Mörderspiele – Tatort 565 / Crimetime 403 // #Tatort #Münster #Muenster #Thiel #Boerne #Mörder #Spiele #Tatort565 #Mörderspiele

Crimetime 403 Titelfoto © WDR, Michael Böhme (2)

Leichen mit und ohne Kopf, Ermittlungen und Figuren mit und ohne Sinn

Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: In einem See bei Münster wird ein Leichentorso gefunden, die Sache erinnert fatal an einen spektakulären Mord fünfzig Jahre zuvor, die Spuren führen demgemäß in die Vergangenheit, dieses Mal in diejenige von Staatsanwältin Klemm, aber auch in die Ukraine und an das Romanistik-Institut an der Uni Münster; als die Identität der Leiche geklärt ist, muss bereits ein zweiter Frauenmord bearbeitet werden. Und wie hat uns der Film gefallen? Das steht in der -> Rezension

Handlung

Kommissar Frank Thiel ermittelt in einem spektakulären Mordfall. Beim Spielen am Aasee haben Kinder eine Leiche ohne Kopf entdeckt. Kurz vor ihrem Tod muss die junge Frau Unmengen von Rotwein und Trüffeln zu sich genommen haben. Der Obduktionsbericht von Rechtsmediziner Prof. Karl-Friedrich Boerne ist eindeutig: Es sind die gleichen Umstände wie bei dem Aufsehen erregenden Rohrbach-Mord in den 50er Jahren, der nie aufgeklärt werden konnte und noch heute als beispielloser Justizskandal gilt.

Entsprechend groß ist der Druck, der jetzt auf Staatsanwältin Wilhelmine Klemm und ihrem Team lastet. Zunächst muss die Identität der Leiche geklärt werden. Kommissar Thiel geht einer Vermisstenanzeige der Studentin Laura Schott nach. Handelt es sich bei der Leiche um ihre Freundin Solveig Helmhövel? Der Buchhändler Sigbert Helmhövel und seine Schwester Monika zeigen sich überrascht. Sie wähnen Solveig im Urlaub auf Madeira. Derweil erscheint mit Dr. Oleg Buykov ein überaus einflussreicher ukrainischer Geschäftsmann auf der Bildfläche. Sogar das Bundeswirtschaftministerium mahnt die Ermittler zu äußerster Diskretion. Die Personenbeschreibung der Toten vom Aasee passe genau auf seine Ehefrau, gibt der Handelsreisende zu Protokoll. Hat hier die Russen-Mafia ihre Finger im Spiel? Tatsächlich identifiziert Buykov die Leiche wenig später als Olga Buykova. Doch Thiel bleibt skeptisch. Da geschieht ein zweiter Mord.

Rezension / enthält Angaben zur Auflösung

Plus:

  • Frank Thiel. Der etatmäßige Ermittler bei der Münsteraner Mordkommission wirkt moderat witzig und stimmig, vom wenig erfolgreichen Versuch, Fahrraddiebstahl zu verhindern bis zu seiner Funktion als Klammer der unterschiedlichen Handlungsfäden, die Ermittlung lässt er sinnvollerweise vor allem von Boerne durchführen, der das mit den Röntgenbildern besser kann, mehr Leute kennt und keine Gefahr scheut, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
  • Rosel Zech als Monika Hanke-Helmhövel. Wenn man Logik und Wahrscheinlichkeit überspringen will, erschafft man am besten eine Figur, deren Handlungen keiner üblichen Gesetzmäßigkeit folgen, und eine solche Figur verkörpert Zech glaubhaft und mit derbem, schwarzem Humor.

Neutral:

  • Karl Friedrich Boerne. Weniger wortgewaltig als manchmal sonst, aber in beachtlichem Maß todesmutig, geht der Rechtsmediziner allein auf Ermittlungstour und gerät so in arge Bedrängnis, was ihn aber nicht davon abhält, per Telefongespräch noch einmal den Fall ans Publikum zu referieren, während er gerade einem Riesen verfolgt wird. Seine Verbindungen zu jeder relevanten Persönlichkeit in Münster sind legendär und bringen die Ermittlungen mehr voran als seine Alleingänge und als Thiels sture Polizeiarbeit.
  • Staatsanwältin Klemm. Sie hat dieses Mal viel Spielzeit und macht ihre Sache gut, mit lesbischen Anwandlungen kann man sie sich durchaus vorstellen, vor allem in der Phase des „Ausprobierens“. Die Art, wie ihre Vergangenheit in den Fall einbezogen wird, trägt aber dazu bei, dessen Schwächen zu offenbaren. Ihre Verbindung zum Justizskandal vor fünfzig Jahren ist nämlich bei näherer Betrachtung nur die, dass sie damals gerade lernte, in der Zeitung über derlei Vorfälle zu lesen.
  • Der Fall ist hoffnungslos überkonstruiert und es wimmelt von Elementen, die man wohl nur für originell hält, wenn man sie selbst verfasst hat. Weder die Aktion des ukrainischen Oligarchen (sehr schöner Bezug zur aktuellen Politik) noch der Zeitpunkt der wirklichen Tat erschließen sich, die Verknüpfung mit dem einstigen Justizskandal und warum zwei Morde von derselben Person auf so unterschiedliche Weise begangen werden, bleiben im Dunkeln oder fallen der allgemeinen Verwirrung zum Opfer.

Minus:

  • Das übrige Team wird eher knapp eingebunden und trägt dennoch zur Überfrachtung dieses Tatorts bei, besonders Thiels Vater mit seinen ewigen Grasgeschäften.
  • Der Humor reicht bei weitem nicht an die besten Tatorte mit Thiel und Boerne heran, was auch damit zu tun hat, dass Thiel eher außen vor bleibt, wenn es um die Gags geht, bis auf ein paar unnötige Momente wie den Dialog von der Straße hinauf zu Boernes Wohnung, aus der nächtliche Musik dröhnt.

Superplus:

  • Thiel und Boerne sind komplett und damit das erste Tatort-Ermittlerteam, das a.) gestartet war, bevor der Wahlberliner begonnen hat,  Tatortrezensionen zu verfassen, das b.)  noch aktiv ist und c.) das mehr als einen oder zwei Filme hat und d.) dessen Tatort-Filmografie wir nun komplett haben. Das liegt auch daran, dass wir zu Beginn der „Nacherfassung“ (der Kritik älterer Tatorte neben dem Schreiben über die Premieren) Thiel und Boerne immer bevorzugt berücksichtigt haben. Sie sind ja auch nach wie vor die Beliebtesten unter 21 Tatort-Ermittlerteams – nach Zuschauerquoten.

Es kann von Vorteil sein, Regie und Buch für einen einer einzigen Person anzuvertrauen,Autorenfilme sind häufig durch diese From der Personalunion gekennzeichnet. Dadurch kann ein Werk von hoher stilistisch-inhaltlicher Geschlossenheit entstehen, denn es gibt keine möglichen Übertragungsverluste zwischen Intentionen des Verfassers und Umsetzungsideen des Inszenierenden.

Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, wenn niemand da ist, der nachfragen könnte, wie man einen Plot sinnvoll ins Bild setzen soll, der von schwammigen Handlungslinien und unmöglichen Handlungsweisen so durchsetzt ist, dass man auch nach der Erfahrung aus beinahe 400 Tatort-Rezensionen nicht dahinterkommt, wen gerade welches Motiv zu welchem Zeitpunkt antreibt. Am deutlichsten sichtbar wird das an der Figur des ukrainischen Handlungsreisenden, die nicht nur im Ganzen ein typisches Element ist, das den Plot fetter und knalliger wirken lassen soll, sondern dessen Motiv, die Tote als seine Frau auszugeben, nie geklärt wird. Oder glaubt er wirklich, sie sei seine Frau? Das wäre dann wirklich schwärzester Humor, der belegen würde, dass diese von den postsowjetischen Wirren nach oben gespülten Leute ihnen nahestehende Menschen weniger identifizieren können als die Farben des Geldes.

Warum der zweite Mord (an einer Studentin) geschieht, ist vergleichsweise klarer als die Hintergründe des ersten, wenn man es vom Schluss aus betrachtet. Die Begehungsweise jedoch, die einen erheblichen Aufwand erfordert, wirkt, als wolle die Mörderin sich unbedingt outen – auch wenn die physische Durchführung sich letztlich  durch den Einsatz des physisch starken Handlangers auf dem Hof erklärt. Aber auch der hatte sicher Spuren hinterlassen, denen man vielleicht hätte nachgehen können.

Die Verbindung zu dem Skandalmord aus ca. 1954 ist herbeizitiert und erschließt sich nicht aus Notwendigkeiten oder Motiven, die in der Vergangenheit liegen: Der Auslöser, der auch die Staatsanwältin einbezieht, nämlich ein offenbar nie verarbeitetes Eifersuchtsszenario von drei Mädchen im Alter von vielleicht 17 Jahren, passt nicht zum Zeitpunkt des damaligen Mordes und auch sonst gibt es keine relevante Verbindung. Das Ganze ist just vor Show.

Nett gefilmt sind die Münster-Tatorte alle mehr oder weniger, da macht auch „Mörderspiele“ keine Ausnahm, das macht aber noch keinen guten Film daraus.

Finale

Dass es auch in der Hochphase der Prahl-Liefers-Kooperation am Tatort Münster schon schwache Filme gab und nicht erst in letzter Zeit, beweist „Mörderspiele“. Aber um diesen Tatort herum wurden bessere Filme gedreht. „Mörderspiele“, wäre er im letzten Jahr gedreht und zwischen die anderen neuen Thiel-Boerne-Filme gestellt worden, hätte vielleicht sogar einen übedurchschnittlich guten Eindruck hinterlassen (1).

Doch, stellenweise ist der Film witzig und die Regie ist wieder mal besser als das Buch, was man daran feststellen kann, dass die Schauspieler meist ganz gut durch diesen absurden Plot geführt werden und man ihnen selten ansieht, dass sie hier genauso verschaukelt werden wie der Zuschauer.

Sucht man nach Werthaltigem und nach Szenen, die im Gedächtnis bleiben, zum Beispiel bis zum nächsten Tag, dem Abstand zwischen dem Anschauen und dem Schreiben dieses Beitrags, gibt es einige: Der Beinahe-Tod im Häcksler (Titel eines anderen Tatorts) von Boerne, die Flinte im Anschlag gegen Wilhelmine Klemm, der Oligarchen-Satz „Ich bin traurig“ und andere – längerfristig werden die meisten davon nicht im Gedächtnis bleiben. Das ist nicht schlimm und trifft auf die meisten Szenen der meisten Tatorte zu. Aber es gab dieses Mal auch nichts, was uns reingezogen hätte. Ein paar Lacher, ja. Ein seliges Lächeln angesichts einer gelungenen Mischung aus Komödie und Krimi leider nicht. 

6/10

(1) Der Beitrag wurde ursprünglich im Februar 2014 verfasst und berücksichtigt auch nach der leichten Überarbeitung, die wir ihm Zwecks Veröffentlichung haben angedeihen lassen, die Tatorte nicht, die ab März 2014 Premiere hatten.

(2) Das Titelbild hat uns deshalb so gut gefallen, weil es besonders typisch etwas ausdrückt, was nicht nur für diesen Film gilt: Das Verhältnis zwischen Boerne und Thiel. Boerne erklärt Thiel die Welt, der guckt, als ob er die Erklärung nicht recht glauben mag.

© 2019, 2016, 2015, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Frank Thiel (Axel Prahl)
Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers)
Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann)
Silke Haller („Alberich“) (ChrisTine Urspruch)
Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter)
Herbert Thiel (Claus D. Clausnitzer)
Monika Hanke-Helmhövel (Rosel Zech)
Sigbert Helmhövel (Karl Kranzkowski)
Laura Schott (Tanja Schleiff)
Kalmund Brozs (Dirk Schoeden)
Dr. Oleg Buykov (Mark Zak)

Buch: Stephan Meyer
Regie: Stephan Meyer
Kamera: Michael Tötter
Musik: Martin Doepke

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