwelt, kann man kaum noch sein, daran ändert auch der furchtbare Tod von 23 Menschen nichts, da bleibt man in dem Tunnel, in den man sowieso im Laufe einer Nachtschicht geraten ist.

Finale

Wir konnten nach dem Film nicht recht schlafen, wir schoben es darauf, dass zwei Tage nach dem letzten heftigen Gewitter die Nacht schon wieder so heiß war, aber vielleicht hatte auch dieser Film Anteile daran. Es geht eben doch nicht spurlos vorüber, wenn man im verschärften Crimetime-Modus, der sich durch die Aufnahme der Polizeirufe in die Betrachtung ergeben hat, jetzt wieder dort angekommen ist, wo man 2011 mit den Tatoren begann: Fast jeden Abend ist ein Film anzuschauen und möglichst innerhalb von 24 Stunden zu rezensieren, den wir bisher nicht gesehen haben.

Zum Glück war „Nachtdienst“ wenigstens einigermaßen vorhersehbar. Die scheue Pflegerin Marija Abramovich hatten wir recht früh im Verdacht; die beiden männlichen Pfleger wurden zu sehr hervorgehoben und dass man die Menschen am Abgrund des Todes noch einander gegenseitig umbringen lässt – nun gut, am Ende passiert das. Aber durch Schusswaffengebrauch. Was sich uns auch nicht erschließt: Warum einer der beiden Pfleger am Leben bleibt, unverletzt. Liegt ein Sinn darin? Liegt ein Sinn darin, dass die Pflege alter Menschen so aussieht, wie sie aussieht, weil sie, wie insgesamt immer größere Teile des Gesundheitswesens, der kapitalistischen Verwertung geopfert wird?

Wir waren einmal davon ausgegangen, dass die Polizeirufe etwas konservativer sind und nicht ein ganz so großes gesellschaftspolitisches Rad drehen wie manche Tatorte. Weit gefehlt. Was wir zuletzt an Filmen der Reihe aus den 2000er und 2010ern gesehen haben, ist eher noch deutlicher. Wenn man so will, setzt der Polizeiruf damit sogar unter anderen Vorzeichen die DDR-Tradition fort, sehr aktiv zu kommentieren.

Wir werten aufgrund des radikalen Endes ein wenig ab, aber nicht so stark, wie wir uns das direkt nach dem Film vorgenommen hatten und während wir die Rohfassung dieser Rezension ins Mobiltelefon sprachen. Es aber, mit einem Tag Abstand betrachtet, doch ein sehr starker, kompakter und ehrlicher Film, „Nachtschicht“ ist zu gleichen Teilen Sozialanklage und Gefühlskino, Krimi erst an dritter Stelle.

8,5/10

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke 

Playlist

Titel Komponist Interpret
Round Midnight Thelonious Monk Thelonious Monk
Prelude in e-Moll Opus 28 Nr. 4 Chopin Richard Ruzicka

Besetzung und Stab

Hans von Meuffels Matthias Brandt
Elisabeth Strauß Elisabeth Schwarz
Marija Abramovich Marina Galic
Sebastian Kroll Philipp Moog
Tscharlie Meier Florian Karlheim
Claus Grübner Ernst Jacobi
Janni Mika Ullritz
Frau Braun Monika Groll
Johannes Stresow Christian Mey
Gerlach Andreas Borcherding
Musik: Richard Ruzicka
Kamera: Klaus Eichhammer
Buch: Ariela Bogenberger
Astrid Ströher
Regie: Rainer Kaufmann

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