Grauzone – Polizeiruf 110 Episode 236 #Crimetime 1094 #Polizeiruf #Polizeiruf110 #Offenbach #Dreyer #Grosche #Reeding #Schlosser #HR #Grauzone

Crimetime 1094 – Titelfoto © HR

Grauzone ist ein Kriminalfilm des HR von Marc Hertel aus dem Jahr 2002 und erschien als 236. Folge der Filmreihe Polizeiruf 110. Es ist für die Ermittler Schlosser (Dieter Montag) und Reeding (Dennenesch Zoudé) der fünfte und für Simone Dreyer (Barbara Rudnik) der erste Fall, den sie ermittelt.

Nach drei HR-Polizeirufen ging es ziemlich drunter und drüber. Erst wurde Chantal de Freitas durch Dennenesch Zoudé ersetzt, die Rolle Caroll Reeding aberbeibehaltung, möglicherweise geschah dies sehr kurzfristig. Beim Abgang von Kommissar Grosche (Oliver Stokowski) war immerhin Zeit, einen Grund ins Drehbuch einzuarbeiten und den nachfolgenden Polizeiruf ganz darauf auszurichten.

Kommissar Robert Grosche (Oliver Stokowski) fällt einem Anschlag zum Opfer und das Ermittlertrio wird durch eine neue Kommissarin komplettiert.

Handlung (1)

Gerade als die Beziehung zwischen Robert Grosche und seiner Kollegin Carol Reeding endlich in harmonischen Bahnen läuft, wird Grosche von einem Unbekannten erschossen. Zur Untersuchung des Falls erscheint Simone Dreyer, eine Kollegin aus Köln. Schlosser und Reeding sind misstrauisch, weil sie den Fall lieber allein lösen würden, doch nach den Vorschriften der Polizei muss ein unabhängiger Ermittler hinzugezogen werden. Dreyer kommt ihr neuer Einsatzort sehr gelegen, denn ihr Bruder befindet sich in einer psychiatrischen Klinik in Offenbach und sie kann ihn so regelmäßig besuchen.

Carol Reeding wird aus heiterem Himmel von ihrem Vater, der die Familie vor 20 Jahren verlassen hatte und nach Amerika gegangen war, angerufen. Er ist in Offenbach und möchte seine Tochter gern sehen, um ihr etwas zu erklären. Schon am nächsten Tag treffen sie sich und sie erfährt, dass ihr Vater auf einer US-Airbase stationiert und dort in Schmuggelgeschäfte geraten war. Jetzt wird er deswegen erpresst und soll den so genannten „Ameisenpfad“ aktivieren und auf diesem Wege diskret etwas von Deutschland nach Amerika bringen. John Reeding hält es für möglich, dass der Mord an Grosche eventuell etwas mit seiner Geschichte zu tun haben könnte. Da man dadurch noch mehr Druck auf ihn ausüben wollte.

Derweil recherchiert Dreyer über Grosche und findet heraus, dass er vor hatte, Carol und ihrem Kind zuliebe, den Polizeidienst zu beenden und mit in der Sicherheitsfirma seines Ex-Kollegen Mertens arbeiten zu wollen. Mertens wiederum arbeitet nicht unbedingt loyal seinen Kunden gegenüber, was Grosche erfahren hatte und öffentlich machen wollte. Er entwendete Mertens eine Akte, die dessen schmutzige Geschäfte beweisen konnte und wegen der er letztendlich sterben musste, weil er nicht bereit war, sie zurückzugeben. Um Mertens aus der Reserve zu locken schickt Dreyer einen Lockvogel, der ihm die Akte zum „Kauf“ anbietet. So gelingt es Rainer, Mertens Handlanger und Killer, festzunehmen und ihn selber zu überführen.

Rezension

Die Kritiker der Fernsehzeitschrift TV Spielfilm vergaben diesem Polizeiruf nur eine mittlere Wertung („Daumen gerade“) und meinten es wäre ein: „Ein kniffliger Fall, dessen Aufklärung allerdings reichlich holprig geriet.“[1]

Ich habe diese Kritik vorangestellt, weil ich daran mühelos anknüpfen kann. Denn leider habe ich es ebenso empfunden. Da ist, kann man auch schreiben, einiges schiefgelaufen. Ich finde es unmöglich, wenn schon innerhalb von zwei Episoden zwei der Hauptdarsteller*innen ersetzt werden müssen und das Publikum sich neu zu orientieren hat, für zusätzliche Schwierigkeiten zu sorgen, indem man eine Handlungskonstruktion wählt, die viel zu kompliziert ist und zudem erkennbar nicht beherrscht wird. Ganz sicher ist der Wechsel bei der Darstellerin von Carol Reeding kritisch. Nicht, weil Dennenesch Zoudé die Rolle nicht könnte, aber weil es im deutschen Fernsehen normalerweise keine Charaktere gibt, die übergangslos von anderen Darsteller*innen weitergespielt werden. In den USA ist das bekanntermaßen anders und wird manchmal auf eine wirklich krude Weise inszeniert, wie etwa, dass jemand nach einem Unfall und einer dadurch bedingten Operation mit „neuem Gesicht“ zurückkehrt. Aber warum hat man, wenn man schon Grosche aus der Reihe schreibt, nicht auch Carol Reeding sterben lassen und durch eine andere Polizistin ersetzt? Oder sie den Dienst quittieren lassen? Der Grund dafür hätte auf der Hand gelegen. So weit, so suboptimal.

Immerhin wird „Die Neue“ von Barbara Rudnik dargestellt und natürlich muss sie anfangs einiges aushalten, vor allem, weil sie beginnt, Grosches Integrität in Zweifel zu ziehen. Das findet der emotionale Schlosser ebenso wenig erfreulich, wie das selbstredend bei Carol Reeding der Fall ist. Dieses Spannungsfeld ist aber noch einigermaßen nachvollziehbar. Dass man aber einen ziemlich verschwurbelt dargestellten Hintergrund von Carol  Reeding als mögliche Ursache von Grosches Tod inszeniert, mittendrin diese Möglichkeit aufgibt und dann ganz auf die Geschehnisse um eine Sicherheitsfirma umschwenkt, ist einfach schlecht gemacht. Selbstverständlich hätte man bis zum Ende beide Möglichkeiten offenhalten müssen. Der sogenannte Ameisenpfad, offenbar das Frachtgut-Pendant der Rattenlinie, wird es wohl wirklich gegeben haben, das hat man sich kaum einfach ausgedacht. Doch in diesem Fall hätte es sich angeboten, die Zuschauer*innen den handelnden Figuren etwas voraus sein zu lassen, anstatt alle zusammen ins Chaos zu stürzen. Außerdem ist bei so viel Neuem eine Thrilleranlage besser als ein Whodunit, bei dem wegen der vielen Novitäten Tiefgang und Präzision auf der Strecke bleiben und alles nur angerissen werden kann. Auch die neue Kommissarin bringt ein privates Element mit, die Fürsorge für ihren psychisch erkrankten Bruder als Grund für ihre selbst gewünschte Versetzung nach offenbach. Schön gemacht, weil Barbara Rudnik so etwas spielen kann, aber es kostet notabene Spielzeit. So verstärkt sich der Eindruck von mangelnder Konzentration und schwacher Dramaturgie, zumal dieses Element nichts mit dem Fall zu tun hat.

Interessant ist, auch im wörtlichen Sinne, der Sprung beim Filming. Auch wenn nicht alles, was sich damals hinsichtlich der Visualität verändert hat, schlicht in den Zusammenhang mit 9/11 zu setzen ist; die plötzlich viel ausgewaschener wirkende Farbgebung erinnert nun einmal an die schockierenden Bilder aus New York und „Grauzone“ ist in der Tat deutlich mehr in Grautönen gehalten als die früheren HR-Polizeirufe. Zur selben Zeit wurde vom HR auch das neue Tatort-Team in Frankfurt konzipiert und installiert, das ebenso mit einer ganz neuen Optik seiner Fälle daherkam und geradezu einen Sprung in die Moderne machte, von den Brinkmann-Fällen aus gesehen. Auch inhaltlich, und da war der Hessen-Polizeiruf, gleich, wer Reeding dargestellt hat und mit Grosche oder Dreyer bereits ein Vorbild. Solchermaßen große Teams mit fast gleichberechtigter Aufstellung waren zu der Zeit noch sehr selten und in Sachen Diversität traute man sich innerhalb der Parallelreihe Tatort erst 2019 ebenso weit vor wie im HR-Polizeiruf, als Florence Kasumba die Rolle der Kommissarin Anais Schmitz beim NDR, Schiene Göttingen / Hannover, zugesprochen bekam. Der HR-Polizeiruf hatte großes Potenzial, das Team war großartig, aber man hatte sich dann doch entschlossen, sich auf das neue Tatort-Team Sänger-Dellwo zu konzentrieren. Eine bedauerliche Entscheidung, wie ich finde, auch wenn „Grauzone“ kein herausragender Film ist.

Selbstverständlich ist der Titel in erster Linie nicht auf die Kameraarbeit beschränkt, die außerdem sehr interessante kleine Sprungschnitte beinhaltet, sondern vor allem darauf, dass so viele Shades of Grey bei den Charakteren zu vermerken sind. Der Vater von Carol Reeding etwa ist ein schattiger, aber kein bösartiger Charakter, Grosche steht im Zwielicht, bis am Ende sich doch herausstellt, dass er ein Guter war. Auch das hätte man sich denken können und auch die Tatsache, dass es klar war, dass man ihm nicht Dreck hinterherschmeißen wird, schränkt die Möglichkeiten der Auflösung entscheidend ein. Wie eigentlich immer, wenn die Ermittler*innen selbst involviert sind. Denn eines gab es wohl bei den ARD-Premium-Krimis noch nie: Dass einer der Cops wegen eigener Verfehlungen das Zeitliche segnen musste, nachdem er jahrelang zur Identifikationsfigur aufgebaut wurde. Im Grunde ist das auch richtig so, denn das Publikum hat einen Anspruch darauf, von seinen Lieblingen nicht auf diese Art enttäuscht zu werden. Letztlich, bei all den vielen Verbrechen, sind die Krimis auch da, um eine kathartische Wirkung zu erzielen. 

Finale

Der wirkliche Grund für das Ende der Hessen-Polizeirufe allerdings waren die schwachen Quoten des Nachfolgeteams von Grosche / Dreyer, Schlosser und Reeding:

Nach nur vier Filmen, die sich aber auf vier Jahre erstreckten, endet für Jan Gregor Kremp am Sonntag Abend seine Dienstzeit als „Polizeiruf“-Ermittler des Hessischen Rundfunks. Beim Sender war man mit der Quotenentwicklung nicht zufrieden. Bis auf weiteres werden keine neuen „Polizeirufe“ mehr gedreht, statt dessen künftig drei statt bisher zwei „Tatorte“ im Jahr, ließ der HR verlauten. (Blickpunkt Film)

Innerhalb dieser vier Jahre sanken die Zuschauerzahlen von knapp 7 auf ca 4,5 Millionen, und das ist zu wenig für einen Sonntagabendkrimi. Der Tatort hingegen nahm damals gerade wieder einen Aufschwung, nach einer Stagnationsphase in den 1990ern.

Warum das Team Dreyer, Reeding, Schlosser 2003 nach „Arbeitsfalle“, dem Nachfolger von „Grauzone“, aufhörte oder aufhören musste, konnte ich mit angemessenem Zeitaufwand nicht recherchieren. Auch diese Crew hatte eine Vorreiterposition, denn sie war damals die einzige, die überwiegend weiblich besetzt wurde. Im Tatort waren zu der Zeit Inga Lürsen und Lena Odenthal als leitende Ermittlerinnen aktiv und in Hannover gerade Charlotte Lindholm als Alleinermittlerin hinzugekommen.

Zusammenfassung der Zusammenfassung: Das Team hat das gewisse Etwas, der Fall leider nicht, auch wenn man ihm anmerkt, dass die Ambitionen nicht zu knapp geraten sind. Der Hintergrund mit den Schmuggelgeschäften auf der US Air Base ist schon eine nicht ganz alltägliche Idee. Dummerweise wurde sie aber recht alltäglich und zudem umständlich inszeniert, um dem Zuschauer ein Gefühl von Unsicherheit und Unverständnis zu vermitteln, wie es auch die Ermittelnden zunächst erfasst, zusätzlich zur Trauer um den guten Kumpel Grosche. Aufgrund der guten Darsteller*innen und einiger emotionaler Momente noch

6/10.

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2021)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Marc Hertel
Drehbuch Rudolf Bergmann,
Rolf Silber
Produktion Oliver Große-Kreul,
Werner Hauer,
Rüdiger Spieth
Musik Stefan Ziethen
Kamera Armin Alker,
Dominik Schunk
Schnitt Stefan Blau
Besetzung

 

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