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Viele Jahre Arbeit von zivilrechtlichen Organisationen wie Abgeordnetenwatch und Lobbycontrol waren notwendig, bis endlich ein Lobbyregister erstellt wurde, das abbildet, wer die Bundespolitik beeinflusst. Kurz vor dem Schluss der Frist, in der man seine Lobbytätigkeit melden kann, sieht es nach einer Statista-Grafik so aus:

Im Begleittext heißt es dazu:
„Am 28. Februar 2022 endet die Frist für die Eintragung ins Lobbyregister für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung. Aktuell (23. Februar 2022, 13:00 Uhr) sind dort etwas mehr als 1.000 aktive Interessenvertreter:innen gelistet. Die aktuell größte Gruppe stellen Wirtschaftsverbände beziehungsweise Gewerbeverbände/-vereine. Dazu zählen beispielsweise der Deutsche Onlinecasinoverband oder der Brauereiverband NRW. Ähnlich groß ist der Anteil der privatrechtliche Organisationen mit Gemeinwohlaufgaben. Darunter finden sich beispielsweise die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung oder die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft Abwasser und Abfall. Dahinter folgen die Lobbyist:innen von Unternehmen und Berufsverbänden. Aber auch NGOs wie Slow Food Deutschland oder Campact sind Teil des Lobbyregisters.“
Ist damit ein Anfang zu mehr Transparenz gemacht? Und ist Ihnen aufgefallen, wer gar nicht vorkommt? Es sind die Wähler:innen. Leider enthält die Abwesenheit dieser Gruppe, an der sich die Politik am meisten orientieren sollte, viel Wahrheit.
Wer als Wähler:in nicht gleichzeitig durch eine mächtige Lobbyorganisation repräsentiert wird, schaut bei der Verteilung von Wohltaten regelmäßig in die Röhre, dessen Interessen werden schlichtweg nicht berücksichtigt, dahingehende Wahlversprechungen mit einer Lockerheit gekippt, die nicht nur demokratiegefährdend ist, sondern auch klarmacht, wer das Sagen hat: Diejenigen, die sich eine gute Repräsentanz leisten können und außerdem in der Lage sind, Politiker:innen lukrative Angebote aller Art zu machen.
Damit dies nicht zu sehr in den Vordergrund rückt, geben die meisten Abgeordneten selbst keine oder keine kompletten Transparenzversprechen ab. Als Abgeordnetenwatch damit an die Mitglieder des Bundestages herantrat, waren es nur Politiker:innen der Linken, die überwiegend positiv reagierten, die meisten im konservativ-liberal-rechten Lager hielten es nicht einmal für nötig, auf die Aufforderung zum Transparenzversprechen zu reagieren, geschweige denn, vollständige Transparenz zuzusichern. Vor allem bei ihren Lobbykontakten und dem Versprechen, ihre Parteien nicht mehr durch Lobbys finanzieren zu lassen, zierten sich die meisten auffällig.
Nun ist aber das, was wir oben in der Statistik sehen, nur eine quantitative Betrachtungsweise, die einen ersten Anhaltungspunkt bietet und die Zahl der Lobbyverbände ist beachtlich. Sollen wir jetzt sagen, eine echte Demokratie braucht die vielen Bullshit-Jobs nicht, die in diesen Verbänden geschaffen werden, um die Politik zu beeinflussen? Zehntausende von Menschen sind mit nichts anderem als mit Lobbyarbeit beschäftigt. Die Darstellung bietet aber keinen Aufschluss darüber, welche Verbände die größte Macht haben und welche am meisten Druck auf die Politik ausüben.
Die NGOen sind auch gelistet, aber ein einziger großer Industrieverband, der VDA (der Verband der Deutschen Automobilindustrie) hat es über Jahrzehnte geschafft, mehr Einfluss auf die Politik zu nehmen, als es allen umweltorientierten NGOen zusammen möglich war, sonst wären wir in Sachen Verkehrswende erheblich weiter. Und welche Abgeordneten haben nun zu welchen Lobbys besonders enge Beziehungen? Wir in Berlin sind zum Beispiel geplagt mit CDU-Politiker:innen, die massiv Lobbyarbeit für die Immobilienwirtschaft machen, ohne dass sich dies in einer direkten Verbindung, also einem Posten in einem der maßgeblichen Verbände ausdrückt, man kann es nur über deren eigentliche berufliche Tätigkeiten erschließen und über die Kenntnis davon, wie diese funktionieren – und in einigen Fällen aufgrund ihrer Äußerungen, zum Beispiel in sozialen Medien.
Trotzdem wäre schon viel geholfen, wenn klar wäre, welche Verbände nicht nur auf die Politik im Allgemeinen, sondern auf bestimmte Politiker:innen ganz konkret Einfluss nehmen. Es gibt ja den Gag, dass kaum noch freie Fläche auf den dunklen Anzügen (und Kostümen) wäre, wenn alle Lobbys, mit denen MDB verbandelt sind, als Sponsoren-Aufkleber auf diesen Kleidungsstücken zu sehen wären. Es ist aber leider die Wahrheit. Da normale Wähler:innen, das ist (leider, wird sich manche:r Politiker:in sagen) die Mehrheit, haben keine Möglichkeit, Politiker:innen zu sponsern und das gefährdet die Demokratie, weil sie sich an mächtigen Minderheiten orientiert, die irgendetwas Hübsches anbieten können.
Das geht auch gut um die Ecke, ohne dass es so leicht nachzuweisen ist, deshalb reicht im Grunde auch ein Transparenzversprechen nicht aus. Notwendig wäre schlicht eine bessere Ethik bezüglich Korruption, Vorteilsnahme, Dienlichkeit denen gegenüber, die eine politische Person gewählt haben und nicht hauptsächlich den Lobbyist:innen gegenüber. Eine verbindliche Ehrenerklärung wäre die formale Grundlage dafür und die Sanktionierung von deren Verletzung, auf welchem Weg auch immer sie recherchiert wird, müsste hart sein. Mandatsentzug und eine Strafe in Höhe der nachweisbar erlangten Vorteile wären dabei das Mindeste. Die für jedermann sichtbar Offenheit, die Frechheit, mit der einige Politiker:innen (Berlin, siehe oben, ist mal wieder besonders betroffen) Lobbypolitik für das Kapital betreiben, die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Energie gegen die Mehrheit, auch gegen viele eigene Wähler:innen, richten, besagt, dass mit dem Lobbyregister noch nicht viel erreicht ist. Die Abgreifmentalität in der Politik müsste sich ändern, und das geht, wieder einmal, nicht nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, da könnten wir warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern nur mit Regeln und vor allem mit deren Durchsetzung.
TH