Paper Moon (USA 1973) #Filmfest 757 #Top250

Filmfest 757 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (92)

Say, it’s only a paper moon
Sailing over a cardboard sea
But it wouldn’t be make-believe
If you believed in me

Paper Moon ist ein US-amerikanisches tragikomisches Roadmovie aus dem Jahr 1973, das auf dem Roman Addie Pray von Joe David Brown basiert. Es wurde von dem Regisseur Peter Bogdanovich als Schwarzweißfilm für Paramount Pictures gedreht; die Hauptrollen spielen Ryan O’Neal und seine Tochter Tatum O’Neal.

Die frühen 1970er waren eine Zeit, in der man offenbar in den USA geradezu Sehnsucht nach der furchtbaren Ära der Great Despression hatte, jedenfalls gab es eine Welle von Filmen, die etwa vierzig Jahre zurück angesiedelt waren, stellvertretend erwähnt sei aus demselben Jahr, in dem „Paper Moon“ entstand, der ebenfalls hochgeschätzte „The Sting“ mit dem Superduo Paul Newman und Robert Redford in den Hauptrollen. Newman und seine Tochter Nell Potts waren ursprünglich auch für „Paper Moon“ vorgesehen, allerdings hätte man für Potts das Alter der Hauptfigur in der Romanvorlage von zwölf auf vierzehn oder fünfzehn Jahre hochsetzen müssen, während man es für Tatum O’Neil auf neun Jahre verringert hat, damit das Aussehen des Kindes der Romanfigur entspricht. Dadurch wirkt die Kleine natürlich verbal und insgesamt kognitiv sehr fortgeschritten für eine Neunjährige, was aber auch den Reiz dieser Rolle ausmacht. Sie soll ja eine kleine Klugscheißerin sein und eine Überlebenskämpferin in schwierigen Zeiten. Mehr dazu findet sich in der –> Rezension.

Handlung (1)

Kansas während der Großen Depression 1935: Auf der Beerdigung einer Frau wird der junge Moses Pray von den anwesenden Gästen überredet, die neunjährige Tochter der Verstorbenen, Addie Loggins, zu Verwandten in St. Joseph zu bringen, ist er doch im Begriff, nach Missouri zu fahren. Moses übernimmt die ihm aufgedrängte Aufgabe nur widerwillig, erklärt sich jedoch dazu bereit. Er tritt die Fahrt in seinem Automobil zusammen mit der ihm unbekannten Addie an. Zuerst erpresst er aber 200 Dollar von dem Sägewerk-Besitzer Mr. Robertson, dessen Bruder den Tod von Addies Mutter verschuldet hat, indem er droht, sonst Schadensersatz geltend zu machen. Das Mädchen lauscht bei dem Gespräch an der Tür und fordert kurz darauf das eigentlich ihr zustehende Geld von Moses zurück. Dieser hat mit einem Teil des Geldes jedoch bereits sein Fahrzeug reparieren lassen. Da Addie jedoch beharrlich auf diesem Geld besteht und zudem vermutet, Moses sei ihr Vater (worüber der Zuschauer den ganzen Film hindurch im Unklaren gelassen wird), beginnt Moses, seiner gewöhnlichen Tätigkeit nachzugehen.

Moses erweist sich als Trickbetrüger, der an Witwen kurz zuvor verstorbener Männer Bibeln mit einer Einprägung des Vornamens der Witwen als angebliche letzte Bestellung des Ehemanns verkauft. Er begeht auch noch andere Betrügereien, um an Geld zu kommen. Schnell beteiligt sich auch Addie an seinen Geschäften, so dass beide als Team auftreten. Aus der Zwangsgemeinschaft wird eine Zweckgemeinschaft, obwohl zunächst zahlreiche Probleme das Zusammenleben dominieren: Addie raucht trotz ihres Alters und ist ungewöhnlich eigensinnig; Moses hat nur sein eigenes Wohlergehen im Sinn. Trotzdem entsteht allmählich eine Freundschaft zwischen den beiden.

Schon bald lernt Moses auf einem Jahrmarkt die Tänzerin Trixie Delight kennen, die für fünf Dollar in zwielichtigen Tanzshows auftritt. Er bietet ihr und ihrer 15-jährigen Dienerin Imogene eine Mitfahrgelegenheit in die nächste Ortschaft an, weil er sich in Trixie verliebt hat. Obwohl Addie sich mit Imogene anfreundet, ist sie eifersüchtig, nicht mehr Moses’ einzige Gefährtin zu sein, und schmiedet mit Imogene einen Plan: Sie arrangieren geschickt ein Rendezvous der Tänzerin mit dem Rezeptionisten ihres Hotels und lassen Moses, scheinbar zufällig, Zeuge der Szenerie werden, was diesen dazu veranlasst, sofort mit Addie abzureisen und Trixie zurückzulassen. Addie schenkt Imogene 30 Dollar, damit sie zu ihren Eltern zurückkehren kann. (…) 

Rezension 

Es ist wohl keine Frage, dass man sich nach den politischen Einbrüchen der 1960er und dem Vietnamkrieg auf die Suche machte nach den eigenen Wurzeln in einer Zeit, an die sich die meisten Menschen damals noch erinnern konnten und in der sie oder ihre direkten Vorfahren, in denen Eltern und Großeltern sich schon einmal in schwieriger Situation bewähren mussten. Dass man dabei im Stil von New Hollywood ein Gaunerpärchen in den Vordergrund stellt und nicht die rechtschaffenen Menschen, die von ihm ausgenommen werden, ist natürlich ganz eine Attitüde der späten 1960er und frühen 1970er, reflektiert aber auch die Sympathie für die Außenseiter, welche die beiden motorisierten Landstreicher darstellen.

Außerdem wird nicht vergessen zu erwähnen, wie korrupt die Gesetzeshüter damals waren, denn der Sheriff wird von seinem Bruder schon was abbekommen haben dafür, dass er diesen ungehindert Whisky schmuggeln lässt. Es geht nicht um Strafverfolgung, sondern um Rache, als die Männer mit dem Stern das Herumtreiber- und Betrügerpaar, möglicherweise Vater und Tochter, entführen. Bis zum Schluss gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass „Moze“ wirklich der Vater von Addie ist, aber da es sich bei den Darstellern um diese Konstellation handelt, ist man eher geneigt, in diese Richtung zu denken.

Es gibt einige auffällige Fehler in dem Film wie moderne Traktorenreifen und andere sichtbare Anachronismen, außerdem hat sich mir nicht erschlossen, wie der zweite Geldtrick im Warenhaus funktioniert, denn irgendwie muss ja der 20-Dollar-Schein in die Kasse gekommen sein, der offensichtlich Addie gehört. Wenn er von ihr stammt, hat sie auch nicht 24,75 Dollar Gewinn mit dem Trick gemacht. Da waren die Bibelverkäufe wesentlich einleuchtender und natürlich haben sie einen sozialen Anstrich. Bei armen Menschen verschenkt Addie schon mal eine Deluxe-Edition, bei einer Witwe mit Perlen und Kronleuchter im Wohnzimmer wird das Doppelte des üblichen Preises gefordert. Sie variiert den bisher immer gleichen Trick ihres möglichen Vaters auf eine wunderbar einfallsreiche und damit uramerikanische Art. Sie ist ein Symbol der schuldigen Unschuld in einer Zeit, in es schwer war, legal zu bleiben, aber doch möglich, das Richtige zu tun, vor allem, wenn man überleben wollte.

Aber sie ist kein sonniges Kind, sondern trotzig, meist ernst, vom Typ eher ein Junge, deswegen wird sie auch mal für einen gehalten; Buch und Film wurden nicht umsonst mit den Abenteuern des Huckleberry Finn von Mark Twain verglichen. Es ist aber auch eines dieser Roadmovies, die man nur in den Weiten der USA, am allerbesten natürlich im mittleren Westen inzsenieren kann, wo Boden und Horizont unmittelbar miteinander verschmelzen, ohne dass Berge oder dichte Wälder das Panorama freundlicher und abwechslungsreicher gestalten würden. Das Buch spielt zwar im „Old South“, vornehmlich in Alabama, doch man hat den Film nach Kansas verlegt und wie wir wissen, war dies einer der Staaten, der nicht nur die Depression, sondern auch die Desertation der 1930er auszuhalten hatte. Was kann einem Land und seinen Menschen noch geschehen, welche gleichzeitig die Depression und die Dürre bewältigen mussten? In der Realität einiges, wie sehr düstere Fotos von hungernden Menschen aus jener Zeit belegen, aber so weit, „Früchte des Zorns“ wieder aufleben zu lassen, geht „Paper Moon“ nicht. Dazu ist er doch zu freundlich, zu komödienhaft angelegt. Wir sind nicht in den 1930ern, als Hollywoodfilme manchmal böse endeten und sich die Leute, oft von Not getrieben, als Gangster in den Städten herumtrieben. Vielmehr handelt es sich um einen Blick aus den 1970ern zurück auf eine Zeit, die man überstanden hatte und aus der man Kraft für die Zukunft schöpfen wollte. Die nähere Zukunft mit der Ölkrise und bleibenden Schäden in der industriellen Infrastruktur der USA war denn umso mehr geeignet, sich an die schwierigen 1930er zu erinnern. Interessanterweise hat man das aber während der folgenden Reagonomics eher auf eine sehr stylische Weise getan, mit Filmen wie „Cotton Club“ oder „Es war einmal in Amerika“.

Anfangs wirkt es, als sei Franklin D. Roosevelt noch gar nicht im Amt, doch alle Angaben, die zu dem Film erhältlich sind, deuten auf 1935. Dem steht wohl auch nicht entgegen, dass Mose, als er im Zuge der Gewinnung von Trixie größere Ausgaben tätigt, einen Ford von 1936 ersteht. Auch, dass das Alkoholverbot bundesweit Anfang 1934 aufgehoben wurde, es aber im Film noch Whiskyschmuggler gibt, ist kein Fehler, sondern basiert darauf, dass die Legalisierung von Alkohol in verschiedenen Bundesstaaten bzw. deren Ausführungsgesetzen unterschiedlich gehandhabt wurde – in Kansas kam die Freigabe erst 1937. Andererseits sind die Radio-Shows von Jack Benny und anderen mit Inhalten ausgestattet, die es 1935 eben noch nicht gab. Die Authentizität von heutigen Period-Pictures ist häufig größer, was die Gestaltung zeitgenössischer Details angeht. Das Feeling ist aber echt, vielleicht auch, weil der Höhepunkt der Depression schon zurückliegt und der Optimismus, den unsere beiden Sympathieträger wiederspiegeln, das Happy End, weil das schon darauf hindeutet, dass es bald besser werden wird. Vollständig erholte sich die US-Wirtschaft dann aber erst durch den Zweiten Weltkrieg, der eine schuldenfinanzierte Sonderkonjunktur durch gewaltige Rüstungsproduktion erbrachte.

In Details ist „Paper Moon“ sicher ein wenig übereifrig mit seiner Mädchenfigur Addie, aber es muss auch viel Arbeit dahinterstecken, wenn man Berichten über den Dreh glaubt und wie schwierig dieser angesichts vieler langer Einstellungen war, die von der erst zehnjährigen Tatum O’Neil fehlerfrei gespielt werden mussten. Kann man sich den Stress für ein Kind vorstellen, das dreißig oder fünfzig Mal denselben Take wiederholen musste? Ganz sicher hatte Tatum ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater, sonst wäre ihr die Natürlichkeit, die man gerühmt hat und die ihr einen Rekord-Oscar einbrachte, angesichts der großen Leistungsanforderungen wohl verloren gegangen. Bis heute hat keine jüngere Darstellerin einen Nebenrollen-Oscar bekommen. Dass O’Neils Rolle als Nebenrolle gilt, obwohl sie die meisten Spielzeit hat und in kaum einer Einstellung fehlt, ist eine der Besonderheiten der Auffassung der AMPAS darüber, was den eine Hauptrolle nun wirklich ist. Ärger soll es gegeben haben, als Tatum die begehrte Statute wirklich gewann, weil Ryan O’Neill für den Preis als bester männlicher Hauptdarsteller nicht einmal nominiert worden war. Die meisten Oscars des Jahres – 7 – gingen übrigens an das erwähnte Fellow-Period-Picture „The Sting“ oder „Der Clou“, was belegt, wie beliebt diese Art von Filmen damals war. Ich finde „Der Clou“ etwas überbewertet und ganz sicher ist er weder der beste Film von Robert Redford, noch der beste Film von Paul Newman.

Finale

Paper Moon“ ist im Grunde einer der Nationalfilme der USA, weil seine Figuren, diese Zeit, in welcher er spielt, bis heute tief im Bewusstsein der Menschen verankert sind. Das ist ein erheblicher Unterschied zu unserem kollektiven Bewusstsein, aus dem wir die 1930er am liebsten streichen würden. Die Grundsituation war die Gleiche, aber der Umgang damit führte in den USA zum im Film vielzitierten New Deal und hierzulande zum Pakt mit dem Teufel. Deswegen greift man in den Staaten immer gerne auf jene Jahre zurück, wenn es darum geht festzustellen, wie Menschen sich in einem schwierigen Leben einrichten können, wenn ein gesunder Kern in ihnen steckt, der auch ein Leben auf der Straße ohne allzu große Romantisierung als einen Weg darstellt, den man unter bestimmten Umständen gehen kann. Die Frechheit und der Individualismus siegen, aber nicht das Böse, das von oben kommt und zum Beispiel den ohnehin verarmten Menschen ihr Land weggenommen hat. Diesen Aspekt lässt „Paper Moon“ bewusst außen vor, aber natürlich konnten sich ihn Zuschauer in den USA der 1970er mühelos hinzudenken und so hat jede Figur, die auftritt, auch Symbolcharakter.

Dass Figuren, die mit der Bibel krumme Geschäfte machen, so sympathisch rüberkommen, konnte erst diese Kombination schaffen – Menschen aus den 1930ern durch die Moralvorstellungen der 1970er nachträglich anders bewerten, als Filme aus der Zeit selbst es getan hätten. Denn „Paper Moon“ wäre wohl in Konflikt mit dem seit 1934 offiziell geltenden Hays Code gekommen, nach dem sich Verbrechen nicht lohnen durfte und die christliche Religion nicht verunglimpft werden durfte. Das umschloss auch die Kleingaunerei, von der Moses Pray und eventuelle Tochter lebten. Es gibt aber noch einen anderen Film, an den mich „Paper Moon“ dann doch erinnert hat, und der stammt aus einer Zeit vor der offiziellen Zensur: „The Kid“ von Charles Chaplin. In dem Film ist klar, dass der kleine Junge nicht die Tochter von Charlie ist, aber die beiden arbeiten ähnlich zusammen. Der Bub schmeißt Scheiben ein und Charlie ist als Glaser zur Stelle, um sie zu reparieren. Das große Drama aber um die Wegnahme des Kindes aber lässt man in „Paper Moon“ weg, um den doch heiteren Grundton nicht zu verlieren. Zur Authentizität trägt sicher auch die Schwarzweiß-Fotografie von László Kovács bei, deren Kontraste durch Rotfilter-Verwendung verstärkt wurden, was die Tatsache erkärt, dass Gesichter oft heller sind als der Himmel im Hintergrund. Die Idee soll von Orson Welles gewesen sein, der bei dem Projekt als freundschaftlicher Berater fungierte.

81/100

© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2017)

Regie Peter Bogdanovich
Drehbuch Alvin Sargent
Romanvorlage: Joe David Brown
Produktion Frank Marshall,
Peter Bogdanovich
Musik Richard Portman,
Les Fresholtz
Kamera László Kovács
Schnitt Verna Fields
Besetzung

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