Crimetime 451 - Titelfoto © Fernsehen der DDR / ARD
Lord Yoster gibt sich nicht die Ehre
… um eine von vielen Assoziationen aufzugreifen, der der Titel hervorruft. Aber worum geht es bei den Lords? Wer das wissen will, ohne durch die Handlungsbeschreibung eingewiesen zu werden, der muss gleich zur -> Rezension übergehen.
Handlung (Wikipedia)
In einem Möbelhaus verschwinden neun Wohnzimmereinrichtungen vom Typ „Lord“ im Gesamtwert von 30.000 Mark. Die Einrichtungen wurden den Unterlagen gemäß vom Hersteller geliefert und auch verkauft, jedoch nicht abgerechnet. Die Kaufbelege tragen den Stempel und die Unterschrift der Mitarbeiterin Bettina Schwarzbach, die als sehr zuverlässig gilt. Sie wird von der Betriebsleitung zu einem Gespräch gebeten und ist über den Vorwurf des Betrugs entsetzt. Sie wird von ihrer Arbeit entbunden. Wenig später findet ihre Mitbewohnerin, die junge Kosmetikvertreterin Agnes Neubert, sie bewusstlos in der Küche vor. Der Gashahn ist aufgedreht und auf dem Tisch liegt ein angefangener Brief an ihren Sohn Jürgen, der wie ein Abschiedsbrief wirkt. Bettina wird ins Krankenhaus eingeliefert.
Oberleutnant Peter Fuchs, Leutnant Vera Arndt und Leutnant Lutz Subras übernehmen die Ermittlungen. Sie vergleichen die Durchschläge der Rechnungen der verschwundenen Möbelstücke mit anderen erhaltenen Durchschlägen von Bettina. Es zeigt sich, dass die Lord-Rechnungen mit einem gefälschten Stempel versehen sind. Vera Arndt will Bettinas Sohn Jürgen vom Krankenhausaufenthalt seiner Mutter berichten, doch trifft sie nur dessen Frau Elke an. Elke und Bettina verstehen sich nicht gut, dennoch glaubt Elke nicht, dass Bettina Waren unterschlagen könnte oder Selbstmord begehen würde. Auch Bettina weist im Krankenhaus den Verdacht des Selbstmordversuchs von sich. Sie habe sich Kaffee kochen wollen und sei wahrscheinlich zu aufgeregt gewesen, um das Gas zu entzünden. Vor dem Brief an ihren Sohn habe sie zudem einen Beschwerdebrief an den Bezirksrat geschrieben. Der Brief wurde nie gefunden, dafür jedoch im Badeofen ein zerrissener erster Durchschlag einer Lord-Rechnung an einen gewissen Herrn Schultheiß. Als Bettina gefragt wird, ob ihr Sohn einen Schlüssel zu ihrer Wohnung besitzt, leugnet sie es. Jürgen hat jedoch einen Schlüssel zur Wohnung und gibt dies auch frei zu.
Herr Schultheiß berichtet den Ermittlern, dass er seine Lord-Einrichtung über eine Annonce in der Zeitung erstanden habe. Sie sei neu gewesen und habe von einer jungen, blonden Frau umständehalber abgegeben werden müssen. Er hat den vollen Neupreis für die Schrankwand bezahlt. Jürgens Frau Elke passt auf die Beschreibung der Verkäuferin. Jürgen wiederum fährt beruflich mit seinem Kollegen Kurt Baltruschat die Schrankwände im Auftrag des Möbelhauses aus. Beide beteiligen sich derzeit in ihrer Freizeit an der Renovierung des Gasthofs „Zur Linde“, in dem sie regelmäßig auf ihren Touren Zwischenstopp machen. Herr Schultheiß ruft beim Lagerverwalter, Herrn Krüger, von der Auslieferungsstelle des Möbelhauses an und reklamiert seine Schrankwand, da sie fehlerhaft sei.
Als Bettina nach ihrem Krankenhausaufenthalt Jürgen besuchen will, findet sie nur seine Kinder in der Wohnung vor. Sie spielen Post und geben Bettina einen gestempelten Brief – mit dem Abdruck des gefälschten Stempels. Den haben beide Kinder auf der Terrasse in einem Umschlag gefunden. Elke kommt heim und Bettina beschuldigt sie krimineller Machenschaften. Sie geht zur Polizei, bezichtigt sich jedoch zunächst selbst der Unterschlagung, bevor sie die wahre Geschichte um den Fund des Stempels erzählt. Kurz darauf fährt sie fort, und auch Elke nimmt zwei Tage Urlaub. Die Ermittler wissen inzwischen, dass vom Fertigungswerk stets alle Schrankwände abgeholt und quittiert wurden. Auf dem Weg zum Einrichtungshaus wird stets eine Schrankwand abgeladen. Die Verbrecher haben zudem im Einrichtungshaus einen Rechnungsblock gestohlen. Per Annonce wird der Käufer für die gestohlene Schrankwand gefunden, die von der blonden Frau geliefert wird, die auch das Geld einnimmt. Die gefälschte Originalrechnung erhält der Käufer, der erste Durchschlag wird vernichtet und der zweite vom eingeweihten Lagerverwalter Krüger in die Unterlagen genommen. Die Rolle von Bettina ist den Ermittlern weiterhin unklar. Als Umladeplatz der Schrankwände vermuten sie jedoch den Gasthof „Zur Linde“, den Lutz Subras observiert. Er findet in einem Schuppen den LKW, mit dem die gestohlenen Lord-Einrichtungen transportiert wurden. Während eines Fußballspiels schleicht sich einer der Anwesenden aus dem Raum und verlädt eine Schrankwand aus dem LKW von Jürgen und Kurt Baltruschat. Kurt kommt hinzu und will es verhindern, da die Polizei ihm bereits auf den Fersen sei. Die Umlader werfen ihm vor, in der Vergangenheit auch von den Veruntreuungen profitiert zu haben. Es wird deutlich, dass Kurt, der Wirt der „Linde“, Kreibig, und dessen Schwester unter einer Decke stecken. Die Schwester ist Agnes Neubert, die Mitbewohnerin von Bettina, in die Kurt verliebt ist. Tatsächlich taucht Agnes mit blonder Perücke bei Herrn Schultheiß auf und regt sich über dessen Beschwerde auf, so sei die Schrankwand bei Lieferung komplett gewesen. Agnes hat auch den Stempel nachmachen lassen und heimlich auf Jürgens Terrasse geworfen, um den Verdacht auf die blonde Elke zu lenken. Sie wird, wie auch Kurt und Kreibig, festgenommen. Jürgen, Elke und Bettina sprechen sich aus, und vor allem Elke und Bettina versöhnen sich.
Rezension
Man merkt, dass hier wieder viel Handwerk verrichtet wird, teils in der Freizeit. Auch die Handlung ist ziemlich geknaubt. Aber der Reihe nach.
Was wir schon kennen: Immer verdienen sich die handwerklich Begabten etwas hinzu. Das ist jetzt schon so sehr ein durchgängiges Muster, dass es nur noch den Rückschluss zulässt, dass es in der DDR auch notwendig war, irgendwas neben dem eigentlichen Job zu machen, um sich wenigstens hier und da mal ein kleines Extra leisten zu können. Kein Wunder, bei den Preisen. Die Mieten waren zwar günstig, aber Möbel in die Wohnungen zu stellen, eher nicht. Eine Schrankwand wird deshalb auch vorsichtshalber gleich als „Zimmer“, als komplette Zimmereinrichtung bezeichnet und kostet – stolze 3.350 Mark der DDR. Das war damals etwa das Fünffache eines durchschnittlichen Monatsgehalts und die Schrankwände wirken, sagen wir mal, wie ein paar Jahre in der Mode zurückversetzt. Und dann heißen sie „Lord“.
Das ist ein witziger Einfall, wir werden jetzt auch nicht recherchieren, ob es dieses Modell wirklich gab, denn eigentlich werden die Erwerbrer*innen schon durch die feudale Produktbezeichnung diskreditiert und natürlich erst recht diejenigen, die illegal solche Schrankwände hinter dem Rücken des zuständigen Möbelhauses verticken.
Diese haben 9 Monate Lieferzeit, was ohne Worte erklärt, warum ein Zweitkäufer den vollen Preis bezahlt. Wir kennen einen solchen Effekt aus der Zeit, als Mercedes-Limousinen auch ein Mangelprodukt waren, da konnte man sogar (in Maßen) ein Geschäft daraus machen, die Verträge bald lieferbarer Wagen weiterzuverkaufen. Mit dem wegen seiner eher bescheidenen Verarbeitunsqualität in der Diskussion stehenden W 124 kam in den 1980ern das Ende dieser Herrlichkeit.
Aber wir haben mal nachgelesen: Ein Farbfernseher kostete in der DDR um 7.000 Mark, also fast so viel wie einer jener „Trabanten“, von denen im Film die Rede ist und wie das Ehepaar Schwarzbach sich gerade einen angeschafft hat (Preis ca. 9.000 Mark, aber die langen Lieferzeiten sind auch hier einkalkuliert). Die Preise für Güter des täglichen Bedarfs und für Konsumprodukte waren in vielen Bereichen erheblich anders gelagert als in der benachbarten Marktwirtschaft, einige niedriger, andere aber um exorbitante Prozentzahlen oder Faktoren höher. Auch der Preisunterschied zwischen einem Trabant und einem Wartburg 353, wie die Kriminaler ihn regelmäßig und vor allem in der Kombiversion fahren, war nicht ohne – er kostete mit ca. 28.000 Mark etwa das Dreifache.
Da musste man schon einige von den ohnehin recht teuren Lords klauen und verhehlen, damit mal ein Wartburg dabei herausspringen konnte. Dann vielleicht lieber gleich das Auto selbst klauen. Oder einen Fiat, wie der in die Schrankwandverschiebungen verwickelte Kurt gerne einen hätte – gemeint ist vermutlich ein Polski-Fiat, basierend auf dem Modell 128, das italienische Original war in der DDR eher selten.
Es ist schon erstaunlich, welche Sehnsüchte relativ einfache Konsumprodukte offenbar in Werktätigen des Arbeiter- und Bauernstaats ausgelöst haben. Fast wie heute, wo sich auch viele Menschen kein Auto mehr leisten können, ohne knapsen zu müssen oder alles auf Pump anzuschaffen.
Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, der sich immer mehr herausschält und den wir vor der Veröffentlichung der Rezension in den vor zweieinhalb Monaten erstellten Entwurf einfügen: Handwerker waren in der DDR Könige. In manchen Filmen wird das mehr hervorgehoben als hier, wie rar ihre Leistung für Privatleute war und wie froh man sein musste, wenn man endlich einen geangelt hatte, aber wer privat Handwerksdienstleistungen beauftragen wollte, musste wohl sehr findig sein und die Anbieter waren eindeutig in der stärkeren Position. Fast wie beim aktuellen Berlin-Bauboom, könnte man witzeln, aber der Hintergrund ist eben doch ein anderer.
Mit in die Geschichte verstrickt ist auch die Nachbarin der Schwarzbachs. Wir mussten schon wieder schmunzeln, weil wir in dem Moment, als sie als Kosmetikverteterin ausgewiesen wird, die Nachtigall schon wieder trapste. Es ist frappierend, wie das Ansehen von Berufen in Polizeirufen manipuliert wird, denn welcher sozialistische Staat braucht Vertreter*innen für solche Luxusartikel? Doch diese Neigung zur indirekten Bewertung ist nicht spezifisch für die DDR, nur sind die angezielten Professionen nicht die gleichen wie im Westen. Wenn es nach Tatort-Drehbuchautoren ginge, wären alle Ärzte bloß Weißkittel mit schwarzen Seelen und 90 Prozent aller Juristen könnte man nicht vertrauen. Und die Bauwirtschaft. Aber da stimmt es meistens.
„Die verschwundenen Lords“ hat sein sehr typisches Setting für einen Polizeiruf der ersten Jahre, wie wir mittlerweile kundtun können, dieses Bereicherungsmotiv ist der Ausgang der meisten Fälle, mit denen Fuchs, Hübner, Arndt, Subras und die anderen zu tun haben. Hier sind es Fuchs, Arndt und Subras, die ein Trio infernale der ermittelnden Art bilden.
Der Film ist mit 62 Minuten noch etwas kürzer als der damalige Durchschnitt (64-66 Minuten) und es gibt kaum Leerlauf, Fuchs und Arndt sind gleichermaßen dezidiert, wenn auch Subras und Arndt nicht ganz so viel Raum bekommen, wie wir es zuletzt in „Kein Paradies für Elstern“ gesehen haben. Dafür kann Fuchs einen Macho-Spruch ablassen, der etwa (nicht wortgetreu) lautet: „Bevor du glaubst ’nem Weibe, höre lieber beide“, als es darum geht, ob nun Frau Schwarzbach oder die Schwiegertochter die angespannten Familienverhältnisse richtig darstellen. Am Ende wissen wir es: Die Tochter hatte Recht. Leider läuft ohnehin sehr kurz gehaltene Familiendrama völlig neben der Handlung her, denn keines der Familienmitglieder hat sich der Lord-Unterschlagung strafbar gemacht. Das ist eine für Polizeirufe ziemlich ungewöhnliche Schwäche, meist werden Handlungen und Motive eher etwas zu linear miteinander verknüpft, als dass es gar keine Verbindung gibt. Vermutlich sollte damit Spannung erzeugt und der Eindruck erweckt werden, mindestens ein Familienmitglied habe auf jeden Fall etwas mit der Sache zu tun.
Dem dient auch der falsche Stempel auf der Terrasse – wie er dorthin kam, wissen die Götter. Vielleicht hat die Darstellerin der fiesen Frau Neubert dafür eine Erklärung, aber im Film hat sie diese nicht preisgegeben. Sie heißt Christel Bodenstein und war in der DDR eine der bekanntesten Schauspielerinnen. Berühmt wurde sie wurde durch den Märchenfilm „Das singende, klingende Bäumchen“ (1959), wunderbar fanden wir sie in der Musical-Komödie „Revue um Mitternacht“ (1962), wo sie mit dem jungen, singenden, tanzenden Manfred Krug spielte.
Auch, dass Jürgen Schwarzbach die ganze Zeit über nichts davon mitbekommen haben will, dass auf jeder Tour eine Schrankwand ausgeladen wird, ist nicht sehr glaubwürdig. Die Sache mit dem Gas war wohl wirklich ein Unfall, den sich Frau Neubert aber zunutze gemacht hat.
Finale
Warenwirtschaftlich hat das digitale Zeitalter doch ein paar Vorteile. Was aus DDR-Kaufhäusern, Ausstellungen und Museen in Polizeirufen alles geklaut wird, ist tatsächlich staatsschädigend, wenn man die Dimensionen der bisher gesehenen Filme zusammenrechnet. Fast alle Varianten, die wir bisher begutachten durften, wären mit heutiger Sicherheitstechnik und mit einer guten Verwaltung / Buchhaltung nicht mehr möglich, aber vieles wirkt auch für damalige Verhältnisse ein wenig leichtsinnig, der unberechenbare menschliche Faktor ermöglicht häufig Vorgehensweisen, die doch ein bisschen plump wirken – trotzdem werden sie meist nicht durch die KT aufgedeckt, sondern durch Spürsinn und durch Befragungen.
Manchmal auch durch einen Falle, wie sie hier der Frau Neubert gestellt wird, zuletzt hatten wir das in „Eine fast perfekte Sache“ gesehen, wo es um Wohnungseinbrüche eines Gaunertrios ging und eine Wohnungsbesitzerin mit der Polizei zusammenarbeitete, damit diese die Bande auf frischer Tat ertappen konnte. Einen Sonderpunkt bekommt die Musik, die nicht nur schön traditionell, dem Stil dieses Films entsprechend ist, der einen 1960er-Touch hat, sondern auch pointiert eingesetzt wird: Stellenweise spielt sie während Dialogen weiter und überlagert diese – trotzdem versteht man noch alles. Am Ende stellt man fest, diese Momente haben nicht auf Täterpersonen hingewiesen, höchstens auf Lügen – auf vermeintliche Notlügen, wie Bettina Schwarzbach wie gegenüber Arndt und Fuchs vorbringt.
6,5/10
© 2019 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie Werner Röwekamp
Drehbuch Werner Röwekamp
Produktion Hans W. Reichel
Musik Kiril Cibulka
Kamera Walter Küppers
Schnitt Brigitte Bergmann, Angelika Hortscht
Peter Borgelt: Oberleutnant Peter Fuchs
Sigrid Göhler: Leutnant Vera Arndt
Alfred Rücker: Wachtmeister Lutz Subras
Helga Göring: Bettina Schwarzbach
Heidemarie Wenzel: Elke Schwarzbach
Uwe Kockisch: Jürgen Schwarzbach
Christel Bodenstein: Agnes Neubert
Werner Lierck: Kurt Baltruschat
Christa Löser: Frau Schmiedel
Sina Fiedler: Frau Kreibig
Walter Kröter: Herr Sperber
Wolfgang Sasse: Herr Schultheiß
Egon Geißler: Willi Krüger
Eberhard Prüter: Horst
Friedrich Links: Graveur
Werner Röwekamp: Herr Kreibig
Georg-Michael Wagner: Alfred Zunker
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