Der Kuss vor dem Tode (A Kiss Before Dying, USA 1991) #Filmfest 744

Filmfest 744 Cinema

Der einzige Zeuge ist der Verstand

Der Kuß vor dem Tode (Originaltitel: A Kiss Before Dying) ist ein US-amerikanischer Thriller von James Dearden aus dem Jahr 1991. Das Drehbuch, das ebenfalls Dearden geschrieben hat, beruht auf dem 1953 erschienenen Spannungsroman A Kiss Before Dying (deutsch: Kuß vor dem Tode) von Ira Levin, der 1954 den Edgar Allan Poe Award für das beste Erstlingswerk gewonnen hatte. Der Roman wurde bereits 1956 einmal mit Robert Wagner und Joanne Woodward in einer Doppelrolle verfilmt (deutscher Titel: Ein Kuß vor dem Tode).

Regie bei diesem Thriller führte James Dearden, wiederum der Sohn von Basil Dearden, von dem ich lediglich „Die Strohpuppe“ gesehen habe. In diesem Thriller versuchte Sean Connery sich vom Helden-Image zu erholen, das er zuvor mit drei James Bond-Filmen erlangt hatte, desweiteren während eines England-Aufenthaltes „Der Mann, der sich selbst jagte“, natürlich im Original und mit Bond-Kollege Roger Moore. Was zu „Der Kuss vor dem Tode“ zu schreiben ist, steht in der –> Rezension.

Handlung (1)

Jonathan Corliss wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Er lernt am College Dorothy Carlsson, die Tochter des Unternehmers Thor Carlsson kennen und erhofft sich durch die Verbindung mit ihr den gesellschaftlichen Aufstieg. Sie wird von ihm schwanger. Corliss fürchtet, dass ihr reicher konservativer Vater sie enterben werde, wenn er erfährt, dass sie unverheiratet schwanger geworden ist. Er ermordet Dorothy, indem er sie unbeobachtet vom Dach eines Hochhauses stößt. Da niemand von ihrer Verbindung wusste und ein melancholisches Gedicht von der Hand Dorothys über den Briefkasten des Hauses versandt wurde, von dem Dorothy gestürzt ist, hält die Polizei alles für einen Selbstmord und stellt auf Bitten ihres reichen Vaters, der kein Aufsehen wünscht, kaum weitere Ermittlungen an.

Corliss nimmt eine andere Identität an und heiratet etwas später Dorothys Zwillingsschwester Ellen. Da diese nicht an einen Selbstmord ihrer Schwester geglaubt hat, stellt sie Nachforschungen an und findet Tommy Roussell, einen Ex-Freund ihrer Schwester. Gerade als Roussell ihr den Namen von Dorothys nächstem Freund, also von Corliss, überbringen möchte, erwürgt Corliss Roussell, hängt ihn auf und schreibt in dessen Computer ein fingiertes Geständnis, das den Eindruck hinterlässt, dass Roussell sich selbst getötet habe, weil er Dorothy ermordet hat. Jonathan ermordet nach und nach alle Menschen, die ihn überführen könnten.

Später wird Ellen klar, dass Dorothy nicht von Tommy Roussell ermordet worden sein kann, und nach einiger Zeit verdächtigt sie ihren Ehemann. Kurz nachdem Ellen von Jonathans Mutter entscheidende Hinweise erhalten und im früheren Jugendzimmer Jonathans das Feuerzeug ihrer toten Schwester entdeckt hat, versucht Jonathan, sie dort zu töten. Es kommt zum Showdown: Jonathan verfolgt Ellen durch das Haus, sie flüchtet aus einem Fenster in den Garten und schließlich auf die angrenzenden Bahngleise. Jonathan wird vor seinem Elternhaus von einem jener Güterzüge zu den Carlsson-Werken überfahren, welchen er als Kind vom Fenster aus nachgeschaut hatte.

Rezension

James Dearden selbst empfahl sich für große Aufgaben durch sein Drehbuch für einen der meistdiskutierten Thriller der 1980er: „Eine verhängnisvolle Affaire.“ Auch wenn der Film nach Ansicht von Kritikern und heutigem IMDb-Bewertungspublikum wohl einige Macken hat (Metascore 67/100, IMDb-Wertung 6,9/10), ist er von Adrian Lyne spektakulär reißerisch umgesetzt worden und hat eine ganze andere Temperatur als „Der Kuss vor dem Tode“. Zu Matt Dillons Figur passt das emotional Zurückgenommene. Auch wenn sein Nachname sich mit „a“ schreibt, von seiner Mörderfigur geht etwas Dämonisches aus und er dominiert seine Szenen auf eine unangenehm präsente Weise. Seine Partnerin Sean Young hingegen wurde für ihre Darstellerin gleich zweimal mit der Goldenen Himbeere ausgezeichnet, für Dorothy, die bald ihr Leben lassen muss, als schlechteste Nebendarstellerin, für die dunkelhaarige Ellen als schlechteste Schauspielerin. In der Tat wirkt sie sehr zurückgenommen, aber ich habe das nicht als so unpassend gefunden, denn sie stellt eben einen zurückhaltenden Typ dar. Der Film erhält in der IMDb gegenwärtig schwache 5,7/10.

Ich habe ein wenig in den Nutzerkommentaren recherchiert und einige stören sich am schwachen, vorhersehbaren Plot mit vielen Unglaubwürdigkeiten – wie etwa der Szene, in welcher Corliss einen Mitwisser bezüglich seiner Identität erwürgt – und dann hängt der Mann auf eine sehr unwahrscheinliche Weise kurz darauf an einem Balken ganz oben in seinem Appartement und dies soll einen Selbstmord darstellen. Aufgrund meiner vielen Tatort-Rezensionen tendiere ich auch dazu, solche Dinge in die Bewertung einfließen zu lassen, wenn sie gar zu unplausibel wirken, aber interessanterweise lasse ich da US-Filmen manchmal mehr durchgehen, weil sie ja schließlich die Orginale im Thrillerfach sein sollte, immer etwas besser als biedere deutsche Fernsehfilme.

Das Drehbuch wirkt aber vor allem so plump, weil der Film plump umgesetzt ist, James Dearden hat zumindest in diesem Film definitiv kein Feeling für die Schauspieler und die Situationen. Während Matt Dillon sozusagen von alleine noch ganz gut spielen kann, wirkt Sean Young hier, als bräuchte sie eine stärkere Hand, um mehr aus der Rolle als Ellen zu holen. Vielleicht war sie auch zu traumatisiert durch Fehlschläge in den Jahren zuvor, die ihre in den frühen 1980ern nach einem ganz großen Ding aussehende Karriere beinahe zum Erliegen brachte. Die beinahe ikonische Aura, die sie in „Blade Runner“ umgibt, doch, davon ist noch ein wenig etwas zu spüren – aber der Film ist für diese Aura nicht gemacht, er hätte eine mehr empathische Auslegung der Rolle gebraucht. Aber wofür? Vielleicht sollte es kein Film über nette Menschen sein und nicht den Bösen dadurch böser machen, dass die weibliche Rolle so herzig gespielt wird. Bei mir war die Identifikation aber doch so, dass ich während der nur 89 Minuten Spielzeit keine Mühe hatte, dranzubleiben. Berührt war ich allerdings nur in der Schlussszene, wo man erst- und letztmals den jungen Corliss sieht, wie er durchs Fenster auf die fahrenden Carlsson-Züge schaut.

Die Szene ist auf der einen Seite übelste Küchenpsychologie und muss für alles herhalten, was Corliss später darstellt – neben dem verlassen werden durch den Vater, das aber auch nur angerissen wird. Aber in diesem Schlussmoment liegt auch etwas, das darauf hinweist, was man aus dem Stoff hätte machen können – eine Art „A Place in the Sun“ (1951) zum Beispiel, nur mit einer noch dunkleren Hauptfigur, die schon einen Mord begangen hat, bevor sie überhaupt in die Nähe des großen Carlsson-Fleischtopfes kommt. Besonders der Part, in dem Corliss vom Schwiegervater in spe in die Firma aufgenommen wird und sich dort bewährt, erinnert stark an „A Place“ – handlungsseitig. Wie der ganze Film ist sie aber nicht sehr aufwendig und man merkt schon, dass dies eine kleine Produktion ist, die kein Design für einen Blockbuster aufweist.

Finale

Ganz so schlecht wie viele IMDb-Nutzer fand ich diesen eigentümlichen Thriller nicht, auch wenn vieles ziemlich rudimentär ausgeführt ist. Dem Werk hätte eine Viertelstunde mehr an Spielzeit gutgetan, dadurch hätte man etwa den Charakter des Polizisten Faraday besser herausstellen und ihn als Gegenbedrohung für Corliss aufbauen können. Und vielleicht hat mich Sean Young auch als sehr individueller Typ mehr fasziniert, als mich ihre unterkühlte Darstellung gestört hat.

Nun habe ich anlässlich der Veröffentlichung des Textes eine kleine Tour gemacht, unter anderem zu einem Trailer des „Originals“ von 1956, in dem in der Tat versucht wird, an den berühmten „A Place in the Sun“ zu erinnern. Obwohl Robert Wagner, der die männliche Hauptrolle spielt, anders als Matt Dillon, der diese Aura des Bösen durchaus gut meistern kann, voll gegen sein damaliges Image als Nachwuchsstar für positive Rollen à la Tony Curtis anspielen musste, wird das Original um einiges höher bewertet als das Remake. Wie meistens eben. Ich habe es mir auf die Merkliste gesetzt.

66/100

© 2022  Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2018)  

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie James Dearden
Drehbuch James Dearden
Produktion Eric Fellner,
Robert Lawrence
Musik Howard Shore
Kamera Mike Southon
Schnitt Michael Bradsell
Besetzung

 

 

 

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