Crimetime 423 - Titelfoto © WDR
Bitter ist auf jeden Fall das Ende
„Bittere Mandeln“ ist der elfte Film des Kölner Ermittlerduos Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär). Wenn man so will, ein Film aus der goldenen Ära der beiden. Sie haben sich erkennbar gefunden und ihre Rollen sind im Wesentlichen so ausgestaltet, wie man sie heute noch wahrnimmt. Die Assistentin heißt allerdings noch Lissy, nicht Franziska. In diesem leisen Film gibt es zwei Tote, das ist eine übliche Quote. Was es darüber hinaus zu sagen gibt, steht in der -> Rezension.
Handlung
Gerd Weisbach, ein wohlhabender Mittsechziger, ist tot in seiner Villa aufgefunden worden. Der Geruch von Bittermandel lässt keinen Zweifel: Der Mann starb durch Zyankali. Das hochpotente Gift war in Weisbachs Medizin gemischt. Selbstmord oder Mord? Es spricht einiges dafür, dass sich Weisbach aus freien Stücken das Leben genommen hat, denn: Es gibt keine Anzeichen einer Gewalttat. Außerdem war Weisbach unheilbar an Krebs erkrankt. Zögernd nehmen die beiden Kriminalkommissare Schenk und Max Ballauf die Ermittlungen auf.
Die Frau des Toten, Evelyn Weisbach, lebt von ihrem Mann getrennt im Ausland. Sie scheint ebenso aufrichtig über den Verlust ihres Mannes zu trauern wie dessen Geliebte Marion Grimm. Und doch profitieren beide Frauen finanziell vom Tod des Vermögenden. Ein Vorfall aus der Vergangenheit führt die Kölner Fahnder zu weiteren Verdächtigen: Vor Jahren verletzte Weisbach bei einem Unfall einen Motorradfahrer. Axel Nehls ist seitdem querschnittsgelähmt, und seine Frau Dagmar war vor kurzem als Mitarbeiterin eines Partyservice in Weisbachs Haus. Mord aus Rache?
Ballauf und Schenk sind überzeugt, dass das Rätsel um Weisbachs Tod nur gelöst werden kann, wenn Herkunft und Verbreitung des tödlichen Pulvers geklärt sind. Zumal sich die Fälle von Zyankalivergiftungen an todkranken Menschen häufen. Nehls Pfleger Martin Lotz bringt die Kommissare auf eine heiße Spur. Er gesteht, Adressen von sterbewilligen Patienten gegen Provision an einen Unbekannten zu vermitteln. Organisierte Sterbehilfe als lukratives Geschäft! Ist Weisbach doch freiwillig gestorben? Freddy Schenk treibt den Fall auf riskante Weise voran: Er beschließt, seine Großmutter für eine „Bestellung“ einzuspannen.
Rezension
Die Atmosphäre dieses Films ist eine sehr besinnliche und melancholische. Weil es um alte Menschen geht, die sterben wollen. Weil Ilse Werner, die fünf Jahre nach dem Mitwirken in diesem Tatort verstarb, hier ihre letzte Fernsehrolle spielt. Als Großmutter von Freddy Schenk und potenzielle Zyankali-Anwenderin, die uns die Vergänglichkeit unseres Seins und möglicherweise unseres Willens zum Sein vor Augen führt. Manche Menschen werden allerdings selbst in ihren hohen Jahren nicht hässlich und haben eine unverkennbare Aura behalten in der langen Zeit, die zwischen großen Erfolgen als einer der letzten Ufa-Stars und späten, eher kleinen Rollen liegen mag.
Vielleicht ist es eine Lebensaufgabe, eine solche Ausstrahlung und Würde zu bewahren. Wir können uns das auch bei Max Ballauf vorstellen, der in diesem Köln-Tatort die dominierende Rolle einnimmt. Dominierend in dem Sinn, dass er im Mittelpunkt steht, nicht aufgrund dominanten Auftretens, das auf den Putz hauen ist generell nicht sein Ding.
Da die Handlung dieses traditionellen Whodunits eher konventionell ist und wenig Spektakuläres bietet, können wir uns wieder einmal mit unserer Lieblings-Passionsfigur unter den Tatort-Kommissaren beschäftigen, das tun wir in der -> Rezension.
Mittlerweile tun einige Tatort-Ermittler schon eine Generation lang Dienst und begleiten Menschen durch Lebensphasen, das trifft mittlerweile auch auf die beiden sympathischen Rheinland-Cops zu, auch wenn ihre Filme mittlerweile mit Manierismen überfrachtet sind. Ob auch Max‘ ewige Suche nach einer verwandten Seele dazugehört, wie die Wurstbude am Ende und Freddys Superschlitten aus Sicherstellungsbeständen als Dienstautos, ist Ansichtssache.
Manch profilierter Tatort-Zuschauer lästert gerne darüber, dass, wenn Max sich mal verliebt, die Frau seiner Wahl entweder umkommt oder die Täterin ist. Das ist wahr und doch – diese Momente sind seine größten, nicht etwa die Konfrontation mit dem Polizeialltag, wo sein Blick manchmal aussagt, wie angefasst und genervt er ist. Wo manche Kommissare jüngster Bauart eher platt oder überdreht wirken, kommt er dezent und beinahe zu feinfühlig für einen Polizisten rüber. Das hat ihm besonders in jüngeren Jahren viele Sympathien eingebracht, und zu den jüngeren Jahren zählen wir „Bittere Mandeln“ auf jeden Fall (Klaus J. Behrendt war zum Zeitpunkt des Drehs 39 Jahre alt). Auch hier geht es wieder um das Thema des Älterwerdens.
Wenn man nur den Film an sich nimmt, bietet sich ein Vergleich an. Es kommt eher selten vor, dass bei uns mehrere Tage zwischen dem Anschauen eines Tatortes und dem Schreiben darüber liegen. Im Fall von „Bittere Mandeln“ war das aber aus Zeitgründen so, auch deshalb, weil wir das aktuelle Spektakel „Willkommen in Hamburg“ (Link: die Titelreminiszenz an „Willkommen in Köln“, den wir ebenfalls für den Wahlberliner rezensiert haben) vorziehen mussten, bei derzeit insgesamt kleinem Zeitbudget fürs Schreiben über unsere Lieblingsserie.
Nochmal zwei Tage zuvor haben wir uns „Das Mädchen im Moor“ mit dem Kieler Kommissar Klaus Borowski geschaut. Die Rezension steht noch aus. Nach Hamburg, Köln und Kiel stellt sich eine interessante Feststellung ein. Es wird höchste Zeit, den Bericht über „Bittere Mandeln“ zu Papier zu bringen, denn wenn wir Bilder der letzten Tatorte vor Augen haben, dann sind es immer die aus Kiel, nicht die aus Köln. Sicher ist das eine individuelle Wahrnehmung, sagt aber auch ein wenig darüber aus, was wir für intensives Krimigeschehen halten.
Die Handlung des Köln-Films brennt sich eben nicht so in die Erinnerung ein. Dazu kommt, ausgerechnet an Max Ballauf festgemacht, ein kleines Problem hinzu.
Er wird tatsächlich als einsamer Wolf nicht nur gezeigt, sondern von der nunmehr Witwe Weisbach auch als einsam bezeichnet. Dass er dagegen nicht viel vorbringt, ist verständlich. Dass er sich einer Frau so annähert wie dieser blonden Giftmörderin (es wird schon früh im Film darauf hingewiesen, dass 90 % aller Giftmorde von weiblichen Tätern begangen werden), ist ungewöhnlich. Es wirkt auch ein wenig befremdlich, denn wir hätten diese beiden Menschen nicht als Typen identifiziert, die sich füreinander sexuell interessieren könnten. Vor allem hätten wir nicht gedacht, dass der zurückhaltende Max sich gerade auf jemanden einlässt, von dem er schon ahnen sollte, dass am Ende eine Verletzung der Seele steht.
Dies schreibt sich allerdings leichter, wenn man die Tatorthistorie erst seit 2011 von hinten aufrollt und weiß, was später alles in Köln geschah. Zum Beispiel in „Mitten ins Herz“, nur drei Tatorte später. Eine echte Lovestory mit tödlichem Ausgang und mit Langzeitwirkungen. Nach dieser finalen Verlusterfahrung wird Max Ballauf sich nie wieder so deutlich einlassen wie auf Anja Kling in diesem echt traurigen, alles in allem sehr schönen Tatort.
Im Vergleich dazu wirkt das Private in „Bittere Mandeln“ weiter hergeholt und stört ein wenig die elegische Atmosphäre eines Filmes, der vermutlich um Allerheiligen herum gedreht wurde. Erstmalig gezeigt wurde er, nicht sehr passend, im März, kurz vor Frühlingsanfang – mittlerweile lässt man zuweilen abgedrehte Tatorte ein ganzes Jahr ruhen, um ein authentisches Jahreszeitfeeling bei der Premiere zu gewährleisten.
Fazit
„Bittere Mandeln“ gehört nicht zu den besonders erfolgreichen Köln-Tatorten, wenn man ihn an der Zahl der Wiederholungen misst (es gab in 13 Jahren erst deren vier, eine auf dem ARD-Hauptkanal und die übrigen vom produzierenden Sender WDR).
Zu einer Köln-Anthologie gehört dieser Film nun einmal dazu und schlecht ist er wirklich nicht. Er ragt nicht heraus und behandelt sein soziales Thema, die Sterbehilfe, eher dezent und auch hinreichend differenziert – wobei die Tendenz trotz des Missbrauchs der Zyankali-Kapseln zu Mordzwecken eindeutig dahin geht, Menschen das Sterben zu erlauben, die nicht mehr leben wollen. Der Trend dazu hat sich bis heute erhalten und wurde noch in manchem Tatort thematisiert (besonders eindrucksvoll in „Der glückliche Tod“ aus Ludwigshafen).
Da wir alle nicht jünger werden und alle auch mal einsam sind und da wir beides annehmen und uns damit auseinandersetzen sollten, behält „Bittere Mandeln“ seine gültigen Momente und Aussagen. Es macht ihn angenehm, dass er sich keine Extravaganzen im Angesicht des Endes vieler Leben leistet und wir geben für diesen unprätentiösen und ruhigen Film 7,5/10.
© 2019, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Kommissar Max Ballauf – Klaus J. Behrendt
Kommissar Freddy Schenk – Dietmar Bär
Evelyn Weisbach – Renée Soutendijk
Lissy – Anna Loos
Marion Grimm – Jana Hora
Schlegel – Jochen Kolenda
Lotz – Ralf Bauer
Gertrud Schenk – Ilse Werner
Drehbuch – Karl-Heinz Käfer
Regie – Kaspar Heidelbach
Kamera – Dragan Rogulj
Musik – Arno Steffen
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

