Crimetime 391 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD
Klare Ansage, aber nicht herzlos
63 Minuten Spielzeit weist der 38. Polizeiruf auf und in diesen 63 Minuten wird in etwa gesagt, was zu sagen ist. Der Klau sozialistischen Eigentums wird nicht dadurch schöner, dass er von eine Schönling begangen wird. Was sonst über den Fall zu schreiben ist, steht in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
Irmgard Meyer, Buchhalterin in einem Großmarkt-Lager für elektrische Haushaltsgeräte, kehrt aus dem Urlaub zurück. Gerade wird der 43. Geburtstag von Fahrer Rolf Gürtner gefeiert, als Lagerleiter Rottmann für den nächsten Tag eine Inventur ankündigt. Sofort muss die nervenschwache Irmgard wieder ihre Medizin nehmen. Sie verlässt die Feier eher und kommt am nächsten Morgen früher, um die während ihres Urlaubs angefallene Arbeit anzugehen. Sie entdeckt, dass im Lager eingebrochen wurde. Oberleutnant Peter Fuchs und Leutnant Lutz Subras übernehmen die Ermittlungen.
Der Einbruch sieht fingiert aus und schnell vermutet Lutz Subras, dass der Täter aus der Brigade Rottmann kommt und mit dem Einbruch die Unterschlagung von Waren vertuscht werden soll. Als die Ermittler am nächsten Tag die Lagerkartei anfordern, fehlt sie. Rottmann vermutet, dass Irmgard sie für Überprüfungen mit nach Hause genommen hat. Irmgard wiederum erscheint nicht zur Arbeit. Wenig später erfahren die Kollegen, dass sie mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort verstorben ist. Irmgards Tante, Frau Brinkmann, wird geholt und tritt die Nachlassverwaltung an. In einem Bootsschuppen auf Irmgards Wassergrundstück finden sich zahlreiche Waren aus dem Elektro-Lager. Dort wurde inzwischen bei der Inventur ein Fehlbetrag von 120.000 Mark ermittelt.
Auf Irmgards Schreibtisch lag neben der Lagerkartei und dazugehörigen Notizen auch ein maschinell geschriebener Liebesbrief an Irmgard. In ihm zieht sich der Geliebte von Irmgard wegen des großen Altersunterschieds zurück. Wesentlich älter als Irmgard ist in der Brigade Rottmann, wesentlich jünger der Beifahrer Schreiber. Beide werden von den Ermittlern befragt, haben den Brief aber nicht verfasst. Schreiber berichtet den Ermittlern jedoch ein Detail: Irmgard hatte vor einigen Monaten eine Neuerung eingeführt, die für den Betrieb nur Vorteile brachte: Fahrer Gürtner konnte auf dem Rückweg seiner Tour bei zwei Herstellerbetrieben vorbeifahren und Waren direkt abholen. Eine Leerfuhre entfiel dadurch, Geld wurde gespart. Die Waren stellte Gürtner nach Dienstschluss dann in einen Gang auf dem Lagergelände. Rottmann verteidigt die Vorgehensweise, bei der durch doppelte Prüfung auch keine Waren verschwinden konnten.
In einem Laden entdecken die Ermittler Waren, die aus dem Lager gestohlen wurden. Sie stammen wie andere seit vier Monaten gelieferte Waren laut Rechnung von der Firma Heinrich Menge Andenkenvertrieb. Die Ermittler befragen die Firmenleiterin Clara Menge, die die von Teilhaber Harald Röhl unterschriebene Rechnung als Fälschung entlarvt. Die Ermittler finden heraus, dass die Rechnung und der Liebesbrief auf der gleichen Schreibmaschine geschrieben wurden. Der Kreis der Verdächtigen spitzt sich auf Gürtner und Röhl zu, zumal die Notizen Irmgards auflisteten, wann Gürtner die Waren nachts ins Lager lieferte. Auch sie hatte ihn in Verdacht. Tatsächlich versuchen Gürtner und Röhl nun, die in der Firma Menge zwischengelagerte Ware eilig in Irmgards Haus zu bringen. Dort werden sie von der Polizei gestellt.
Gürtner gibt zu, die Waren vom Herstellerbetrieb abgeholt und einen Teil sofort abgezweigt zu haben. Die im Gegensatz zu den Lieferscheinen so entstandenen Fehlmengen habe er aus dem Lager selbst geholt und dazugestellt. Keiner wusste, dass er einen Nachschlüssel für die Lagertür hat, den Röhl anfertigen ließ. Gürtner machte Irmgard vor einem halben Jahr mit dem deutlich jüngeren Röhl bekannt. Sie blühte in der Zeit auf, was auch den Kollegen nicht verborgen blieb. Imponiert hatte ihr neben Röhls Charme auch sein Motorboot, in dem er sie und Gürtner beim ersten Treffen herumfuhr. Gürtner wollte nun ebenfalls ein Motorboot und Röhl bot ihm an, bei der Warenverschiebung mitzumachen, um das nötige Geld dafür zu verdienen. Bei der Befragung vor Peter Fuchs behauptet Röhl, mit allem nichts zu tun zu haben. Den Einbruch und die Warenverschiebung legt er Gürtner, Irmgard und am Ende sogar der alten Clara Menge zur Last. Den Brief habe er nicht geschrieben und die Unterschrift auf der Rechnung sei gefälscht. Er habe auch keine Schreibmaschine, behauptet Röhl, bis ihm Peter Fuchs die in seinem Haus gefundene Schreibmaschine plötzlich zeigt – mit der Brief und Rechnung geschrieben wurden.
Rezension
„Es war die 38. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Oberleutnant Peter Fuchs ermittelte in seinem 23. Fall und Leutnant Lutz Subras in seinem 21. Fall. Die Kritik stellte fest, dass Giso Weißbach die Figur des Röhl als „einschichtigen Antipathieträger“ anlegte, der „schön, aber fies“ ist. Der Polizeiruf zählt zu jenen mit „handfeste[n] Delikte[n], hinter denen die Absicht der individuellen Bereicherung steht und die ‚zum Nachteil sozialistischen Eigentums‘ verübt werden.““[3]
Wenn es nicht immer wieder Abweichungen, Varianten gäbe, könnten wir nach höchstens 10 Prozent aller DDR-Poliizeirufe, die wir bisher gesehen habe, das Buch der Motive und Handlungen schon fast schließen, denn Diebstahl zwecks individueller Bereicherung scheint „drüben“, genau wie im Westen, ein Massenphänomen gewesen zu sein. Oft ein wenig dadurch spezifiziert, dass jemand Schulden hat, mithin: Sein Leben nicht an die sozialistischen Gegebenheiten anpassen kann. Aber wo von Privatbesitzern gesteuerte Wasserfahrzeuge auftauchen, ist sogar Hedonismus im Spiel, „Schwarze Ladung“ hat uns ein wenig an „Draußen am See“ erinnert. Trotzdem – diese wunderschönen Holzboote.
Etwas mehr Spielzeit als die für damalige Verhältnisse knapp unterdurchschnittlichen 63 Minuten hätte der Film nicht wegen der Vermittlung der Botschaft, sondern aus plottechnischen Gründen gebraucht. Vieles wird von den Figuren einfach erzählt. Vor allem der Brigadeführer Rottmann wird als Logistik-Manual verwendet und der Zuschauer versteht irgendwann nur noch Güterumschlagplatz. Sehr interessant, dass der Film trotzdem recht knackig wirkt. Das ist einer konsequenten Schauspielerführung zu verdanken, die alle Figuren nach kurzer Zeit plastisch hervortreten lässt, und so wenige sind das gar nicht.
Wir nehmen an, der oben erwähnte Experte, der ein Buch über den DDR-Polizeiruf geschrieben hat, ließ einige Sätze mehr zu diesem fallen und der zitiert Abschnitt ist ein – zusammenfassender – Ausschnitt.
Bis auf den bösen Röhl und die sehr strikt ermittelnden Polizisten Fuchs und Subras gibt es trotz der kurzen Spielzeit einiges an Differenzierung zu beobachten. Zum Beispiel die Figur Irmgard. Immerhin hat Röhl doch bewirkt, dass sie wieder aufblüht und das Leben genießen kann, aus dem sie sich nach dem Tod ihres Mannes für Jahre zurückgezogen haben. Dann gibt es den Gürtner, einen unscheinbaren kleinen Mann, der in einer interessanten Zwischenstellung angesiedelt ist. Er macht bei Röhl mit, um auch ein wenig teilhaben zu können und um Irmgard näherzukommen. Fred Delmare, dessen großen Auftritt wir gerade in „Der zersprungene Spiegel“ (1985) bewundern konnten (Rezension noch nicht veröffentlicht), spielt den Gürtner wunderbar.
Am meisten Sympathie aber bekommt der lebenslustige Konsumlagerbrigadier mit dem sprechenden Namen Rasch. Der Name ist ihm gegeben worden, weil er immer, nachdem er sich gerade in einem Job eingelebt hat, wieder von dannen zieht und angeblich sein Talent vergeudet. Er wirkt zunächst wie der natürliche Täter, wegen seiner Schreibmaschine und weil er ein vergleichsweise lockerer Wandervogel ist.
Aber dann muss sogar Fuchs, während er mit Subras zum Baden in den See steigt, zugeben, dass dieser Rasch ihm imponiert. Weil er nämlich trotz bester Beurteilungen und Karrierechancen an jedem Arbeitsplatz, den er antritt, konsequent seinen Plan verfolgt, nach einem halben Jahr weiterzuziehen. Er will ja über all das, was er erlebt, einen Roman schreiben. Nachdem der Chefermittler Fuchs dafür Verständnis hat, ist klar, dass Rasch als Täter ausscheidet, denn so fundamental irrt sich Fuchs nicht in einem Menschen.
Fuchs und Subras werden hier von ihren kriminalistischen Skills auf sehr ähnlichem Niveau gezeigt und es gibt humorvolle Momente, ihr Umgang miteinander und diese Mischung aus immer feste voran im sozialistisch-kriminalistischen Eifer und nicht alles bierernst nehmen erinnerte uns an den Top-Polizeiruf „Heiße Münzen“ aus dem Vorjahr.
Normalerweise wird es in Polizeirufen peinlich vermieden, die DDR als einen Staat darzustellen, dessen Normensystem gewisse Eigenarten aufweist, die auf geringer ausgeprägte Menschenrechte hinweisen könnten. Oft sind die Ermittler sogar recht verständnisvoll oder zurückhaltend in ihren Bewertungen und alles andere ist Strafrecht. Dass in diesem Strafrecht sozialistisches Eigentum ebenso schützenswert ist wie privates, versteht sich von selbst und ist an sich nicht zu beanstanden. Allerdings hat die Exekutive weitreichende Befugnisse, kann zum Beispiel offensichtlich ohne Durchsuchungsbeschluss in fremde Wohnungen eindringen und welche Fragen in einem Verhör / einer Vernehmung zulässig sind, entscheidet allein der Fragende.
Wenn jemand wie Rasch sich immer gut führt und sich nie etwas zuschulden kommen lässt, hat die Polizei nach unserer Ansicht nicht das Recht, ihn nach den Motiven für seine häufigen Jobwechsel auszufragen. Es ist daher vom Gefühl richtig, dass er dies zunächst ablehnt. Viele Menschen, die sich für links halten, aber auch autoritär geprägt sind, werden nicht verstehen, dass wir derlei Feinheiten für erwähnenswert halten, aber es geht nun einmal in Richtung unerlaubtem Ausforschen der Privatsphäre, das nichts zur Aufklärung des Falls beiträgt. Und etwas sagt uns, dass das realistisch ist.
Tatorte sind in der Hinsicht allerdings ganz anders drauf, die Cops werden gezielt als übergriffig dargestellt, heißt, sie handeln nach rechtstaatlichen Maßstäben nicht korrekt, weil das viel zu sehr aufhält. Der Zweck heiligt die Mittel, und wenn jemand sich wehrt, müssen die Ermittler nur mal kräftig drauf bestehen, dass alles seine Richtigkeit hat und schon knickt die andere Seite ein. Von insgesamt unzulässigen Verhörmethoden, die sogar Gewaltanwendung einschließen, ganz zu schweigen.
So, wie wir noch keinen West-Cop in Badehosen gesehen haben, haben wir noch nicht darüber schreiben müssen, dass ein Ost-Ermittler körperlich wird, wie es hüben spätestens mit der Installierung der Figur Horst Schimanski enttabuisiert wurde.
Finale
„Schwarze Ladung“ ist routiniert im besseren Sinn, sehenswert wegen seiner interessanten Charaktere, als Fall überkomplex in Relation zur Länge und zeigt die sozialistische Ordnung nicht als etwas in Schieflage, wie einige Polizeirufe, in denen ganze Kollektive sich so bereichern wie hier der Einzelgänger Röhl. Dass es Letzteres zumindest im Film schon Mitte der 1970er gab, haben wir kürzlich in „Fehlrechnung“ mit einigem Erstaunen festgestellt.
7,5/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Otto Holub |
| Drehbuch | Otto Holub Hans Siebe |
| Produktion | Peter Sommer Lutz Clasen |
| Musik | Rudi Werion |
| Kamera | Helmut Borkmann |
| Schnitt | Gisela Schmidt |
| Besetzung | |
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