Serenade zu dritt (Design for Living, USA 1933) #Filmfest 605

Filmfest 605 Cinema

Wenn sich die Moral total verrennt, wird für jewöhnlich abjeblendt

 Es hat mich erstaunt, dass wir zu dieser klassischen Ernst-Lubitsch-Komödie noch keine Rezension. Also war die letzte Sichtung, bevor wir mit ebejenen Rezensionen begannen.Oder zwischen den alten, mit der Maschine getippten Filmverzeichenissen und dem April 2011, als im ersten Wahlberliner die „FilmAnthologie“ startete, die nun zum Filmestl mit mehreren Kategorien geworden ist. Eines ist sicher, ich kenne den Film und fand ihn immer schon charmant. Es ist halt ein Lubitsch, deshalb ist er charmant, frivol und durchaus mit einem gewissen provokativen Potenzial ausgestattet. Was wir in dieser Dreieckskomödie (eigentlich ist es eine Viereckskomödie) gefunden haben, steht in der –> Rezension. 

Handlung (1)

Im Zug lernen Tom Chambers und George Curtis die Zeichnerin Gilda Farrell kennen, in die sich beide spontan verlieben. Gilda, aus dem Werbefach kommend, ist Schlagfertigkeit gewöhnt. Sie rät George eindringlich, seine Kunst an den Nagel zu hängen, was ihn jedoch nicht daran hindert, mit ihr zu flirten.

Gemeinsam mit Tom bewohnt George eine kleine Pariser Dachgeschosswohnung. Als die zwei erkennen müssen, beide abgöttisch in Gilda verliebt zu sein, beschwören sie ihre Männerfreundschaft. Es erscheint ihnen nur allzu logisch, einzeln um Gilda zu werben und dennoch gemeinsam gegen ihren Mitstreiter, den Werbefachmann Max Plunkett, vorzugehen. Indes weiß Gilda dieser Neukonstellation einige Vorzüge abzugewinnen. Gemeinsam treffen sie ein Gentleman’s Agreement, Sex aus dem Spiel zu lassen.

Gilda fördert tatkräftig die Karriere ihrer beiden Künstler und das mit großem Erfolg. Toms Theaterkomödie wird im fernen London ein Sensationserfolg und in trauter Zweisamkeit kommen sich Gilda und George daheim in Paris einander näher.

Als George beruflich in Nizza zu tun hat, kehrt Tom unerwartet heim nach Paris. Das Blatt wendet sich, und jetzt hat Tom Gilda ganz für sich. Als George heimkehrt, kommt es zum Eklat. Gilda rettet sich gekonnt aus der Affäre, indem sie sich mit Max Plunkett einlässt und diesen spontan heiratet.

Doch sie bereut ihren Entschluss alsbald, da sie ihren auferlegten gesellschaftlichen Verpflichtungen nichts abgewinnen kann. Erst als ihre vergessenen alten Freunde wieder auftauchen, entscheidet sich Gilda abermals für George und Tom. Noch beim Wegfahren im Fond des Taxis erneuern sie ihr einmal gegebenes Gentleman’s Agreement.

Rezension

Vermutlich wollte es der Zufall, dass wir gerade einen frühen Film von Ernst Lubitsch rezensiert haben, „Carmen“ aus dem Jahr 1918. Ein wenig von Carmen hat auch Gilda, denn die Vereinbarung, Sex aus dem Spiel zu lassen, wird gebrochen und dass sie gebrochen wird, das erfahren wir durch Abblenden. Darin ist der Film ohnehin groß, Sprünge durch Blenden zu arrangieren. Zugegeben, es war damals noch eher üblich als heute, derlei zu machen, der Jump Cut war meines Wissens auch noch nicht erfunden. Es wird nicht offen gezeigt, dass Gilda in dem Film Sex mit drei Männern hat, das versteht sich von selbst, aber was hier noch ein wenig spekulativ wirkt, gilt in einem anderen Punkt nicht: Sie verlässt nach kurzer Ehe den dritten Mann im Bunde wieder und die beiden anderen nehmen sie liebend gerne auf. Vermutlich wäre diese verdeckte Darstellung einer promisken Lebensform ein Jahr später nicht mehr möglich gewesen, denn 1934 trat der Production Code offiziell in Kraft, der bis dahin nur eine freiwillige Selbstverpflichtung der Filmindustrie war. Wie die Wirtschaft mit freiwilligen Einschränkungen umgeht, ist bekannt.Ohne Druck läuft es nicht, wobei Druck im Kulturbetrieb eine andere Sache ist als der Druck, sich sozialer oder umweltfreundlicher zu verhalten. 

In der Realität war dieser Vorschlag einer ausgeglichenen Dreiecksbeziehung damals sicher noch nicht so üblich, auch nicht in den Großstädten, aber das muss er nicht, um als Paramount-Gesellschaftskomödie zu funktionieren, die von Ernst Lubitsch inszeniert wurde. Wie gut Studio und Regisseur zusammenpassten, kann man anhand von „Design for Living“ sehr gut studieren. Während Hollywoods größte Firma, MGM, vor allem für große, epische und später für musikalische und familientaugliche Filme zuständig war, war die Nummer zwei, Paramount, vor allem für ihre Eleganz und Modernität bekannt. Das spiegelt sich auch gerne in den Filmsets. Was wäre die anfängliche „Bude“ der beiden Künstler gewesen, wenn man sie nicht der mondänen Dachwohnung hätte gegenüberstellen können, die George bewohnt, nachdem er als Maler Erfolg hat?  Diese ist in einer Art von luxuriöser Variante von Bauhaus-Stil, schon mit Schlag ins Art Déco, andere Paramount-Filme aus der Zeit, an die ich mich erinnere, zeigen noch mehr von letzterem Stil. Den Gipfel setzt am Ende des Haus von Mr. Plunkett und da der Film exzellent restauriert ist, wirkt alles wunderbar frisch und nobel. Wie eben ein Schwarz-Weiß-Film, der viel jünger ist und als „Period Picture“ angelegt. Freilich hat es kein einziger dieser historisierenden FIlme, die ich bisher gesehen habe, geschafft, ältere Epochen ohne Sachfehler zu zeigen.

Die Handlung ist einfach, leicht verständlich und der Dialogwitz ,soweit ihn die deutsche Synchronisierung erhalten kann, phänomenal. Auch dies kein Wunder: Der Top-Drehbuchautor Ben Hecht hat das Skript verfasst, zusammen mit dem Dramatiker Noel Coward. Der Film basiert nicht nur auf desen gleichnamigem Stück, sondern es geht bei dem Schriftsteller Tom, offenbar bis auf die sexuelle Neigung auch ein sonniges und aufgrund seines noch sehr geringen Erfolgs auch schattiges alter ego von Coward. Sehr hübsch, wie darauf abgehoben wird, dass die meisten guten Zitate von Menschen geklaut sind, die niemals erfahren, dass sie jene Zitate geliefert haben. Anders in diesem Film, wo der PR-Fachmann Walter Plunkett seinen Standard-Aussprucht in einem Stück wiederfindet. Da muss erste eine Muse kommen und für Auftrieb sorgen, in dem Fall fungiert sie aber nicht als Inspirationsquelle, wie etwa Gertrude Lawrence bei Coward, sondern als Marketingfachfrau rennt sie einem Produzenten die Tür ein und sofort klappt alles. 

Noël Coward hatte 1932 einen großen Hit als Autor des Stücks Design for Living, der frivolen Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau. Das Stück feierte am Broadway Triumphe und hatte in den Hauptrollen neben Coward selber das bekannteste Bühnenehepaar der amerikanischen Theatergeschichte, Alfred Lunt und Lynn Fontanne. Die Dialoge und Situationen waren gewagt (…), so dass eine Verfilmung selbst unter den eher laxen Vorschriften, wie sie vor Inkrafttreten des Hays Code galten, kaum möglich schien.

Was wir oben geschrieben haben. Die Besetzung des Films verlief folgendermaßen:

Die Besetzung der weiblichen Hauptrolle war einfach, da Miriam Hopkins damals die persönliche Favoritin von Lubitsch war. Schwer fiel die Auswahl der beiden Männer im Stück. Zunächst spielte Lubitsch mit der Idee, Ronald Colman und Leslie Howard zu verpflichten und verfiel dann, als beide absagten, auf Fredric March und Douglas Fairbanks Jr. Fairbanks erkrankte jedoch an einer Lungenentzündung, und völlig überraschend ersetzte ihn Lubitsch durch Gary Cooper. Der hatte bis dahin noch keine einzige Komödie gespielt. Der Regisseur verteidigte seine Wahl mit finanziellen Erwägungen. Cooper war immerhin einer der größten Stars bei Paramount und hatte eine große und loyale Anhängerschaft. In Lubitschs eigenen Worten

„Noel Coward means nothing to most of them. Gary Cooper means something to them, and they will be happy to see that he is an accomplished light comedian.“

Cooper und Lubitsch sollten noch zwei weitere Komödien drehen: Desire von 1936 mit Marlene Dietrich und Lubitsch als ausführendem Produzenten und Blaubarts achte Frau zwei Jahre später an der Seite von Claudette Colbert.

Fredric March war ohnehin schauspielerisch erstklassig und konnte in mehreren Genres eingesetzt werden. Man vergleiche z. B. seine Rolle als „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ aus dem Jahr 1931 mit der in „Serenade zu dritt“. Und Gary Cooper war einer der Topstars des frühen Tonfilms und hielt sich bis zu seinem Tod 1960 ganz oben, Miriam Hopkins stand damals auf der Leiter insbesondere der Komödienstars ebenfalls auf einer hohen Stufe. Man konnte mit dieser Besetzung, ergänzt durch den famosen Edward Everett Horton, nicht viel falsch machen, aber man musste nicht alles richtig machen. Man brauchte dazu doch einen Lubitsch, der für die damalige Zeit eine herausragend elegante Art und Weise zu filmen entwickelt hatte, bei der auch Kritik so verpackt wurde, dass sie als reines Vergnügen erscheint. 

Dass der Schriftsteller gegenüber dem Maler intellektueller wirkt und so herausgestellt wird, ist vielleicht der schlichten Tatsache zu verdanken, dass die am Film beteiligten Schriftsteller fanden, sie übten die höhere Form der Kunst aus und würden dafür nicht gut genug bezahlt. Allerdings hatte Ben Hecht für sein Drehbuch die für jene Zeit sehr hohe Summe von 50.000 Dollar erhalten, etwa als das Fünfzigfache des Jahresgehalts eines Durchschnittsverdieners. Was inzwischen wirklich passiert ist, kann man sich anhand folgender Fragestellung zurechtlegen: Wer verdient, auch in Hollywood, heute ca. 2 Millionen Dollar an einem Drehbuch, und sei es noch so gut? Die Verhältnisse sind ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Ausnahme: Autor:innen von Megabestseller:innen im Romanbereich.  

Die Schauspieler:innen müssen sich nicht total verausgaben, denn es ist wirklich die sichere Regie von Ernst Lubitsch, die ihnen das erspart, die Dialoge tragen ebenfalls viel dazu bei, dass der Film wunderbar literarisch und doch schlicht und vor allem mit dem Lubitsch-Touch ausgestattet ist. Wenn auch nicht in dem Maße wie der Vorgänger „Ärger im Paradies“, findet das heutige Publikum, denn Letzerer ist mit 8/10 einer der besten Lubitschs, während 7,5/10 für „Design for Living“ für seine Tonfilmverhältnisse eher den Durchschnitt repräsentiert.

Finale

Insofern kann man sagen, wir haben einen typischen Lubitsch vor uns. Bekanntlich orienter sich an ihm der größte Komödienregisseur der folgenden Generation, Billy Wilder. Diese Filmkünstler haben dem amerikanischen Kino europäische Finesse geschenkt. Andererseits hatten sie sehr schnell erkannt, dass Hollywoodkino mehr oder weniger immer gleich funktioniert und dass es darauf ankommt, unter dem sehr Ähnlichen das Beste auf die Beine zu stellen bzw. auf Zelluloid zu bannen. Gerade deshalb jedoch hat „Serenade zu dritt“ auch etwas Außergewöhnliches, weil er für taffe Menschen, die unter emotionalen Verlusten leiden, aber nicht zu sehr, für Großstädter, die auch mal um eine Beziehung trauern, aber nie zu lange, ein augenzwinkerndes Arrangement geschaffen, das mit einem ebensolchen Augenzwinkern übergangen wird. 

Anlässlich seiner deutschen Fernsehpremiere am 8. Januar 1970 im Programm der ARD zog der Evangelische Film-Beobachter folgendes Fazit: „Ernst Lubitschs flott inszenierte, erfrischend gespielte und mit zahlreichen Bonmots gespickte Komödie um dieses verzwickte Dreiecksverhältnis ist auch nach 35 Jahren noch eine köstliche Unterhaltung.“[2] Auch das Lexikon des internationalen Films geizt nicht mit Lob: „Frivole Lubitsch-Komödie mit bissigem Wortwitz und hinterlistigem Charme, die von der Kunst der Andeutung, der Mehrdeutigkeiten und Anspielungen sowie eines permanenten Perspektivenwechsels in Bild und Ton lebt. Lubitsch ironisiert gesellschaftliche Moralvorstellungen, indem er seine Figuren mit möglichen und unmöglichen Formen der ‚platonischen Liebe‘ experimentieren läßt.“[3]

Da kann man es sehen: Wenn es ein Lubitsch ist, bleibt der moralische Zeigefinger unten, der so viele Filme traf, die von diesen beiden Stellen rezensiert wurden. Allerdings erlebte die Gesellschaft eine Wendezeit, als der Film erstmals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Lehren, nicht aus dem Wandel bei der Beurteilung von Filmen, sondern aus „Design for Living“ selbst: Wenn du Künstler bist, such dir einen Freund. Wenn du den gefunden hat, sucht gemeinsam eine Frau. Wenn ihr die gefunden habt, teilt sie und lasst es zu, dass sie euch beide zum Erfolg führt. Wer wollte widersprechen, wenn ich festhalte, dass dieses Modell ökonomisch und künstlerisch höchst attraktiv ist. Es kann lediglich zu emotionalen Defiziten komen, die Lubitsch eher nonchalant betrachtet. Ob diese Filme tiefergehende Gesellschaftskritik beinahlten?

Für „Design for Living“ würde ich das eher nicht behaupten wollen, in der Hinsicht war Billy Wilder später wesentlich schärfer, aber dieser Film, dem man trotz der anfänglichen Armut der beiden Künstler-WG-Freunde die Depression kaum anmerkt, transformiert eine schwere Zeit in etwas Leichtes und bietet Kinobesucher:innen, die nicht so begnadet und am Ende auch begütert sind wie die Hauptfiguren dieses Werks Ablenkung und die Möglichkeit zu träumen, ohne dass es vollkommen aus einer anderen Welt ist. Vielleicht werden Kunst und Kommerz etwas auf die Rolle genommen, die Banalisierung historischer Persönlichkeiten als Werbeträger, wie hier Napoleon, der sich nicht mehr wehren kann. Alles ist Marketing, ihm folgt der Erfolg, nicht der Qualität eines Produkts oder Kunstwerks. In diesem Sinne nicht zu unterschätzen: Dass man selbst den Durchbruch nicht geschafft hat, wird auch den resultierenden Umständen zugeschrieben, nämlich, dass es daran liegen kann, dass man bisher keine Begegnunge mit einer taffen Gilda hatte, und das ist jenseits der „Frivolität“ und der Modernität und Zugänglichkeit der Rollen auch der beteiligten Frau wichtig für die Seele. Zudem ist der Film fast frei von Diskriminierungen und epochentypischen Klischees. Das Foto, das wir für den Titel gewählt haben, gibt das Verhältnis zwischen der Frau, welche die Fäden in der Hand hält und den beiden – Helden oder Antihelden? – gut wieder. Universalität, Zeitlosigkeit und ein Gentlemen’s Agreement mit den Schwächen der Menschen gehören eben auch  zum Lubitsch-Touch.

79/100

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Deutscher Titel Serenade zu dritt
Originaltitel Design for Living
Produktionsland USA
Originalsprache Englisch
Erscheinungsjahr 1933
Länge 88 Minuten
Altersfreigabe FSK 0[1]
Stab
Regie Ernst Lubitsch
Drehbuch Ben Hecht nach Noël Coward
Musik John Leipold
Kamera Victor Milner
Schnitt Frances Marsh
Besetzung

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