Spy Game – der finale Countdown (Spy Game, USA / DE / FR / JP 2001) #Filmfest 295

Filmfest 295 A

2020-08-14 Filmfest ADas Gute, final

Die Dienstzeit eines CIA-Agenten ist nicht ewig, die eines Rezensenten auch nicht. Deswegen habe ich mir neben dem Abklappern der Klassiker und der Konzentration auf ältere Filme gerade angewöhnt, einige meiner persönlichen TV-Tipps der Woche, zusammengestellt von einem Filmportal, aufzuzeichnen. Darunter war nun auch „Spy Game“. Ich mag Agentenfilme recht gerne, auch wenn sie nicht gerade das realistischste Genre darstellen. Doch was ist heute noch realistisch? Das soll aber nicht die Grundfrage sein, der ich in der -> Rezension nachgehe.

Handlung (1)

Nathan D. Muir, ein Agent der CIA, steht im Jahr 1991 kurz vor seiner Pensionierung. Am letzten Arbeitstag soll er seinen Vorgesetzten Auskunft über den ehemaligen Kollegen Tom Bishop geben, der in China verhaftet wurde.

In Rückblenden wird erzählt, wie Muir den viel jüngeren Bishop, einen Scharfschützen der U.S. Marines, im Vietnamkrieg kennenlernte, ihn später als Agenten anwarb und ihm zahlreiche Tricks beibrachte. Die beiden wurden zuerst in Ost-Berlin eingesetzt, wo sie einen Maulwurf in der US-amerikanischen Botschaft enttarnen mussten.

Ihr nächster gemeinsamer Einsatz ist eine Operation während des libanesischen Bürgerkriegs, wo sie einen Anschlag auf einen Islamistenführer verüben sollen, der eigens für eine medizinische Untersuchung durch seinen Leibarzt mit einem Schnellboot aus Zypern anreisen wird. Im Libanon lernt Bishop die britische Ärztin Elizabeth Hadley kennen und verliebt sich in sie. Muir findet allerdings heraus, dass Hadley eine international gesuchte Terroristin ist, die an einem Bombenanschlag auf die chinesische Botschaft in London beteiligt war, bei dem der Neffe des chinesischen Premierministers getötet wurde, und deshalb aus Großbritannien fliehen musste. Über Hadley bekommt Bishop aber Kontakt zum Leibarzt der Zielperson des Anschlags und organisiert ein Treffen mit Muir. Muir legt dem Arzt Beweise vor, dass der Tod seiner Eltern durch eine Kohlenmonoxidvergiftung vor einigen Jahren kein Unfall war, sondern ein Mordanschlag, hinter dem dieser Islamistenführer steckte, und kann den Arzt so zu einem tödlichen Giftanschlag auf die Zielperson während der anstehenden Untersuchung überreden.

Muir, der Hadley nicht vertraut und auch befürchtet, dass die Liebesbeziehung zwischen Bishop und Hadley ihre Tarnung und damit die ganze Mission gefährden könnte, fädelt einen Deal mit der chinesischen Seite ein, die wegen des Londoner Botschafts-Attentats immer noch an Hadley interessiert ist: Er verrät dem chinesischen Geheimdienst Hadleys Aufenthaltsort im Austausch gegen einen von den Chinesen als Spion verhafteten US-Diplomaten. Hadley wird von chinesischen Agenten entführt und später in einem Gefängnis der Volksbefreiungsarmee inhaftiert. Muir fälscht einen Brief Hadleys an Bishop, dass sie ihn und das Land verlassen habe.

Muir, der nicht riskieren konnte, dass der Islamistenführer wieder abreist und untertaucht, hatte als „Plan B“ mit der Libanesischen Miliz einen Selbstmordanschlag auf die Zielperson mit einer Autobombe für den Fall organisiert, dass die Vergiftung scheitern sollte. Am Tag der geplanten medizinischen Untersuchung der Zielperson gelingt es Bishop aufgrund der bürgerkriegsbedingt chaotischen Zustände in der Stadt wegen neu aufgeflammter Kämpfe zwischen verfeindeten Gruppen nicht, den Arzt rechtzeitig zum vereinbarten Untersuchungstermin zu bringen. Als Bishop und der Arzt sich verspäten, löst Muir telefonisch Plan B aus. Bei der Explosion werden neben dem Islamistenführer viele Unbeteiligte und auch der mittlerweile vor Ort eingetroffene Arzt getötet. Bishop war mit der Vorgehensweise von Muir nicht einverstanden, lässt sich in eine andere Abteilung versetzen und bricht den Kontakt zu Muir ab.

Jahre später findet Bishop heraus, dass Hadley von den Chinesen entführt worden war und in einem chinesischen Gefängnis festgehalten wird. Er wird schließlich verhaftet, als er versucht, sie aus diesem Gefängnis zu befreien, und soll in 24 Stunden hingerichtet werden. Die CIA könnte Bishop zu „einem von uns“ erklären und dadurch seine Freilassung erwirken. Die US-amerikanische Seite müsste sich dann allerdings Bishops Aktion als „unfreundlichen Akt“ zurechnen lassen, und die CIA-Führung befürchtet für diesen Fall diplomatische Verwicklungen. Um ein kurz vor dem Abschluss stehendes Handelsabkommen zwischen den USA und China nicht zu gefährden, zu dessen Unterzeichnung der US-Präsident eigens nach China reisen wird, entscheidet sich die Führung der CIA, Bishop zu opfern, zumal er auf eigene Faust gehandelt hat.

Muir, der sich für Bishop immer noch verantwortlich fühlt und ein schlechtes Gewissen hat, weil Bishop nur deshalb den Befreiungsversuch für Hadley unternehmen musste, weil Muir sie an die Chinesen verraten hatte, versucht zunächst mithilfe der Medien auf Bishop aufmerksam zu machen. Als dies misslingt, fälscht er die Unterschrift des CIA-Direktors unter einem von ihm selbst verfassten Befehl an ein Team der United States Navy SEALs, Hadley und Bishop aus dem Gefängnis zu befreien. Seine gesamten Ersparnisse verwendet er dafür, über einen alten Freund in Hongkong Mitarbeiter des örtlichen chinesischen Elektrizitätswerks zu bestechen, damit diese für die Zeit der Befreiungsaktion den Strom abschalten – damit handelt er gegen seinen eigenen Rat, den er seinem damals neu angeworbenen Agenten Bishop einmal abends in einer Bar gegeben hatte: Er solle sich eine Geldreserve zurücklegen und diese niemals für eine Kontaktperson antasten. Das Geld transferiert er auf ein Konto auf den Cayman Islands.

Muirs Vorgesetzte misstrauen ihm zunehmend, überprüfen seine Telefonate und Kontobewegungen und beginnen Fragen wegen seiner vor wenigen Stunden vorgenommenen verdächtigen Auslandsüberweisung zu stellen. Muir gelingt es, sie zu überzeugen, dass er sich lediglich von seinen Ersparnissen ein Grundstück auf den Bahamas kaufen wolle. Auch die gleichzeitig ablaufende militärische Aktion zur Befreiung Bishops und Hadleys gelingt. Bishop erkennt schließlich am Codenamen der Operation („Dinner out“, ein zwischen Muir und Bishop erwähnter Fantasiename für eine private Beschaffung eines Geburtstagsgeschenkes), dass sie von seinem ehemaligen Mentor initiiert worden war.

Rezension

Die Agentenfilme der 1960er waren stylisch oder sehr packend, die der 1970er und 1980er entweder dilettantisch oder doch vergleichsweise realistisch, aber wie in den 2000ern? „Spy Game“ wurde noch vor 9/11 gedreht, die Geschehnisse konnten also den Stil nicht beeinflust haben.

Im Filmlexikon von TV Spielfilm wird der Film als „Bildersturm“ bezeichnet, „bei dem die Synapsen um Hilfe schreien“ und der verhindere, dass man ernsthaft der Handlung folgen könne. Kritisiert wurde auch die „MTV-mäßige Überinszenierung“, die die Kriegsszenen wie ein „P.-Diddy-Video“ aussehen und den Film zu einem „Scott-typischen bombastischen Popcornkino-Knaller“ werden lassen.[3] Auch für Oliver Hüttmann im Spiegel und A. O. Scott in der The New York Times ist der Film ein visuelles Sperrfeuer bzw. erinnert an eine SportwagenWerbung, in welchem nur Robert Redford durch seine charismatische Art überzeugt.[4][5] (1)

Da kann man sehen, wie die Zeiten sich auch seit 2001 schon wieder geändert haben. So überragend bilderstürmerisch empfand ich die Visualität des Films gar nicht, zumindest ist man an diese Hektik mittlerweile gewöhnt, die häufig gute Plots ersetzen muss und in der die Darsteller*innen wenig Gelegenheit bekommen, sich auszuzeichnen, obwohl die Filme tendenziell immer länger werden. Ich fand Robert Redfords Darstellung in „Spy Game“ jedoch glaubhaft, kompakt und die von Brad Pitt ebenfalls okay. In keiner Richtung aus dem Rahmen fallend, könnte man auch sagen. Es ist ein Unterschied, ob jemand echtes Leiden zeigt oder nur eins auf die Mappe und ebenjene von der Maske ein wenig verschmiert bekommt, um kenntlich zu machen, dass jemand durch die Hölle ging.

Dass Muir (Redford) am Ende gegen seinen eigenen Rat dem von ihm geführten Jungagenten gegenüber handelt, fiel mir auch auf und es ist sicher einer der zentralen Punkte: Dass ein gewissenloser Geheimagent am Ende sich selbst läutert, indem er einem anderen, für dessen Patsche er sich verantwortlich fühlt, aus dieser heraushilft und dafür kein Haus auf den Bahamas kriegen wird, sondern es mit der Altersarmut zu tun. Wobei auch in den USA die Staatsbediensteten nicht darben müssen. Die Anlage des Films mit einer Rahmenhandlung ist heute nichts Ungewöhnliches mehr, nimmt in diesem Fall aber einiges von der Spannung. Man ahnt von Beginn an, dass der Lebensweg von Bishop (Pitt) als Agent und sein Verhältnis zu Muir nicht nachgezeichnet werden, damit am Ende alles fatal ausgeht. Möglich ist das bei Agentenfilmen, aber nicht überwiegend wahrscheinlich und mir ist es leider in keiner einzigen Minute gelungen, einen emotionalen Zugang zum Geschehen zu bekommen.

Redford als Muir fand ich interessant, sein Auto auch und habe mich ansonsten darauf konzentriert, die Settings auf ihren Realismus zu überprüfen, was mir in Ostberlin natürlich besser gelang als in Beirut. So schlecht ist der Film nicht gemacht, er war für damalige Verhältnisse mit 115 Millionen Dollar Produktionskosten auch nicht gerade billig, da darf man gelungene Settings mit Autos, die es in der DDR in den 1970ern tatsächlich gab, erwarten. Dass die W123-Taxis in Beirut für die 1980er schon ziemlich alt aussahen, ist nebensächlich, wie einige weitere Kleinigkeiten, die bei solchen Filmen immer nicht passen, weil gerade der Abstand von 10 oder 20 Jahren zur Zeit des Drehs auch die Frage aufwirft, ob es dafür steht, alles haargenau um ebenjene Zeitspanne zurückzuschrauben. Jedenfalls bemüht der Film sich um ein gewisses Maß an Authentizität – oder spiegelt sie vor. Die Zahl der Goofs aller Art ist typisch für solche Filme und hier nachzulesen. Einige registriert man  eher nebenbei, in anderen Fällen ist man nicht sicher, die meisten bemerkt man nicht, sie wurden ja auch von vielen Nutzer*innen der IMDb zusammengetragen, nicht von einer Einzelperson. Einen Blockbuster-Fehler, welcher die Logik des Films ins Wanken gebracht hätte, habe ich nicht registriert und wie die CIA ihre internen Verhältnisse gestaltet, ist nicht mein Spezialgebiet.

Nell Minow schrieb auf movies.yahoo.com, im Film würden die Spione keine eleganten Sakkos tragen und keine Martinis trinken, sondern ihre Gehirne benutzen. Sie lobt die „fabelhaften“ („marvelous“) Darstellungen von Robert Redford und Brad Pitt sowie die Regie von Tony Scott.[1] Auch Sascha Westphal in der Welt findet es keine oberflächliche Bildkomposition, was dem früheren Werbefilmer Tony Scott oft vorgeworfen wird, sondern bezeichnet den Film als ein Essay über den Zustand der Vereinigten Staaten nach dem Kalten Krieg.[2] Zitiert nach (1)

Tony Scott ist übrigens der Bruder des als Regisseur bekannteren Ridley Scott („Blade Runner“). Ein Essay über die Zeit kurz nach der Wende hat nach meiner Ansicht keine epische Struktur, die dazu führt, dass der Zustand, der gezeigt wird, zu 75 Prozent derjenige vor dem Ende des Kalten Krieges ist, außerdem hat sich die Nachwendestruktur erst über die Jahre herausgebildet, deswegen wäre es kein schlechter Kniff gewesen, den Rahmen tatsächlich im Jahr 2001 anzusiedeln und in die Dialoge im Konferenzraum die aktuellen Problemstellungen und Herangehensweisen zu zeigen und sie in einen handlungsorientierten Vergleich zum Stand der Dinge in den 1970ern und 1980ern zu setzen. Einziges Problem: Robert Redford hätte diese große Zeitspanne nicht ohne Weiteres mit fast derselben Alterskenntlichkeit spielen können, zumindest für die frühen Szenen hätte ein anderer Schauspieler eingesetzt werden müssen. Brad Pitt altern zu lassen, wäre weniger problematisch gewesen. Trotzdem wäre es so spannender gewesen, weil keine eher willkürlich wirkende Distanz zur jüngsten Zeitebene bestanden hätte.

Part of the film was originally set to have been filmed in Israel, but due to the sudden escalation of the Israeli-Palestinian conflict (in September-October 2000), and following the requirements of the actors‘ insurance companies, the filming took place in Morocco instead.

Es gab sogar Zeiten, in denen man ihn hätte in Beirut spielen lassen können, am Originalschauplatz, heute könnte man sogar echte Zerstörungen jüngerer Herkunft verwenden. Filme über den Nahostkonflikt oder solche, die ihn beinhalten, sind einerseits faszinierend, weil sich im Grunde nie etwas ändert und man dadurch viel über die Welt und die Menschen und ihre Schwächen lernen kann, zum anderen gerade deswegen ist das Thema allerdings auch deprimierend. Mithin: zweischneidig.

Nun spielt nicht der gesamte Film dort, sondern wird, jeweils mit eigener Farbsetzung, auf verschiedene Stationen verteilt. Deutschland wird eher düster und grau gezeigt, Vietnam auch optisch als eine grüne Hölle mit roten Flammen und „Beirut“ in grellen, weitgehend realistisch wirkenden Tönen, etwas dezenter die Szenen, die 1991 in der CIA-Zentrals spielen. Und damit zum Episodischen. Ich finde, Agentenfilme eigenen sich nicht sehr gut für diese Art der Plotanlage, weil alles dadurch zu kaleidoskopartig, ein solcher Film aber normalerweise davon lebt, dass bestimmte Spieler und Gegenspieler sich packende Duelle liefern, wobei das Gute zumeist (früher: immer) siegt. Das Gute kann auch relativiert werden, wie in „Spy Game“, wo der Führungsoffizier Muir in Beirut einen Anschlag verüben lässt, der viele Zivilisten tötet, um einen Islamistenführer zu beseitigen. Eine False Flag Action war es natürlich auch. Heute wird meist präziser gearbeitet und es ist ganz offensichtlich, wer dahintersteckt: Die Machtpositionen und die Gemengelage sind so verteilt, dass niemand ein Problem damit hat, zuzugeben, dass die CIA oder der Mossad versuchen, wichtige Gegner durch eine Mischung aus geheimdienstlichen und technisch orientierten Aktionen, etwa durch Drohnenangriffe, zu töten. Das macht es unkomplizierter und wohl auch kostengünstiger, als Menschen auf andere Menschen anzusetzen und dabei viel Findigkeit in den Aufbau von Kontakten investieren zu müssen. Mittlerweile, so wirkt es, ist es eher der Hauptjob, die Zielpersonen aufzuspüren.

Finale

Die vier Episoden von „Spy Game“ erreichen einzeln jedoch nie den Grad, an dem sie wirklich packend sein könnten und neben der Tatsache, dass die Figuren okay, aber nicht mitreißend gestaltet sind, kommt ein Film heraus, der doch nur an der Oberfläche kratzt, ein paar Methoden darstellt (innerhalb von fünf Minuten auf dem Balkon eines bestimmten Hotelzimmers zu erscheinen, wie auch immer das gelingen möge, ist z. B. ein Mossad-Test), ein paar Statements zu der Art der (inneren) Führung abgibt, aber ein Wurf ist er nicht und ich neige dazu, einen großen Film mit Topschauspielern etwas strenger zu bewerten als ein B-Movie, wenn dabei nicht auch etwas Großes herauskommt. Ein großer Film ist „Spy Game“ auch innerhalb seines Genres nicht, insbesondere, weil er eine dynamische Dramturgie und eine Figurenzeichnung, die besonders Brad Pitts Figur Bishop zugute hätte kommen müssen, einem – sic! – zu großen Panorama opfert.

67/100

© 2020 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Regie Tony Scott
Drehbuch David Arata
Michael Frost Beckner
Produktion Douglas Wick
Marc Abraham
Musik Harry Gregson-Williams
Kamera Daniel Mindel
Schnitt Christian Wagner
Besetzung

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