Die Bergkatze (DE 1921) #Filmfest 749 #DGR

Filmfest 749 Cinema – Die große Rezension

Seltenes Exemplar gesichtet

Die Bergkatze oder Andenkatze (Leopardus jacobita, Syn.: Oreailurus jacobita) ist eine südamerikanische Art innerhalb der Familie der Katzen. Die Bergkatze lebt in den Andenregionen Südamerikas und wird in der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion IUCN als Stark Gefährdet (Endangered) geführt, weil die gesamte Population auf weniger als 2500 erwachsene Individuen geschätzt wird, bei einem abnehmenden Populationstrend. Die wissenschaftlichen Daten sind noch eher vage. Die ersten Filmaufnahmen der Art entstanden erst nach 2000 durch Christian Baumeister.

Wenn sie bis hierher gelesen haben, kommt nun die Belohnung, denn wir schreiben im Anschluss tatsächlich über den Film „Die Bergkatze“. Doch irgendwoher musste Ernst Lubitsch den Begriff ja genommen haben, denn in Europa gibt es keine Bergkatzen und für ein Kunstwort halte ich die „Bergkatze“ nicht, obwohl einem kreativen Highflyer wie Lubitsch derlei durchaus zuzutrauen wäre. Gerade dieser Film aus dem Jahr 1921 beweist, welch eine enorme Schaffenskraft dieser Regisseur vorzuweisen hatte. Er versuchte damit, die satirische Filmkomödie auf ein neues künstlerisches Niveau zu heben. Nicht mehr und nicht weniger. Viele spätere Künstler haben von diesem Film profitiert. Mehr als Lubitsch selbst vermutlich. Aber der Reihe nach. Erst zur Handlung, dann zur –> Rezension.

Handlung (1) 

Akt 1

Ein Winter mit dicker Schneedecke: Der Kommandant der Festung Tossenstein ist doppelt geschlagen: Seine Männer schlafen gern und ignorieren zu schnell die Befehle zum Aufstehen, und seine Frau ist dominant. Als ein Brief eintrifft, dass der Frauenschwarm Leutnant Alexis auf die Festung strafversetzt wird, sind nur Frau und Tochter Lilli begeistert.

Alexis verlässt derweil die Residenz, wo Hunderte Frauen ihrem ehemaligen Geliebten und Dutzende Kleinkinder ihrem potenziellen Vater hinterhertrauern. Auf dem Weg von der Residenz zur Festung Tossenstein wird Alexis von der Räuberstochter Rischka überfallen, die ihn zusammen mit ihren Männern bis auf die Unterhosen ausraubt.

Akt 2

Auf der Festung wird Alexis von seinem Kutscher als vermisst gemeldet, taucht jedoch kurze Zeit später in Unterhosen auf. Trotz seiner misslichen Lage meistert er die Situation mit gewohnter Eleganz und Ehefrau und Tochter des Kommandanten sind entzückt. Der Kommandant verkündet, Alexis werde in keinem Fall die Hand seiner Tochter erhalten und lässt beide demonstrativ allein. Alexis ist zunächst überrascht, flirtet dann jedoch geübt mit Lilli.

Unterdessen findet Rischka in den Sachen des Leutnants seine Porträtfotografie. Verliebt pinnt sie sie an die Zeltwand und hängt die Leutnanthose darüber. Ihr Vater Claudius schmollt jedoch, dass sie Alexis hat laufen lassen, schließlich hätte er eine neue Unterhose mehr als gebrauchen können. Auf der Festung zieht unterdessen eine Strafexpedition los, um die Räuber zu bekämpfen.

Akt 3

Die Strafexpedition gegen die Räuber gerät zum Desaster. Während Alexis das mitgeführte Orchester dirigiert und bemüht ist, auf dem herrschenden Eis nicht ständig auszurutschen, werden seine Männer von den wenigen Räubern durch Ohrfeigen und Schneeballwürfe in die Flucht geschlagen. Der Kommandant, der wohlweislich in der Festung geblieben ist, glaubt aus der Ferne einen Sieg seiner Truppen auszumachen. Nach der Rückkehr der geschlagenen Armee gibt er daher eine rauschende Siegesfeier mit Feuerwerk. Alexis wird zum Dank für den Sieg Lilli zur Frau gegeben und der Leutnant zeigt sich nur wenig begeistert.

Unterdessen nähern sich die Räuber um Rischka der Festung und brechen ein. Rischka räumt Lillis Gemächer leer, wirft Bettzeug und die Betten selbst aus dem Fenster und genießt es anschließend, sich in einem von Lillis Kleidern mit Parfüm zu überschütten. Die restliche Bande folgt ihr nach einer Weile und verkleidet sich als Soldaten. Alle nehmen unerkannt an der Feier teil und amüsieren sich mit dem betrunkenen Kommandanten. Nur Alexis erkennt Rischka und die Räuber und sperrt Rischka in Lillis Zimmer ein, um sie später zu verhaften. Lilli wiederum weist ihrer vermeintlichen Nebenbuhlerin die Tür und Rischka flieht erleichtert mit ihren Kumpanen.

Akt 4

Rischka träumt von Alexis und ist dabei so aufgeregt, dass Claudius beschließt, seine Tochter zu verheiraten. Da er sie schon vor Jahren einem seiner Männer versprochen hat, muss er sein Wort nun halten. Es traut sich jedoch nur der schüchterne Pepo, die Ehe mit Rischka einzugehen. Nachdem er gezeigt hat, dass er durchaus ein Mann sein kann, heiratet ihn Rischka. Am Tag der Hochzeit erfährt Rischka, dass Alexis bereits am Vortag standesamtlich geheiratet hat und die Hochzeitsfeier heute stattfindet. Sie verlässt traurig ihr Zelt und stürzt Pepo damit in tiefste Weinkrämpfe.

Auch Alexis ist nicht feierlich zumute. Er betrinkt sich vor der Party und trifft schließlich im Schnee auf Rischka. Beide landen in seinem Haus, wo sich Alexis nur schnell frisch machen will. Es dauert jedoch unglaublich lange, da Alexis sehr eitel ist. Unterdessen erscheint auch Lilli bei Alexis und trifft auf Rischka. Sie will ihn schon für die „Bergkatze“ aufgeben, als Rischka sich entscheidet, für sie auf Alexis zu verzichten. Beim anschließenden Candlelight-Dinner mit Alexis zeigt sich Rischka von ihrer schlechtesten Seite, zerzaust Alexis das wohlgeglättete Haar, trinkt Sekt aus der Flasche und weiß sich auch beim Essen nicht zu benehmen. Als sie gegangen ist, kehrt Alexis erleichtert zu Lilli zurück.

Rischka bemerkt unterdessen einen kleinen Bach, der sich in den Schnee gegraben hat. Sie folgt ihm zu ihrem Zelt und stellt fest, dass er von den Tränensturzbächen gespeist wird, die Pepo unterdessen um sie geweint hat. Sie schließt ihn in ihre Arme, küsst ihn und Pepo ist wieder glücklich.

Rezension

„Die Bergkatze“ ist ein wirklich extravagantes Stück Artwork. Trotzdem wird er auch als der erste Lubitsch-Misserfolg bezeichnet, weil er offenbar das Publikum überforderte, das den Witz dieses Berliners ansonsten bewunderte. Also müsste es heißen: Gerade, weil der Film so avantgardistisch ist, ereilte ihn und seinen Macher jenes Schicksal, das fast alle Starregisseure irgendwann trifft: Dass auch mal ein Flop passiert. Das hatten wir zuletzt bei der Beschreibung von „Sumurun“ für Lubitschs deutsche Phase noch negiert, aber mit „Die Bergkatze“ reiht er sich in die Reihe der Größen wie Fritz Lang und F. W. Murnau ein, deren spätere so herausragend rezipierte Filme „Metropolis“ und „Nosferatu“ erst einmal etwas zu viel für die Sehgewohnheiten des damaligen Publikums waren. Ein Arthouse-Kino gab es damals noch nicht, in dem man Neues in kleinem Rahmen ausprobieren und seine Wirkung auf Zuschauer testen konnte. Außerdem sind die Cineasten, die in solche Kinos gehen, ein spezielles Völkchen, genau wie diejenigen, die Modern Jazz hören oder dergleichen. 

Ich würde sagen, Lubitsch war nach seinen bisherigen großen Erfolgen in der Laune, noch mehr zu wagen und auch der Komödie im wörtlichen Sinne ein neues Outfit zu verpassen. Die häufig verwendeten Schwarzpassepartouts beispeilsweise, die den Bildausschnitt einschränken, die Stimmungen symbolisieren, aber auch das Auge des Zuschauers auf bestimmte Bewegungsabläufe leiten, haben sich nie durchgesetzt, sie sind heute schlicht Raritäten und ich meine auch, sie wurden ein wenig zu exzessiv eingesetzt. Sehr gewählt, das schon, aber auch etwas zu häufig.

„Wie ein Maler, der es für unzumutbar und für seine Zwecke ganz unsinnig findet, Leindwand zu malen …“ (2)

Vielleicht bin ich heute etwas destruktiv, aber das mit dem Abweichen vom Leinwandformat hat sich durch alle Extravaganzen der Malerei hindurch nicht als praktikabel erwiesen. Das hat nichts damit zu tun, dass sich keine gezackten oder als Kussmünder geformten Leinwände herstellen ließen, sondern schlicht mit dem Bildausschnitt, den wir wahrnehmen. Am ehesten noch haben sich Lubitschs schmale Bildstreifen im Breitwandformat Cinemascope (2,55:1 oder 2,35:1) gespiegelt, das gut 30 Jahre später aufkam und auch unter Filmschaffenden heftig diskutiert und teilweise abgelehnt wurde beispielhaft satirisch angehaucht – vom filmtechnisch stets konservativen Charles Chaplin in „A King in New York“. Es ergibt aber durchaus einen Unterschied, ob etwas nicht akzeptiert wird, das ein Wagnis darstellt oder ob man sich als alternde Filmgröße Rückzugsgefechte der unsinnigen Art liefert und 1957 noch konsequent in S/W und im Format 1,37:1 filmt.

Dafür enthält „Die Bergkatze“ herausragende weitere Bestandteile, von der, wie oben geschrieben, andere dann profitieren konnten. Billy Wilder natürlich, der Lubitsch ganz offen als Vorbild benannt hatte, aber auch Filmsatiriker wie die Marx-Brothers und wohl auch Slapstick-Künstler, die etwas mehr wollten als nur optische Gags produzieren. Und alle, die Kabarett machen wollten. Politisches Kabarett. Lubitsch selbst vermutete, sein Durch-den-Kakao-Ziehen des Militärs habe der Rezeption des Films durch das zeitgenössische Publikum geschadet. Durchaus möglich, dass dies eine Rolle spielte, nur drei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, in dem in Deutschland kaum eine Familie keinen Sohn im Felde verloren hatte. Sicher hat Lubitsch auch diese Klippe gesehen und deswegen den Film „balkanisiert“, ihm also ein etwas südosteuropäisch anmutendes, operettenhaftes Gepräge gegeben. Ich meine aber, man kann auch noch etwas anderes hineinlesen: Neben der selbstverständlichen Allgemeingültigkeit der Tatsache, dass für einen vernünftigen Menschen Militarismus nicht nur gefährlich, sondern auch lächerlich und dumm erscheinen muss, wirkt es, als habe Lubitsch auf Österreich zurückgegriffen und dem deutschen Publikum damit ein wohlfeiles Angebot gemacht: Es ist ein geflügeltes Wort, dass die österreichischen Soldaten besonders fesch waren, aber nicht unbedingt so kampftauglich in dem Sinne wie die französischen oder deutschen Kameraden. Die Habsburger Monarchie war eben auch ein wenig operettenhaft und wen die Optik, die wir zum Beweis heranziehen, noch nicht ausreicht, dem mögen die Texttafeln, die Zwischentitel, einen Hinweis geben: Sie sind eindeutig auf einen österreichischen Duktus gestellt, die meisten davon jedenfalls, und mit wiederum sehr witzigen Durchbrechungen. Das hätte man ja auch anders handhaben können, mit Lubitschs Berliner Witz zum Beispiel, der sich in den Texttafeln früherer Film geäußert hatte.  

Diese Anspielung darauf, dass Deutschland durch Österreich in den Krieg hineingezogen worden war und die Österreicher sich dann als, sagen wir mal, schwierig erwiesen (hinter dem Rücken Kaiser Wilhelms haben sie z. B. 1916 versucht, einen Separatfrieden mit den Alliierten zu schließen, um die K. u. K.-Herrlichkeit zu retten). Da vermischten sich Narrative und Wahrheiten wieder einmal miteinander und entwickelten sich zu gefährlichen Narrativen, ein weiteres Beispiel ist die Dolchstoß-Legende. Falls ich mit dieser Interpretation richtig liege, war sie damals aber doch wohl zu subtil und Lubitsch hätte vielleicht auch gar nichts dagegen gehabt, nicht durch das Bespielen dieses Narrativs ins Gerede zu kommen, den Spaß daran also ganz für sich und für einige Eingeweihte zu haben. Manche Kunstwerke funktionieren ja auch auf mehreren Ebenen sehr gut, sodass unterschiedlich sozialisierte und gebildete Menschen etwas damit anfangen können. Ein schönes Beispiel aus der Populärkultur sind die Asterix-Hefte mit ihren unfassbar vielen politischen Anspielungen, die man aber nicht verstehen muss, um Spaß an den Abenteuer der maßgeblichen Gallier zu haben. Sie lassen sich teilweise auch schwer auf deutsche Verhältnisse übertragen und tun dem Erfolg der Comicreihe dennoch keinen Abbruch.

Die Texttafeln sind also zurück, die wir in „Sumurun“ etwas vermisst haben und die zeigen, wie universell Lubitschs Genie ist. Es wartete eindeutig auf den Tonfilm, aber so beinahe abstrakt, wie der Witz hier teilweise schon anmutet, wären die Texttafeln in den ersten Jahren nicht ohne Weiteres auf den Tonfilm zu übertragen gewesen. Mir fallen wirklich nur die Marx-Brothers ein, die sich in jenen Jahren getraut haben, ihre Komik so ins Absurde zu treiben. Deswegen wurden sie von vielen Kollegen auch nicht gemocht, die das Leichte ziemlich ernst nahmen. Ich kann mir auch gut vorstellen, wie viel Spaß die Beteiligten an Filmen wie „Die Bergkatze“ hatten. Ein eingeschworenes Team funktionierte perfekt: Der Regisseur, der Drehbuchautor Hannes Krähly, der damals alle Lubitsch-Filme schrieb, wenn man so will der I. A. L. Diamond des Wilder-Vorbildes und Pola Negri als weiblicher Star, der perfekt umsetzen konnte, was Lubitsch vorschwebte. Sie war für seine Filme wichtiger als alle männlichen Darsteller, zumindest ab 1918 und mit Ausnahme von „Anna Boleyn“, für dessen Gepräge vielleicht Henny Porten, die den Film in der Titelrolle zu tragen hatte, besser geeignet war. 

Der „Film-Kurier“ schrieb über Die Bergkatze, dass „wenn dieser Film überhaupt einen Wert hat […], so [diesen], daß er einen von Gedanken befreit, nicht, daß er sie gibt: daß er zerstreut: nicht, daß er anregt.“[1] Fritz Podehl bemerkte in „Der Film“, die Bezeichnung des Films als Groteske sei kaum zutreffend:

„Er ist überhaupt weder besonders eigenartig noch besonders lustig, noch besonders gedrängt. Wenn trotzdem in den letzten Akten ein flottes Tempo erzielt wurde und der Film einen Erfolg machte, so dürfte doch fast alles auf das Konto Lubitschs, des Regisseurs zu setzen sein, dessen geniale Einteile und meisterliche Handhabung des großen ihm zur Verfügung stehenden Apparats genügend Überraschungen boten.“ – Fritz Podehl, 1921[2]

Die „Lichtbild-Bühne“ meinte, dass „so viel wirkliche Komik, so viel grotesker Humor in neuartiger Form in diesem Film [steckt], wie in keinem andern deutschen Produkt. Aber gerade diese Neuartigkeit wird vielleicht auf ein unvorgebildetes Publikum etwas erkältend wirken, obschon der Erfolg im Ufa-Palast dem zu widersprechen scheint.“[3]

Das Lexikon des internationalen Films merkte an, dass „dieser Stummfilm […] der erste kommerzielle Misserfolg von Ernst Lubitsch [war], der diesen Umstand auf seinen despektierlichen Umgang mit dem Militär zurückführte. Filmhistorisch ist er heut von hohem Interesse, da die Verwendung zahlreicher schwarzer Passepartouts den Film in ein ideenreiches Formexperiment verwandelt.“[4]

Lubitsch war also auch für die zeitgenössische Kritik etwas zu fix bei der Weiterentwicklung des Kinos, für die einen mehr, die anderen erkannten aber schon, dass gerade die positiven Eigenschaften des Films auch ein Publikum treffen könnten, das darauf noch nicht vorbereitet war. 100 Jahre später zeigt sich erst, was Lubitsch damals schon konnte, was sonst niemand konnte: Eine Synthese aus visuellen und verbalen Gags herstellen, und das noch ganz ohne Ton. Heute fällt es leicht, dies zu würdigen, aber bei allem, was damals doch schon ging und was die Menschen an Lubitschs Filmen schon mögen gelernt hatten, die in einer Weise undeutsch wirken, weil ihnen das Steife, das auch hiesigen Luststpielen oft anhaftet, so gar nicht vorweisen konnten, es gab Grenzen, die für mich dadurch überschritten wurden, dass Lubitsch zu viel auf einmal innoviert hatte, dass er einmal nicht der Publikumsversteher, sondern der Fountainhead war, der es einfach wissen wollte.

Zu allem, was wir bereits erwähnt haben, gesellen sich auch noch Dekors, eine Ausstattung, die einfach nur zum Niederknien ist. Sie wird sogar in die Handlung integriert, indem sich ein aus dem Bett vertriebener einfach auf eine Rundung dieser Ornamente legt und dort schlafen möchte.

Gemeint ist weniger das Räuberlager, trotz der witzigen Szene mit „A Stove for each Guy“, sondern das, was wir an und in der Festung sehen. Es ist etwas bauchiger als Art Déco, aber es weist schon auf diesen Stil hin, den es damals noch gar nicht gab, es ist prächtig geformt, überspringt das Bauhaus, das bald auch die Filmsets beeinflussen sollte, gibt den Innenräumen eine für damalige Verhältnisse atemberaubende Plastizität und selbst in den „balkanisierten Formen“, wie es bei Bandmann / Hembus heißt, sind wiederum ironische Details eingearbeitet (die Intarsien der Türblätter, die Schmuckelemente aus dicklichen Kanonen, deren Räder wie Schneckenhäuser geformt sind etc.), die man sich kaum ausdenken kann, es sei denn, man gehört zu einem so begnadeten Team, wie es hier am Werk war und Inspiration ist alles und die Wirklichkeit bleibt hinter all dem so weit zurück, dass sie sich in die Schmollecke verzieht und dem Film die Zunge herausstreckt wie einst Ossi Oswalda in „Die Puppe“ (natürlich von Lubitsch) den Zuschauern. Zwei Jahre später kam also die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Menschen als Echo auf Lubitschs Frechheit zurück. Sehr, sehr schade, aber auch verständlich. 

Alles in diesem Film atmet den Zauber der freien Autorenschaft, die sich trotzdem es unbegrenzten Vertrauens eines enthusiastischen Filmproduzenten erfreut, denn ganz billig waren die Innenräume der Festung sicher nicht herzustellen. Man kann sie vielleicht sogar als einen Kommentar auf den oft aus sehr billigen Kulissen gefertigten Zweidimensionen-Expressionismus ansehen, den Lubitsch vermutlich nicht für das letzte Wort in Sachen Filmausstattung hielt, beispielhaft, wie für so vieles, was Vergleiche innerhalb des damaligen deutschen Filmschaffens herausfordert, wieder „Das Cabinet des Dr. Caligari“, dessen spitzpappige Dekors sich genausowenig in spätere Filmepochen retten konnten wie Lubitschs Passepartouts aus „Die Bergkatze“. Ach ja, man könnte immer so weitermachen, einiges kennt man ja auch schon, wie die herausragenden Texttafeln, aus Lubitschs früheren Filmen. Zum Beispiel seine Fähigkeit, Menschengruppen zu orchestrieren, sie mit einem hervorragenden Timing als „Ornamente der (lebendigen) Masse“ zu verwenden oder sie, wie in „Die Bergkatze“ witzige Dinge tun zu lassen. Manches ist so simpel, dass man es erst einmal wahrnehmen muss: Wenn ein Mensch wegrennt, weil auf ihn mit Schneebällen geschmissen wird, und sei es gerade ein Soldat, dann wirkt das nur begrenzt komisch.

Wenn aber eine ganz famos ausstaffierte Truppe das tut und auf glattem Eis herumstolpert, möglichst synchron, dann ist das ein Kommentar zu dem, was alle Soldaten tun sollten, damit die Welt friedlicher wird und reißt tiefe Löcher ins Selbstverständnis durchmilitarisierter Gesellschaften, wie die damalige preußisch-deutsche eine war. Vielleicht wusste auch Lubitsch, wie das Kino an sich, schon mehr als wir oder erahnte es und wollte bereits den Revanchismus infrage stellen, der sich alsbald allüberall breitmachen sollte. Bei anderen Lubitsch-Filmen wäre ich mir nicht so sicher, aber „Die Bergkatze“ wäre von den Nazis sicher verboten worden, wären sie zum Zeitpunkt seiner Entstehung bereits an der Macht gewesen. Die hatten nämlich gar keinen Humor, schon gar nicht im lubitschschen Sinne, denn ohne Zweifel ist da auch jüdischer Mutterwitz dabei und macht diese synästhetische Filmweise vielleicht sogar erst möglich, die Lubitsch nach meiner Ansicht beherrschte wie sonst niemand im deutschen Sprachraum. Und wieder: Kaum auszudenken, wie es weitergegangen wäre, wäre er in Deutschland geblieben. Man muss sich nur die Entwicklung seiner Filme in den Jahren 1915 bis 1921 ansehen. Sicher, mehrere Misserfolge hätten ihn gebremst und jeder Künstler hat unterschiedliche Schaffensphasen. Aber da wäre noch eine Menge drin gewesen.

Finale

Ich habe gerade gelesen, dass auch Bandmann / Hembus sich auf Ähnlichkeiten mit Filmen der Marx-Brothers beziehen und freue mich wieder einmal, dass ich auch die offensichtlichen Dinge selbstständig erfassen kann. Natürlich: Hier heißen die lustigen Räuber Pepo, Dafko, Massilio, Tripo. Die Marxens hören auf die Vornamen Groucho, Zeppo, Chico und Harpo. Auf den Zusammenhang kann doch jeder kommen, oder nicht? Lubitsch zählte nicht zum Kern des deutschen Filmexpressionismus, ging aber, diese Bemerkung resultiert nun aus dem Nachlesen, im Grunde darüber hinaus, weil er surrealistische Elemente einbindet. Zwischen beiden Stilen gibt es Überschneidungen, aber der Surrealismus war damals noch kaum verbreitet und manifestiert sich hier schon, im selben Jahr, in dem der Begriff überhaupt erst aufkam und in dem André Breton den Surrealismus als Kunst- und Lebensform sowie als Bewegung in Paris etablierte. Was ist es für ein Gefühl, seiner Zeit so weit voraus zu sein, wie Lubitsch es mit diesem Film war? Wir können ihn leider nicht mehr fragen, aber er hat sich gegen Ende seines Lebens noch einmal mit „Die Bergkatze“ auseinandergesetzt, das haben wir jetzt auch am Ende der Rezension von Bandmann / Hembus gefunden. Ja, so war es. Ein mehr als richtiger Film zum falschen Zeitpunkt. Kennen sie übrigens das MGM-Musical „Follow the Flag“ aus dem Jahr 1936? Wenn Sie wissen wollen, woher die stilisierten Kanonen des Kriegsschiffs stammen, die darin so unbedarft vewendet werden: In ironisierter und damit viel modernerer Form sehen Sie diese bereits aus den Mauern der Festung Tossenstein herausragen. Lubitsch hat seinen Films als „Groteske“ gelabelt. Ich finde eher, es handelt sich um eine der vielschichtigsten und humanistischsten Satiren, die bis dahin gefilmt wurden. Das hat auch mit dem Ende zu tun. Oh, ja, das Ende. Finden Sie nicht auch, dass Herrmann Thiemig als schüchtern verliebter Räuber Pepo besonders in der Szene, in welcher er hemmungslos heult, Stan Laurels Mimik und Gepräge auf atemberaubend exakte Weise vorwegnimmt? Sogar seine Haartracht ähnelt der von Laurel in „Hände hoch oder nicht“, der ja auch ein Period Picture ist und einen Teil seines Witzes aus diesem Umstand bezieht.

Für mich steht „Die Bergkatze“ auf einer Stufe mit „Sumurun“ und „Madame Dubarry“, wenn es um Ernst Lubitschs Filme geht, die er vor seinem Wechsel nach Hollywood gedreht hat. Aber während Historienfilme auch andere konnten, war noch niemand so weit wie Lubitsch in Sachen Fantasie, Ironie und der Erkenntnis, welche Chancen dieses Medium bietet, wenn man die Synthese aus allen ihm innewohnenden Künsten wie Malerei, Bildhauerei, Literatur und Theater schafft. Was die Menschen 1921 vielleicht überfordert haben mag, wirkt heute dieser Synthese von allen Lubitsch-Filmen, die ich bisher beprochen habe, am nächsten. Womit krieg man hysterische Fans eines Frauenschwarms dazu, den Weg freizugeben? Man verteilt weiße Mäuse auf dem Pflaster. Wer macht jede Nacht einer Frau ein Kind? Dadurch wird verständlich, dass sein Abschied schmerzt. Wer ist die Bergkatze? Pola Negri natürlich, schwarz auf weiß.

87/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, zitiert ohne zusätzliche Kennziffer, tabellarisch: Wikipedia
(2) Bandmann / Hembus, Klassiker des deutschen Stummfilms, S. 71

Regie Ernst Lubitsch
Drehbuch Hanns Kräly
Ernst Lubitsch
Produktion Paul Davidson
für Projektions-AG „Union“
Musik Marco DalpaneEnsemble Playground (Version 2000)
Kamera Theodor Sparkuhl
Besetzung

 

 

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