Gefundene Jahre (Random Harvest, USA 1942) #Filmfest 216 DGR

Filmfeset 216 A "Die große Rezension"

2020-08-14 Filmfest ADated, beyond belief, and irresistibly romantic

Random Harvest“ war einer der größten US-Kinohits des Jahres 1942 und wohl der gesamten 40er Jahre. Die Handlung beinhaltet eine Interpretation von Amnesie, die gewiss keinem medizinischen Test standhalten würde, aber ohne diesen totalen Gedächtnisverlust eines britischen Offiziers im Ersten Weltkrieg wäre es nicht möglich gewesen, so auf die Tränendrüse zu drücken, denn die Handlung ist ein Hohelied auf Treue und unbeirrbare Liebe – es ist nicht überraschend, dass die IMDb-Votes (1) ausweisen, dies ist ein Frauenfilm.

Weil es die Frau ist, die denselben Mann zweimal heiratet, während er eines seiner Leben vergisst, als er das Gedächtnis wiedererlangt. Diese Opferbereitschaft von Greer Garson, die in einer fragwürdigen Handlung eine grandiose Heldinnenfigur macht, hätte ihr unweigerlich den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle im folgenden Jahr 1943 eingebracht – hätte es da nicht einen anderen Film mit Kriegsthema gegeben, den legendären „Mrs. Miniver„, der mehr als der sanfte „Random Harvest“ auch ein Durchhalte- und Propagandafilm ist, eine Gabe Amerikas ans alliierte Großbritannien. Wer aber spielte die tapfere Frau, die in „Mrs. Miniver“ eine Familie im Krieg zusammenhält (dieses Mal ist es der damals topaktuelle Zweite Weltkrieg)? Genau, es war Greer Garson. Selbstverständlich kann eine Schauspielerin ein einem Jahr nicht zweimal für zwei verschiedene Filme für den Oscar vorgeschlagen werden, schon deshalb konnte es für ihre Rolle der Paula / Margaret in „Random Harvest“ keine (weitere) Nominierung geben.

Anmerkung zur Wiederveröffentlichung der Rezension 2020: Insbesondere in den Anfangsjahren der Academy Awards gab es in der Tat Fälle, in denen ein*e Darsteller*in mehrfach vorgeschlagen wurde. 1929 gewann Janet Gaynor die von Beginn an sehr begehrte Statuette für Hauptrollen in gleich drei Filmen.

Es sind Roland Coleman, der schon im Stummfilm ein Star war als britischer Offizier, Zeitungsschreiber, Unternehmer und Politiker John Smith bzw. Charles Rainier sowie Greer Garson, die diesem Melodram mit Happy Ending eine unvergleichliche Aura geben. Die deutsche Synchronisation von 1947 unterstützt diese wunderbar sanfte Form des Heldentums trefflich, auch wenn sie sehr verrauscht ist und man leider nicht der Behauptung des Regisseurs Mervyn LeRoy nachspüren kann, dass die englische Sprache niemals in einem Film so schön gesprochen wurde wie von diesen beiden Schauspielern in „Random Harvest“. Man mag es aber glauben, wenn man die Charaktere agieren sieht, dass ihre Sprache im Original entsprechend edel ist und beinahe an die Synchronisation heranreicht  (2) (3).

Handlung

Ein britischer Offizier wird während des Ersten Weltkriegs schwer verwundet und leidet seither an Amnesie und Sprachstörungen. Im Sanatorium von Melbridge, einem kleinen englischen Ort, verbringt er unter dem Namen John Smith mehrere Monate und hofft, eines Tages zu erfahren, wer er tatsächlich ist. Als der Krieg 1918 vorbei ist und die Menschen in den Straßen jubeln, gelingt es Smith, die Heilanstalt zum ersten Mal zu verlassen. In einem Tabakladen lernt er die Schauspielerin Paula Ridgeway kennen, die sich umgehend zu dem schüchternen Mann hingezogen fühlt. Sie bringt „Smithy“, wie sie ihn fortan nennt, in ein Pub und lädt ihn zu einer ihrer Shows im Theater ein. Dort erleidet Smithy einen Schwächeanfall und fällt zu Boden. Paula und ihr alter Freund „Biffer“ bringen ihn in ein Zimmer über dem Pub, wo ihn Paula wieder gesund pflegt.

Als Paula zu Ohren kommt, dass die Wärter des Sanatoriums weiterhin nach Smithy suchen, beschließt sie, mit ihm Melbridge zu verlassen und nach Devon zu reisen. Dort kommen sie in einer kleinen Herberge unter und Paula erhält schon bald eine Anstellung als Stenotypistin. Durch ihr fröhliches Gemüt blüht Smithy auf und beginnt, Artikel für die Zeitung zu schreiben. Als er seinen ersten Artikel verkauft hat, macht er Paula einen Heiratsantrag. Nach ihrer Hochzeit ziehen sie in ein kleines Cottage und beginnen ein glückliches Leben zu zweit. Nur ein paar Tage nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes im November 1920 erhält Smithy ein Telegramm von einer Zeitung in Liverpool, die ihn fest einstellen möchte. Da sich Paula noch zu schwach fühlt, reist Smithy allein nach Liverpool und verspricht ihr, bereits am nächsten Abend wieder zu Hause zu sein.

Nachdem Smithy in der Industriestadt eintrifft, wird er auf dem Weg ins Büro der Zeitung von einem Auto angefahren und er verliert sein Bewusstsein. Als er wieder zu sich kommt, hat er die Erinnerung an die letzten drei Jahre seines Lebens verloren und weiß stattdessen wieder, wer er wirklich ist: Er heißt Charles Rainier und ist ein vermögender Spross einer einflussreichen Familie. Er kehrt daraufhin nach „Random Hall“, dem Anwesen seiner Familie in London, zurück. Seine Verwandten sind sehr überrascht ihn zu sehen. Lediglich Kitty, die Stieftochter seiner Schwester, freut sich aufrichtig über seine plötzliche Rückkehr. Nun, da Charles sein altes Ich wiedergefunden hat, nimmt er die Familiengeschäfte in die Hand und steigt im Laufe der Jahre zu einem großen Unternehmer auf. 1932 wird er als „Industriemagnat von England“ in den Zeitungen gepriesen. Trotz seines Erfolgs ist er jedoch nicht glücklich. Es plagt ihn die Ungewissheit über die drei Jahre, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Einen Schlüssel, den er in seiner Westentasche nach dem Unfall gefunden hat, trägt er stets bei sich und er hofft, eines Tages herauszufinden, in welches Schloss der Schlüssel passt.

Seit drei Jahren steht ihm seine Privatsekretärin Margaret Hanson loyal zur Seite. Dabei handelt es sich um Paula, die er aufgrund seiner Gedächtnislücke nicht wiedererkennt. Paula hatte sein Bild in der Zeitung gesehen. Da sie befürchtete, Charles würde sie für eine Hochstaplerin halten, die nur hinter seinem Geld her ist, bewarb sie sich als seine Sekretärin unter falschem Namen. Insgeheim hofft sie, dass er sie früher oder später als seine Frau wiedererkennt. Als Margaret, die sein Kind kurz nach der Geburt verloren hat, erfährt, das Charles Kitty heiraten will, ist sie entschlossen, Charles die Wahrheit zu sagen. Der Psychiater Dr. Jonathan Benet, der Charles im Sanatorium einst behandelte und dem sich Margaret bzw. Paula in der Zwischenzeit anvertraut hat, macht ihr jedoch klar, dass Charles von allein Smithy in sich wiederentdecken muss, um wirklich davon überzeugt zu werden.

Als Charles kurz vor der Hochzeit ein Déjà-vu erlebt, erkennt Kitty, dass sein Herz noch immer einer anderen Frau gehört, weshalb sie die Hochzeit absagt. Daraufhin geht Charles nach Liverpool, um Hinweise auf seine drei verlorenen Jahre zu finden. Margaret folgt ihm und versucht behutsam, jedoch vergeblich, ihm bei seiner Sinnsuche zu helfen. Zurück in London startet Charles auch seine politische Karriere. Als er ins Parlament gewählt wird und einsieht, dass er für seine neuen Aufgaben eine Ehefrau an seiner Seite braucht, schlägt er Margaret vor, ihn zu heiraten. Er gibt ihr jedoch sofort zu verstehen, dass er ihr in der Ehe zwar Freundschaft, aber keine Liebe bieten könne. Obwohl Dr. Benet Margaret vor einer solchen Vernunftehe warnt, heiratet sie Charles ein zweites Mal.

Mit Margaret als treuer Gefährtin steigt Charles in der Politik weiter auf und wird schließlich zum Ritter geschlagen. An ihrem dritten Hochzeitstag schenkt er ihr eine unsagbar teure Halskette. Seine Aufmerksamkeiten und seine Freundschaft sind Margaret jedoch nicht genug. Sie sehnt sich nach ihrem Smithy zurück und entschließt sich, für ein paar Wochen allein zu verreisen. Nachdem Charles sie am Bahnhof verabschiedet, erhält er eine Nachricht aus einer seiner Fabriken in Melbridge: Seine Arbeiter sind in den Streik getreten. Dort angekommen, schlichtet er die Streitigkeiten persönlich und ist verblüfft, zu wissen, wo ein Tabakladen zu finden ist, obwohl er meinte, noch nie zuvor in Melbridge gewesen zu sein.

Margaret, die in der alten Herberge in Devon die Nacht verbracht hat, erfährt am nächsten Tag von der neuen Inhaberin, dass ein Mann vor wenigen Augenblicken bei ihr nach einem nahegelegenen Cottage gefragt hat. Als Charles beim Cottage eintrifft und sein Schlüssel in das Schloss der Haustür passt, strömen die Erinnerungen auf ihn ein. Als auch Margaret das kleine Landhaus erreicht und er in ihr endlich Paula wiedererkennt, fallen sich beide überglücklich in die Arme.

Rezension

Der Kern der Handlung ist, dass Charles, ein britischer Soldat im Jahr 1917, auf einem der Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, bei einem Angriff verwundet wird und sein Gedächtnis verliert. Er wird von den Deutschen aufgegriffen und in ein Lazarett verbracht. 1918 kehrt er via Schweiz durch einen Gefangenenaustausch zurück – weiß aber nichts mehr von seinem früheren Leben. Zunächst lebt er in einem Hospital für psychisch erkrankte Soldaten, erlebt bei einem Streifzug durch die Stadt das Kriegsende mit und kann mit den jubelnden Menschen nichts anfangen. Doch er lernt Paula kennen, eine Vaudeville-Künstlerin, und gründet mit ihr eine Familie. Er fängt an zu schreiben und eine Zeitung ruft ihn nach Liverpool, um einen Festanstellungsvertrag mit ihm zu schließen.

In Liverpool wird er von einem Auto überfahren – und gewinnt sein Gedächtnis zurück. Aber nicht komplett. Jetzt ist es umgekehrt. Er weiß wieder um seine ursprüngliche Identität, kehrt auf den Familiensitz zurück, wo sein Vater gerade verstorben ist, erbt, wird Unternehmer und einflussreicher Mann der Gesellschat. Jetzt ist es aber so, dass die drei Jahre, die zwischen seinem Gedächtnisverlust 1917 und dem Unfall 1920 verloren sind.  Seine Frau Paula, die ihn vermisst, sucht ihn, findet ihn – und anstatt ihn mit der Tatsache zu konfrontieren, dass er verheiratet ist, lässt sie sich als seine Sekretärin anstellen, um ihm nahe zu sein und wartet geduldig auf den Moment, in dem sich seine Erinnerung zurückmeldet, wovon sie überzeugt ist. Inzwischen verheiratet er sich aber beinahe mit einer anderen, sehr jungen Frau, die aber erkennt, dass sie nicht seine große Liebe ist. Eines Tages muss Charles in die Stadt, in welcher er drei bescheidene, aber glückliche Jahre verbrach hat, um einen Streik in einem seiner Werke zu schlichten – und dort kehrt die Erinnerung zurück.

Dass das Gedächtnis funktioniert wie ein Schrank mit vielen Schubladen, die alle Episoden oder Lebensabschnitte beherbergen und von denen mal die eine, mal die andere komplett klemmt, mal der eine, mal der andere Lebensabschnitt durch einen physischen Schock komplett ausgeschaltet wird, darf man getrost als eine schöne Fiktion ansehen – vor allem die Wendung zu den drei verlorenen Jahren hin anstatt der ca. 40, die es zuvor waren, ist einfach schönes Hollywood im Stil der 40er, die ja auch viele mystisch angehauchte Melodramen hervorbrachten, mit großer Atmosphäre, exorbitanter Schwarzweißfotografie und Charakteren, die in gewisser Weise bis heute nicht übertroffen wurden.

Bei den Stoffen hat man sich Dinge getraut. Dieses unbedingte Setzen auf die Emotionen, die manchmal unerklärlichen Ereignisse in den Filmen, davon hat auch „Random Harvest“ einiges, bezieht sich aber nicht auf übernatürliche Vorgänge, sondern auf eine Krankheitsdiagnose, mithin ist alles real, wie bei den späteren Melodramen der 50er, bei denen übernatürliche Komponenten nicht mehr zu finden sind, die vorgebliche Realitätsnähe aber hohdramatisch ausgestaltet wurde. Während es einige Jahre später aber um menschliche Verfehlungen und Wandlungen geht, sind alle Figuren in „Random Harvest“ ungeheuer hochherzig und der nette Offizier Charles Rainier und sein zwischenzeitliches Ego John Smith können nichts dafür, dass das Gedächtnis verrückt spielt. So verrückt, dass Charles in Melbridge zunächst die Erinnerung an einen Tabakladen wiederbekommt, dann erst an seine Frau. Das ist nicht sehr schmeichelhaft für Paula, doch so ist die Handlung des Films. Sie muss viel leiden, wie es ihr der Psychiater Benet vorausgesagt hat, bis das Happy End kommen kann.

Auch das ist 40er Jahre-typisch, dass man sich im aufkommenden psychologisierenden Kino für innere Vorgänge zu interessieren beginnt, und es ist auch logisch, dass immer mehr Psychiater und geistige Zustände in Filmen zu sehen sind – mit einem phänomenalen Höhepunkt in Hitchcocks „Spellbound“ (1945), der aber auch die damaligen und möglicherweise die generellen Grenzen der Psychoanalyse aufzeigt und ein wenig over the top geraten ist, wie beinahe alle großen US-Filme jener Zeit.

Der wendungsreiche Plot geht auf das Buch von James Hilton zurück, der so großartige Vorlagen für Filme wie „Lost Horizon“ (1937) und „Goodbye Mr. Chips“ (1939) geliefert hat, ebenso schrieb er das Drehbuch für die Konkurrenz für „Random Harvest“ im Jahr 1942 im Rennen um den besten Taschentuchfilm, „Mrs. Miniver“. Das Gefühl für auf dezente Weise heroische Figuren, für Ausnahmesituationen, in die sie gestellt werden, das traf genau den  Zeitgeschmack und hat dazu geführt, dass Filmen, deren Vorlage oder Drehbuch von Hilton stammen, häufig Oscars zugesprochen wurden (Robert Donat bekam den Schauspieloscar für seine Rolle als Lehrer Mr. Chips, „Mrs. Miniver“ wurde als bester Film des Jahres 1942 ausgezeichnet).

Formal ist der Film leider nicht so leicht zu beurteilen, weil die gesehene Kopie nicht heutigen Restaurierungs-Standards entspricht, aber die Intensität einiger Szenen wie z. B. derjenigen in der Kapelle, in der Kitty erkennt, dass Charles eine andere lieben muss wird auch durch die Lichtgestaltung der Kamera stark dramatisiert, hinter welcher Roseph Ruttenberg steht, mit vier Oscars der höchstdekorierte Kameramann Hollywoods (einen dieser Oscars gewann er für einen Film aus dem Jahr, in dem „Random Harvest“ entstand – für seine Arbeit an „Mrs. Miniver“, woran man sieht, dass es einige Verbindungen von Team und Cast zwischen diesen höchst erfolgreichen Werken gibt). Jene kontrastreiche, atmosphärische und sehr auf die Schauspieler fokussierte Kameraarbeit war typisch fürs Schwarzweißkino der 40er Jahre, wurde in anderen Filmen aber noch mehr eingesetzt, um Bildsymbolik zu erzeugen. Die für 1936 hoch intensive Kamera mit ihren teilweise erschreckenden Blicken auf den Lynchmob in Fritz Langs „Fury“, den wir für den Wahlberliner ausführlich rezensiert und hoch bewertet haben, stammt ebenfalls von Ruttenberg.

Wie ist, jenseits der besprochenen Handlung, ein solcher Film heute einzustufen, der so große Gefühle zeigt, die eine Überzeitlichkeit besitzen, der aber nicht zu den absoluten Klassikern der Filmgeschichte gezählt wird? Zunächst wird man nach dem Bleibenden suchen. Billy Stevenson spricht von „Random Harvest“ als „The first great film of memory loss, and one of the most contemplative of anti-war statements, Random Harvest takes Lost Horizon and Goodbye Mr Chips‘ desire to escape time to its nightmarish conclusion“ (4). („Als der erste große Film über Gedächtnisverlust und eines der nachdenklichsten Antikriegs-Statements führt „Random Harvest“ (die in den älteren Filmen) „Lost Horizon“ und „Goodbye Mr. Chips“ geäußerten Sehnsüchte, der Zeit zu entkommen, zu ihrem alptraumhaften Abschluss“.)

In derselben Rezension wird eine bemerkenswerte Analyse der Figur Smith / Rainier geliefert. Der freundliche Offizier wird als ein typischer Angehöriger der „Lost Generation“ zwischen den Weltkriegen bezeichnet, die drei Jahre als „Smithy“ sind allegorisch als Kindheitsuniversum zu verstehen, auch als eine Anspielung auf diese  Zwischenkriegszeit, in der die Welt sozusagen in einen Schlaf gefallen sei, zwischen Gestern und Morgen schwebte, ein  Zustand, aus dem sie 1939 höchst unsanft gerissen wurde. Rainiers Welt hingegen steht für das Universum der Erwachsenen, in dem es wirtschaftliche Interessen und sogar Zweckehen gibt. Beide Universen vereinen sich am Ende des Films, als Charles seine Paula aus den idyllischen Jahren 1918-1920 in der Sekretärin und Zwecke-Ehefrau Margaret wiederekennt.

Auf den ersten Blick verwunderlich ist, wie man die Konventionen der 40er bei den Figuren in die Zeit von 1918 bis 1935 eingearbeitet hat. Vor allem die Frauen sind komplett im Stil der damaligen Jetztzeit gekleidet und frisiert, bei den Männern wirken die Anzüge zumindest teilweise der Epoche kurz nach dem Ersten Weltkrieg nachempfunden, in welcher der Film hauptsächlich spielt. Es ist nicht anzunehmen, dass Hollywoods damals größtes und wohlhabendstes Studio MGM aus Geldmangel auf Stangenware aus der Jetztzeit hätte zurückgreifen müssen. Wir gehen davon aus, dass man mit den Outfits klarmachen wollte, dass „Random Harvest“ zwar in Grenzen episch, aber kein „period piece“, kein Historienfilm sein sollte. Es war gewiss Absicht, die Brücke zum Jahr 1942, die aufgrund der Thematik schon sehr stark war, mit diesem modernen Styling der Charaktere noch einmal zu bekräftigen.

Dass Ronald Colman (damals 51 Jahre und bereits eine Filmlegende) (5) für den jungen Offizier des Jahres 1918 zu alt war, nimmt man ab dem ersten intensiven Moment, als ein Elternpaar die Heilanstalt besucht, um dort vielleicht den vermissten Sohn zu finden, und man die Enttäuschung in seinem Gesicht ablesen kann, als sich herausstellt, dass es nicht seine Eltern sind, kaum noch wahr, wie John J. Puccio anmerkt (6), zumal der Mann eben anfangs nicht in einen familiären Kontext gestellt ist. Im Verlauf des Films wachse er dann auf wundervolle Weise in sein wirkliches Alter hinein. In der Regel nahm man eher junge Schauspieler und ließ sie künstlich altern, heute kann man diesen Prozess durch Technik bis ins Extreme treiben, wie „Benjamin Button“ (2009) eindrucksvoll bewiesen hat. Wir meinen aber, es war richtig, einen schon etwas reiferen Mann die Hauptrolle spielen zu lassen, man akzeptiert, dass er mit Paula eine Frau heiratet, die vielleicht halb so alt ist wie der Schauspieler, aber höchstens zehn Jahre jünger als der Soldat des Jahres 1918. Etwas kritischer wird es später, als seine Nichte eine Passion für ihn entwickelt und er als Mittvierziger eine etwa 18jährige heiraten will, die  zudem blutsverwandt mit ihm ist. Darin offenbart sich ein sehr interessanter Blick auf die höheren Kreise speziell britischer Ausprägung nicht nur in jener Zeit, in denen Inzucht und hohe Altersunterschiede keine Rolle spielten, solange die Herkunft stimmt. Immerhin handelt es sich auch bei diesem Verhältnis um ein romantisches, nichts ist arrangiert. Der Hays Code (7), der es damals verbot, dass etwa ein voreheliches Verhältnis zwischen Paula und John Smith gezeigt wird, hatte ebenfalls mit der Konstellation keine Probleme.

Schon Kritiken der Zeit hätten das Drehbuch als etwas schwerfällig angesehen (8), und es ist tatsächlich so, dass der Film langsam wirkt. Aber nicht auf eine unangenehm langweilige Art, sondern so, dass Zeit blieb, die Figuren intensiv spielen zu lassen. Diese Zeit nimmt man sich heute in der Form hauptsächlich noch im Subventionskino europäischen Zuschnitts. Dass der Film ein großer kommerzieller Erfolg war, beweist aber, dass seine tatsächlich kontemplative Art der Handlungsführung, die nicht auf dramaturgische Höhepunkte, sondern auf intensive menschliche Momente setzt, durchaus funktioniert.

Finale

„Random Harvest“ wird in den USA von heutigen Kritikerin grerne als „tearjerker“ bezeichnet, wie die Amerikaner Schmachtfetzen oder Schnulzen nennen. Die Experten meinen es aber in der Regel nicht nur negativ, denn ab und zu soll man ruhig mal die Taschentücher zücken, wenn es an die ganz großen Emotionen geht, das meinen wir und sind uns mit den meisten heutigen Kritikern darin einig, dass dieser Film noch immer wirkt. Vor allem ist dies den hingebungsvollen Schauspielleistungen der ladyliken Greer Garson und des nobel wirkenden Ronald Coleman zu verdanken. Sie funktionieren als Paar ebensogut wie als Figuren in einer langen Geschichte des Suchens, Findens, des Wiederverlierens und Wieder-Wiederfindens von wahrer Liebe in schockierenden Zeiten des Krieges. Der Verlust des einen Menschen in „Random Harvest“ und der Gedächtnisverlust von Charles Rainier spiegeln den Verlust an Identität und die vielen Verluste an Menschen, welcher durch das Urtrauma des 20. Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg, ausgelöst wurde.

Obwohl dies kein Klassiker ist, dem die Zeit nichts anhaben konnte, obwohl „Random Harvest“ durchaus veraltet wirkt, ist er immer noch eine Empfehlung wert, weil er nicht einfach ein Melodram ist, sondern eines der besten seiner Zeit und viel zum Verständnis dafür beiträgt, wie die Menschen fühlten,  nachdem in den USA gerade erst die Große Depression zuende war und schon der nächste Krieg geführt wurde – der Zweite Weltkrieg, in den das Land beinahe auf den Tag genau ein Jahr vor der Uraufführung von „Random Harvest“ eingetreten war. Zudem ist es ein leiser, nachdenklicher Film, in dem der Krieg nicht kommentiert, aber in seinen negativen Folgen gezeigt wird.

7,7/10 für einen Tearjerker, der sich nicht scheut, ganz tief in die Kiste der großen Emotionen zu greifen.

© 2020, 2012 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1) Internet Movie Database, Random Harvest, ratings.

(2) Greer Garson war, wie viele Hollywoodschauspieler und -schauspielerinnen der Zeit, tatsächlich Engländerin (geboren in London) und hatte darüber hinaus irische und schottische Wurzeln, was für die Tanzszene des Films, in der sie im Kilt auftritt, nicht von Nachteil ist – diese wurde angeblich nach ihren Wünschen gestaltet und man sieht darin, dass beim produzierenden Studio MGM jede Aktrice den Tanz im Blut zu haben scheint, selbst eine Frau, die in keinem anderen Film Bein zeigte und in der Regel ein Role Model für klassisch Britisches sein sollte. Das verkörpert sie außerhalb dieser erstaunlichen Szene auch in „Random Harvest“.

(3) Die frühen deutschen Nachkriegssynchronisationen waren von einer Getragenheit uns Sanftheit der Sprache gekennzeichnet, welche die oft viel derbere Sprechweise der Figuren in den (meist) englischen Originalversionen ein wenig konterkarierte. Jede Zeit hat ihre Besonderheiten und nach dem Zweiten Weltkrieg war man in Deutschland ersichtlich bemüht, das Schneidige und Überlaute der NS-Zeit aus der Sprache zu nehmen und hat dafür, vielleicht unbewusst, eine Wehmut und Sehnsucht hineingelegt, die manchmal mehr über die Stimmungslage in Deutschland kurz nach Kriegsende aussagt, als dass sie der Originaltonlage besonders nahegekommen wäre. Außerdem hat man die Sprache auch inhaltlich gerne besänftigt und sogar Inhalte verfälscht, z. B., wenn sie negative Bezüge zu Deutschland aufwiesen. Die Unterschiede zu moderneren Synchronisationen sind oft beträchtlich – doch bereits wegen der schlechteren Tonqualität entsteht ein Nostalgiegefühl und die Suggestion eines hohen Authentizitätsgrades, besonders, wenn eine nicht digital restaurierte Kopie eines Films wie „Random Harvest“ vorliegt, die auch bezüglich der Bildqualität Wünsche offen lässt, aber eben sehr „original“ wirkt.

(4) A Film Canon, Kritik vom 14. April 2008.

(5) Greer Garson gab an, wie wundervoll es für sie war, mit einem der Idole ihrer Kindheit zusammen vor der Kamera zu stehen – wie sie „Random Harvest“ auch als ihren schönsten Film bezeichnete und die Arbeit daran als großes Vergnügen.

(6) Movie Metropolis, Kritik vom 16. Januar 2005.

(7) Zum Hays Code: WIKIPEDIA.

(8) So u. a. Emanuel Levy, Kritik auf „cinema 24/7“.

Regie Mervyn LeRoy
Drehbuch Claudine West,
George Froeschel,
Arthur Wimperis
Produktion Sidney Franklin
Musik Herbert Stothart
Kamera Joseph Ruttenberg
Schnitt Harold F. Kress
Besetzung

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