Das stille Geschäft – Tatort 81 #Crimetime 1093 #Tatort #Hannover #Brammer #Delius #NDR #Geschäft #still

Crimetime 1093 Titelfoto © NDR

Das stille Geschäft ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Der Film wurde vom NDR produziert und am 6. November 1977 zum ersten Mal gesendet. Er ist die 81. Folge der Tatort-Reihe, der vierte mit Kommissar Brammer.

Und der letzte mit dem Ermittler, der im Udo-Lindenberg-Look ins Erste Kommissariat von Hannover einzog, das war im Jahr 1974. Seinen Nachfolger sehen wir in „Das stille Geschäft“ ebenfalls: MAD-Mann Delius. Es handelt sich nämlich um einen Militärthriller, um einen ungewöhnlichen Tatort, der heute noch von den Fans hoch eingeschätzt wird (aktuell Platz 241 von 1160) und der in der Tat einiges zu bieten hat. Worum es sich dabei handelt, steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Die Folge beginnt mit einem Vorspann, indem die Zuschauer auf den Spionage-Fall vorbereitet werden.[1] Bei einem Verkehrsunfall kommt ein DDRAgent mit falschen Pass ums Leben. In seinem Handschuhfach findet die Polizei ein Steuermodul für das Zielsystem des Leopard 1, das von dem Hauptfeldwebel Ulli Meineke nach einem Testschießen entwendet wurde. Dies tat er jedoch nicht freiwillig. Einige Wochen zuvor hat der Stasi-Agent Jahn, unter dem Deckmantel eines Textilvertreters dessen Frau Ina kontaktiert. Sie betreibt eine Boutique und steckt in Geldnot. Dies nutzte Jahn aus und konnte sie dazu bewegen, Geheimdokumente ihres Mannes zu fotografieren.

Als Meineke die Spionage seiner Frau entdeckte, wollte er den Militärischen Abschirmdienst (MAD) informieren, nahm jedoch aus Rücksicht auf seiner Frau davon Abstand. Als Jahn ihn daraufhin unter Druck setzte, willigte er ein, das ganze Steuermodul zu besorgen, da er glaubte, dass es nicht entdeckt werden würde. Da nun die Polizei das Modul gefunden hat und Ermittlungen in Meinekes Panzereinheit durchführt, gerät das Ehepaar in Panik. Auf Jahns Anraten lenkt Meineke den Verdacht auf seinen stellvertretenden Vorgesetzten Lanz, indem er Spionagematerial in dessen Wohnung versteckt. Lanz wird von Brammer und Delius in seiner Wohnung verhaftet, nachdem dieser nicht zum Dienst erschienen war. Die gefundenen Beweise in seiner Wohnung sind erdrückend, doch beteuert Lanz seine Unschuld.

Kaum wähnt sich Meineke sicher, wird er von Jahn gebeten, das Modul nochmals zu stehlen. Er tauscht es wiederum gegen eine Attrappe aus und entfernt sich unter einem falschen Vorwand aus der Kaserne. Nachdem er das Teil übergeben hat, ist sich Meineke sicher, dass er nun nicht mehr lange bei der Truppe bleiben kann und plant eine Flucht in die DDR. Seine Frau soll nachkommen und er glaubt, Jahn werde ihm helfen. Dieser setzt sich jedoch vorher unerkannt per Bahn in den Osten ab.

Während einer Schießübung auf dem Truppenübungsplatz versagt der Panzer mit dem falschen Modul und trifft beinahe einen eigenen Panzer. Sofort wird die Kaserne in Alarmbereitschaft versetzt. Meineke kann seine Frau nicht erreichen und sucht daher die gemeinsame Wohnung auf. Dort entdeckt er sie im Schlafzimmer, nachdem sie sich aus Verzweiflung das Leben genommen hat. Kurz darauf treffen auch Brammer und Delius ein und nehmen Meineke fest.

Rezension

Der Tatort wurde mit Unterstützung des Militärischen Abschirmdienstes gedreht. Drehorte waren im Mai 1977 Hamburg, die Lüneburger Heide und die Schlieffen-Kaserne in Lüneburg. Das Panzerbataillon 84 stellte die Soldaten, die Panzer sowie die Filmkulissen Kaserne und Technischer Bereich.[1]

Anders als bei Tatorten aus neuerer Zeit, die interne Probleme bei der Bundeswehr zeigen, kooperierte man hier bereitwillig mit dem NDR. Der Hintergrund ist klar: Schon im Vorspann wird darauf hingewiesen, wie gefährlich die Spionage ist und dass der MAD mehr als 1.000 Anwerbeversuche pro Jahr registiert. Bei damaliger Größe der Bundeswehr heißt das, dass pro Jahr mindestens einer von 500 Soldaten von Agenten des Ostens angesprochen wurde, um für die Gegenseite tätig zu werden.

Ich glaube, Regie-Routinier Jürgen Roland hatte ziemlich Spaß an diesem Film. Handlungsführung und Optik sind teilweise ausgezeichnet, besonders die Truppenübungsszenen bei der im Mittelpunkt des Plots stehenden Panzereinheit sind wohl das Beste, was bis heute aus diesem Arbeitsfeld in einem Tatort zu sehen ist. Durch diese Action in Bewegung gewinnt der gesamte Film an Dynamik und vor allem im zweiten Teil ergibt sich ein sehr guter Rhythmus, der von intimen, bedrückenden, leisen und Momenten einerseits und den Szenen andererseits, die teilweise wirklich aus Panzern heraus gefilmt wurden, besteht. Angesichts der Tatsache, dass Militärfahrzeuge in anderen Tatorten, wenn sie vorkommen, nur Kulisse sind, ein beachtlicher Aufwand. Ganz reibungslos verlief die Zusammenarbeit aber nicht:

Nun wissen wir also, warum Jürgen Roland die betreffenden Szenen so gut filmen konnte. Aber die Kooperation hat sich dann insgesamt doch durchgesetzt und so ist es, wenn man ein gemeinsames Ziel hat. Die Bundeswehr sah die Gelegenheit, mit diesem Film vor der Agententätigkeit aus dem Osten zu warnen und ermöglichte dadurch einen Film, in dem es zwar passierte, dass ein einzelner Angehöriger der Truppe zum Landesverrat erpresst werden konnte, aber das Gesamtgefüge wird als sehr stabil und funktionabel gezeigt. Die Reihe Tatort bekam einen sehr realistisch wirkenden Krimi mit hohem Schauwert und einer unglücklichen, tragischen Geschichte.

Es musste einige Umstände zusammenkommen, damit der Hauptfeldwebel Meineke erpressbar wurde. Den Dosenöffner gibt seine naive Frau, die erst vor drei Jahren aus Polen in die BRD eingewandert war und unbedingt eine eigene Boutique haben wollte, obwohl das Startkapital mehr als bescheiden zu sein scheint, was ihr Mann auch anmerkt. Die eigene Boutique war in den 1970ern wirklich ein Ding für viele Frauen von Wohlstandsbürgern, die sich langweilten, aber hier wirkt die Selbstständigkeit erkämpft und ist leider zum Scheitern verurteilt. Die Szenen einer Ehe, die daraus resultierten, fand ich wirklichkeitsnah und nachvollziehbar, auch wenn ich etwas Mühe damit hatte zu verstehen, warum Meineke den MAD nicht wenigstens nach dem gescheiterten ersten „Steuerungsmodul-Klau“ informiert, nachdem also der fiese Agent Jahn noch einmal an ihn herantritt. Der Autounfall des Kuriers bedingte, dass man trotz gegenteiliger Beteuerung ein zweites Modul brauchte und den Meineke nicht, wie versprochen, in Ruhe ließ. Dass man das Modul nicht zurückgab, wie versprochen, sondern durch eine Attrappe austauschte, war beim ersten Mal für den Unteroffizier noch nicht zu ersehen, beim zweiten Mal aber schon, nachdem es Probleme mit der Zielsteuerung eines Panzers gegeben hatte, die hätten tödlich enden können. Sabotage der Elektronik und was ist ein Modul. Fürs Publikum recht anschaulich erklärt, weil Kommisssar Brammer sich diesbezüglich dümmer gibt, als er sonst wirkt.

Nun trägt er einen dicken Schnauzer, der beweist, dass lichter werdendes Haupthaar durchaus mit einem Mehr an anderen Stellen kompensiert werden kann, man kann es zumindest versuchen. Menschen, die mir nahe stehen, kennen diesen Effekt. Brammer wirkte von Beginn seiner Einsätze an („Kneipenbekanntschaft“) sehr dezidiert, manchmal ruppig, das kommt dieses Mal besonders gut rüber, wenn er Soldaten anschnauzt, die es gewöhnt sind, selbst Befehle zu geben. Bei ihm ist das aber kein autoritäres Gehabe, sondern, siehe seine Herkunft aus dem Fanmilieu von Udo Lindenberg, die rotzige Haltung einer jüngeren Generation, die damit ja gerade beweisen will, dass sie nicht den Autoritäten hörig ist. Anders der alerte MAD-Mann Delius mit dem sympathischen Lächeln, dem man den Menschenkenner sofort ansieht und der nur ein einziges Mal laut wird, um seinen feurigen Kollegen zu unterstützen.

Es gibt neben dem vermuteten Realismus auch ein paar überzogene, aus Agentenfilmen abgeschaute Elemente wie den inszenierten Täter, einen weiteren Soldaten, der von Jahn so manipuliert wird, dass er der Polizei tatsächlich als der wahrscheinliche Spion erscheint. Das ist ein wenig sehr perfekt gemacht und um die Ecke gedacht, aber es handelt sich ja auch um ein Schachspiel, wenn Spionage und Abwehr aufeinandertreffen und Jahn führt jeden seiner Züge mit großer Präzision und vorausdenkend aus. Einmal wäre er beinahe matt gegangen, als der Kurier verunglückt, aber so, wie ein blöder Zufall seinen Plan erst einmal zunichtemachte, hat er keine Skrupel, sein Vorgehen zu wiederholen und gleichzeitig so zu ändern oder zu erweitern, dass Meineke nicht aufgedeckt wird, bis das zweite Modul in Jahns Händen ist. Am Ende sehen wir ihn in einem Zug in Richtung Ostdeutschland davonfahren. Damit ist „Das stille Geschäft“ auch ein frühes Beispiel für einen Tatort, in dem es keine Lösung gibt. Die Aufklärung findet zwar statt, aber dran glauben müssen nur „die Kleinen“, nicht die Drahtzieher. Eine ähnliche Plotgestaltung findet man zuweilen bei modernen Tatorten, gerne dann, wenn es um die OK geht. Ihr Wuchern wird wohl, wenn man es noch stoppen will, auch geheimdienstliche Methoden erfordern und es ist für die aktuelle Stabilität der Demokratie gefährlicher, als vor der Wende die  auf eine gewisse Weise ritualisierte Spionage aus dem Osten es in militärischer Hinsicht war.

Finale

Die alten Tatorte sind allesamt mehr oder weniger gute Zeitzeugen, ebenso wie die Polizeirufe aus der DDR, aber „Das stille Geschäft“ übt diese Funktion besonders beeindruckend aus, denn das Wiederaufleben des Ost-West-Konflikts, des Kalten Krieges, hat für alle, die vor 1989 in der BRD geboren wurden, eine Bedeutung und hat sie auf die eine oder andere Weise beeinflusst. Die deutliche Parteinahme gehört in einem Film wie diesem dazu und zeigt die große Bandbreite der Tatorte. Auch in den 1970ern gab es schon Filme der Reihe, die sehr progressiv waren, aber eben auch Krimis, die von Traditionalisten wie Jürgen Roland beinahe perfekt inszeniert werden konnten, wobei die 1960er in Form des kernigen Stils noch deutlich spürbar sind. Die zeitgemäße Optik befördert das eher, weil sie zuweilen auf schnelle Schnitte und Szenenwechsel setzt. Den Film ideologisch zu beurteilen, ist im Grunde sinnlos, denn er spiegelt das, was damals war und eine gewisse Paranoia auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs, die damals nicht ganz aus der Luft gegriffen war. Die sich allerdings heute in politischem Unsinn äußert, der sehr wohl zu einem Wiederaufleben alter Konflikte führen kann, wenn man nicht  Denkschemata der 1980er zu überwinden gewillt ist.

8/10

© 2021 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Jürgen Roland
Drehbuch Joachim Wedegärtner,
Fred Zander
Produktion Fred Otto
Musik Nils Sustrate
Kamera Bernd Schofeld
Schnitt Inge Bohmann
Besetzung

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