Aquarius – Polizeiruf 110 Episode 312 #Crimetime 1056 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Rostock #Bukow #König #Pöschel #Thiessler #NDR #Aquarius

Crimetime 8xx - Titelfoto © NDR,Christine Schröder

Alte Unterwasserkameraden

In „Aquarius“ spielt Katrin Königs Vergangenheit, ihre Fluchtgeschichte, noch gar keine Rolle, alles konzentriert sich noch auf Bukows Berliner Zeit, wenn es ums Gestern geht – aus jenem Gestern ist ein Problem mit einem Angehörigen der organisierten Kriminalität zurück geblieben, der möglicherweise Bukows Familie bedroht hat. Die Handlung wirkt sehr dicht, sehr gepackt, weil immerhin ein recht interessanter aktueller Fall präsentiert wird, in dem es um Kampftaucher der ehemaligen NVA geht. Und worum geht es sonst? Dies steht alles in der -> Rezension.

Handlung

Maik Lehmann ist mit seiner Familie in einem Einkaufszentrum unterwegs, als ihm der Obdachlose Frank Dörner begegnet, der sich seltsam benimmt und letztendlich mit Geldscheinen um sich wirft. Lehmann kommt der Mann bekannt vor, sodass er ihn nach seiner Flucht aus dem Einkaufszentrum verfolgt. Er folgt ihm bis zu dessen Versteck am Warnowufer. Als er bemerkt, dass er auf etwas getreten ist, das sich als Mine herausstellt, ist es schon zu spät, die Detonation zerreißt ihn. Da er nicht wieder auftaucht, sucht Lehmanns Frau Claudia Rat im Polizeirevier.

Kommissar Bukow will sich des Falles annehmen, doch hindert ihn ein bedauerlicher „Unfall“ eines Kollegen daran. Rolf Schulte, seit zwei Jahren Hauspostbote im Polizeirevier und guter Freund Bukows, wird tot im Rostocker Hafen geborgen. Da in seiner Lunge aber nur Süßwasser nachzuweisen ist, steht fest, dass er ertränkt und erst dann in die Ostsee geworfen worden ist. Somit geht es um Mord, und Bukow und König nehmen zusammen mit ihren Kollegen Anton Pöschel und Volker Thiesler die Ermittlungen auf. Die Durchsuchung von Schultes Wohnung bringt überraschenderweise diverse Bundeswehr-Pistolen zutage. Auf einem über 30 Jahre alten Foto erkennt Bukow seinen Kollegen als Kampfschwimmer der Volksmarine zusammen mit Maik Lehmann, der am Vortag von seiner Frau als vermisst gemeldet worden ist.

Bukow muss von seinem Vorgesetzten erfahren, dass gegen ihn seit einiger Zeit eine Ermittlung wegen Korruption läuft und dass Katrin König deshalb in Rostock ist. Tatsächlich hat Bukow große Probleme. Dragan Nikolic, ein Gangster aus Berlin, dessentwegen er dort weg und nach Rostock gegangen ist, hatte seinerzeit Bukows Sohn entführt, um ihn zur Mitarbeit für seine Machenschaften zu bewegen, nun fühlt Bukow sich abermals von ihm bedroht. Es gibt Anzeichen, dass Rolf Schulte als „Maulwurf“ ins Polizeirevier eingeschleust worden ist, denn Katrin König ertappte ihn dabei, wie er tatsächlich Daten ausspionieren wollte und dabei die Akte von einem Subocek auf ihrem Rechner geöffnet hatte. Zu welchem Zweck und für wen er dies tat, versucht die Ermittlerin herauszufinden. Diese Suche muss sie abbrechen, da nun – nach einer Woche – die Leiche von Maik Lehmann gefunden worden ist. Anhand der gefundenen Metallsplitter und des Zustands der Leiche steht fest, dass das Opfer auf eine Ufermine getreten ist. Diese Mine stammte aus Bundeswehrbeständen, wie die Waffen aus Schultes Besitz. Für die ermittelnden Beamten ist dies zunächst sehr rätselhaft, denn Schulte und Lehmann waren Kampfschwimmer der NVA der DDR.

So führen die Ermittlungen zu Aquarius, einem Verein von Kampfschwimmer-Veteranen, der von den Brüdern Heinz und Ulli Kowski geleitet wird. Insbesondere Heinz Kowski verfügt für einen ehemaligen DDR-Bürger über recht erhebliche Geldmittel. Zudem gehört ihm ein Luxushotel in Rostock, bei dem sein Bruder als Geschäftsführer angestellt ist und auch Maik Lehmann zusammen mit Rolf Schulte als Security gearbeitet hatte. Des Rätsels Lösung ist ihre gemeinsame Vergangenheit. So waren die Vier zum Ende der DDR-Zeit als Bewacher für ein geheimes Lager der KoKo eingesetzt, in dem Waffen, Gold und Kunstgegenstände zu einem Millionenwert gelagert wurden. Heinz Kowski, der Anführer dieser Gruppe, verstand sich mittlerweile nicht mehr mit seinem Bruder weshalb dieser das Gold aus ihrem „Raubzug“ für sich beiseite schaffen wollte. Dazu benutzte er den psychisch kranken Frank Dörner, der die Beute im Fluss versteckte und das Ufer mit einer Mine absicherte.

Obwohl Ulli Kowski den Obdachlosen kurzerhand erdolchte, damit er ihn nicht verraten konnte, kam sein Bruder Heinz ihm auf die Spur. Weil er seinem eher labilen Bruder so etwas nicht zugetraut hatte, fiel sein Verdacht anfangs auf Rolf Schulte, den er letztendlich auch tötete. Als ihm ein Licht aufging, schoss er wutentbrannt auf Ulli, musste aber fliehen, da die Polizei auf ihn aufmerksam geworden war. Bukow stellt Heinz Kowski und nimmt ihn fest. Auch das Gold kann geborgen und in Verwahrung genommen werden.

Rezension

Es ist schon ein bisschen seltsam. Je vollständiger mein Bild von den Polizeirufen im Allgemeinen und von den Rostocker Filmen im Besonderen wird, desto mehr muss ich aufpassen, dass es nicht nervt, dass bei Bukow und König, Pöschel und Thiessler eine Erzählstruktur gewählt wurde, die schwierig nachzuverfolgen ist, wenn man die Filme nicht von Beginn an in chronologischer Reihenfolge gesehen hat. Aber bald werd ich’s haben. Es fehlen nur noch zwei Filme, wenn mein Gedächtnis in dieser Sache korrekt funktioniert – und es gab nur einen Fall („Für Janina“), in dem ich zu einer Abwertung aus (rechts-) politischen Gründen gegriffen habe. Auf der Kippe war es oft, aber meine persönliche Grenze für das, was nicht mehr geht, habe ich letztlich nur dort als überschritten angesehen. Es ist eben alles sehr auf Kante genäht, woanders gerät die Darstellung nicht einmal in die Nähe eines rechtspolitischen No-Gos.

Auch nicht im Rostock-Film mit den alten Kampfkameraden?

Das scheint ja eine ziemlich harte Truppe gewesen zu sein, diese Kampftaucher, eine Einzelkämpferausbildung ahben sie auf jeden Fall. Aber immerhin geht es um nicht weniger als 35 Millionen Euro. Das ist eine der höchsten Summen, die je in einem Tatort oder Polizeiruf als Beute aufgerufen wurden. Goldbarren wurden während der Wendezeit „abgezweigt“, das wirkt zumindest nicht unrealistisch, nicht einmal in dieser Größenordnung.

Kein Wunder, dass es im Kampf um den Goldschatz mehrere Morde gibt. Auch der Stil des Films trägt dazu bei, dass die Geschwindigkeit sehr hoch wirkt, man kann auch sagen, dass eine unübersehbare Hektik provoziert wird. Es wird mit Jump Cuts gearbeitet, mit Handlungssprungen gearbeitet, mit reihenweise ungewöhnlichen Kameraperspektiven, mit wackeliger Handkamera, die den Figuren dicht auf dem Fuß folgt, mit vielen Nahaufnahmen, und das alles verstärkt den Eindruck, dass man sich erst einmal in diesen Film hineinfinden muss, weil seine Bilderwelt von der normalen Wahrnehmung eines Menschen stark abweicht.

Es wird nicht besser, wenn man bei achronologischer Aufarbeitung der neueren Polizeirufe wieder genötigt ist, ein Puzzlestück zu finden und ins Gesamtbild einzusetzen. Ja, zu der Zeit, im zweiten Rostock-Polizeiruf, wirkt König noch wie die Legalistin, wären Buckow einiges zu verbergen zu haben scheint. Ich kann mich leider nicht erinnern, wie diese Berliner Geschichte genau aufgelöst wurde. Dass einer der Männer, die kurz darauf versterben, den LKA-Computer von König angezapft hat, möglicherweise im Auftrag des alten Widersachers von Bukow, ist offensichtlich nicht mit dem Hauptfall verknüpft, sondern es handelt sich zufällig um eine Person, die auch in diesen verwickelt ist.

Warum der Mann bei der Polizei etwas angenommen hat, was als Billigjob apostrophiert wird, anstatt sich etwas mehr an den Auszahlungen zu beteiligen, die der Mann mit dem Gold an die anderen vorzunehmen hat, erschließt sich nicht unbedingt, aber klar ist, dass derjenige, der über den Verbleib des Goldes Bescheid weiß, die Hand darauf hat und selbst relativ gut geschützt ist, während andere, die zu hohe Ansprüche stellen, gewaltsam ums Leben kommen oder bedroht werden. So wird es wohl auch bei diesem bei der Polizei gelandeten Mann gewesen sein.

Der Einstieg in diesem Film fällt nicht nur wegen der Bukowschen Vergangenheit schwer, sondern auch, weil anfangs überhaupt keine Zusammenhänge erkennbar sind. Kann man machen, ist aber vor allem, wenn man einen Film etwas später am Abend anschaut, auch, auch anstrengend. Trotzdem hat „Aquarius“ viele Vorzüge, weil vor allem Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau wieder ihr Bestes geben. Wenn Bukow tobt und seine eigene Sicherungsanlage kaputt macht oder wenn er träumt und dabei das Massieren seines lädierten Rückens nach einer Auseinandersetzung, zunächst durch seine Frau, unvermittelt an König übergeht, schließlich jener alte Gegner aus Berlin ihn würgt, ist das schon sehenswert.

Man bemerkt durchaus, dass gerade dann, wenn Buckow seine Kollegen als Quotentussi bezeichnet, dies ein Ausdruck dafür ist, dass er sich in sie verliebt hat und sich gerne mehr distanzieren würde, als er kann. Natürlich rechnet er nicht wirklich damit, dass sie ihn nach dem Flaschendrehen küsst. Aber in Gedanken beginnt er, fremdzugehen, noch bevor gezeigt wird, dass seine Frau etwas mit dem Kollegen Tiessler angefangen hat. König wird durch Anneke Kim Sarnau in diesem Film so anziehend dargestellt, wie in keinem anderen Rostock-Polizeiruf den ich bisher gesehen habe. Vielleicht auch, weil sie in einigen Szenen nicht ganz so angezogen wirkt wie sonst. Außerdem ist sie etwas mehr geschminkt als üblich. Ob die König-Darstellerin das in der Folge nicht mehr wollte, weil zur gleichen Zeit in Frankfurt in Frankfurt-Tatort eine weitere Schauspielerin darum kämpfte, nicht die Sexbombe geben zu müssen, das ist natürlich eine Assoziation mit einem Gedankensprung, jedenfalls hat man später darauf geachtet, die zierliche, aber sehr energische Kommissarin nicht so glatt wirken zu lassen.

Ein Superplus ist die Schlussszene, jene Jagdszene im Wald, in der das Flirrende des Films passgenau der Situation entspricht. Was man so nicht planen konnte, war, dass es zu dem Zeitpunkt anfängt, massiv zu schneien und das Ende der Szene mit blutigen Menschen in jungfräulichen weißen Schnee stattfindet. Das ist großartig pittoresk und beinahe hypnotisch. Es geht zwar nicht um Rehe, sondern um Schweine, aber ein wenig hat mich die Szena an „Mensch im Wald“ aus Bambi erinnert.

Schweine, Hunde und Lämmer

Die drei Kategorien, in die man Menschen einteilen kann. Schweine sind dabei jene, gemäß George Orwells Animal Farm, die zunächst Moral verkaufen, die Wasser predigen, aber Wein trinken. So, wie der Mann, der das Gold im See verbunden verbunkert hat und sich zusammen mit seinem Bruder, den er immer dominiert und dem er die Frau ausspannt, zu einer Art Investorenpaar entwickelt hat. Das heißt, er wird durchaus einen beträchtlichen Teil von dem Gold abgezweigt haben.

Finale

Wie alle Rostock-Polizeirufe dreht Aquarius emotional und handlungstechnisch sehr hoch. Die Art, wie der Film gestaltet ist, war mir teilweise etwas zu übertrieben, andererseits entsteht dadurch eine Sogwirkung, die man, wenn man diese Filme chronologisch anschaut und zum richtigen Zeitpunkt, voll genießen kann. Am Schluss fügt sich dieser Fall relativ gut zusammen, doch zu Beginn, wo große Konfusion herrscht, wo Vergangenheit und Gegenwart stur nebeneinander hertappen und mit ihnen gezwungenermaßen der Zuschauer, fand ich diese Art von FIilming nicht optimal. Zumindest nicht für mich, weil ich erst im März 2019 begann, die Polizeirufe zu rezensieren. Rückwärts denken ist nun einmal in Rostock schwieriger als bei jeder anderen Schiene, weil die horizontale Erzählung immer wieder mit neuen Komponenten angereichert wird, während andere Bestandteile aufgelöst werden. Immer mehr zieht sich die Entwicklung des verhältnisses zwischen König und Bukow und bis es zu einem richtig intensiven Kuss kommt, dauert es 10 Jahre, bis zum Polizeiruf „Der Tag wird kommen“. Ich hatte schon an anderer Stelle geschrieben, dass dies in der Realität kaum vorkommt – dass Menschen so viele Jahre lang ein Team sind und dann erst sich die Liebe materialisiert.

8/10

© 2021 (Entwurf 2020) Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Edward Berger
Drehbuch Martin Rosefeldt,
Edward Berger
Produktion Iris Kiefer
Musik Christoph Kaiser,
Julian Maas
Kamera Jens Harant
Schnitt Bernd Euscher
Besetzung

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