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Liebe Leser:innen,
es ist nicht so, dass wegen der Corona-Reporte unser Blick gar nicht mehr auf andere Themen gerichtet ist. Im Gegenteil. Derzeit verfolgen wir die Ukraine-Krise allerdings eher passiv, als dass wir auch daraus eine zu stetiger Vertiefung tendierende Darstellung entwickeln würden. Das könnte sich bald ändern, denn wir sind ziemlich genervt, um es vorsichtig auszudrücken. Außerdem ist Kanzler Olaf Scholz gerade in den USA. Zeit für den Einstieg.
Wie immer hat Civey die Stimmung im Land glänzend erfasst und gestern die passende Umfrage gestellt:
Denken Sie, dass Russland unter Wladimir Putin eine Gefahr für Deutschland darstellt?
Was meinen Sie? Stimmen Sie ab! Das aktuelle Bild ist sehr differenziert, aber immerhin sind mit „eindeutig ja“ und „eher ja“ knapp die Hälfte der bisher Abstimmenden dieser Ansicht. Wir meinen: Kommt darauf an. Auf die Agenda von Wladimir Putin natürlich, aber auch darauf, wie der Westen sich verhält. Die besonnenen Stimmen sind in der Minderheit und Kanzler Scholz wird von den Medien geradezu in die Enge getrieben, um endlich mal richtig auf die Pauke zu hauen. Da kriegen wir auch langsam kalte Füße, obwohl das Gas noch nicht abgestellt ist.
Trotzdem haben wir mit „eher nein“ geantwortet. Denn es wurde nicht gefragt, ob die Besetzung der Krim richtig war oder was im Donbass passiert, sondern, ob Putin eine Gefahr für Deutschland darstellt. Das war 20 Jahre lang nicht so und ist grundsätzlich auch heute nicht so. Man kann natürlich auch provozieren, und zwar auf unterschiedliche Weise, dass es gefährlicher wird. Mit etwas Pech kann dann niemand mehr zurück, ohne das Gesicht zu verlieren, die Medien jedoch haben ihre Sensation und Schlagzeilen satt auf Jahre hinweg, wenn es wirklich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommt. Die Bevölkerung muss dringend das, was derzeit von den allzu eindeutig ausgerichteten Leitmedien geschrieben wird, mit einer gewissen Distanz lesen, das ist unsere allererste Empfehlung, damit die Ressentiments und Ängste, die im Westen des Landes teilweise noch aus dem Kalten Krieg stammen, uns nicht zu sehr beherrschen.
Wir müssen hier nicht jedes Mal betonen, dass wir keine Putin-Fans sind und wir denken grundsätzlich antiimperialistisch, das gilt allen Ländern mit Großmachtstreben gegenüber. Aber genau diese Ausgewogenheit fehlt beinahe allen Teilnehmer:innen an der derzeitigen Diskussion und das muss endlich thematisiert werden. Klar hat Deutschland eine historische Verpflichtung Russland gegenüber und prinzipiell eine Verpflichtung zu friedliebender Politik, aber das bedeutet nicht, dass man alles gut finden muss, was fast 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Kreml kommt und dem gar nichts entgegensetzen darf.
Klar sind wir in ein westliches Bündnissystem integriert, das sich aus der Historie des Kalten Krieges ergeben hat, aber das bedeutet nicht, dass die Ukraine ein Bündnisfall ist und dass man nicht über das Schema der Blockbildung hinausdenken darf, nur, weil die USA wieder auf dem Interventionspfad sind, ohne allerdings selbst zu intervenieren, sondern die Probleme am Schluss anderen aufzuhäufen. Nichts aus dem Irak und Afghanistan gelernt? China eh nicht im Blick? Es geht einerseits nicht an, dass Altkanzler Schröder, der nun wirklich kein Menschenfreund ist, mit einem SPD-Ticket dermaßen offensiv wie in den letzten Tagen und aus beeindruckend durchsichtigen Gründen russische Interessenpolitik macht. Es geht aber auch nicht an, dass die grüne Außenministerin schon die Kriegstrommel rührte, als nicht einmal in den USA die rhetorischen Säbel gewetzt waren, sie noch nicht einmal im Amt war und, als sie es war, sich mit dem Kanzler nicht abstimmte.
Im Moment ruhen die Hoffnungen auf Olaf Scholz: Klare Kante mit Grenzsetzungen gegenüber allen Beteiligten. Jedoch keine Teilnahme am Eskalationsbetrieb, wie der überwiegende Teil der Medienlandschaft es gerne sehen würde, der Scholz‘ Vorsicht absichtlich als Schwäche missdeutet, sondern weiterhin ein Dialog, der vor allem die Interessen Europas im Blick hat. Diese sind zuvorderst darauf gerichtet, dass es hier zu annehmbaren Bedingungen friedlich bleibt. Und darauf, dass wir weiter warme Füße haben werden, denn die Entscheidung für eine russlandnahe mittelfristige Energiepolitik wurde getroffen in der Annahme, dass mit Energie keine Politik gemacht werde. Naiv? Nicht unbedingt, zumindest nicht Russland gegenüber und nicht zu dem Zeitpunkt, als die Weichenstellung erfolgte. Das werden wir demnächst näher ausführen.
TH