Henkersmahlzeit – Polizeiruf 110 Episode 237 #Crimetime 1087 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Halle #Schmücke #Schneider #MDR #Henker #Mahlzeit

Crimetime 1087 – Titelfoto © MDR

Gourmets denken anders

Henkersmahlzeit ist ein deutscher Kriminalfilm von Hartmut Griesmayr aus dem Jahr 2002. Es ist die 237. Folge innerhalb der Filmreihe Polizeiruf 110 und der 18. Fall für die Hallenser Kommissare Schmücke und Schneider.

Zuletzt sind einige Filme um die Episode 200 herum gezeigt worden, jetzt ein Sprung vom Jahr 1999 ins Jahr 2002, in dem Schmücke und Schneider schon wie alte Hasen wirken. Was sie ja auch damals schon waren, ihre Karriere begann lange vor der Wende in der DDR. Aber zeigt der Film auch schon diese beinahe beängstigende Gleichförmigkeit, die sich Mitte der 2000er in die Krimis aus Halle eingeschlichen hatte bzw. entspricht er schon diesem Schema? Dazu und zu anderen Aspekten des Films steht mehr in der -> Rezension.

Handlung (1)

Während Restaurantbetreiber Marco Witte zusammen mit seiner Ehefrau Laura bei einem Picknick am Saaleufer weilt, erscheinen plötzlich zwei maskierte Männer. Sie schlagen ihn nieder und entführen Laura Witte. Die Polizei schaltet sich sofort ein und Schmücke und Schneider nehmen sich des Falles an. Per SMS kommt vom Täter die Aufforderung eine Million an Lösegeld bereitzuhalten. Für die Kommissare erscheint es verwunderlich, dass Witte ganz offen seine Freundin, die Psychologin Eva Berner, präsentiert. Angeblich wüsste seine Frau davon und hätte es toleriert.

Schmücke und Schneider durchleuchten zunächst die Möglichkeit einer Schutzgelderpressung, was für Lokale von Wittes Größenordnung nicht ungewöhnlich wäre. Ehe sie in dieser Richtung etwas erreichen können, wird die Leiche von Laura Witte gefunden. Kurz darauf gerät der in der Schutzgeldszene einschlägig bekannte Passlack ins Visier der Ermittler. Er leugnet allerdings, bis zu einem Mord zu gehen. Da nichts Beweisbares gegen ihn vorliegt, bleibt Passlack auf freiem Fuß. Als Schmücke und Schneider ihn noch einmal befragen wollen, wird er vorher umgebracht. Erstochen mit dem gleichen Messer wie Laura Witte.

Obwohl die Kommissare keinen konkreten Anhaltspunkt haben, deuten viele kleine Hinweise immer mehr auf eine Beziehungstat, die nur als Entführung getarnt werden sollte. Nachdem Wittes Geliebte unter Tatverdacht gerät und verhaftet wird, begeht sie in ihrer Zelle Selbstmord. Witte nutzt diese Chance und schiebt jegliche Schuld auf Eva Berner. Dennoch gelingt es Schmücke und Schneider eindeutige Indizien gegen Marco Witte zu finden. Sie konfrontieren ihn mit ihren Ermittlungsergebnissen, woraufhin er einknickt und den Mord an seiner Frau gesteht. Seit dem Konkurs ihres ersten Lokals habe Witte nur noch im Schatten seiner Frau gestanden, was er am Ende nicht mehr ertragen konnte. Bei der Entführung habe ihm Passlack geholfen.

Rezension

Es ist nichts vollkommen anderes, wenn ich zunächst über eine Beobachtung ein paart Takte loswerden muss, die es bei Schmücke und Schneider zu allen Zeiten gab. Leider eignet sich ein Feinschmecker-Restaurant besonders gut dazu und der Versuchung ist man denn auch komplett erlegen. Nämlich Schmücke und Schneider als den Bonvivant und den Spießer einander gegenüberzustellen. Armer Wolfgang Winkler, ich hoffe, er hat nicht zu sehr leiden müssen. Aber ganz langsam komme ich dahinter, dass die beiden etwas ziemlich Perfides abziehen. Schmücke spielt im Grunde einen snobistischen Wessi und Schneider den biederen Ossi. Dadurch jedoch, dass beide aus dem Osten kommen, akzeptiert das Publikum Schmückes Manierismen und identifiziert sich gleichzeitig mit Schneider. Nicht weniger als 50 Fälle lang hat dieses Muster funktioniert und die beiden vermutlich jenseits der früheren Zonengrenze beliebter gemacht als etwas das Tatort-Duo Ehrlicher und Kain, obwohl vor allem Ersterer wirklich die Klaviatur des Nachwende-Leids wie kaum eine andere Fernsehfigur beherrschte. Schmücke und Schneider wirken viel lockerer und sind auf ihre Weise vielleicht viel hintergründiger.

Es versteht sich von selbst, dass Schneider mit der Welt der Haute Cuisine nicht viel anfangen kann, während Schmücke wirkt, als sei er froh, endlich mal einen Fall zu bekommen, der dort angesiedelt ist. Leider ist es einige Tage her, dass ich den Film gesehen habe – aber was nützt es, wenn man sich SMS zeitversetzt schicken kann, wenn man nicht weiß, wann es gerade Sinn ergeben wird, sie zu erhalten. Nämlich, wenn die Ermittler gerade vor Ort sind, um diese auf eine gefakte Lösegeldforderung aufmerksam zu machen. Über das plötzlich erweiterte Zeitschema für den Mord an der Frau Gastwirtin musste ich ebenfalls nachdenken, weil der Endzeitpunkt ja nicht verschoben wurde. Hatte denn niemand im Restaurant beboachtet, wann das Ehepaar wirklich zum Picknick gefahren ist? Gab es keine Zeugen, welche die beiden unterwegs in dem auffälligen Cabrio gesehen haben? Whatever. Der Plot wurde künstlich verkompliziert und das gehört sich bei einem traditionellen Whodunit so. Dass es dabei ein paar Wackler gab, ist nichts Besonderes.

Bevor Jörg Schüttauf durch seine Rolle als Frankfurt-Kommissar Fritz Dellwo erlöst wurde, hatte er Rollen zu spielen, die schon deshalb undankbar waren, weil es eine enorme Anstrengung gekostet haben muss, sie einigermaßen glaubwürdig auszufüllen. Dass er so wenig frankfurterisch wirkt, wundert mich hingegen nicht mehr, seit ich weiß, dass auch er ein Kind der DDR ist. Der Knackpunkt ist meist das Ende, so auch hier. Ich hatte ihn, offen geschrieben, sehr schnell im Verdacht, seine Frau umgebracht zu haben, daher konnte ich das Ende abnicken. Trotzdem wirkt es immer unterambitioniert und in dem Fall an einer Stelle sogar ironisch übertrieben, wie er das Leid vom Ehemann darstellt, der hinter der Frau mit dem Rampensau-Gen zurücktreten musste, obwohl er doch der Mann mit dem feinen Gaumen war. Leider ging er mit einem früheren Business pleite und man kennt das ja: Man braucht eine Person mit intakter Bonität als offiziellen Inhaber oder offizielle Inhaberin. Für mich ohnehin fragwürdig, der Zwang, diese Methode anzuwenden. Es wäre viel logischer, jemanden beim nächsten Mal ein wenig zu begleiten, zu prüfen, ob sein Konzept funktionieren kann und ihn dann machen zu lassen. Alles andere sorgt nur dafür, dass die Gläubiger in den meisten Fällen in die Röhre schauen und der Mann oder die Frau, den oder die es wieder in die Selbstständigkeit zieht, in Schieflage gerät. Ich habe das gerade in meinem realen Umfeld erlebt, dass jemand eine Strohperson verwendet hat, um ein Geschäft übernehmen zu können, der irgendwann mal „die Finger gehoben“ hat und das Dumme an solchen Mittlerpersonen ist, dass sie für diese meist stille, aber mächtige Position entweder Geld haben wollen oder gar, dass sie sich tatsächlich einmischen und das Geschäft nach außen so dominieren wie hier die Frau Witte.

Rechtlich zulässig sind solche Konstrukte selbstverständlich. Bei uns muss den Anforderungen nur formal Genüge getan werden, was wirklich dahintersteckt und was es mit Menschen macht, die gerne nochmal durchstarten würden, ohne dass jemand die Hand aufhält, der nicht dafür arbeiten muss – who cares? Das Kapital hat immer recht, nicht etwa die Partei und schon gar nicht diejenigen, die ein Risiko eingehen, weil sie an das freie Kleinunternehmertum glauben, wie man gerade in der Corona-Krise wieder beobachten kann.

Je mehr ich darüber reflektiere, desto eher kann ich Witte verstehen, auch wenn jemanden umbringen nie der Königsweg ist. Aber er ist gefangen in einer ausweglosen Lage, zudem liebt er seine Frau nicht mehr und sowohl sie als auch er gehen fremd. Psychologisch nachvollziehbar ist alles im Grunde, aber am Ende eben doch ziemlich über die Kante gebrochen und außerdem zeigt der Film schon ebenjene Langsamkeit und Standardisierung, jetzt komme ich also dazu, die prägend ist für die Fälle, die Schmücke und Schneider gegen Mitte der 2000er gelöst hat. Vermutlich gibt es kein wesentliches berufliches Milieu, in dem nicht ähnliche Plotkonstruktionen aufgehängt wurden. Der Start von Schmücke und Schneider war eigentlich schon so, mal die Pferdemenschen, mal die Sportmenschen, aber anfangs war das Filming recht engagiert und man mag es heute nicht mehr glauben, der Wechsel von der unruhigen Zeit direkt nach der Wende mit einem Polizeiruf-Aussetzer in den Jahren 1992, 1993 zu Schmücke und Schneider war ein klarer Fortschritt. Einige Jahre später hat man dann aber die Stabilität dieses Teams zu sehr in den Vordergrund gestellt, anstatt sich immer mal wieder etwas trauen. Es hätte ja nicht bei jedem Film sein müssen.

Finale

So wirkt eben auch „Henkersmahlzeit“ trotz des sehr sinnigen Titels (die Henkersmahlzeit ist das Picknick) schon recht eingeschliffen. Verstärkt wird das eben durch dieses ständige Diskriminieren, das sich Schmücke gegenüber seinem Kollegen erlaubt und auch durch Schmückes Partnerin Edith. Eine Theaterregisseurin ist sicher eine interessante Ergänzung zu dem Polizisten mit dem guten Geschmack, aber gut ausgespielt wird das selten, ich erinnere mich an einen Film, dessen Namen mir gerade nicht einfällt, da wird eine Aufführung wirklich als Moment einbezogen, in dem ein Mord geschieht (nein, es war eine Probe). Aber sonst fällt sie vor allem dadurch auf, dass sie recht zickig ist und ein paar Jahre später wird sie Schmücke vor die Tür setzen. Dass sie das getan hat, war auch in etwa das Aufregendste oder Einschneidendste, was sich MItte der 2000er beim Polizeiruf Halle ereignete. Obwohl sie bereits in „Henkersmahlzeit“ mit ihrem Herbert nicht immer recht zufrieden ist – schlecht Ding will Weile haben.

5,5/10

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Hartmut Griesmayr
Drehbuch Peter Probst
Produktion Emmo Lempert
Musik Rainer Oleak
Kamera Charly Steinberger
Schnitt Claudia Fröhlich
Besetzung

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