Update: „Bauen, bauen, bauen!“ – Der Berliner Baureport Teil III – wird zu viel gebaut? @BGemeinwohl #Baureport #Mietenwahnsinn #bauenbauenbauen

Wir nahmen einen Artikel von Michael Fabricius in der WELT zum Anlass, den überfälligen Teil III des Berliner Baureports zu verfassen. Wir beleuchten, ob bauen an sich gegen den Mietenwahnsinn hilft.

Einiges, was in diesem Zeitungsbeitrag enthalten ist, beschreiben wir, seit wir den Mietenwahnsinn publizistisch behandeln. Aber diese Zusammenstellung und das Tomatenbeispiel sind sehr instruktiv. Wir nehmen den Artikel zum Anlass, unseren Baureport um eine strukturierte, erweiterungsfähige Analyse zu ergänzen und stellen diese erste Version als Teil III vor. Zu Teil I geht es hier und hier zu Teil II.

Zugleich beschreiten wir damit den Weg zu längeren, analytischen Beiträgen, die wir in den letzten Monaten zugunsten von Eventberichten zurückgestellt haben. Wir werden weiter vor Ort sein, vor allem vertreten durch die IG HAB, die Mieterinitiative der Habersaathstraße 40-48 in Berlin-Mitte, aber uns auch wieder den längeren Features „Kommentar“ und „Analyse“ widmen.

Wir gehen dabei mehr in die Systemkritik, betrachten dabei den Begriff „Markt“ etwas genauer und werden deshalb hin und wieder ironisch, wenn es um die CDU und die FDP geht. Doch künftig möchten wir diese Darstellung verwenden um klarzustellen, warum wir  Mieter*innen in ihrem Kampf gegen Verdrängung publizistisch Unterstützung leisten und dies aus voller Überzeugung und von Herzen.

Der Artikel von Michael Fabricius, der uns inspiriert hat, mit dem wir nun den Aufbau von Teil IV unseres Baureports zu beginnen, heißt passenderweise „’Bauen, bauen, bauen!‘ – Doch damit lösen wir die Mietkrise nicht.“ Das erste Ergänzungs-Update befasst sich mit der These, dass sogar zu viel gebaut wird.

Wohnungen sind keine Tomaten.

Grundsätzlich ist das Beispiel perfekt, denn Tomaten kann sich jeder vorstellen und außer Menschen mit Tomatenphobie kauft sie wohl auch jeder, hin und wieder. Und Tomaten kann man wetterunabängig in Gewächshäusern züchten, Angebot und Nachfrage sind also gut aneinander anpassbar. Auch dann, wenn es draußen ein Ernteproblem gibt, das sich bei anderen Agrarprudukten stark auf die Preise auswirkt. Wir sagen mal: Berlin, Kartoffeln derzeit ab 2 Euro pro Kilo. Ackergold. Der ausgedörrte Acker als außerhalb des vollkommenen Marktes angesiedeltes Pendant zum begrenzten Grund und Boden in der Stadt. Und damit zum Grund und Boden in der Stadt. Betongold. Auch die Einkaufsmacht der großen Ladenketten, die Verbraucherinteressen eigene wie auch Verbraucherinteressen bündelt, sorgt derzeit nicht für billige Kartoffeln. Mit einem Mal zählen Kartoffeln kaum noch zu den Grundnahrungsmitteln. So, wie die Mieter*innen, selbst wenn sie noch so gut organisiert sind, keinen Einfluss mehr auf die Miethöhen haben. Aber Mieter*innen müssen wohnen, sie können nicht so einfach auf einen Campingwagen umsteigen wie Lebensmittelkäufer auf Nudeln oder grünen Salat. Da ist etwas aus dem Gleichgewicht, in beiden Fällen, nur sind die Ursachen verschieden und die Mieter*innen sind in einer noch größeren Zwangslage, weil sie auf ein einziges Produkt angewiesen sind.

Die Mieten steigen stärker als die Einkommen.

So, wie derzeit auch die Preise vieler Lebensmittel. Die Immobilienwirtschaft argumentiert auch ähnlich wie bei den Lebensmitteln: Die waren lange  Zeit so billig, weil die Nachfrager alleine das Wort hatten. Jetzt kommt durch den Preisauftrieb der Ausgleich. Leider gibt es da einen wichtigen Unterschied. Einige Lebensmittel, die nicht besonders hochwertig sind, sind immer noch billig und ganz sicher presst die Einkaufsmacht der Discounter immer noch die Produzenten aus und verhindert auch hochwertigere Landwirtschaft. Aber die vorher zu billigen Mieten sind in vielen Städten eine Chimäre und im Sonderfall Berlin: Zu Beginn dessen, was wir heute als Mietenwahnsinn bezeichnen, im Jahr 2010, betrugen die Kosten fürs Wohnen am Nettoeinkommen in Berlin 28 Prozent. Heute sind es 40 Prozent. Immobilienwirtschaftler kennen diese Faustregel: Ich vermiete ungern an Menschen, die mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens für die Miete ausgeben müssen. Das ist auch verantwortungsbewusst, so zu handeln,  niemand soll sich  mit der Miete finanziell den Hals zuschnüren und das Mietausfallrisiko steigt mit jedem Prozent über diesem Drittel fast exponentiell an. Mit dieser Faustregel werden also beide Seiten geschützt. In Berlin herrschte 2010 mit durchschnittlich 28 Prozent eine überwiegend entspannte Situation. Allerdings ist das nur ein Durchschnittswert, der auch hohe Einkommen umfasst, wie beim Vermögen ist immer der Unterschied zwischen ebenjenem Durchschnitt und dem Median zu bedenken. Heißt: Es gibt Großverdiener, die nicht einmal zehn Prozent ihres Nettoeinkommens ins Wohnen stecken mussten und es vielleicht immer noch nicht müssen, aber auch 2010 lief die Verdrängung, sie ist ein uraltes Thema, lediglich in den Schwächephase ab Mitte der 1990er oder Anfang der 2000er dürfte das etwas langsamer gelaufen sein.

Seit 2010 aber verloren Berliner*innen im Durchschnitt jedes Jahr 1,5 Prozent ihres Nettoeinkommens ans Wohnen und Kaufkraft, die von den Mieten aufgefressen wird, geht für andere Ausgaben verloren, die eine lebendige Stadt erhalten und zusätzlich sinkt die Spar-  oder die Vermögensbildungsquote, die Armut nimmt insgesamt zu. Ein besonderes Menetekel, das durch den Mietenwahnsinn über uns schwebt, ist die Altersarmut. Das berühmte, nach unserer Ansicht eher berüchtigte Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge nach neoliberaler Revision, als Kürzung, der staatlich garantierten Rente ist für Mieter*innen in Berlin immer weniger möglich. Vermieter müssen auch begreifen, dass die verminderte Kaufkraft der Mehrheit sie eines Tages auch treffen wird: Wenn die Renten über Steuern finanziert werden müssen. Das wird nur möglich sein, wenn viele Privilegien für Reiche, die es jetzt noch gibt, abgeschafft werden und grundsätzlich die Steuern auf Immobilien erhöht werden, denn die können, im Gegensatz zu anderen Kapitalanlageklassen, nicht Offshore verwaltet werden. Das ist immerhin ihr Vorteil und das ist das Faustpfand der Stadtgesellschaft und der Politik, die jenes Faustpfand endlich nutzen muss, anstatt Investoren mit weltweit einmaligen Privilegien zu bedienen.

Wie etwa der Modernisierungsumlage zulasten der Mieter*innen.

Mieter*innen bezahlen Vermietern sowieso ihre Häuser, das ist unausweichlich und die Zurverfügungstellung von Wohnraum kann nicht umsonst erfolgen, denn auch dann, wenn Menschen, beispielsweisen als Wohnungsgenoss*innen in einer Doppelposition sind, wissen sie, dass Häuser Erhaltungsaufwand haben und die meisten von ihnen legen Wert darauf, dass ihr Wohnumfeld in gutem Zustand ist. Genossenschaften kriegen das interessanterweise auch viel besser hin als viele Privatvermieter, die ihre Häuser nur ausquetschen. Oder sie lassen sie auf eine Weise sanieren, durch die sie die Mieten exorbitant anheben können. Die Mieter*innen bezahlen also auch für Dinge, die nicht im Deal enthalten sind. Es ist, als würde der Leasinggeber eines Autos auf die Idee kommen, die Kiste für zigtausend Euro hochtunen zu lassen und der Leasingnehmer muss das mit der doppelten Leasingrate bezahlen, ohne gefragt worden zu sein und ohne dass das Tuning möglicherweise als Vorteil empfindet. Zumindest nicht als so großen Vorteil, dass er dafür freillig bereit wäre, die stark erhöhte Leasingrate zu zahlen. Er hat einen dezenten Mercedes C 250 gemietet und plötzlich die protzige C63-AMG-Version in der Garage stehen, ohne sie bestellt zu haben. Und er zahlt die erhöhten Raten sogar weiter, wenn das Tuning längst abgegeolten ist. Freilich unter Zuhilfenahme der Fiktion, dass Leasing nicht nur drei Jahre dauert. Was Vermieter noch mehr privilegiert als einen solchen fiktionalen Mobilien-Leasinggeber: Häuser verlieren, im Gegensatz zu Autos, auch zu gepimpten Autos, selten an Wert. Weil eben Grund und Boden knapp sind. Sie können nicht beliebig oft produziert werden, wie Autos. Besonders in Großstädten trifft das regelmäßig zu. Dieses Beispiel zeigt, dass es die Apologeten des vollkommenen Marktes, die solche Modernisierungen zulasten der Mieter*innen super finden, es mit dem Markt in Wirklichkeit nicht so genau nehmen, denn hier hat der Staat eine Marktregulierung zulasten der Schwächeren installiert. Schon deshalb ist ein Ausgleich in Form vestärkten Mieter*innenschutzes gerecht und dringend geboten.

Wir vergessen deshalb nicht, einen richtigen, wichtigen Schritt zu erwähnen: Die Modernisierungsumlage wurde zum 1. Januar 2019 von 11 Prozent jährlich auf 8 Prozent gekürzt, Wohnungen, die bisher über 7 Euro / m² gekostet haben, dürfen nur um 3 Euro / m² teurer werden, solche, die weniger gekostet haben, nur um 2 Euro / m². Wir ärgern uns über diese Unterscheidung, fordern aber vor allem: Die Modernisierungsumlage gemäß §§ 558, 559 BGB muss endlich abgeschafft werden und wenn der Staat schon Vermieter subventioniert, dann doch eher dadurch, dass er sie auf der Steuerseite bei der Bezahlung bestimmter Modernisierungsarbeiten mehr entlastet. Das wäre mieter*innenfreundlicher und nachhaltiger zugleich. Die heutigen Regelungen, die ohnehin die Absetzbarkeit nicht nur der Instandhaltung, sondern auch bestimmter Modernisierungsemaßnahmen wie etwa der Umstellung auf eine moderne Heizungsart beinhalten, könnten um einige Tatbestände erweitert werden. Es lassen sich weitere Förderungsmaßnahmen denken, die insgesamt auch nicht teurer kämen als die sogeannte Subjektförderung, die den Konservativen vorschwebt: Mieter*innen sollen durch immer höhere Zuschüsse seitens des Staates den Vermietern immer höhere Mieten ermöglichen. In Berlin würde das bedeuten, dass die Stadt dadurch mit stark erhöhten Sozialkosten zu kämpfen hätte. Die CDU und die FDP wären dann wieder die ersten, die rufen würden: Rot-Rot-Grün gefährdet die Schuldenbremse! So, wie sie das jetzt auch tun, wenn hin und wieder ein Haus kommunalisiert wird.

Bauen, bauen, bauen als Drohkulisse für Innenstädte

Berlin hat gegenüber anderen, besonders ausländischen Metropolen, einen großen Vorteil: Es wurde von Beginn an vergleichsweise großzügig geplant. Die Innenhöfe der Altbauviertel sind wunderbar und entspannend, die Straßen recht breit, sodass an ihren Rändern Bäume angepflanzt werden können. Wenn man dies erhalten will, und das geht aufgrund der Vorschriften zum Lichteinfall in Wohnungen nicht anders, der kann in den Innenstadtvierteln nicht noch wesentlich verdichten. Baulücken werden sowieso vermehrt geschlossen, wir bekommen das auch in unserem Kiez mit. Außerdem sollen künftig theoretisch unbegrenzt hohe Häuser in Berlin gebaut werden können, das geht also auch auf märkischem Sand. Freilich mit einigen Auflagen, die in der Realität dann doch an den meisten Standorten Grenzen setzen. Dann gibt es noch die großen, weltweit für eine solche Stadt fast einmaligen Freiflächen in Lagen, die man noch als innerstädtisch bezeichnen kann  und die in der Diskussion stehen. Auf jene Diskussion wollen wir in der ersten Auflage dieses Beitrags nicht eingehen. Egal nämlich, was mit diesen Freiflächen passiert, auf ihnen können nicht so viele Häuser gebaut werden, dass damit die Wohnungskrise beseitigt wäre. Schon gar nicht zu den Konditionen der Privatwirtschaft, die wieder Paläste für Preise weit über 5.000 Euro / m², sprich, überwiegend als Eigentumswohnungen für Mehr-als-Gutverdiener erstellen würde. Zur Erinnerung: 5.000 Euro pro m² sind bei einer 100 m²-Wohnung für zwei bis vier Personen eine halbe Million Euro, die ausgelegt und in der Regel finanziert werden müssen. In Neukölln, einfache Lage, über die wir gerade wegen zweier Vorkäufe berichtet haben, sind die Kaufpreise binnen12 Monaten um 18 Prozent auf ca. 5.500 Euro / m² emporgeschnellt. So geht das dort seit Jahren und spricht dafür, dass mit dem freien Markt etwas nicht stimmt, denn die Lage, der Umgebungslärm, das Umfeld, spielt offenbar kaum noch eine Rolle. Das ist ein deutliches Anzeichen für eine Überhitzung, weil das Angebot mit dem hereingeschwemmten Kapital niemals Schritt halten kann, da könnte man noch so viel bauen.

Die überraschende Sichtweise: Es wird zu viel gebaut

Unser erstes Update dieses Beitrags beinhaltet die Besprechung eines Artikels, der am 10. Juli 2019 in „ntv“ erschienen ist und auf den wir von @BGemeinwohl hingewiesen wurden. Wir legen den Akzent der Besprechung auf die Gesamtdarstellung:

Der Wirtschaftswissenschaftler und Stadtplanungsexperte Daniel Fuhrhop von der Universität Oldenburg räumt mit der gängigen Ansicht auf, dass in Deutschland zu wenig gebaut wird. Die Krise auf dem Wohnungsmarkt habe andere Ursachen, erklärt er im n-tv.de Interview. Der politisch forcierte Neubau sei sogar schädlich„, lautet die Headline.

Schädlich aus Gründen des Klimaschutzes, ist damit gemeint. Keine Frage, jeder Neubau produziert einen erheblichen CO²-Ausstoß. Mehr als die Beheizung eines solchen Neubaus über 50 Jahre hinweg, sagt Fuhrhop. Aber dass zu viel gebaut wird, ist falsch, wenn man es auf die Wohnraumfrage in Berlin bezieht und die Umweltbilanz so betrachtet: Wer in einer Stadt wie Berlin, in der tatsächlich bezahlbarer Wohnraum fehlt, gar nicht bauen will, der möge bitte von seiner eigenen Wohnung das eine oder andere Zimmer abgeben.

Eine sehr schlaue Variante ist: Ich wohne nicht zu groß, einige andere schon. Wie etwa die erwähnten 100.000 Menschen in Berlin, die über 80 Quadratmeter für sich allein haben. Dass es nur 100.000 sind, bei einer Einwohnerzahl von mittlerweile über 3,7 Millionen, weist aber auf etwas anderes hin. Dass der Durchschnitt in Berlin nicht bei 45 Quadratmetern liegt. Das ist etwa der deutsche Durchschnitt, inklusive der Bundesländer mit starker Einfamilienhaus-Eigentumsquote. Berlin hingegen ist Schlusslicht, hier sind es nur 39,6 Quadratmeter (2017). 2004 lag Berlin noch im unteren Mittelfeld (andere Quelle), nirgendwo sonst ist die Wohnfläche pro Einwohner so wenig gestiegen wie in Berlin und sinkt in den letzten Jahren tendenziell. Zusammenrücken ist also, als Mittelwert betrachtet, für Berliner*innen kein Fremdwort. Freilich passiert das in der Regel nicht dadurch, dass Menschen ein Zimmer dauerhaft untervermieten, das sie zuvor selbst bewohnt haben, also echtes „shared Living“ organisieren, sondern eher durch Neuanmietungen mit relativ kleiner Wohnfläche.

Eine Tauschbörse, wie sie im Artikel angesprochen wird, bieten städtische Wohnungsbaugesellschaften innerhalb ihres Bestandes sehr wohl an. Und manche Aussagen sind sehr technisch: Welche Stelle soll denn ältere Menschen bewegen, Häuser zu verlassen, die sie allein bewohnen und die im Eigentum jener Menschen stehen? Wer sich freiwillig verkleinert, der tut etwas für die bessere Verteilung von Wohnraum, aber in der Regel erst dann, wenn ihm die Bewirtschaftung eines großen Hauses mit Garten zu viel oder physisch unmöglich geworden ist, nicht aus wohnungspolitischen Gründen.

Fuhrhops lockere Ansichten zur Altbausanierung werden die meisten Berliner*innen mit Entsetzen lesen, deren Häuser noch Aufwertungs-, also Herausmodernisierungspotenzial haben. Und seit wann schaffen Sanierungen mehr Wohnraum? Was wir mitbekommen, ist eher, dass mehr Wohnungen zusammengelegt als aufgeteilt werden, vor allem bei Nachkriegsbauten. Der Dachgeschossausbau oder, bei Nachkriegsbauten manchmal möglich, das Aufsetzen eines weiteren Geschosses, geht meist mit umfassenden Sanierungen einher und gerade diese Dachgeschosse, meist mit großzügigen Schnitten und Dachterassen ausgestattet, tendieren zur Hochpreisigkeit.

Der Mietenwahnsinn wird hier eindeutig nicht abgebildet, auch wenn die allgemeine Ansicht, dass falsch gebaut wird, also zu viel im Hochpreissegment, nicht von der Hand zu weisen ist. Dass der Wohnraum „oft leersteht“, womit nicht die Bestandshäuser gemeint sind, die derzeit in Rede stehen (es sollen etwa 75 sein, bei normaler 5-Geschosser-Größe also etwa 1500 bis 2500 Wohnungen), sondern der Neubau, müsste mit Zahlen unterlegt werden.

Nicht angängig ist auch die Verkürzung auf das Jahr 2018, wenn es um die Gegenüberstellung von Einwohnerzuwachs und Neubauwohnungen geht und Fuhrhop dadurch einen Neubau-Überhang von 150.000 Wohnungen in Deutschland errechnet. Erstens ist das ein reiner Durchschnittswert, der nicht die unterschiedliche Situation in den Regionen spiegelt. Besonders gilt dieser Vergleich nicht für Berlin. Ca. 16.000 Neubauwohnungen stand im Jahr 2017 ein Bevölkerungszuwachs von ca. 38.700 Menschen gegenüber. Damit ist die Zielmarke in Berlin in der Tat fast erreicht, aber ein Bauüberhang ist bisher nicht zu erkennen. Der Einwohnerstand Ende 2018 ist noch nicht erhältlich, aber dass wiederum etwa 16.000 Wohnungen neu auf den Markt kamen, wissen wir schon. Vielleicht hat sich die Lage 2018 erstmals etwas entspannt – falls 2018 der Jahres-Einwohnerzuwachs unter 30.000 Personen lag, denn wir verzeichnen für Berlin eine Durchschnittsbelegung von ca. 1,9 Personen pro Wohnung.

Aber es gibt noch den Überhang aus den vergangenen Jahren, als weniger gebaut wurde und das Wachstum der Stadt teilweise deutlich höher lag. Dieser Überhang muss erst einmal abgebaut werden. Man darf nicht vergessen, dass z. B. 2015, 2016 viele Menschen, die neu nach Berlin kamen, erst einmal in Sammelunterkünften untergebracht wurden und jetzt schrittweise in den Wohnungsmarkt eintreten. Diese besondere Form des Zuzugs bewirkt eine Nachfrag nach dauerhaften Mietverhältnissen erst nach einer Übergangszeit, ist jetzt aber ein wesentlicher Grund dafür, dass weitere günstige, bezahlbare Wohnungen benötigt werden und keine Luxusappartements. Die Neubautätigkeit ist also sehr wohl wichtig und man kann nicht alle willkommen heißen, aber keine Wohnungen für sie bereithalten. Da geht leider nur ein Kompromiss zwischen Aufnahmebereitschaft und ökologischen Aspekten – wie immer, wenn ein Organismus wächst.

Man kann es auch verkürzen: Die Aussagen, die für Deutschland im Ganzen eine Berechtigung haben mögen, gelten nicht für Berlin, wie es sich im zu Ende gehenden Jahrzehnt entwickelt hat. Allerdings: Was derzeit neu gebaut wird, reicht aus und es kommt tatsächlich darauf an, was gebaut wird – und da sind noch viele Wünsche offen.

An den neueren Zahlen für Gesamtdeutschland zeigt sich aber: Der weiterhin enorme Preisauftrieb kann nicht überwiegend durch einen gigantischen Nachfrageüberhang erzeugt sein. Die im selben Medium benannten neuesten Zahlen belegen weiterhin ansteigende Preise für Immobilieneigentum, sogar in Regionen, die nicht boomen.

Die Kapitalschwemme

Je mehr Journalisten, vor allem anerkannte Immobilienfachleute wie Michael Fabricius, das schreiben, was wir seit Jahren hervorheben, desto besser: Die Kapitalschwemme, die durch die Niedrigzinspolitik organisiert wird, drückt mit solcher Wucht in die Immobilienmärkte, dass die Nachfrage als Ursache für den Preisauftrieb dahinter mittlerweile zurücksteht. Das wissen viele Politiker*innen auch und denen nehmen wir es mittlerweile richtig übel, dass sie den Menschen immer noch vormachen wollen, mit mehr bauen wäre alles gelöst. Das ist schlicht  und einfach Mumpitz oder Fuppes, wie man dort zu richtig dämlichen Quatsch sagt, wo wir herkommen. Von den Fehlsteuerungen durch viel zu teure Wohnungen, die gebaut werden, ganz abgesehen. So ist das aber, wenn die Bodenpreise astronomische Summen erreichen, getrieben von Kapital, das verzweifelt nach Analgemöglichkeiten sucht.

Wenn man dann die Privaten einfach bauen lässt, erstellen sie Wohnunge, die auch Mittelständler mittlerweile weder als Mieter*innen noch als Käufer*innen bezahlen können. Wir hören immer wieder von Objekten, die ganz deutlich von Menschen erworben werden, die ein weiteres Problem der privaten Bauwirtschaft offenlegen: Hier wird massiv Schwarzgeld und auch mit Kriminalität erworbenes Geld gewaschen. Diejenigen, die jeden Preis  zahlen können, weil sie gegen alle Regeln verstoßen, sind offenbar das Klientel, dessen Ausbreitung in Berlin FDP und CDU, die Partei des leistungsstarken, ehrenhaften Mittelstandes und die Law-and-Order-Partei gerne fördern möchten. Diese Parteien vernichten das Wohlanständige, das Ihnen doch angeblich so am Herzen liegt. Wir können auf Wunsche auch gerne anhand überhöhter Ladenmieten in unserem Kiez darstellen, die nur noch von Angehörigen der Unterflächenwirtschaft bezahlt werden können, welche Auswirkungen das auf die bisher wunderbar gemischte Infrastruktur hat, die im positiven Sinn divers war, mit der man sich wohlfühlen konnte und wo finanziell unterschiedlich aufgestellte Anwohner*innen und Menschen jeder Herkunft immer ein für sie passendes, von einem funktionierenden lokalen Markt sprechendes Angebot fanden. Der ungebremste Zufluss von Kapital aus allen möglichen legalen und illegalen Quellen vernichtet Kiezstrukturen im Eiltempo. Da eine Grenzensetzung durch die Politik auf makroökonomischer Ebene nicht in Sicht sind, müssen die Mieter*innen eben vor Ort geschützt werden.

Kapazitätsgrenzen und Auflagen

Dass die Berliner Bauwirtschaft an ihrer Kapazitätsgrenze arbeitet, „bauen, bauen, bauen“ also von dieser Seite sowohl bestmöglich umgesetzt wird als auch von dieser Seite aus limitiert ist, wissen wir alle. Deshalb der Auftrieb bei den Baukosten und wir wollen das hier nicht vertiefen, weil es selbsterklärend ist. Aber doch eine Anmerkung. Diejenigen, die jetzt argumentieren, was den Vermieter*innen alles passieren kann, wenn die Baukosten weiter so steigen, aber der Mietendeckel kommt, sollten sich fragen: Woher kommen wohl die Steigerungen bei den Baupreisen. Zu wenig Bautätigkeit? Sicher nicht. Und die vorgebliche Überregulierung bei der Bautechnik nehmen wir getrost als Ablenkungsmanöver der Immobilienlobby und ihrer politischen Helfer zur Kenntnis, denn diese Regeln gibt es nicht erst seit heute und sie befördern daher nicht den Mietenwahnsinn. Der Haupt-Treiber hingegen ist die Bodenpreisexplosion.

Und wer will zurück zur Einfachbauweise der 1950er? So groß ist der Wohnungsnotstand wieder nicht , im Gegensatz zum Mietenwahnsinn, und er kann eben, weil er heute ganz andere Gründe hat als nach dem Krieg, eben nicht mit Pappe statt Ziegeln und Weglassen aller Dämmmaterialien und Stadtraum verbrauchenden Außenstellplätzen anstatt Tiefgaragen beseitigt werden. Einen solchen Humbug, um mal wieder ein neues Wort für Quatsch zu verwenden, kann man nur Menschen beibiegen, die sich in der Bauwirtschaft nun gar nicht auskennen. Außerdem, was ist mit Klima und Umwelt? Was ist mit KfW 55, 40 oder darunter, was ist mit dem Ziel, Wohnen CO²-neutral zu machen? Das soll alles wieder gekippt werden? Echt jetzt? Das Kapital wird trotzdem nicht schneller zirkulieren, nur die Energiebilanz von Häusern wird schlechter. An solchen Vorschlägen zur Rückkehr in die Einfachheit der guten alten Zeit, die vor allem eine Zeit des ungebremsten Ausschleuderns von Dreck aller Art und der Sorglosigkeit gegenüber der Umwelt war, merkt man, wie rückständig in wirklich jeder Hinsicht die Unionspolitiker*innen  und Liberalen denken. Immerhin ist das ein geschlossenes Konzept,  viel einfacher, viel plakativer und daher für einfache Gemüter durchaus noch verführerisch. Es ist aber auch eine niedrigere Zivilisationsstufe als das Austarieren moderner stadtpolitischer Aspekte, das viel Verantwortungsbewusstsein und die Fähigkeit zu guter, gleichberechigter Kommunikation voraussetzt. CDU und FDP aber so: Kapital hat Vorrang vor Menschen, Kapital hat Vorrang vor der Umwelt, Kapital hat einfach  Vorrang vor allem. Punkt. Diese Parteien hatten mal recht schlaue Wahlprogramme, als die BRD gegründet wurde und noch teilweise bis in die 1970er. Damals waren sie durchaus auf der Höhe ihrer Zeit und bildeten die damalige Mehrheitsgesellschaft recht gut ab bzw. hatten die passenden Angebote für sie. Was ist seitdem passiert? Wieso können diese Parteien Markt nicht mehr, wo sie den Markt doch so super finden? Diese mittlerweile riesige Diskrepanz zwischen dem Angebot von CDU und FDP und den Bedürfnissen der Stadtgesellschaft von heute erweckt bei Beobachtern wie uns nicht sehr viel Vertrauen in deren Marktanalysefähigkeiten.

Gemeinnützigkeit und System und das bessere Marktangebot

Mindestens ein Zitat bringen wir bei jedem guten Artikel, den wir besprechen. „Es geht jetzt darum, Zeit zu gewinnen. Es geht nicht um einen Systemwechsel. Das will niemand, nicht einmal die Linke-Bausenatorin Katrin Lompscher in Berlin oder die Grünen, die zu Recht eine gemeinnützige Wohnungspolitik fordern“, schreibt Michael Fabricius. Wir geben zu, es ist eine schwierige Transformation, sogar als Redakteur der Welt, den sozialen Zusammenhalt plötzlich als gefährdet anzusehen und es richtig zu finden, dass erst einmal zugunsten der Mieter*innen reguliert wird.

Aber die Rückkehr der Gemeinnützigkeit, die 1988 mit Wirkung zum 1. Januar 1990 abgeschafft wurde, ist ein Systemwechsel. Gemeinwohl vor Profit ist der größte Systemwechsel, den man sich gegenwärtig und in einer Demokratie in etwa vorstellen kann. Dass eine Mehrheit der Menschen in Deutschland dafür ist, zumindest laut Umfragen, das ist der Ausdruck eines demokratischen Willens, den die Politik langsam beachten sollte, sonst laufen Parteien wie der CDU oder der SPD noch mehr Wählerinnen weg und sie könnten das Kapital nicht mehr mit aller Regierungsmacht schützen. Das müssen diese Politiker ihren Schützlingen auch begreiflich machen, wenn sie schon nicht in der Lage sind, sich als Anbieter von guten Produkten für die Mehrheitsgesellschaft von heute aus innerer Überzeugung heraus zu profilieren: Lieber mal etwas mehr Gemeinsinn zulassen, dafür aber den Kern des Wirtschaftssystems retten. Das wäre der sinnvolle Deal, in den Zeiten des Mietenwahnsinns. Was aber tut die CDU? Wir haben ja in Berlin wirklich Mietenspezialisten, die gegen die Mieter*innen agitieren, wo es nur geht: Sie versucht den Menschen weiterhin – genau – Quatsch über Märkte anzudrehen und alle gegeneinander auszuspielen.

Es gibt eben Produkte, die sind auf eine sehr deutlich sichtbare Weise minderwertig und es hat eine komische Note, dass die CDU sich tatsächlich wie eine Marktfrau hinstellt und vergammelte Profitgier- und Spalter-Tomaten als das Beste – sic! – auf dem Markt anzupreisen, wo doch am Stand links nebenan diese Genossenschaft ökologisch korrekte  Freilandfrüchte anbietet, die erkennbar erst gestern geerntet wurden, rechts eine städtische Wohnungsgesellschaft solide Früchte feilhält. Und beides zu günstigeren Preisen. Was um Himmels Willen ist mit der CDU als Anbieter am politischen Markt los. Kontakt mit den Käufern verloren? Nach Marktlogik müsste das ein Verschwinden des Anbieters zur Folge haben.

Die Rache der Vermieter

Wir hatten gerade einen Dialog mit einem Twitter-Nutzer, der sich „Stadtvermieter“ nennt und den heutigen Mietenauftrieb als Ausgleich für die jahrelang nicht durchsetzbaren Mietpreissteigerungen ansieht. Wenn Mieten nicht kostendeckend sind und keine kleine Rendite abwerfen, dann ist das problematisch für die Erhaltung eines Hauses, schon  klar. Immerhin ist die Privatvermietung nicht einmal von „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ prinzipiell in Frage gestellt worden, es geht nur um Großkonzerne mit zu viel Marktmacht, die ihre Mieter*innen ausquetschen wie die Zitronen oder lieber gleich verdrängen die gerichtlich den Mietspiegel angreifen, obwohl er immer wieder steigt, die es nicht hinkriegen, trotz Mietsteigerungen in ihren Beständen, ihre Häuser sinnvoll zu warten. Es muss es den Vermieter*innen auch ermöglicht werden, ihre Immobilien sinnvoll zu bewirtschaften, wenn sie das trotzdem nicht tun, dann ruft das ein Nachdenken darüber hervor, ob man sie nicht von der Last befreien sollte, immer wieder an dieser Aufgabe zu scheitern.  

Wer in Berlin heute noch Miese bei der Wohnungsvermietung macht, der hat wirklich die Welt verpennt. Sowas tun Vermieter*innen aber sehr selten. Eher kennen wir den Fall, dass für den Zustand der Gebäude eher zu hohe Mieten genommen werdnen, dass die Mietpreisbremse „umgangen“ wird, der Mietspiegel ebenfalls, was in Wirklichkeit nichts anderes darstellt als Betrug. Nur, dass es bei Vermietern nicht so genannt wird und sie dafür auch nicht wie andere Begeher von Vermögensdelikten belangt werden können. Wenn das kein unangemessenes Privileg ist, was dann? Es ist nicht demokratisch, es widerspricht sogar dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG. Aber weil sich nicht viele benachteiligt fühlen, einige aber privilegiert werden, zieht niemand deswegen vors Bundesverfassungsgericht. Diese durch nichts gerechtfertigte Bevorzugung läuft einfach durch.

Damit sind wir aber noch nicht bei der größten Schieflage: Die exorbitanten Kaufpreise, die mittlerweile gängig sind, setzen diejenigen, die das für „normal“ halten, aber sofort unter Renditedruck. Im Core-Bereich von Berlin kommt es zu Käufen, bei denen nur noch 1-2 Prozent Rendite erzielt werden. Das ist nicht unternehmerisch, das ist Vabanque spielen, denn es setzt voraus, dass a.) die Werte von Immobilien im bisherigen Tempo weitersteigen, was aber b.) durch die Mieteineinnahmen nicht ansatzweise mehr gerechtfertigt ist, denn allem Mietenwahnsinn zum Trotz, die Kaufpreise steigen schneller. Und das nur wegen der oben beschriebenen Kapitalschwemme. Hier wird sogenanntes unternehmerisches Risiko bis zum Exzess getrieben und wenn es dann schiefgeht, wenn die Marktkorrektur kommt, dann wird es riesigen Streit darüber geben, wer den Scherbenhaufen zu verantworten hat und wer ihn wegräumen muss.

Wegräumen müssen ihn vermutlich wieder wir alle, wie schon nach der Bankenkrise 2008, wo die hybride Finanzindustrie  zulasten der Mehrheit spekuliert und sich verzockt hat. Auch heute hängen die Banken natürlich wieder mit drin, wenn es um die Immobilienblase geht, das rasante Wachstum wildgewordener Investorengesellschaften wird ja nicht aus Eigenkapital geleistet. Da die strauchelnden Banken aber, das wissen wir seit 2008, die Politik damit unter Druck setzen, dass sie sich als systemrelevant bezeichnen, werden sie auch beim nächsten Fail wieder gerettet werden – mit Steuergeldern. Wer das für eine funktionierende Marktwirschaft hält, der hat nicht einmal den von Michael Fabricius angesprochenen Grundkurs Ökonomie absolviert.

Oder er hat es, ist aber eine Spielernatur, ein antisozialer Charakter, vom bei der Allgemeinheit entliehenen und von ihr durch immer höhere Mieten erpressten Geld und der auf Pump installierten Macht berauscht, die er ausübt. Diese Menschen sind nicht intelligenter als wir, die wir einen Sinn für die Verhältnismäßigkeit bewahrt haben und für den Erhalt der Sozialen Stadt kämpfen, sind in einer Weise sogar konservativer als die sogenannten Konservativen, die in Wirklichkeit den Zusammenbruch des Systems beschleunigen, das sie für so erhaltenswert befinden: Wir möchten nicht, dass alles, was Berlin wertvoll und besonders macht, einem aberwitzigen und vergänglichen Kapitalrausch geopfert wird. Es ist zutiefst profund und seriös, sich dagegen aufzustellen. Was hingegen CDU und FDP propagieren ist unchristliche und anti-leistungsorientierte Profitgier auf Kosten der weit überwiegenden Mehrheit. Was immer die Vertreter dieser Parteien von sich geben, bitte überprüfen Sie es, liebe Leser, anhand dessen, was wir und andere schreiben, um Vorgänge und Verhaltensweisen ins richtige Licht zu setzen, die uns alle, viele von uns auf existenzielle Weise, bedrohen.

Dieser Beitrag ist eine Argumente-Basis, die wir weiter ausbauen werden. Er ist unter anderem dazu gedacht, in den sozialen Medien auf unsere Weise antworten zu können, wenn wieder politischer Unsinn auf Kreisklasse-Niveau getwittert wird, der es sich zunutze machen möchte, dass nur Schlagworte zählen, keine Gründe und keine halbwegs schlüssigen Darstellungen. Wir haben auch eine Idee, wie wir diesen Beitrag künftig einsetzen und sind gespannt, ob es funktionieren wird.

© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

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