Filmfest 768 Cinema
Bugsy ist ein Gangsterfilm aus dem Jahr 1991. Der Film greift die letzten zehn Jahre des Mobsters Bugsy Siegel auf. Der Film feierte seine Weltpremiere am 10. Dezember 1991. Die Europapremiere fand im Rahmen der Berlinale im Februar 1992 statt.
Titelfigur-Darsteller und Produzent Warren Beatty ist eine der geheimnisvollsten Persönlichkeiten Hollywoods und war in den 1970er Jahren auch einer der einflussreichsten. Immer mal wieder schien er den Fokus auf den Kern des Filmsgeschäfts zu verlieren und kehrte dann mit Paukenschlägen zurück. Schon sein berühmter Film „Bonny & Clyde“ (1967) war eine Art erstes Comeback nach vielversprechenden Anfängen etwa in „Splendor in the Grass“ (1961), den wir kürzlich rezensiert haben, weitere waren „Shampoo“ (1975) und „Reds“ (1981), gewagte oder gegen den Zeitgeist inszenierte Werke, und immer wieder Pausen.
Handlung (1)
Benjamin „Bugsy“ Siegel ist ein berüchtigter Gangster im Umfeld von Meyer Lansky und Lucky Luciano in New York. Sein Spitzname „Bugsy“ ist ein Slangwort für einen verrückten Kerl und kann in seiner Gegenwart nicht ungestraft ausgesprochen werden. Siegel ist zwar verheiratet, aber er ist ein Playboy und nutzt jede Gelegenheit, um dem weiblichen Geschlecht näher zu kommen.
Seine Freunde und Geschäftspartner schicken ihn gegen Ende der 1930er Jahre nach Los Angeles, um dort das Glücksspielgeschäft anzukurbeln. Dort herrscht eigentlich der örtliche Boss der La Cosa Nostra Jack Dragna und Siegel soll diesen an den neuen Geschäften beteiligen, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden.
Siegel wird seinem Spitznamen gerecht und geht dementsprechend in Los Angeles vor. Als ihm z.B. spontan ein Haus gefällt, geht er einfach durch die Eingangstür und kauft dem Besitzer das Haus direkt ab, obwohl dieser ursprünglich gar nicht verkaufen wollte. Obwohl er seinen berüchtigten Namen als Drohkulisse einsetzt, offenbart sich eine Schwäche von Siegel. Geld spielt für ihn keine Rolle, ist für ihn, wie er später im Film sagen wird, nur bedrucktes Papier. Er findet den überrumpelten Eigentümer großzügig ab.
Ähnlich draufgängerisch kommt er mit Jack Dragna ins Geschäft. Er bietet diesem zwei Alternativen an. Die erste ist eine 25-%-Beteiligung an den neuen Geschäften, die zweite die Möglichkeit ihn – Siegel – zu erschießen. Siegel spekuliert darauf, dass Dragna die zweite Möglichkeit nicht wahrnehmen wird, da er dann in Konflikt mit Lucky Luciano kommen würde. Dragna willigt deshalb auch ein, allerdings mit dem geheimen Willen, Siegel eventuell später ausschalten zu können.
Bei einem Filmset lernt Siegel Virginia Hill kennen. Waren seine bisherigen Ehebrüche unbedeutende kurzfristige Affären, entwickelt die Beziehung zu Virginia Hill eine andere Qualität. Siegel wird sich letztlich von seiner Frau scheiden lassen. Während einer gemeinsamen Wüstenfahrt mit Virginia Hill und Mickey Cohen kommt es wiedereinmal zum Streit mit Virginia Hill. Der gelegentlich jähzornige Siegel hält auf offenem Highway des Nachbarstaates Nevada an und läuft in die Wüste. Als er dort das Licht und Landschaft wahrnimmt, kommt ihm eine spontane Eingebung. Er will hier ein Kasino errichten, das die bisherigen Spielhöllen in den Schatten stellen soll. (…)
Rezension
Am Beginn der 1990er Jahre war „Bugsy“ dann wieder solch eine Rückkehr und Beatty noch gerade in dem Alter, in dem man ihm nicht nur den geschniegelten Gangster Benjamin Siegel, sondern auch den Frauenhelden abnahm, welcher er im wirklichen Leben war und den er in diesem opulenten Gangsterfilm ausgiebig zelebrieren konnte.
Nicht umsonst die Selbstreflektion auf das Kino und die Interaktion zwischen Kino und Realität, die in „Bugsy“ eine wichtige Ebene darstellt. Die Möglichkeit, im Kino alle Visionen wahr werden zu lassen, musste den Visionär unter den Mobstern faszinieren und niemand anderes hätte wohl nach Beattys Ansicht diesen Siegel so gut verkörpern können wie er.
Visionär ist auch der Film selbst in gewisser Weise – oder, sagen wir, er setzt einen neuen Standard für die Bildgestaltung von Retro-Pictures und für den Hochglanzfilm der 1990er und der folgenden Jahre. Wer ein wenig visuell veranlagt ist, und das würden wir von uns behaupten, der kann nicht anders als das gleichermaßen Schwelgerische wie Exakte bewundern, das diese Produktion in hohem Maß edel wirken lässt. Die 1940er werden hier lebendiger als in Filmen der 1960er oder 1970er; in denen mit Originaldekors, Settings, der Mode ziemlich geschlampt wurde – teilweise wohl auch bewusst, um die Stilisierung hervorzuheben, das Unwirkliche an der Wahrnehmung der alten Zeiten, die von New Hollywood einer nicht nur inhaltlichen Neuinterpretation unterzogen wurden (wie etwa „The Sting“ aus 1973). Erst „Es war einmal in Amerika“ hat in den 1980ern eine ähnliche Authentizitätswirkung zustande gebracht, ohne aber den Akzent so sehr auf den maximalen Glamour zu legen wie „Bugsy“, auch „Cotton Club“ aus dem Folgejahr hat schon viel von der Exaktheit, mit der das alte Amerika mittlerweile inszeniert iwrd. Aber „Bugsy“ ist bezüglich der Settings beinahe perfekt geschlossen, weil er sich auf ähnliche Weise in den Interieurs und zwischen den Gebäuden und Landschaften bewegt wie der die Edelvariante des Gangsterfilms oder Films noir der 1940er. Die Frisuren und Garderoben sind fantastisch, selbst die luxuriösen und bis auf die Wüstenszenen in Nevada komplett staubfreien Autos oft nur minimal jünger, als sie in dem Jahr hätten sein dürfen, in dem die Handlung gerade angesiedelt ist. Die Farben sind mehr an die 1950er angelehnt, doch der Art Déco-Stil der 1930er ist durchaus implementiert.
Das ist alles so ausgefuchst, dass es schon wieder etwas comichaft wirkt, und so handeln auch die Figuren. Man schließe während des Anschauens ein wenig die Augen und stelle sich die Bilder als eingefroren vor, die oft knappen und statuarischen Dialoge als Sprechblasen, die Hintergründe nur angedeutet – das würde bestens funktionieren und wäre wiederum eine schöne Anspielung auf die Jahre, als die Superhelden-Bildergeschichten in den USA Hochkonjunktur hatten. Bugsy selbst und die Figuren in diesem Film sind allerdings keine Helden, sondern eine typische Film noir-Besetzung.
Bugsys Ende liegt in seinem exzentrischen und rücksichtslosen Charakter begründet und vor allem darin, unter Gangstern besonders ein No-Go, dass er nicht mit dem Geld und damit auch nicht mit dem Geld anderer Leute umgehen kann. Ob seine Ermordung wirklich nur darauf fußt, dass er das Budget für das „Flamingo“ um das Sechsfache überzogen hatte, ist nicht so gesichert, wie es im Film scheint, aber Hollywood interpretiert und verdichtet und wir wollen hier nicht alle gesicherten Fakten der Person Ben Siegel abarbeiten, die von der Filmdarstellung abweichen, sondern uns auf die Stimmung und die spannende Handlung einlassen und zu den sehr gut gezeichneten Charakteren gratulieren. Sehr gut gezeichnet unter der Prämisse, dass man das Stereotype an ihnen hier als Teil des dem Comicstrip nahestehenden Kunstwerks ansieht.
Allerdings macht gerade diese Betrachtungsweise auf einige Schwachstellen aufmerksam, in denen nicht nur die Dialogqualität dahingeht, sondern auch das Tempo nachlässt, der Rhythmus inkonsistent wird, einige Szenen sind überdehnt und wir sind nicht sicher, ob die Komik, die in ihnen angelegt ist, so gewünscht war. Negativ hervor sticht vor allem die erste Liebszene zwischen Ben Siegel und Virginia Hill, die in dem Kuss hinter der Leinwand endet. Schön hingegen der Moment, in dem die beiden am Set eines Films entlanggehen und das Licht ausgeknipst wird. Ist dieses Gefühl, das hier entsteht, echt, oder ist es Teil einer Illusion, wie das Kino selbst? Beide Szenen evozieren, dass man sich damit befasst, aber der gekünstelt und etwas blutleer wirkende Dialog der Szene in Siegels Haus hat eine andere Wirkung als die filmisch-theaterhaften Sätze am Set, die so auch in einer Produktion der 1940er hätten stehen können, ohne dass man sich an der allzu geschliffenen oder realitätsfernen Ausdrucksweise gestört hätte. Es gibt zwischen Siegel und Hill zum Ende hin aber auch Momente, die sehr gelungen sind und deren Emotionalität funktioniert – am besten natürlich in dem Moment, als Hill von Siegels Tod erfährt und sichtbar unter Schock steht.
Die Szenen zwischen den Gangstern aber sind sämtlich Highlights und Genre-Versatzstücke, die niemals langweilig werden oder altern. Dass die maximale menschlich-psychologische Tiefe bei dieser Art von Inszenierung und Stilisierung nicht ausgelotet werden kann, versteht sich, aber die Atmosphäre, der Kern dessen, was manche der Mobster sicher antrieb, nämlich sich auf ihre Art ein Denkmal der Größe zu setzen, das kommt sehr gut rüber. Und auch die Ambivalenz, die in der Szenenfolge besonders deutlich wird, in der Siegel im wörtlichen Sinn zwischen seinem Dasein als Familienvater, eifersüchtiger Liebhaber von Virginia Hill und in ein gefährliches Business eingebundener Gangster hin und her springen muss, ist leicht nachzuvollziehen und nicht so verwunderlich. Warum sollten in der Unterwelt nicht ähnliche Bindungen entstehen wie unter den vorgeblich so viel besseren Menschen, die ausschließlich legalen Beschäftigungen nachgehen – oft, weil sie nicht die Chuzpe haben, ihre kriminelle Energie nicht ausreicht, dass sie ihre Fantasien in die Tat umsetzen oder weil sie schlicht im falschen Stall groß geworden sind. Die Mafia-Filme, besonders „Der Pate“ zeigen diese Zerrissenheit zwischen der Familie und dem Business noch besser, auch, weil der Aspekt der Familienehre hinzutritt, den es zumindest im Film bei Siegel nicht gibt. Vielmehr ist da ein gewisser Opportunismus zu erkennen, den Siegel ausgerechnet in einem Moment aufgibt, in dem er das Geld gebraucht hätte, mit dem er nach der Scheidung seine Frau und seine beiden Töchter abgesichert hat.
Finale
Als Mensch, auch als Mobster, ist Bugsy am Ende gescheitert, aber der Startschuss für Las Vegas, wie es heute ist, den hat er abgegeben. Die Wirklichkeit ist auch hier wohl etwas weniger spektakulär, da Siegel vermutlich nicht in der Wüste nach einer Auseinandersetzung mit Hill aus dem Auto gestiegen, ins Land gestapft ist und dort eine Vision hatte, sondern sich in Wirklichkeit in eine bereits bestehende Planung eingekauft hat. Ob mit denselben erpresserischen Methoden, mit denen er im Film der Ostküsten-Kosher-Nostra Zugang zum kalifornischen Business verschafft, wissen wir nicht.
Siegel, der im Film ebenfalls auftretende Meyer Lansky und weitere Figuren sind real, sind Legenden geworden, die zeigen, wie in den USA alles etwas größer ist und die Möglichkeiten tatsächlich beinahe unbegrenzt sind, wenn man rücksichtslos genug vorgeht und nicht doch irgendwann über seine eigenen Schwächen stolpert, wie Siegel über seine zu sehr selbstbezogene Wahrnehmung, die sich in der Szene seiner Ermordung schön versinnbildlicht. Während er eine Hollywood-Probeaufnahme von sich selbst betrachtet, in welcher erkennbar ist, dass er als Schauspieler kein Starpotenzial hat – schöne Selbstironie auch – wird er von hinten erschossen und der Projektor wird von einer Gewehrsalve getroffen, geht zu Boden und haucht im selben Moment sein Leben aus wie Siegel. Das so zu filmen, dass es nicht lächerlich wirkt, ist nicht so leicht, aber finden die Szene in ihrer bombastischen Symbolhaftigkeit gelungen. Übertrieben, wie so vieles an dem Film und an Typen wie Bugsy Siegel selbst, aber darum stimmig.
78/100
© 2022 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
Regie | Barry Levinson |
Drehbuch | Dean Jennings, James Toback |
Produktion | Warren Beatty, Barry Levinson, Mark Johnson |
Musik | Ennio Morricone |
Kamera | Allen Daviau |
Schnitt | Stu Linder |
Besetzung | |
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