Filmfest 732 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (87)
Der Überläufer und die Farm in Montana
Jagd auf Roter Oktober (Originaltitel: The Hunt for Red October) ist eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Tom Clancy. Er handelt von einem sowjetischen Atom-U-Boot, dessen Kapitän mit seinen Offizieren zur NATO überlaufen möchte. Der erfolgreiche Film wurde 1990 von John McTiernan gedreht und startete am 9. August 1990 in den bundesdeutschen Kinos.
Der Eindruck nach dem Film? Hat uns gut gefallen. Gerade, weil „Jagd auf Roter Oktober“ mehr von der Spannung und den Figuren lebt. Erst ab dem zweiten Plotpoint (nach ca. 80 % des Films) gibt es richtig Action mit einer Atomexplosion, aber die Dramaturgie und der Spannungsaufbau passen und es macht Spaß, Sean Connery als U-Boot-Kommandant zu sehen, in der Ära nach dem ZK-Vorsitzenden Breschnew und vor der Inthronisierung von Michail Gorbatschow, einer letzten Phase der Hochspannung im Kalten Krieg, in der man die Kurrzeit-Regenten Juri Andropow und Viktor Tschernomyrdin und was sie weltpolitisch vorhaben, kaum einschätzen konnte. Mehr dazu finden Sie in der –> Rezension.
Handlung (1)
1984, kurz vor Ende des Kalten Krieges, wird im russischen Poljarny das Atom-U-Boot Roter Oktober fertiggestellt, ein Raketen-U-Boot der Klasse Projekt 941. Ein amerikanischer Satellit ortet das neue U-Boot, als es zu seiner Jungfernfahrt ausläuft, um im Nordatlantik Tests durchzuführen. Kapitän ist der Litauer Marko Ramius, in der Sowjetmarine und in politischen Kreisen ein hochangesehener Mann. Der CIA–Analyst Jack Ryan legt dem U-Boot-Experten Skip Tyler Bildmaterial vom Bau des Schiffes vor, das er vom britischen Geheimdienst erhalten hat. Dieser soll klären, was die rätselhaften Luken an der Roter Oktober zu bedeuten haben. Tyler ist davon überzeugt, dass das U-Boot mit einem magnetohydrodynamischen Antrieb, „Raupe“ genannt, ausgerüstet wurde, dessen Konstruktion in den USA bisher nicht gelungen ist und der es einem U-Boot ermöglichen würde, sich nahezu lautlos fortzubewegen und vom Sonarnetz der NATO im Atlantik unerkannt zu bleiben.
Tylers Vermutung bestätigt sich, als das amerikanische Atom-U-Boot USS Dallas (Los-Angeles-Klasse), das die Roter Oktober verfolgt, beim Einschalten dessen geräuschlosen Antriebs die Spur verliert. Jedoch findet der Sonarexperte Jones heraus, dass die Unterwassergeräusche, die vom Sonarcomputer als Magmaablagerungen eingestuft werden, von der Roter Oktober stammen müssen. Ihr Kurs weist auf den Eingang einer unterseeischen Gebirgsformation vor der isländischen Küste. Aufgrund dieser Vorkommnisse werden der Sicherheitsberater des Präsidenten und der Generalstab von der CIA in einer Besprechung informiert. Da die Roter Oktober mit ballistischen Atomraketen bewaffnet ist, wird sie von den USA als Erstschlagswaffe und damit als ernstzunehmende Bedrohung eingestuft. Auch das plötzliche Auslaufen der sowjetischen Nordflottenverbände sowie weiterer Marineeinheiten außer der Pazifikflotte unmittelbar nach der Roter Oktober deuten zunächst auf die Vorbereitung eines Angriffs auf die USA hin. Während der Krisensitzung, bei der Dr. Jack Ryan als Vortragender anwesend ist, kommt jedoch ein Brief zur Sprache, den Ramius kurz vor dem Auslaufen an seinen Vorgesetzten, Admiral Juri Iljitsch Padorin, geschickt hatte. Der Inhalt dieses Briefes ist den Amerikanern zwar unbekannt, doch die sowjetische Nordflotte erhielt den Befehl, Roter Oktober aufzuspüren und zu versenken. Nun nimmt man an, dass Ramius wahnsinnig geworden sei und die USA im Alleingang angreifen wolle. Jack Ryan, der Ramius flüchtig kennt, kommt der Gedanke, Ramius könne möglicherweise vorhaben, in die USA überzulaufen: Die Roter Oktober lief am ersten Todestag seiner Frau aus, und er lässt, da kinderlos, keine Bindungen zurück. Zusätzlich hat er viele höhere Marineoffiziere an Bord ausgebildet und damit wichtige Beziehungen aufgebaut. Ryan bekommt vom Sicherheitsberater des Präsidenten, Dr. Jeffrey Pelt, drei Tage Zeit, seine Theorie zu beweisen und lässt sich auf die USS Enterprise im relevanten Operationsgebiet bringen. (…)
Rezension
Wie Roger Ebert in seiner Kritik richtig schreibt, „Jagd auf Roter Oktober“ profitiert vor allem von einer Masche, die selten fehlgeht: Einem intelligenten, aufrichtigen Charakter wie Ryan, der die Hintergründe von Ramius‘ Handeln zu verstehen glaubt (und versteht) und das erst einmal den Betonköpfen beim eigenen Militär mühsam beibringen muss.
Dieses Ankämpfen gegen mächtige Wiederstände von oben wurde in den Einzelkämpfer-Filmen der 1980er kultiviert oder auch zur Unkultur, weil es nicht selten revisionistisch auf den Vietnamkrieg bezogen war, zieht uns immer in eine Handlung, zudem ist Ryan in Person von Alec Baldwin ein Typ, der uns mit seiner ruhigen, unmilitärischen und beim Fliegen aufgrund Biografie (früherer Absturz) sogar ängstlichen Art einnimmt – nicht perfekt, aber er fühlt viel mehr als andere, was sich zuträgt. Dass er trotz seiner Flugangst in einem waghalsigen Manöver von einem Hubschrauber bei dem U-Boot abgesetzt wird, das die „Roter Oktober“ gefunden hat und verfolgt, wirkt dann umso heldenhafter. Die besten Helden sind die wahrhaft Mutigen, die Angst überwinden, nicht die Typen, die keine Angst kennen, also einen erheblichen Defekt haben.
Die Option falsch zu liegen, trägt diesen Film ebenfalls. Das ist ein richtiger Suspense, niemand weiß, was Ramius wirklich vorhat, bis er es offenlegt und danach weiß niemand, ob die Amerikaner auch richtig reagieren werden, ob es Ryan gelingt, die „Roter Oktober“ vor den US-Militärs und vor allem vor der eigenen Flotte zu retten, in der ein überehrgeiziger, von Raimus ausgebildeter U-Boot-Kommandant namens Tupolev die „Roter Oktober“ ebenfalls ausgemacht hat und sie vernichten will.
Als reiner U-Boot-Film ist „Roter Oktober“ vielleicht nicht ganz so grandios wie „Das Boot“, weil wir hier schon typisches Kino der 1990er Jahre vor uns haben: Alles ist ein wenig glitzernder und funkelnder als in der Wirklichkeit – zumindest das Interieur der U-Boote, besonders die Kommandostände bzw. –brücken. Man wollte schon darstellen, wie High-Tech die neue militärische Welt ist und um das gut zu vermitteln, muss es auch nach High-Tech aussehen.
Wie ist Sean Connery als russischer Kommandant? Kaum denkbar. Seine Figur, wie man aufgrund von deren Name vermuten kann, ist auch kein Russe. Er dient in der Sowjetarmee, und das seit 30 Jahren, aber er ist Litauer, daher ist die Endung auf „us“ anstatt „ow“ oder ähnliche typisch russische Namensendungen sinnvoll. Das ist ein guter Trick, weil er trotz seiner Brüstenfrisur eher wie der Westler wirkt. Auch der graue Bart, der Gesichtszüge teilweise kaschiert und der ihm schon in „Der Name der Rose“ drei Jahre zuvor gut stand, ändert an daran nichts. Es ist die Ausstrahlung, die James Bond nie ganz vergessen lässt, auch wenn Ramius ein gesetzterer und ernster Charakter ist, der nicht vorwiegend sich selbst in den USA zur Ruhe setzen will, sondern den möglichen Einsatz der neuen Antriebstechnologie verhindern oder diese doch den USA zur Kenntnis bringen will, die es ermöglicht, U-Boote lautlos bis vor die US-Küste fahren zu lassen – mit Atomsprengköpfen an Bord.
Trotzdem ist das Erstschlagszenario nicht ganz realistisch. So komplett wäre die militärische Infrastruktur auch durch einen gezielten Atomangriff von unter Wasser aus nicht auszuschalten gewesen, dass sie nicht hätte zurückschlagen und entsprechende Schäden in der UdSSR anrichten können. Es war ja das Gleichgewicht des Schreckens, die Angst davor, eben keinen Erstschlag setzen zu können, den die andere Seite nicht mehr beantworten kann, das im Kalten Krieg dafür gesorgt hat, dass regionale Großkonflikte wie in Vietnam bei all ihrer Grausamkeit wenigstens nicht in einen Dritten Weltkrieg gemündet sind. Einen Mann wie Ramius, der von einer Farm in Montana träumt, wo, vielleicht mit einem See in der Nähe, an dem er angeln kann wie in seiner Kindheit, ist der perfekte Sympathieträger, auch wenn er sein Land verrät – oder weil er das tut, um es an der Erstschlagsfähigkeit zu hindern, die wir aber generell anzweifeln.
Wir müssen unsere positive Wertung zum Film allerdings unter einem Vorbehalt stellen. Nämlich den, dass wir nicht abschließend beurteilen können, ob die technischen Details des U-Boot-Wesens und die rasanten Manöver dieser riesigen Unterwasserkähne gegen Ende des Films sowie die Tatsache, dass diese Schiffe quasi dicht aneinander vorbeifahren, ohne einander genau verorten zu können, tatsächlich so funktionieren. Man ist ja auf kurze Distanz nicht mehr auf die Antriebsgeräusche angewiesen, sondern kann Reflektionen eines Hindernisses wie eben ein U-Boot es darstellt, mit radarähnlicher Technik nutzen, um es zu lokalisieren. Sicher ist die Art, wie die Russen dargestellt werden und unter Wasser die Sowjethymne singen, obwohl sie wissen, dass sie dadurch gehört werden können, ganz gewiss etwas pointiert, um es vorsichtig auszudrücken. Aber hat man „Casablanca“ dafür zur Rechenschaft gezogen, dass die deutschen Soldaten darin Karikaturen sind? Unseres Wissens nicht.
Emotional und dramaturgisch funktioniert der Film wunderbar und natürlich hat er durch dieses tolle Ende im Mondschein, das tatsächlich Montana als Möglichkeit erschienen lässt, auch einen würdigen, hollywoodgemäßen Schluss. Ob man den Film als noch besser empfunden hätte, wenn Ramius‘ Plan schiefgegangen wäre? Er hat selbst gesagt, die Chancen stehen 1 zu 3, dass es klappt, und doch haben alle seine Offiziere, die unter ihm ausgebildet wurden und ihn verehren, dieses Überlaufmanöver mitgetragen. Die Mannschaft hat man lieber nicht involviert, was sich auch als richtig herausstellt, wo doch schon der Hilfskoch das ganze Unternehmen beinahe zum Scheitern bringt, weil er ein echter Sowjetpatriot und kein politisch korrekter Globaldenker ist. Politisch korrekt ist der Film übrigens an vielen Stellen: Sowohl der kommandierende Admiral auf US-Seite ist ein Afroamerikaner als auch der Funker bzw. Sonar-Spezialisten mit dem gewaltigen Verständnis für verschiedene Geräusche unter Wasser, die er als einziger richtig zuordnet. Das war 1990 noch nicht selbstverständlich. Apropos Sounds: Offenbar ist das Russisch im Film nicht sehr gelungen akzentuiert, aber da wir kein Russisch können und die wenigen, aus Authentizitätsgründen in Russisch gestalteten Dialoge ohnehin untertitelt sind, haben wir uns darauf nicht gestürzt, um den Film schlechter zu bewerten.
Wer ist John McTiernan? Der Regisseur von „Jagd auf Roter Oktober“ ist in der Tat kaum bekannt, aber wenn man weiß, dass er „Stirb langsam“, beide bis 1990 erschienenen Teile, mit Bruce Willis gedreht hat, ebenso „Predator“ mit Arnold Schwarzenegger, ist klar, dass der Mann Action beherrscht. Dass dem so ist, können wir nach dem mittlerweile erfolgten Anschauen der drei ersten Die-Hard-Filme bestätigen, deren erster immer noch in der Top 250 der IMDb rangiert, ergänzen wir im Jahr 2022. Wie geschrieben, „Roter Oktober“ ist weit weniger actionlastig als die drei erwähnten Filme, auch wenn er keine subtile Milieustudie, sondern ein handfestes Seeabenteuer darstellt.
Finale
Wir sehen Kriegsfilme und Filme mit Militärpräsenz in der Regel schon deshalb kritisch, weil die sonst oft aus dem Hintergrund heraus wirkende Ideologie des herrschenden Systems, und das ist nun einmal immer noch der in den USA einst zur Blüte getriebene, heute mehr seltsam übelriechende Blüten treibende Kapitalismus, so mühelos in die Welt transportiert wird. Natürlich geht es vordergründig um die Demokratie, um die Werte der Freiheit, nicht um den Kapitalismus. „Roter Oktober“ hat zwar auch seine Klischees, insbesondere in der Darstellung russischer Entscheidungsträger, aber er ist nicht zu sehr konzentriert auf patriotisches Tamtam, sondern erzählt eine ungewöhnliche, nicht absolut glaubwürdige, aber spannende und insgesamt den richtigen Ton treffende Geschichte mit guten Figuren und einem sehr interessanten technischen und politischen Hintergrund.
„Technisch aufwendig und eindrucksvoll inszenierter Film, dessen Kalte-Kriegs-Geschichte angesichts einer differenzierteren politischen Landschaft recht antiquiert erscheint.“– Lexikon des internationalen Films[3]
Antiquiert vielleicht im Jahr 1991, als diese deutsche Kritik vermutlich anlässlich der deutschen Kinostarts geschrieben wurde. Aber doch nicht heute, in unserem antiken Zeitalter, in dem das einfache Gut-Böse-Schema mit richtigen Helden und Bösewichtern nach jahrzehntelanger Promotion durch Hollywood in die Realität zurückgekehrt ist. Diese Ergänzung einer deutschen Kritik und des nachfolgenden Zitats konnten wir uns angesichts der Publikation des Textes im neuen Wahlberliner und in den Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht verkneifen. Alles Gute kommt wieder, keine Sorge. Sogar die Feindbilder, ohne die Menschen nicht auskommen können.
Abweichend vom Buch wird der Plot im Film stark gerafft und teilweise verändert; die vorgetäuschte Versenkung der Roter Oktober durch die US-Navy wird im Buch mit der Versenkung eines eigenen obsoleten U-Boots gedeckt, im Film ist es die Vernichtung des Alfa-Bootes W. K. Konowalow unter Kapitän Tupolew. Auch wird die Rolle des Hilfskochs, der als GRU-Offizier neben dem Politoffizier für die Einhaltung der Marschbefehle sorgen soll, nicht so deutlich herausgestellt. Der ominöse Tod von Ramius’ Frau Natalia – sie starb im Roman infolge der Inkompetenz eines angetrunkenen Arztes mit höchsten Beziehungen während eines Routineeingriffs und der Nichtverfügbarkeit westlicher Medikamente – wird im Film nicht näher beleuchtet. Dieser Vorfall war, angesichts der Unmöglichkeit, in der Sowjetgesellschaft Gerechtigkeit zu erhalten, ein bedeutsames Argument für Ramius‘ Seitenwechsel.[9]
Man muss wirklich jeden Tag froh dafür sein, sogar Dankgebete dafür sprechen, dass man in einem System lebt, in dem Gerechtigkeit die oberste Prämisse von wirklich allem ist. Das möchten wir auch den „Putin-Versteher:innenn“ an dieser Stelle mal ganz klar mit auf den Weg geben.
Jagd auf Roter Oktober“ war von 1996 bis 1998 in der IMDb-Top-250-Liste enthalten und zählt daher zu unserem Konzept, alle Filme, die auf der Liste stehen oder standen, im Laufe der Jahre auf dem Filmfest vorzustellen. Aktuell liegt der Nutzerscore in der IMDb bei 7,6/10, das sind 0,5 Punkte weniger, als für eine Aufnahme in die Liste derzeit erforderlich sind. Vielleicht erlebt der Film angesichts der politischen Ereignisse unserer Zeit eine Renaissance.
84/100
(1), kursiv, zitiert, tabellarisch: Wikipedia
© 2022, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
Regie | John McTiernan |
Drehbuch | Larry Ferguson Donald Stewart |
Produktion | Mace Neufeld Larry DeWaay Jerry Sherlock |
Musik | Basil Poledouris |
Kamera | Jan de Bont, Bob Carmichael (Luftaufnahmen) |
Schnitt | Dennis Virkler John Wright |
Besetzung | |
|