Crimetime 446 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD
Der Wunsch nach modernen Überwachungsmethoden
„Kein Paradies für Elstern“ ist der Nachfolge-Polizeiruf des sehr gelungenen „Fehlrechnung„, in dem ein ganzes Kollektiv sich auf geschickte Weise bereichert hat. Das ist ein Howcatchem, denn die kleine Tätergruppe kannte der Zuschauer von Beginn an. „Kein Paradies für Elstern“ ist wiederum ein klassischer Whodunit, ein Rätselkrimi, dieses Mal mit besonders vielen Verdächtigen – aber letztlich waren es nur zwei Täterpersonen, die den Diebstahl im Kaufhaus begangen haben. Der Film ist nach einem realen Fall gestaltet worden, mehr dazu in der -> Rezension.
Handlung (Wikipedia)
Im Centrum Warenhaus findet Nachtwächter Walter Fritsche seinen Kollegen Max Dinge mit Ether betäubt in der Kosmetikabteilung vor. Vor Ort muss ein Kampf stattgefunden haben. In der Schmuckwarenabteilung wiederum wurden sämtliche Auslagen gestohlen. Die dortige Kollegin Wendt hatte wie bereits zweimal zuvor aus Eile die Schmuckstücke und Uhren nicht wie vorgeschrieben über Nacht in den Safe eingeschlossen. Der Schaden beläuft sich auf 80.000 Mark.
Oberleutnant Peter Fuchs, Leutnant Vera Arndt, Meister Lutz Subras und Leutnant Scheinpflug werden mit den Ermittlungen betraut. Mehrere Personen sind verdächtig: Der Heizer des Warenhauses Klaus Schober war nachts über das verschlossene Tor auf das Warenhaus-Gelände geklettert. Er hatte seinen letzten Zug verpasst und wollte am nächsten Morgen nicht zu spät zur Arbeit erscheinen. Er hoffte, sich im Wärterhäuschen schlafen legen zu können. Verdächtig ist auch der vorbestrafte Horst Lempel, dessen Freundin Gerda Schröter in der Schmuckabteilung arbeitet. Er selbst ist in der Werkstatt des Warenhauses tätig. In der Werkstatt war ein Fenster offen, über das man in die Werkstatträume gelangen konnte. Von dort erreicht man über zwei Türen die Warenhaus-Räume. Die Türen könnten leicht mit einem Draht geöffnet werden, doch wurden sie den Untersuchungen gemäß stets per Schlüssel aufgeschlossen. Zwar hat Werkstattleiter Schmöke einen inoffiziellen Schlüssel zu diesen Türen, doch wurde er kurz vor dem Einbruch vom Hausmeister vernichtet. Davon wissen nur die Personen in der Werkstatt etwas. Lempel fällt daher als Täter aus.
Auch die Nachtwächter selbst geraten ins Visier der Ermittler. Walter Fritsche hatte in der Tatnacht Besuch von seiner Ehefrau bekommen, was er den Ermittlern verschwiegen hatte. Er ist zudem Hobbyfotograf und braucht dafür Geld. Max Dinge wiederum führt für seinen Verdienst ein recht kostspieliges Leben. Lutz Subras hat den Verdacht, dass Dinge selbst der Täter gewesen sein könnte. Auch die ehemalige Mitarbeiterin des Warenhauses, Beate Wittig, wird vernommen, da Dinge mit einem Oberhemdstück, Kragenweite 46, betäubt wurde, das vor fünf Jahren von ihr verkauft wurde. In ihrem An- und Verkauf ersteht Peter Fuchs auf Betreiben von Vera Arndt eine Melone. Beide Ermittler sehen aber auch, dass Beate Wittig in ihrem Laden Schmuck anbietet. Die Lösung bringen schließlich die Überwachungskameras des Warenhauses. Dinge wollte nach seinem Krankenhausaufenthalt sofort wieder zur Arbeit gehen. Die Kameras erfassen ihn, als er den gestohlenen Schmuck aus einem Versteck holt und in der Kundenabteilung in einem Karton verstaut. Dinge gesteht, den Schmuck gestohlen zu haben. Seit fünf Jahren beraubt er das Warenhaus und macht mit Beate Wittig gemeinsame Sache, die das Raubgut in ihrem Laden verkauft. In den letzten Jahren haben beide so 75.000 Mark verdient. Seiner Ehefrau gegenüber hat Dinge einen zusätzlichen Nebenverdienst von 500 Mark im Monat vorgegeben, der beiden ihren Luxus erlaubte. Der Fall ist geklärt und Lutz Subras hatte die richtige Vermutung. Als Belobigung erhält er im Beisein der amüsierten Kollegen die bei Beate Wittig gekaufte Melone überreicht.
Rezension
Witzigerweise hieß der Arbeitstitel „Im Paradies der Elstern“. Hatte man etwa vor, erstmals einen Fall zu zeigen, der nicht aufgeklärt werden kann? So fern hätte das nicht gegen. Wir zitieren noch einmal die Wikipedia:
„Grundlage der Handlung ist ein authentischer Fall: In der Nacht vom 21. zum 22. Dezember 1971 wurden in der Schmuckwarenabteilung des Kaufhauses Zwickau aus einer Vitrine Goldwaren im Wert von 43.000 Mark der DDR gestohlen. Allerdings gestaltete sich die Aufklärung des realen Falls sehr viel schwieriger als im Film. Bis zu den Dreharbeiten 1974 war der Täter in Zwickau noch nicht ermittelt.“[1]
Im Film wird der Fall anhand von Überwachungskameras gelöst, die man offenbar eigens installiert hat, um dem Täter dabei auf die Spur zu kommen, man erfasst schließlich im Bild, wie er den Schmuck, der noch im Haus versteckt ist, wegbringt. In der Inhaltsangabe klingt es so, als seien ohnehin Kameras installiert – wäre das so gewesen, hätte man die Tat aber nicht auf die gezeigte Weise ausführen können. Es sei denn, die Kameras wären nachts abgeschaltet, weil ja keine des Klauens verdächtigen Kunden anwesend sein können. Wir hatten jedoch den Eindruck, die Geräte seien erst im Wege der Falllösung eingebaut worden. Deshalb wird auch darüber diskutiert, dass man diese Objekte doch recht deutlich sieht. Offenbar bemerkt sie aber ausgerechnet der Nachtwächter nicht, der jeden Winkel des Kaufhauses kennt.
Eigentlich war der Fall schon nach fünf Minuten klar. Zwei Nachtwächter, für beide stellt diese Arbeit einen sozialen Abstieg dar, weil sie wegen Berufsunfähigkeit umgeschult wurden und vorher besser verdienten. Der eine hat ein Hobby, das Leutnant Arndt für teuer hält, der andere aber organisiert sich tatsächlich einen regelmäßigen Nebenverdienst. Warum klar? Weil er zwar als zuverlässig gilt, aber auch, anders als sein Kollege, als Spaßbremse beschrieben wird, welche nichts zur Verbesserung des Betriebsklimas beiträgt. In der westdeutschen Spezialprache der Arbeitszeugnisse ist die Verbesserung des Betriebsklimas ein Negativfaktor, was einiges über den Kapitalismus aussagt, aber hier geht es wohl um die kollegiale Einstellung.
„Kein Paradies für Elstern“ ist ein Film für die taffe Vera Arndt, die hier einem armen, abgeschiedenen Arbeiter zu einem besseren Job verhilft, sich mit Fuchs als Teil eines Paares ausgibt, das einen Hut erwerben will und es ist auch ein Fall für den jungen Lutz Subras, der den richtigen Riecher hat. Stellenweise ist „Diebische Elstern“ humorvoll und selten haben wir in einem der frühen Polizeirufe bisher das ermittelnde Polizeiteam, dem noch eine vierte Person angehört, so interaktiv gesehen.
Allerdings wurde auch noch nie so deutlich, dass ein „ABV“, ein Abschnittsbevollmächtigter, nicht einfach ein Revierpolizist war, sondern auch ein sozialer Spitzel: Was der ABV alles über den Nachtwächter Nr. 1 und seine Frau weiß und an die „K“ weitergibt, scheint man im DDR-Fernsehen für normal zu halten. Dass hingegen ohne Durchsuchungsbeschluss fremde Räume gefilzt werden, sieht man ja auch im Westfernsehen („Dürfen wir uns mal sein / ihr Zimmer anschauen?“ – und dann wird überall rumgekramt). Offenbar wurde aber tatsächlich über das Verhalten jedes Bewohners in jedem Abschnitt eine Akte geführt. Uns hat das trotz des lockeren Tons des Films schockiert. Nicht die berechtigte heutige Kapitalismuskritik sollte auf die DDR verweisen und das, was dort als sozialistisch galt, sondern die Tendenz zur immer stärkeren Überwachung sollte mehr in einen historischen Zusammenhang gestellt werden.
Der Fall selbst hat uns nicht besonders überzeugt, auch das könnte daran gelegen haben, dass das reale Vorbild noch nicht aufgeklärt war und man im Film Technik zu Hilfe nahm, die in der Realität vermutlich noch nicht zu den Standards der Objektsicherung rechnete, sonst hätte sich der Wachraum des Kaufhauses wie eine jener berühmten Fernsehwände ausnehmen müssen, an denen viele Bildschirme angebracht sind, damit man alle oder doch einige Kamera-Erfassungszonen gleichzeitig vor Augen hat.
Angesichts dieses am Ende erbrachten Aufwandes mutet das Schlüsselsystem im Keller des Kaufhauses geradezu archaisch an und warum ein falscher Nachschlüssel nur unbrauchbar gemacht, aber nicht vernichtet wird, erschloss sich uns nicht. Wie oft in den Fällen mit Fuchs kombiniert dieser sich durch alle möglichen Konstellationen hindurch, und zwar so, dass es für den Zuschauer anfängt, unübersichtlich zu werden – was auch der kurzen Spielzeit der Polizeirufe jener Zeit geschuldet ist. „Kein Paradies für Elstern“ ist nicht nur wegen seiner Ausführung in Schwarz-Weiß, sondern auch wegen seiner Dauer von 65 Minuten ein „Standard-Polizeiruf“. Wir teilen die Filme der Reihe aus der DDR-Epoche mittlerweile in zwei Klassen ein, ebenjene eher einfachen Ausführungen und die oft (etwas) längeren und schon ab 1973 in Farbe gefilmten Varianten, die in mancher Hinsicht ein wenig aufwendiger wirkten – häufig zeigen sie mehr ermittelnde Polizist*innen, mehr Außenaufnahmen, überdurchschnittlich luxuriöse Settings und hin und wieder eine Verfolgungsjagd.
Finale
Der Charme von „Kein Paradies für Elstern“ liegt gewiss in der Art nd Weise, wie das Polizeiteam hier vorgeht und miteinander umgeht, darin, dass man Subras und Arndt viel Raum gibt und natürlich im Hintergrund eines echten, zum Zeitpunkt des Drehs noch nicht gelösten Falls. Letzteres führt allerdings auch dazu, dass es einen erkennbaren Bruch zwischen der schlampigen Standard-Objektsicherung und mancher Abweichung von den Dienstvorschriften gibt, die in Polizeirufen immer wieder eine Rolle spielt und der Art, wie man dem Täter dann auf die Schliche kommt.
Mit der Verkäuferin, die abends die Waren nicht verschließt, geht auch Arndt hart ins Gericht. Die Verfehlung wird hier nicht nur für alle Zuschauer als gut zu verstehende Warnung gezeigt, sondern auch kommentiert und das macht für uns auch die Figur Arndt und ihre Darstellerin so interessant: Sie kann sehr einnehmend sein, aber auch einen Ton und einen Blick drauf haben, da läuft’s einem schon mal den Rücken runter und man empfindet sie geeigneten Charakter für Tätigkeiten, die in Diktaturen hoch im Kurs stehen. Interessant weiterhin: Dass nur von „unserem“, nicht von sozialistischem Eigentum die Rede ist, das entwendet wird. Das ist eigentlich sehr trickreich, denn was sozialistisches Eigentum ist, wurde in der DDR so definiert, dass es gerade nicht „uns“ gehört.
6,5/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie Norbert Büchner
Drehbuch Jürgen Fricke
Produktion Hans W. Reichel
Musik Peter Gotthardt
Kamera Winfried Kleist
Schnitt Gerti Gruner
Peter Borgelt: Oberleutnant Peter Fuchs
Sigrid Göhler: Leutnant Vera Arndt
Alfred Rücker: Meister Lutz Subras
Klaus Bamberg: Leutnant Scheinpflug
Jürgen Fricke: K-Techniker Klein
Kurt Radeke: Walter Fritsche
Günter Wolf: Max Dinge
Heide Kipp: Gerda Schröter
Gisela Büttner: Beate Wittig
Gisela Morgen: Bärbel Wendt
Lutz Riemann: Horst Lempel
Eberhard Prüter: Klaus Schober
Heinz Scholz: August Schmöke
Carola Braunbock: Frau Kramer
Günter Sonnenberg: Paul Mold
Gerd Blahuschek: K-Techniker Braun
Johannes Maus: 1. Maurer
Eckhart Strehle: 2. Maurer
Albert Zahn: Theater-Pförtner
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