Crimetime Vorschau – Titelbild © NDR, Christine Schroeder
Meines Wissens gab es das in einem Tatort noch nie: Vater und Sohn spielen miteinander. In diesem Fall Axel Milberg als Kommissar Klaus Borowski und sein Sohn August, der ihn im Alter eines Jugendlichen spielt. Ja, der Film macht eine Rückblende um 50 Jahre. Das hatten wir schon, etwa in dem renommierten München-Tatort „Der oide Depp“.
Damit ist gemeint, dass tatsächlich Szenen aus der Vergangenheit gefilmt werden, nicht nur deren Erwähnung als Ereignisse stattfindet, die in irgendeiner Form Auslöser für das zu ermittelnde Verbrechen waren.
Mit dem Vater-Sohn-Duo gibt es hier ein sehr sympathisches Interview. Dieser Tatort wurde bereits im Jahr 2019 gedreht. Damals war Mila Sahin bereits die Ermittlungspartnerin von Borowski, deswegen konnte man den Film auch wohl so lange liegen lassen, dass plötzlich wieder Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auftritt, wäre kaum zu erklären gewesen.
Die Sendeplanung und ihre Geheimnisse. Inzwischen ist August Milberg schon so weit, dass das Abi ansteht und sein Vater hat viele Erinnerungen an die Zeit, in welcher er mit seiner Rolle als Kieler Kommissar begann und in der sein Sohn geboren wurde. Damit ist „Borowski und der Schatten des Mondes“ wohl auch der letzte echte Vor-Corona-Tatort, der Premiere feiert. Ein seltsames Gefühl, dass die Masken nicht, wie gegenwärtig, aus vielen Neuproduktionen bewusst herausgehalten werden, sondern dass sie noch keine Alltagsgegenstände waren, überall und für jeden sichtbarer Ausdruck einer besonderen Lage, die weit, sehr weit weg von dem Geist der Freiheit der frühen 1970er zu sein scheint. Damals war Jimmy Hendrix bei einem Festival zu Gast, das auf der Nordseeinsel Fehmarn stattfand. Es war sein letztes großes Event vor dem Tod. Das hatte ich nicht gewusst, ebenso wie Axel Milberg überrascht war, der im Interview durchblicken lässt, dass seine Jugend durch ein konservatives und rock- und flowerpowerfernes Elternhaus geprägt war.
Aber sein Kommissar Borowski hatte eine Jugendliebe und die verschwand eines Tags plötzlich, nachdem sie getrampt war. Noch in den 1980ern haben viele Menschen getrampt, mittlerweile ist dieses Reisen, das ebenfalls zur großen Freiheit zählte, aber auch gefährlich war, vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Ist das gut, weil es gefährlich war, vor allem für junge Frauen? Oder ein weiterer Ausdruck davon, dass wir schon im Zeitalter der Helikoptereltern so geprägt werden, dass wir keinerlei Risiko mehr eingehen wollen. Und dann kommt etwas sie Corona, dann kommt ein Krieg in Europa und man sieht, es ist eben nicht alles kontrollierbar. Je mehr wir wirklich alles kontrollieren und optimieren wollen, desto anfälliger werden wir für Probleme, die uns trotzdem erreichen. Und davon wird es in den nächsten Jahren mehr geben, gab es schon in den letzten beiden Jahrzehnten einige. Früher war alles nicht alles besser, aber doch hoffnungsvoller:
„Nach eigener Auskunft hat er (August Milberg, A. TH) „keinen einzigen Tipp“ von seinem Vater erhalten und hätte gerne in den 70ern gelebt, denn ‚der technische Fortschritt hatte einen angenehmen Punkt erreicht, die Anzahl der Menschen auf der Erde war geringer und die Musik besser als heute‘.“ (Tatort-Fans)
Und wie gut ist dieser Film „Aus der Tiefe der Zeit“ (ebenfalls Titel eines München-Tatorts), was ist davon zu erwarten?
„Lasst die Bilder sprechen“ scheint das Motto dieses rundum überzeugenden Kieler Tatorts zu sein. Den Vorwurf, in deutschen Filmen werde zu viel geredet und zu wenig den visuellen Gestaltungsmöglichkeiten dieses Mediums vertraut, muss sich dieser Kriminalfilm jedenfalls nicht gefallen lassen. Allein, wie der Wald durch die Kameraeinstellungen als dunkler, mysteriöser, bedrohlicher Ort gezeichnet wird, der nichts Idyllisches an sich hat, ist zutiefst beeindruckend. Aus der Vogelperspektive blicken wir auf eine undurchdringliche, dunkelgrüne Masse, in deren tiefer Dunkelheit man anschließend förmlich zu versinken droht. Alles ist Kammerspiel, nirgends ist ein Horizont zu erblicken, kein Licht am Ende des Tunnels. Und dann Borowski, der allein durch sein feines Mienenspiel die ganze Tragik dieser sehr persönlichen Geschichte zum Ausdruck bringt. Die zwei Zeitebenen werden kunstvoll miteinander verschachtelt, ohne nostalgische Rührseligkeit aufkommen zu lassen. Früher war eben nicht alles besser. Und auch hier erzählen Bilder mehr als Worte, wenn der in Gedanken versunkene Kommissar sein jugendliches Alter Ego im Rückspiegel erblickt. Großes Kino. Gut gemacht, Borowski.
Ich finde Borowski sowieso gut, schon lange, aber in den letzten Jahren haben sich bei ihm die Spitzenfilme auch nicht mehr so gehäuft wie in der Zeit zwischen 2010 und 2015. Mich hat es geradezu berührt, wie Axel Milberg in dem obigen Interview das Schauspielerin als einen so diffizilen und gefährdeten Beruf darstellt. Man ahnt das wohl nicht, so wenn man sieht, wie beliebte Darsteller über Jahrzehnte hinweg ihr Ding machen, auch in den Tatorten. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Milberg zu jenen gehört, denen die Akzeptanz des Publikums und die Qualität seiner Filme besonders wichtig sind. Nach meiner Ansicht gibt es diesbezüglich auch bei den Tatort-Teams Gradationen. Bisher dachte ich allerdings, in Krimis wird immer viel geredet, vor allem in Whodunits, und um einen solchen handelt es sich hier. Es liegt einfach daran, dass viele Informationen dargestellt werden müssen. Die visuelle Qualität der deutschen Krimis, besonders der Tatorte, steigert sich seit Jahren. Und was sagen die anderen zum verflixten 7. Fall mit Borowski und Sahin?
Fazit: Gute Bilder, wenig Worte. „Borowski und der Schatten des Mondes“ ist, wie so oft in Kiel, ein Fall der wenigen Worte. Er wirkt viel mehr durch einfache, aber sehr eindrückliche Bilder, die gelungene Verschmelzung aus den zwei Zeitebenen der 70er und heute und durch die guten Schauspieler. Übrigens, den jungen Borowski spielt Axel Milbergs Sohn. Und auch wenn den meisten recht schnell klar sein sollte, wer der Täter ist, für mich hat es den Fall nicht weniger spannend gemacht. – Simone Sarnow, SWR3-Check
Dafür gibt es vier von fünf Elchen. Bisher hat niemand über diesen Film gemeckert, warten wir aber noch die weiteren Stimmen ab, bevor wir sagen wie sehr wir uns auf den morgigen Abend freuen:
Sommer der Triebe: Jimi Hendrix, Johannes Brahms und tote Blumenmädchen: Kommissar Borowski sieht sich im »Tatort« mit der düsteren Seite des Summer of Love und der eigenen Vergangenheit konfrontiert. – Jürgen Buß, Der Spiegel
Ich dachte bisher, das Blumenmädchen hieße Eliza Doolittle. Eindeutig aber ist, dass der „Summer of Love“ nicht 1970 war, auch nicht 1969, viele verknüpfen ihn gedanklich mit dem Woodstock-Festival, sondern 1967, als „die Hippiebewegung auf ihrem Höhepunkt war“, wie es in der Wikipedia heißt. Wir sind in Deutschland immer etwas später dran, insofern ist 1970 noch okay. Ansonsten sieht Buß zwar Konstruktionsschwächen in diesem Film, aber auch die typischen Kiel-Stärken, die wir in unseren Rezensionen ebenfalls gerne hervorheben: Psychologie und Atmosphäre passen. Um das Thema von vorhin noch einmal kurz aufzugreifen: Visuell waren die Kieler Tatorte immer schon eine deutlich erkennbare Spur besser, weil eben atmosphärischer gefilmt, als der Durchschnitt. Buß vergibt übrigens 7/10. Ach ja, ein Punkt mehr wäre doch wohl drin gewesen. Wieso schreibe ich das? Ich kenne den Film doch noch gar nicht.
Vater und Sohn Milberg in einer spannenden Episode, in der Kommissar Borowski mit der Tragödie seiner Jugend konfrontiert wird: Im Januar 1970 wollten er und seine Freundin zum Love-and-Peace-Festival auf Fehmarn trampen. Beide stritten sich, Susanne stieg in den falschen Wagen und wurde ermordet. Mehr als 50 Jahre später wird ihre Leiche gefunden. In der Folge „Borowski und der Schatten des Mondes“ (NDR / Nordfilm) verbinden Patrick Brunken und Torsten Wenzel geschickt die persönliche Geschichte des Kommissars mit einem „cold case“ und einer unheimlichen, zunehmend dramatischen Ermittlung. August Milberg schlägt sich als junger Borowski wacker. Herausragend das Spiel von Stefan Kurt und Lena Stolze. Der 38. Kiel-„Tatort“ mit dem großartigen Axel Milberg ist ein tragisches Krimi-Drama mit einem Hauch 70er-Nostalgie. Einer der persönlichsten Borowski-Filme. – Thomas Gehringer, Tittelbach-TV.
Ist das „großartig“ nun auf den 38. Tatort bezogen oder darauf, dass Milberg auch in den schwächeren Kiel-Tatorten immer großartig ist? Ich kann mit letzterer Einschätzung jedenfalls gut leben und von den Kölnern abgesehen gibt es nur wenige Tatort-Ermittler:innen, deren Abgang ich so sehr bedauern würde wie den von Klaus Borowski. Das Pensionseintrittsalter hat er ja schon überschritten, aber das Schöne am Film ist: Es ist eben Film. Da darf man auch mal weiterwirken über die Zeit eines realen Beamten hinaus, wenn’s Spaß macht (Milberg ist derzeit 66 Jahre alt, und da fängt das Leben bekanntlich erst an). Doch, ich freue mich auf morgen Abend, auch wenn uns der Krimi der letzten Woche ein wenig enttäuscht hat (Rezension folgt in den nächsten Tagen, gestern haben wir den Wien-Tatort angeschaut).
Handlung
Nach einem Herbststurm wird unter einer entwurzelten Eiche ein skelettierter Leichnam gefunden. Wie Borowski sehr schnell vermutet, sind es die Überreste seiner ersten Freundin Susanne. Als Borowski 16 war, hatte er mit ihr zusammen zum legendären Jimi-Hendrix-Auftritt auf Fehmarn trampen wollen. Nach einem Streit blieb Susanne jedoch spurlos verschwunden. Rastlos hatte Borowski das Verschwinden aufzuklären versucht.
Was damals düstere Vermutung war, ist jetzt schlagartig bittere Gewissheit, als die Gerichtsmedizinin Dr. Kroll die Leiche zweifelsfrei identifiziert. Entschlossener denn je und ohne Rücksprache mit seinen Kolleginnen und Kollegen verfolgt Borowski die sich ihm unverhofft bietende Chance, den damaligen Täter nach all den Jahren doch noch zu stellen. Als Mila Sahin dies durchschaut, ist sie erschüttert von dem tragischen Schicksal ihres Kollegen und deckt ihn zunächst. Doch Borowskis dauernde Alleingänge zwingen sie schließlich, ihren Vorgesetzten Schladitz miteinzubeziehen. Der entzieht daraufhin Borowski den Fall.
Besetzung und Stab
Hauptkommissar Klaus Borowski – Axel Milberg
Kommissarin Mila Sahin – Almila Bagriacik
Kriminalrat Roland Schladitz – Thomas Kügel
Rechtsmedizinerin Dr. Kroll – Anja Antonowicz
Michael Mertins – Stefan Kurt
Antje Mertins – Lena Stolze
junger Borowski – August Milberg
Susanne Hansen – Mina Rueffer
Margot Köhnke – Heide Simon
junge Margot Köhnke – Philomena Köbele
junger Schumacher – Marcel Lucht
junger Michael Mertins – Niklas Post
Kommissar Verhoeven – Karsten Antonio Mielke
Regie – Nicolai Rohde
Drehbuch – Patrick Brunken, Torsten Wenzel
Kamera – Philipp Kirsamer