Drei Kinder gegen Überalterung – alles ist planbar, oder nicht? | #Frontpage #China #Geopolitik | Statista #Reproduktionsquote #Fertilität #Wohlstand #Produktivität #Bevölkerung

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Die chinesische Ein-Kind-Politik ist wohl die legendärste Großplanungsmaßnahme eine Einheitspartei, die es jemals gegeben hat. Jüngst ging durch die Presse, dass die Partei KPCh nun drei Kinder pro Familie erlauben will. Zu dieser Thematik kam heute eine erhellende Statista-Grafik heraus.

Interessanterweise wurde die Ein-Kind-Politik in China zu einem Zeitpunkt verkündet, als die Geburtenrate in China, wie in allen modernen Gesellschaften, wenn sie kulturell und ökonomisch stabiler werden oder voranschreiten, bereits sehr stark im Fallen begriffen war. Nach dem langen Marsch hatte China Geburtsraten, wie sie teilweise heute noch in Afrika anzutreffen sind, ca. 6 Kinder pro Frau im Durchschnitt, was nichts anderes bedeutet, als dass es auch Familien mit wesentlich mehr Kindern gegeben hat. Und ausgerechnet nach der Verkündigung der Ein-Kind-Politik stabilisierte sich die Quote erst einmal bei etwas weniger als 3 Kindern pro Frau, bevor sie auf das Maß abzufallen begann, das heute auch in Europa üblich ist – also knapp über der aktuellen deutschen Quote von ca. 1,6 liegt. Die Quote zur vollständigen Reproduktion wäre knapp über 2, nicht exakt 2, weil offenbar davon ausgegangen wird, dass nicht alle Mädchen das Alter der Gebärfähigkeit erreichen, außerdem dauert es heute sehr viel länger als bis zu diesem Zeitpunkt, bis Kinder tatsächlich mehr oder weniger geplant eintreffen was das Risiko der Kinderlosigkeit erhöht.

2015 wurde die „zulässige“ Kinderzahl auf zwei pro Familie angehoben, nach nur sechs Jahren bereits auf drei.

Das ist viel interessanter, als man auf den ersten Blick denken mag. Denn während der vergangenen fünf Jahre hat sich in Sachen Reproduktionsquote – nichts getan. Offenbar ging die Partei davon aus, dass man nur die Quote anheben müsse und schon stellen die Chines*innen, treu und gehorsam der Obrigkeit gegenüber, wie man sie im Allgemeinen wahrnimmt, mehr Kinder her. Das taten sie aber nicht und in China ist Zuwanderung als Modell des Ausgleichs eines in Zukunft zu erwartenden Bevölkerungsverlustes, ebenso wie in Japan, wo er bereits eintritt, keine Option. Weiterhin hat man längst erkannt, wie gut sich mit dieser riesigen Bevölkerung, die China hat, Geopolitik machen lässt. Sie ist keine Belastung mehr, als zu jenen Zeiten, in denen die Menschen kaum genug zu essen hatten, sondern ein Pfund, denn alle Welt will in China mit seiner breiten neuen Mittelschicht von über 300 Millionen Menschen unternehmerisch tätig werden. Wer das zu welchen Konditionen darf, bestimmt die KPCh. Selbst den eigenen neuen Milliardären gegenüber, wenn es sein muss und wie man am Kräftemessen mit Jack Ma, dem Gründer des weltgrößten Konzerns Alibaba, kürzlich gesehen hat.

In nächster Zeit wird die chinesische Mittelschicht, die konsumrelevant ist, noch einmal erheblich wachsen, ohne dass die Gesamtbevölkerung sich vergrößern muss, aber eine Überalterung schadet natürlich der Produktivität eines Landes und seinem Gewicht in einer Welt, deren Bevölkerungszahl immer noch ansteigt, vor allem dank der rasanten Expansion derselben in Afrika und wenige Staaten außerhalb dieses Kontinents. Im Begleittext von Statista heißt es zu der Grafik, die wir gleich vorstellen werden:

Zwölf Millionen Babys wurden 2020 in China geboren – weniger waren es zuletzt 1960. Gleichzeitig wird die Bevölkerung immer älter. Um dem entgegenzuwirken hat die Regierung nun angekündigt, dass Paare künftig drei Kinder bekommen dürfen. Mit einem baldigen Babyboom ist aber wohl trotzdem nicht zu rechnen. Bereits die Aufhebung der Ein-Kind-Politik im Jahr 2016 hat kaum Auswirkungen auf die Anzahl der Geburten pro Frau in China gehabt, wie der Blick auf die Grafik zeigt. Die Gründe für die Fortpflanzungszurückhaltung vieler Chines:innen sind finanzieller Natur. Wenn alle Kinder bekommen sollen, brauchen wir Erleichterungen – auch finanzieller Art“, sagt eine 30-jährige , kinderlose Angestellte gegenüber der Tagesschau. „Wenn die Regierung das nicht hinbekommt, ist es einfach nicht machbar.“

Wir kommentieren unterhalb der Grafik weiter.

• Infografik: Drei Kinder gegen die Überalterung | Statista

Die Aussage der Frau, die für die Tageschau interviewt wurde, zeigt ein Verständnis, das auch die Partei selbst i vielen Dingen hat: Es ist alles eine Frage der Zahlen und der Steuerung und im Notfall steuert man eben die Zahlen, wenn sich die Realität nicht so einfach steuern lässt. Bei der Geburtenrate scheint es aber etwas wie einen internationalen Abgleich zu geben, man kann sie nicht einfach manipulieren, wie das etwa bei den chinesischen Wirtschaftsdaten ziemlich offensichtlich seit langer Zeit der Fall ist. Über alles hält die Partei die Hand und hat auch in sehr guten Zeiten Reserven angelegt, die sie abrufen kann, wenn es mal nicht so gut läuft, davon ist angesichts der absurd gleichmäßigen Wirtschaftswachstumszahlen über viele Jahre hinweg auszugehen.

Aber gleich ob Einparteiendiktatur oder Demokratie, fortgeschrittene Gesellschaften tendieren zu weniger Kindern und anders wird es wohl nicht gehen, wenn die Erde nicht doch irgendwann unter zu vielen Menschen zusammenbrechen soll. Aber kann man eine Fertilitätsrate von derzeit 1,7 auf 2,1 oder mehr anheben, indem man finanzielle Vorteile gewährt? In Deutschland werden Familien mittlerweile auf eine Weise gepampert, die man auf ihre Verfassungskonformität hin überprüfen müsste, die Panik ist riesig, die Erfolge sind gering. Vor allem aufgrund der Zuwanderung jüngerer Menschen im gebärfähigen Alter hat sich die Kinderquote in den 2010ern ein wenig angehoben, aber selbst Länder, die als wirklich familienfreundlich gelten, in denen also nicht vorrangig Geld mit der Gießkanne verteilt wird, sondern in denen die Bevölkerung Kindern gegenüber eine bessere Einstellung hat als bei uns, schaffen es in Europa nicht, die Reproduktionsquote 1 (2,1 Kinder pro Frau) zu erreichen. Frankreich liegt zwischen 1,8 und 1,9 und damit ganz vorne, in einigen Staaten beträgt die Quote nicht einmal 1,4. Das trifft sogar auf Länder wie Italien zu, in denen die auch von der Kirche geförderte Bambinikultur geradezu mythologisch aufgeladene Züge aufzuweisen schien.

Und China? Das ist ein sehr technologielastiges Land geworden, in dem die Menschen es sich angewöhnt haben, vor allem zu konsumieren, nicht viel politisch nachzudenken und sehr pragmatisch mit der Tatsache umgehen, dass man nicht alles haben kann, aber viel mehr als früher und auch viel mehr auf die eigene Verwirklichung konzentriert sein darf. Trotzdem ging die Geburtenrate nach der Implementierung der Ein-Kind-Politik nicht sofort zurück und ist seit Jahren dermaßen gleich, auf eher niedrigem Niveau, dass der Ruf nach Änderung seitens der Partei zu verhallen scheint. Aber was vorher Ungehorsam war (1,6 sind nun einmal 60 Prozent mehr als erlaubt), war ab 2015 zu wenig und ist jetzt sogar viel zu wenig, nämlich kaum mehr als 50 Prozent des Solls. Das Soll liegt natürlich nicht bei drei Kindern, insofern ist „Soll“ polemisch, aber es ist durchaus vorstellbar, dass es bald zu einer vollständigen Freigabe kommt, sollte die Geburtenrate niedrig bleiben.

Eine Art von religiös-weltanschaulich fundierte Expansionsideologie, die Kinder in den Mittelpunkt des Kults rückt, gibt es dort meines Wissens nicht, Ländliche Großfamilien werden gemäß der Wenige-Kinder-Politik in China eher wenig gemocht. Vor allem nicht, wenn alle Kinder Mädchen sind. Das wurde in dieser Dokumentation sehr eindringlich gezeigt. Dass es in diesem Land früher zu so vielen Kindern kam, hatte die gleichen bekannten Ursachen wie in anderen armen Ländern, unabhängig von ihrer Kultur, Religion und anderen Hintergründen, die mit über den Umgang mit der Fruchtbarkeit bestimmen könnten.

Wenn man die globalen Anforderungen sieht, welche die Zukunft es stellt, liegt China mit seiner aktuellen Fertilitätsrate im Grunde sehr gut im Zielkorridor, denn irgendwann muss die Bevölkerung ein wenig zurückgehen, um sich selbst zu schützen, aber die KPCh hat sich nun einmal entschlossen, dies als nicht ausreichend zu definieren. Wir werden sehen, wie gut der neue Plan gelingt. Die Befürchtung, dass man in einem dermaßen autoritären Staat mit künstlich geschaffenen und nebenbei genetisch komplett nach Wunsch gestalteten Menschen der Geburtenrate auf die Sprünge helfen könnte, ist angesichts dessen, womit bereits überall experimentiert wird, keineswegs absurd.

TH

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