Filmfest 723 Cinema
Mit Joan Baez lautlos durchs All
Lautlos im Weltraum ist ein dystopischer Science-Fiction-Film des US-amerikanischen Regisseurs Douglas Trumbull. Der Film des vorher als Kameramann arbeitenden Trumbull war dessen erste Regiearbeit. Der Film entstand im Februar und März 1971 in 32 Drehtagen.
Handlung (1)
Eine Flotte von Raumschiffen treibt seit mehreren Jahren durchs Sonnensystem, mit der Aufgabe, die letzten Wälder der Erde als eine Art Arche Noah unter riesigen Glaskuppeln zu erhalten, da auf der Erde inzwischen die gesamte Natur zerstört wurde. Die Raumschiffe tragen die Namen Berkshire, Valley Forge, Sequoia und Mojave.
Der Astronaut Freeman Lowell hat sich mit Enthusiasmus der Aufgabe verschrieben, die Biotope zu erhalten und zu pflegen. Er versieht seinen Dienst auf dem Raumschiff Valley Forge mit drei weiteren Besatzungsmitgliedern, die seinen Idealismus nicht teilen. Sie verabscheuen biologisch angebautes Essen und ernähren sich lieber von synthetisch hergestellten Nahrungsmitteln. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Reaktionen, als die Besatzungen der Schiffe den Befehl erhalten, das Projekt aufzugeben. Die Kuppeln sollen abgesprengt und mit den an Bord befindlichen Atombomben vernichtet, die Raumschiffe zurückbeordert und wieder für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden.
Während seine Kollegen in Vorfreude auf die Rückkehr zur Erde damit beginnen, die Sprengungen durchzuführen, wächst in Lowell der Widerstand. Um die Sprengung der letzten Kuppel zu verhindern, erschlägt er eines der anderen Besatzungsmitglieder, das dort gerade die Sprengladung platzieren will. Danach trennt Lowell eine Kuppel vom Raumschiff ab, in der sich die beiden anderen befinden und die kurz darauf durch einen Nuklearsprengsatz vernichtet wird. Er ignoriert die Befehle der Bodenstation zur Rückkehr und gibt technische Probleme vor.
Viele Monate verbringt er allein mit zwei Robotern, die er Dewey (Nummer 1) und Huey (Nummer 2) nennt. Der dritte Roboter, Louie (Nummer 3), ging beim Durchqueren der Saturnringe verloren. Lowell programmiert die Roboter mit allem Wissen über die Pflege der Pflanzen und Waldbewohner, das er zusammentragen kann. Dabei plagen ihn zunehmend Gewissensbisse, weil er seine Kollegen umgebracht hat. Eines Tages stellt Lowell fest, dass die Bäume in der letzten verbliebenen Kuppel ihre Blätter abwerfen. Lowell versucht, die Ursache herauszufinden. Als er zu seiner Überraschung von einer Rettungsmission entdeckt wird, erfährt er aus dem Funkgespräch zufällig, warum der Wald stirbt: Er ist mit dem Raumschiff zu weit vom Licht der Sonne entfernt. Lowell schickt die nun mit künstlichem Licht ausgestattete Kuppel als abgeschlossenes Biotop in den Weltraum. Dann macht er alle an Bord des Basisschiffs vorhandenen Atombomben scharf und vernichtet damit die Valley Forge mit sich und dem beschädigten Huey an Bord. Der Roboter Dewey hingegen bleibt in der kurz zuvor abgestoßenen Kuppel und pflegt dort die überlebenden Pflanzen und Tiere.
Rezension
Der Eindruck nach dem Film? Werke, die man noch nie gesehen hat, von denen man vielleicht noch nie gehört hat, sind faszinierend. Nach einigen Minuten wollten wir eigentlich umschalten und den Film für später aufheben, weil wir gestern nur auf Zerstreuung aus waren, nach einem Rezensionsmarathon in den letzten Wochen, darunter Kritiken für recht anspruchsvolle Filme, aber dann sind wir hängen geblieben und haben mehr und mehr Faszination für den Film verspürt. Da sind uns viele Gedanken, viele Assoziationen durch den Kopf gegangen und trotz des beinahe komplett deprimierenden Endes hatten wir so ein Gefühl von Zufriedenheit, als das Licht gelöscht war.
Einige Assoziationen! Schon während des Films dachten wir: Das ist der „2001“ für Ökos! Und ein Film, dessen Mentalität klar in der Flowerpower-Bewegung wurzelt. Da ist etwas von den späten 1960ern drin, aber er hat auch schon die Härte und die technische Anmutung späterer, großer SF-Abenteuer, ohne einen Abenteuerplot zu haben. Dass das Layout irgendwo zwischen „2001“, Kampfstern Galactica und Star Wars angesiedelt ist, kommt nicht von ungefähr: Douglas Trumbull hat hier erstmalig Regie geführt und war für die Special Effects bei Kubricks „2001“ verantwortlich. Einer seine -Effects-Leute hingegen in „Silent Running“ war John Dykstra, der auch am Layout der Star Wars-Filme mitgearbeitet hat. Wie in der echten Raumfahrt und Wissenschaft ist das SF-Kino eine Welt von elitären Spezialisten.
Besonders wird der Film nicht nur durch sein Thema, sondern dadurch, dass Joan Baez die Musik gesungen hat. Das hätte sie gewiss nicht getan, wenn der Film nicht ethisch auf ihrer Linie gelegen hätte, und damit ist über die Botschaft schon viel ausgesagt. Wir waren trotzdem verblüfft, wie konsequent ein Film aus 1971 die ökologische Karte spielt. Sicher, es gibt noch ältere Werke, in denen die Umweltverschmutzung schon angeprangert und auf sehr intellektuelle Weise mit dem Zustande des Menschen in einen Kontext gesetzt, wie etwa „Rote Erde“ von 1964, ein wirklich avantgardistischer Film, wenn auch kein SF. Aber auch H. G. Wells‘ „Die Zeitmaschine“ und der 1960 danach gedrehte Film künden schon von Dystopien, hier kam das Ende der Zivilisation durch einen Atomkrieg.
Immerhin ist der Film nicht Indie, sondern wurde, wenn auch als kleine Produktion mit nur 1,1 Millionen Dollar Budget, von der Universal verantwortet, die allerdings immer wieder durch ein Herz fürs Experiment und für besondere Genres hervorgetreten ist. Jedenfalls war er durchaus dazu gedacht, die Zeitstimmung aufzugreifen und ein breiteres Publikum zu erreichen, deshalb musste alles eindeutig sein. Die Haltung an sich ist schon kontrovers genug. Darf man drei Kollegen umbringen, weil sie Idioten sind, die sich lieber synthetisch ernähren als Bio? Der Film sagt: Ja. Der Zweck heiligt die Mittel. Die drei werden deshalb auch überwiegend unsympathisch dargestellt – mit Abstufungen von infantil bis gleichgültig der Ökosphäre gegenüber.
Damit hat ein nicht lautloser, aber insgesamt leiser Film schon seine Hauptaction: Wie Lowell die anderen um die Ecke bringt und das Schiff anschließend von der Flotte entfernt, unter Vortäuschung technischer Mängel.
Kann man diese Ansicht teilen? Ja, das ist tricky. Das Leben ist ein absolutes Rechtsgut, aber wir machen mal eine Rechnung auf: Viele Ökos sind ja auch Pazifisten. Wir kennen da aber auch andere Fälle, wir haben auf Versammlungen richtiger Öko-Fundis, zu denen wir uns trotz unserer bekanntermaßen eher linksökologischen Haltung nicht zählen, auch rabiate Typen erlebt wie in übelsten Branchen. Mit dem Unterschied, dass die Fundis gar nicht erst ihre Radikalität durch Umgangsformen kaschieren wollten. Das spricht ja letztlich für sie, so pur zu sein.
Also, wir würden einigen dieser Leute zutrauen, dass sie andere umbringen, wenn es gegen ihre Prinzipien verstößt. No way. Aber ist dies kriminelle Energie, wenn es um den Notstand geht, die Welt gegen Vollidioten zu verteidigen, die sie in die Scheiße reiten? Für uns ein ganz schwieriges Feld, weil wir eben auch viel über unsere Menschenrechte und die Verfassung nachgedacht haben, unter deren Ägide wir leben und da gibt es keine Rechtfertigung für das Töten anderer Menschen.
Doch, gibt es. Sicher. Notwehr und Notstand nach dem StGB, Strafausschließungsgründe undsoweiter. Man kann sich einige dieser Instrumente tatsächlich zunutze machen, um zu sagen, das Ökosystem ist wichtiger als einige, die es missachten. Die übrigen Besatzungsmitglieder missachten es anfangs nur, dann aber führen sie den Vernichtungsbefehl aus. In diesem Moment, und bei allem Nachdenken: Ja, es gibt Zwecke, welche die Mittel heiligen und wenn man bedenkt, dass die Vernichtung der Ökosysteme die Existenz des Menschen bedroht, hat er das Recht, sich gegen diejenigen zu wehren, welche diese Vernichtung aus gewissenloser Profitgier betreiben.
Ist das nicht ein Plädoyer für eine Ökodiktatur? Daran sieht man, wie aktuell „Silent Running“ ist. Lowell entscheidet autark, genau so, wie der Befehl vom Flottenkommandanten nicht demokratisch hinterfragt werden kann. Gibt es also eine Art Diktatur mit ethischer Berechtigung? Wir gehen davon aus, dass immer nur eine Minderheit global wird denken können, so, wie auf dem Raumschiff Lowell gegen drei andere steht. Was also soll diese Minderheit tun, um das Ganze zu erhalten? In der Wirklichkeit zeichnet sich keine Ökodiktatur ab, und das ist auch ein Ausfluss der Komplexität unserer Welt und der Machtverhältnisse. Im Weltraumszenario, wie im Wilden Westen, lassen sich Dinge wunderbar vereinfachen und aus der Notwendigkeit zur Abstraktion herauslösen. Überhaupt ist der Film das Medium, um komplizierte Zusammenhänge verständlich darzustellen, ohne dass dieser verfemte populärwissenschaftliche Touch entsteht. Bezeichnend ist, wie die Altersgruppen den Film bewerten.
In der IMDb? Ja. Ältere Menschen, die Gruppe ab 45 (sorry für das „älter“, aber weiter nach oben differenziert die IMDb nicht mehr, was im Grunde diskriminierend ist), also Leute ab 45 bewerten den Film um einiges höher als jüngere, insgesamt kommt er nur auf für ein solches Werk recht bescheidene 6,8/10. Gegen die vergleichsweise infantilen Star Wars-Film kann er damit nicht ankommen, aber er ist auch viel nüchterner und klarer und natürlich nicht so effektvoll, prunkt nicht mit Identifikationsfiguren, auch wenn die Idee mit den netten Robotern in „Silent Running“ schon vorweggenommen wird. Wobei sie nicht so spacig aussehen wir R2D2 und der andere Typ, dessen Name uns gerade nicht einfällt, sondern eher ein kastiges Industriedesign haben, wie es in den frühen 70ern üblich war. Inklusive Anstrich in Orange.
Aber es ist nun einmal so, dass Menschen über 45 nicht nur die 1970er noch wahrgenommen haben, sondern auch am besten verstehen, dass der Film keineswegs durchgeknallt ist und wir sagen können, es hat sich alles, was darin gezeigt wird, nicht bewahrheitet. Wer „Die Erde von oben“ gesehen hat, weiß, wie dramatisch wir immer noch Raubbau an der Umwelt betreiben. Der Unterschied zum Film ist eher, dass es keine Raumschiffe gibt, die Arche Noah spielen könnten. Dass die Welt immer noch funktioniert oder wir das in Deutschland zumindest so wahrnehmen, das ist ein Wunder der Natur, das wir gar nicht verdient haben.
Was sagt die Kritik? Bei Roger Ebert schauen wir nun schon traditionell rein und haben uns gefreut, dass er vier von vier Sternen vergeben hat. Ganz so hoch wird’s bei uns nicht gehen, aber seine Kritik ist auch zeitgenössisch, keine von seinen späteren Revisions-Rezensionen, und für die damalige Zeit war der Film etwas Besonderes, wenn auch, wie Ebert schreibt, nicht „profound“, daher aber auch nicht zu prätentiös. Aus heutiger Sicht ist er schon ein wenig prätentiös, aber noch okay. Ebert hat das Dilemma des Lowell kurz angesprochen, aber nicht in den Mittelpunkt der Rezension gestellt.
Die schauspielerische Leistung Bruce Derns wird allgemein gelobt, dem schließen wir uns an. Intensiv und ein wenig freakig, manchmal in einer Mönchskutte als echter Natur-Eremit, kommt er daher. Schade, dass er meist miese Typen spielen musste, wir mögen seine glaubwürdige Art, einen denkenden Menschen zu spielen in diesem Film und schätzen u. a. seine Darstellung im letzten Hitchcock „Familiengrab“ (1976), wo er mal einen kleinen, aber nicht unsympathischen Gauner in einer Krimikomödie geben kann.
Vielleicht noch ein paar Worte zu den erwähnten Robotern. Die Drohnen, also die Roboter, die Lowell programmiert, heißen Dewey, Huey und Louie, so heißen im Original die drei Neffen von Donald Duck – was man im Deutschen nicht ermitteln kann, weil der Film die Originalnamen beibehält und die Roboter nicht in Tick, Trick und Track umbenennt. Das hätte man wohl im Synchronstudio als zu albern empfunden und hat lieber diese Anspielung auf Disney verschleiert.
Dabei dient sie einem seltsamen Submythos: Zu den Maschinen gewinnt Lowell eine Beziehung, wie er sie zu seinen Besatzungskollegen nie hatte. Er programmiert sie so, dass sie ihn heilen können, dass sie den Wald pflegen und sogar Poker spielen, wobei wir beinahe dachten, dass der Film in eine ganz andere Richtung geht, als die beiden tapsenden Kisten anfangen, miteinander zu flüstern. Glücklicherweise war das aber nicht der Fall und die Technik blieb freundlich. Technik an sich ist neutral, es kommt darauf an, was man mit ihr anfängt, ist wohl das, was der Film uns mit diesen Freunden mitteilen will, von denen einer sogar ums Leben kommt, wenn man es so ausdrücken will – und auf verräterische Weise finden wir das trauriger als den Tod von Lowells Kollegen. Einer der beiden „überlebenden“ Roboter wird von Lowell umgefahren und repariert, funktioniert aber nicht mehr richtig und Lowell nimmt den Invaliden mit in den Tod, als er das Raumschiff sprengt. Das ist alles sehr menschlich, weist aber auch auf ein paar kleine Fragwürdigkeiten in diesem doch so einfachen Film hin.
Es gibt Fehler und andere Kritikpunkte? Ein Fehler ist sicher, wie es zu dem Unfall kommt. Warum sollte der Roboter ausgerechnet in diesem Moment einen Befehl von Lowell missachten, wo er das sonst nie tut, sondern sich immer an seine Programme hält? Dadurch kommt es erst zu der Kollision und der rührenden Reparaturszene. Ein größerer Klops ist allerdings die Sache mit dem sterbenden letzten Wald in der letzten verbliebenen Kuppel. Ziemlich am Anfang des Films diskutiert Lowell mit den übrigen noch lebenden Besatzungsmitgliedern auf eine etwas missionarische Weise über die Natur und deren Erhalt und postuliert, er sei ja wohl, wenn es auf der Erde einen Beauftragten für deren Re-Installation geben sollte, der am besten geeignete Mann, er habe acht Jahre mit den Kuppeln geprobt. Aber dann versteht er nicht, warum der Wald stirbt, obwohl es schlicht an mangelndem Sonnenlicht liegt. Die IMDb benennt das als „Charakterfehler“ – im Sinne von Unglaubwürdigkeit einer Filmfigur, die sich nicht nur als kompetent deklariert, sondern beim Gärtnern auch so wirkt, und dann diesen wirklich einfachen Zusammenhang nicht checkt.
Finale
„Silent Running“ ist ein wunderbar simpler Film, der wunderbar in die Zeit passt, in der er gedreht wurde. Kein Klassiker in dem Sinn, dass er zeitlos wäre, sondern gerade faszinierend durch seine Eingebundenheit in eine Ära, in der eine Dystopie noch nicht den Hauch von Gestern hatte. Heute wäre der Film so nicht mehr machbar, weil er zu naiv wirken würde. Wir arbeiten schon so lange und trotz aller Warnungen an der Zerstörung des Planeten, dass der Film nicht in die Zukunft, sondern eher in eine Vergangenheit deutet, in der es noch möglich schien, mit viel gutem Willen die heutige Gegenwart abzuwenden.
Einer von jenen besonderen Filmen, zwar technisch und personal mit früheren und späteren Werken des Genres verbunden sind, aber doch Einzelstücke.
80/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Douglas Trumbull |
Drehbuch | Deric Washburn Michael Cimino Steven Bochco |
Produktion | Michael Gruskoff Marty Hornstein Douglas Trumbull |
Musik | Peter Schickele |
Kamera | Charles F. Wheeler |
Schnitt | Aaron Stell |
Besetzung | |
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