Es lebe der Tod – Tatort 1001 #Crimetime 548 #Tatort #Hessen #LKA #Murot #HR #Tod #Leben

Titelfoto © HR

Es ist tatsächlich ein Murot

Im Vorfeld wurde viel über diesen Film und seine Philosophie, seine Ethik und natürlich seine Qualitäten als Thriller geschrieben. War es der grandiose, die US-Vorbilder gar übertreffende Psychokrimi?

Die ARD-Premiumreihe erfährt, auch wegen des kürzlich erfolgten großen Jubiläums („Tatort 1000“ mit dem gleichen Titel wie Tatort 1) im Moment noch mehr Aufmerksamkeit als sonst, obwohl sie ohnehin das meistdiskutierte Format im deutschen Fernsehen oder des deutschen Fernsehens darstellt. Aber sind die gegenwärtigen Filme so herausragend, wie sie zuweilen dargestellt werden? Für „Es lebe der Tod“ klären wir das in der -> Rezension.

Handlung

Ein Serienkiller geht um. Scheinbar friedlich, wie bei einem Selbstmord, scheiden die Opfer aus dem Leben. Murot und das LKA inszenieren einen Mord, der sich im Modus Operandi von den vorherigen unterscheidet, um den Täter zu provozieren. Der lässt sich auch tatsächlich aus der Reserve locken und wird gefasst, doch können ihm die Morde nicht bewiesen werden. Nach und nach stellt sich heraus, dass alle Morde etwas mit Murot zu tun hatten und dass dieser sein letztes Opfer werden soll. Der Täter verfolgt von Anfang an einen perfiden Plan, der sowohl Murot als auch Wächter vor existenzielle Fragen stellt.

Zu Film / Stand der Dinge

Bereits in der Vorschau (im neuenWahlberliner noch nicht veröffentlicht) haben wir festgehalten, wofür Murot steht – steht er nun und steht dieser Film dafür?

Ja und nein. Ich sehe diesen Murot sehr gerne, seine Vielschichtigkeit, seine reflexiv-hintergründige Art, die Möglichkeiten, die Ulrich Tukur ihm ausdruckstechnisch mitgibt, das ist schon Kino ohne Drehbuch. Ich könnte ihm auch 90 Minuten zusehen und zuhören, wie er privat philosophiert oder aus einem philosophischen Werk vorträgt. Ich vermute allerdings auch, das Ergebnis wäre ergiebiger als gestern. Ja, das Thema ist interessant: Wann darf oder sollte ein Mensch sterben? Und wie ist jemand zu bewerten, der dabei aus eigenem Antrieb nachhilft? Am Ende ist alles viel zu klar. Zu eindeutig. Zu wenig Murot-Tukur-mäßig. Es geht eben nicht, dass andere entscheiden, wie lange jemand zu leben hat, solange er bei Sinnen ist – diese Erkenntnis wird nur gegen eine zwangsweise Lebensverkürzung durch einen „Erlöser“ angewendet, nicht im umgekehrten Sinn gegen die zwangsweise Apparate-Medizin. Außerdem wird viel zu deutlich, dass Murots Ansicht über Steinmetz einfach wahr ist. Auch, wenn Murot ihn nicht hasst. Er hasst ihn nicht, weil er merkt, der Mann ist krank. Wer kann einen Kranken hassen?

Von vorne: Was waren die Highlights?

Der gestellte sechste Mord war plottechnisch das Beste, damit hatte ich nicht gerechnet. Aber der Hintergrund war dann auch wieder eine unter Filmschaffenden, die Krimis plotten, weit verbreitete pseudo-psychologische Konstruktion: Der Mensch, der sich als Erlöser sieht, ist Narzisst, und als solcher meldet er sich sofort bei der Polizei, um richtigzustellen, dass es sich nunmehr um einen ganz banalen Trittbrettfahrer handelt. Monsieur Murot tend un piège, wie die Algerier sagen. Und wie fein das gemacht ist: Genau so, dass man denken könnte, der Serientäter „entwickelt sich weiter“, wird also brutaler bei der Tatausführung, doch dass genau das nie der Fall sein wird und Protest desselben hervoruft, das hat Murot genau gewusst. Schon der Tumor Lili hat ihn zu außergewöhnlichen Dingen befähigt, aber erst dessen Abwesenheit! Chapeau, um bei den Ägyptern zu bleiben. Danach geht es auseinander, wie zuletzt so häufig.

Ich rate mal: Schauspiel super, Plot fragwürdig.

Wenn ich nicht nach wie vor daran glauben würde, dass man einen tollen Psychothriller machen und trotzdem einigermaßen realistisch bleiben kann, wäre der Fall eindeutig: Das eine schließt eben das andere aus, man muss sich entscheiden. Das sehe ich aber nicht so.

Muss unbedingt behauptet werden, dass Videogeständnisse keine Beweismittel sind? Erinnern wir uns. Viele Fälle wurden in Tatorten äußerst schleppend ermittelt, und am Ende, Bang!, brachte ein Geständnis die (Er-) Lösung und nicht selten war dieses mit unlauteren Mitteln herbeigeführt. Und damit galt der Täter als überführt. Viele verfahrene Plots wurden auf diese Weise halbwegs gerettet. Heute: Der Verdächtige kann behaupten, was er will, er wird einfach nicht ernst genommen. Sodass er folgerichtig nicht verurteilt werden kann.

Die Realität: Wenn nicht Fakten klar dagegen sprechen, gilt ein Geständnis selbstverständlich als personales Beweismittel und kann vom Gericht entsprechend gewürdigt werden. Ich mochte diese Filme, in denen die Kommissare den Verdächtigen oder sich selbst Bezichtigenden dann auf den Zahn gefühlt haben, bis die Möchtegern-Mörder sich in Widersprüche verwickelt haben und damit kam dann meist heraus, dass sie jemand anderen deckten. Wenn jemand sich so bemüht wie Steinmetz, zu belegen, dass nur er bestimmte Tatumstände gekannt haben kann, Fotos vorlegt usw., wieso sollte man ihn da nicht verurteilen? Okay, das war das Gröbste, aber die Sache mit der Tochter von Frau Wächter, die so gar nicht ins Schema des Steinmetz passt, war auch nicht viel besser. Auch technisch: Stuss, die IT wird vollkommen unterbewertet, um es grob auf den Punkt zu bringen, und in dem Fall hätte man vermutlich sogar das Wasser für eie Stunde in der ganzen Stadt abstellen lassen können, eine vorliegende Lebensgefahr durch ein gerade in Ausführung befindliches Verbrechen hätte das rechtfertigt. Auch, dass Wächter schweigt, obwohl ihre Tochter in Lebensgefahr ist, um Murots Arbeit nicht zu behindern, ist schon ziemlich krude.

War denn das Thriller-Element preiswürdig?

Ich bin immer am vollen Einsteigen gehindert, wenn mir die Plots zu sehr aus dem Ruder laufen, und genau da liegt ein Unterschied zu Top-Thrillern. Sie mögen furchtbar grausam sein, die Psychologie der Täter mag ebenfalls, wie hier, vereinfacht dargestellt sein, aber ich muss mich nicht alle paar Minuten fragen, ob ich in einem Film bin, der den Zuschauer ernst nimmt. Der Clou: Amerikanische Thriller nehmen ihre Zuschauer auch nicht ernst, dafür sind sie viel zu effekthascherisch gefilmt. Wie etwa der Film, mit dem „Es lebe der Tod“ vorab verglichen wurde, David Finchers „Sieben“ aus 1996. Gut, dass ich den doch neulich mal angeschaut habe, sonst wäre mir ja der ganze Insider-Gag mit dem Karton (Steinmetz: „Ich bin nicht einer von denen“ (die anderen die Köpfe abschlagen, wie der Sieben-Sünden-Mörder)) entgangen. Ja, die Trauben hängen dem deutschen Fernsehmacher mittlerweile kaum zu hoch. Der Abgleich der Vorab-Kritiker war also berechtigt, weil der Film ja auf ein Werk anspielt – das aber nach einem Buch von Steven King gedreht wurde, und da liegt schon einmal ein Unterschied. Sprachlich sind seine Bücher mäßig, plottechnisch auch sehr spekulativ, aber dafür geht es wirklich mörderisch spannend zu.

Während des philosophischen Teils ging aber bei „Es lebe der Tod“ die Spannung ganz hübsch runter. Den ersten Plotpoint hat man noch mega-konsequent beachtet, das war die Szene, in der sich herausgestellt hat, dass der sechste Mord ein polizeilich inszeniertes Fake war. Okay, wie weiter? Damit wieder ins Philosophieren hinein ein Spannungsbogen entsteht, wird das Muster „Kampf gegen die Zeit“ anhand von Wächters badender Tochter gespielt, das ein Grundmuster des Thrillers darstellt. Sogar mit einer Uhr, die mitläuft, allerdings gibt es kein sekundengenaues Ende wie etwa in einigen Bond-Filmen. Der Täter stoppt selbst den Ablauf der Ereignisse weil Murot sich ja die Pulsadern aufschneidet.

Aber das ist doch schlau gemacht und passt doch ins Schema von Steinmetz: Murot ist das eigentliche Ziel, nicht die Tochter von Wächter. Eine Umkehrung des sogenannten ersten Plotpoints: Da hat Murot den Täter zu einem Verhalten – bestimmt, nun zwingt dieser Murot zum Suizid.

Womit es kein Suizid (-versuch) mehr ist, sondern eine fremdbestimmte Selbsttötung. Mithin Mord. Ja, ich finde schon, dass das Psychoduell grundsätzlich funktioniert, aber man hätte es nicht dabei belassen dürfen, dass einer behauptet, ich bin der Erlöser und der andere immer wieder sagt, nee, du bist ein Mörder. Punkt. Es gibt kein richtiges Einsteigen in die ethische Diskussion, wann ist das Leben lebenswert und warum haben wir Angst vor dem Tod, wenn wir doch eh die meiste Zeit tot sind, wenn man die Erdgeschichte oder gar die des  Universums mit der Spanne des eigenen Daseins vergleicht. Dann behaupte ich mal, gerade, weil das Leben so kurz ist, ist es irre kostbar und man muss alles tun, um es zu verteidigen. Es fragt sich dann auch, ob es erfüllt sein kann, wenn man tausende seiner kostbaren Stunden mit Rezensionen nicht maximal perfekter Filme zubringt. Man merkt schon, ich bin dem Niveau dieser Diskussion nicht maximal zugeneigt, die Murot und Steinmetz hier führen.

Die Figuren sind klasse, aber was ihnen in den Mund gelegt wird, wirkt nur klasse, weil es eben von diesen Typen kommt. Würde uns irgendjemand, und sei es noch so authentisch, in der Realität auf diesem Level daherkommen, würden wir die simple Manipulation sehr wohl spüren und uns verweigern. Okay, mit „wir“ meine ich mich, wie immer beim Wahlberliner.

Ein solcher Film darf nicht in Regionen gehen, die niemand mehr versteht.

Ich hätte mich lieber nachher informiert, wenn ich etwas nicht verstanden hätte, als das Gefühl zu haben, hier wird zum x-ten Mal das gleiche Thema dargestellt, nur eben wieder etwas variiert und – ja, eben auf eine Art, die mich nicht inhaltlich weitergebracht hat. Da fand ich es besser, wie das Thema Sterbehilfe anhand des wirklichen Begleitens in den Tod zu erläutern und eine schöne, möglicherweise auch mörderische Konfrontation der Ansichten herauszuarbeiten, wie das neulich im Schweizer Tatort „Freitod“ geschehen ist. Das Thema geht mir schon nah, sonst hätte ich mich nicht spontan an dessen Bearbeitung vor mehreren Monaten, direkt nach der Sommerpause, erinnert.

Obwohl Murot als Figur so gut geeignet ist, um Elegie und Zwischentöne auf den Bildschirm zu bringen, also doch nicht so?

Es stellt sich mehr und mehr heraus, dass ich die Murot-Filme am liebsten mag, in denen es richtig wild zugeht, wie „Das Dorf“ oder „Im Schmerz geboren“, es darf auch mal daneben gegriffen werden – ich schrieb in der Vorschau, Murot ist der Hochrisiko-Ermittler, mit dem man alle Experimente durchziehen kann, die das Medium im Rahmen dieses Formats aktuell hergibt und die noch gerade für publikumstauglich erachtet werden. Aber der Witz ist ja gerade, dass „Es lebe der Tod“ eher konventionell ist. Optisch gut inszeniert, das gilt aber heute für jeden Tatort. Gut gespielt, auch das ist bei einer Majorität dieser Filme zu bejahen. Aber ist er der Hype, zu dem er im Vorfeld stilisiert wurde?

Nein, ja?

Ja: nein. Trotz meiner deutlichen Kritik sind Tatorte für mich aber nie „verlorene Zeit“ und es ist so ein Glück, dass es immer wieder Schauspieler zu dieser Reihe zieht, wegen denen man einschaltet. Die Saläre sind ja auch für deutsche Verhältnissen nicht zu verachten und Ulrich Tukurs Gage ist gewiss nicht am unteren Ende der Spanne für Hauptrollen in dieser Reihe angesiedelt. Allein der Tumor Lilli müsste eine Zulage in Form von Schmerzensgeld eingebracht haben.

Aber daraus ergib sich, dass schon viel passieren muss, damit ich einen der Murot-Tatorte schlecht bewerte, denn es kommt hinzu, dass Murot seine Fälle von allen Ermittlern mit am meisten dominiert, deren Wohl und Wehe also mehr von seiner Darstellung abhängig ist als bei den großen Teams, die mittlerweile am Tatort üblich sind. In ihnen darf es mal ein schauspielerisches Gefälle geben, ohne dass dies gleich den Film vernichtet, bei Murot wäre es anders, würde sich sein Darsteller zum Beispiel amtsmüde zeigen. Amtsmüde zu spielen und zu wirken wie jemand, der mimisch das irdische Sein als Jammertal rüberbringt, obwohl man den Schalk doch immer mal wieder spürt, das führt dann zur – Amtsmüdigkeit. Vielleicht. Sieben Jahre bis zur Pensionierung, das würde übrigens zutreffen, wäre Tukur Murot. Erdgeschichtlich ein Wimpernschlag, doch in einem einzelnen Leben eine Menge an Tagen, Stunden und einsamen außerhalb des Dienstes verbrachten Sekunden.

Wir brauchen noch eine Wertung

Für mich ist der Film in seinen Gesamtqualitäten auf ähnlichem Niveau angesiedelt wie der 1000. Tatort „Taxi nach Leipzig“ vor einer Woche, daher 7/10 

© 2020, 2016 Der Wahlberliner, Thomas Hocke 

Hauptkommissar Felix Murot – Ulrich Tukur
Assistentin Magda Wächter – Barbara Philipp
Verhaltensspezialistin – Corinna Kirchhoff
Arthur Steinmetz – Jens Harzer
Aylin Steinmetz – Marina Galic
Staatsanwalt Holger Wieland – Hans Löw
Ralf Neff – Yogal Gleim
Daniel Nissing – Sierk Radzei
Isabell – Franziska Junge
u.a.

Drehbuch – Erol Yesilkaya
Regie – Sebastian Marka
Kamera – Armin Alker
Schnitt – Stefan Blau
Szenenbild – Börries Hahn-Hoffmann
Musik – Thomas Mehlhorn

Hinterlasse einen Kommentar