Filmfest 747 Cinema – IMDb Top 250 of All Time (89)
Hannibal ante cerebrum
Das Schweigen der Lämmer ist ein US-amerikanischer Spielfilm aus dem Jahr 1991. Der Thriller erzählt davon, wie die FBI-Agentenanwärterin Clarice Starling den Serienmörder Buffalo Bill zur Strecke bringt, jedoch nur mit Hilfe eines anderen Serienmörders, des kannibalistisch veranlagten Psychiaters Hannibal Lecter. Die Regie führte Jonathan Demme, die Hauptrollen spielten Jodie Foster als Clarice Starling und Anthony Hopkins als Hannibal Lecter. Die Handlung hält sich eng an die Vorlage des gleichnamigen Romans von Thomas Harris aus dem Jahr 1988. Das Schweigen der Lämmer war 1992 der dritte und bis heute letzte Film, der in den fünf wichtigsten Kategorien den Oscar gewann. Nach Blutmond aus dem Jahr 1986 ist der Film die zweite Verfilmung der Romanreihe, in deren Mittelpunkt der psychopathische Serienmörder Hannibal Lecter steht. 2001 erschien die Fortsetzung Hannibal, ein Jahr später das Prequel Roter Drache, eine Neuverfilmung des ersten Teils der Romanreihe, ebenfalls mit Anthony Hopkins. 2007 erschien Hannibal Rising – Wie alles begann.
Derzeit rangiert „Das Schweigen der Lämmer“ auf Platz 24 der Top 250-Liste der IMDb mit einer Durchschnittswertung von 8,6/10. Im Jahr der Veröffentlichung dieses Textes ist er bei gleich gebliebener Durchschnittswertung sogar um 2 Plätze vorgerückt. Er gewann bei der 1992er Verleihung der Oscars die fünf wichtigsten: Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch und die Darsteller-Oscars für die beste männliche und die beste weibliche Hauptrolle. Zuvor gab es nur zwei Filme, welche diese fünf wichtigsten Oscars gewannen: „It Happened One Night“ (1934) und „Einer flog übers Kuckucksnest“ (1975). Bei „Einer flog übers Kuckucksnest“ sagen wir ohne Weiteres, dieser Regen von höchsten Auszeichnungen ist verdient. In jener Zeit wurden im Zeichen des Stils von New Hollywood viele interessante Filme gemacht, aber die Figuren aus dem Film, der in der geschlossenen Psychiatrie spielt, sind fantastisch und unvergleichlich. Das wird gemeinhin auch von Hannibal Lecter behauptet und wir spüren dem in der –> Rezension nach.
Handlung (1)
Die junge FBI-Anwärterin Clarice Starling befindet sich noch in der Ausbildung, als sie an einem besonders schwierigen Fall mitarbeiten muss. Das FBI ist auf der Jagd nach einem Serienmörder, der von den Boulevard-Medien „Buffalo Bill“ getauft worden ist. Dieser hat bereits mehrere junge Frauen ermordet und Hautstücke der Opfer segmentartig abgezogen. Da die Ermittler unter Leitung von Jack Crawford keinen Schritt weiterkommen, entschließen sie sich zu einer ungewöhnlichen Taktik. Ausgerechnet der inhaftierte Serienmörder Hannibal Lecter, der mit Vorliebe die Innereien seiner Opfer verspeiste, soll ihnen bei der Aufklärung des aktuellen Falls helfen. Der Psychopath ist zwar einerseits hochgefährlich, hat aber als gelernter Psychiater einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Polizei. Er kann sich in die Gedanken des Täters hineinversetzen und seine nächsten Schritte erahnen.
Clarice besucht Hannibal in der von Dr. Frederick Chilton geleiteten Anstalt, dem Baltimore Forensic State Hospital. Dort wird Lecter in einer fensterlosen Zelle unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen gefangengehalten.
Der kannibalistische Mörder zeigt sich nach einigem Zögern kooperativ, stellt aber eine Bedingung. Für jede Information, die er Starling gibt, will er etwas Privates von ihr erfahren. (…)
Rezension
Fraglos liefert auch Anthony Hopkins als Hannibal Lecter eine großartige Vorstellung ab, die in vielen Bestenlisten auftaucht, ebenso gilt Jodie Foster als eine kongeniale Partnerin oder Gegnerin in diesem Psychoduell. Aber eines hat „Das Schweigen der Lämmer“ sicher nicht: Die Relevanz von „Einer flog über das Kuckucksnest“. Jack Nicholson und Louise Fletcher liefern sich ein nach unserer Ansicht noch besseres Duell, das auf eine Weise zugespitzt ist und einen Thrill hat, den „Das Schweigen der Lämmer“ nicht erreicht und nicht erreichen kann, weil er keine Prinzipien herausarbeitet, die auf engstem Raum aufeinanderprallen. In „Einer flog über das Kuckucksnest“ geht es um Freiheit und Humanität gegen ein Unterdrückungssystem, geht es um etwas Exemplarisches und darum, was ist tatsächlich „normal“? Werden nicht die Falschen behandelt? Das Vexierspiel mit einer Welt, in der die Verrückten harmlos sind und die „Normalen“ bösartig, ist gigantisch gut gemacht und bis heute unübertroffen.
In der erwähnten Top 250-Liste macht das nur neun Plätze aus und nur einen Unterschied von 0,1/10 (8,7/10 und Platz 15 für „Einer flog übers Kuckucksnest“), in unserer Wahrnehmung aber einiges mehr. „Das Schweigen der Lämmer“ verfügt über einen anderen Plot, der mehr auf „Psycho“ kommt, ist ein Thriller mit wenigen wichtigen Personen, kein Ensemblestück, deswegen wollen wir auch nicht die Drehbücher anhand der Zahl der gelungenen Momente und Handlungselemente vergleichen. Hitchcocks Schocker liegt übrigens auf Platz 37 der Liste, mit 8,6/10 und damit bei einer Wertung auf eine Stelle hinter dem Komma gleichauf mit „Das Schweigen der Lämmer“. Wir sehen die Rangfolge anders herum. Hitchcocks Film hat ein gewisses Augenzwinkern. Der Film ist sehr gruselig, weil er nicht mehr sein will, als er ist. Er bietet einiges an Küchenpsychologie, in der radikalen Reduzierung auf einen traumatisierten Mörder, er flunkert ein wenig mit uns auf die typisch Hitchcock’sche Art, sich psychologischer Erkenntnisse zu bedienen und sie gleichzeitig ein wenig durch Banalisierung zu ironisieren, genau so, dass sie dem berühmten Suspense dienlich sind, der seine Filme auszeichnet.
In „Das Schweigen der Lämmer“ wird aber das Trauma von Clarice Starling von einem Psychopathen enthüllt und all das hat keinerlei Widerhall in der Lösung des Films. Sicher, der entkommene Lecter, für den man trotz seiner kannibalischen Art ebenso eine Art Sympathie aufbauen kann wie für Norman Bates in „Psycho“, entkommt am Ende, das ist eine neue Spielart und der weniger vorhersehbare Teil des Films. Alles, was er tut und wie er es tut, ist spannend und besonders – leider gilt das aber nicht für den Teil um „Buffalo Bill“. Es mag daran liegen, dass wir mittlerweile in der Folge von Filmen wie „Das Schweigen der Lämmer“ bis hin in die deutsche Fernsehlandschaft schräge Serienkiller mit rituellen Mordausführungen und allen möglichen und unmöglichen Obsessionen vorgeführt bekommen. „Psycho“ ist auf seine Weise immer noch ein Einzelstück, während der Part des „Buffalo Bill“ richtiggehend in Serie gegangen ist und es mittlerweile Mörder dieser Art gibt, die besser, ingeniöser, sogar logischer präsentiert werden als dieser kranke Mensch in einem mittlerweile fast 25 Jahre alten Film, dem bei dieser wichtigen Figur einiges an Feinjustierung fehlt, was seine Verhaltensabläufe angeht.
Wir können dem Film auch nicht seine teilweise Vorhersehbarkeit vorwerfen, denn dass „Buffalo Bill“ liquidiert wird – nein, in Notwehr erschossen wird, das versteht sich von selbst, und wie sein Aufenthaltsort ermittelt wird, ist jener Intuition zu verdanken, die nicht nur weibliche Ermittler immer wieder einholt, wenn der Plot ins Stocken geraten ist und ohne allzu viel polizeirealistischen Firlefanz vorangebracht werden muss. Ein Thriller sollte solch ein Ende haben, weil wir ein Duell haben müssen, welches der tapferen Clarice Starling auch eine uns von dem Bösen erlösende Rolle gewährt. Nichts dagegen einzuwenden. Aber auch nicht so besonders.
Bedrohlicher als „Buffalo Bill“ empfanden wir den Gefängnisdirektor, der in Konfrontation mit Lecter lebt und in Konfrontation zu Starling geht, die ihn allerdings auch ein wenig herablassend behandelt, was er sich wiederum durch seine plumpe Anmache zu Beginn der Bekanntschaft verdient hat. Dieses knisternde Dreieck hätte man weiter ausbauen und auf die Spitze treiben können, doch der Film lässt durchaus den einen oder anderen Faden liegen, um plötzlich doch noch an ihm zu ziehen, wie am Ende, als Lector seinem Ex-Gefängnisdirektor in die Karibik folgt, um ihn, wie man annehmen kann, zu verspeisen. Starling, welcher er das telefonisch mitteilt, scheint geradezu amüsiert darüber zu sein. Es ist eine Herkulesaufgabe für einen Schauspieler oder eine Schauspielerin, einem Charakter wie diesem Lecter als der „normale“ Typ Paroli zu bieten, auch die Darstellung selbst betreffend. Jodie Foster hat das bravourös gemacht und profitiert, wie der gesamte Film mit seinen fünf Oscars, auch davon, dass 1991 kein überragendes Kinojahr war, in dem es außer „JFK“ und vielleicht „Thelma und Louise“ ernsthafte Konkurrenz für „Das Schweigen der Lämmer“ gegeben hätte.
Uns fehlt in dem Film die präzise Durchdringung und Tiefgründigkeit im Psychologischen, die er aber, im Gegensatz zu Hitchcocks „Psycho“ mit den Mitteln des modernen Kinos suggeriert. Komplexe Konstellationen sind schwer auf die Leinwand zu bringen, vor allem, wenn auch noch mörderische Spannung erzeugt werden soll, und natürlich sind Momente wie der, als Lecter auf blutige Weise seine Flucht organisiert und wie er alle reinlegt, fantastisch, wenn man nicht zu sehr auf Details der technischen Durchführbarkeit achtet, sie sind dem Irrwisch gemäß, man traut ihm das zu. Amerikanische Filme betonen immer wieder die Intelligenz ihrer Hauptfiguren, das fällt im Vergleich zu Werken aus allen anderen Ländern auf. Um das klarzustellen, wird hier mehr preisgegeben als im Grunde notwendig, stellenweise läuft das Duell zwischen Lecter und Starling auf ein Dozieren beider Seiten hinaus, das zwar akademisch und schlau gleichermaßen wirkt, aber letztlich spekulative Elemente enthält, die nur deshalb knapp an der Lächerlichkeit vorbeigehen, weil die Szenen so gut gespielt sind.
Wir hatten auch „Das Wunderkind Tate“ (von und) mit Jodie Foster aufgezeichnet und haben ihn direkt nach „Da Schweigen der Lämmer“ angeschaut. In seinen großen Zeiten hatte Hollywood immer so eine Art Bodenständigkeit, die in den letzten Jahrzehnten eindeutig verloren gegangen ist. Die Helden waren tapfer, schmerzresistent, aber sie wurden nicht als übermenschliche, undemokratisch wirkende Superhirne dargestellt. Genau diese Tendenz aber zeigen beide Filme sehr deutlich und es ist klar, dass Jodie Foster die geborene Protagonistin in solchen Werken ist, weil sie selbst als besonders hochbegabt gilt.
Finale
Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Für uns ist „Das Schweigen der Lämmer“ kein schlechter Film, aber je mehr man über ihn nachdenkt, desto mehr merkt man, dass hinter der den furios gespielten Rollen und einer für die frühen 1990er noch ungewöhnlich harten Darstellung von psychopathischen Serienkillern keine so gewaltige Substanz steckt, wie die vielen Auszeichnungen des Films vermuten lassen. Dass zum Beispiel daraus, dass der Mörder seinen Opfern einen verpuppten Schmetterling in den Rachen schiebt, dessen psychologische Aufstellung treffsicher erraten werden kann, ist ebenso gewagt wie es normal ist, was Starling gegenüber ihrem Vorgesetzten im Stil einer Profilerin während einer Autofahrt zum Besten gibt. Sie ist mit diesen Schlüssen sehr schnell, aber sie gehören alle zu dem, was man als kriminalistische Basisannahmen bezeichnen kann, wenn ein Mörder so vorgeht wie „Buffalo Bill“.
Mag sein, dass uns wieder mal die Parallelarbeit an der „TatortAnthologie“ im Weg steht, wenn es darum geht, alles in „Das Schweigen der Lämmer“ als so exorbitant anzusehen , wie viele Filmfans und Kritiker es tun – und es ist in einer Weise ungerecht.
Denn der Film ist ein eines auf jeden Fall: Meilenstein auf dem Weg zum zur heutigen Darstellung von Mehrfachmördern und ohne ihn hätte man sich auch hierzulande manche schräge Figur gar nicht getraut auf die Leinwand bzw. auf den Bildschirm zu bringen und das Psychoduell über die klassische Polizeiarbeit zu stellen, klassische Motive ad acta zu legen und das Gruselige, das die menschliche Natur hervorbringen kann, auf uns loszulassen.
80/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Jonathan Demme |
Drehbuch | Ted Tally |
Produktion | Edward Saxon Kenneth Utt Ron Bozman |
Musik | Howard Shore |
Kamera | Tak Fujimoto |
Schnitt | Craig McKay |
Besetzung | |
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