Frontpage | Geopolitik | Wer hilft der Ukraine in welchem Maße in ihrem Verteidigungskampf?
Wir haben bis jetzt noch kein funktionabel-konzeptionelles Geopolitikformat gefunden, deswegen bleibt auch die Ukraine-Berichterstattung vorerst fragmentarisch. Das heißt aber nicht, dass wir nicht am Ball bleiben und sehr wohl beobachten, wer sich wie in dieser Krise verhält. Heute hat Statista eine Grafik herausgegeben, die darstellt, wie es bisher um die Militärhilfe für die Ukraine bestellt ist. Nur Taten und Zusagen seit dem 24.02.2022 wurden dabei berücksichtigt. Wir kommentieren, wie immer, im Anschluss:
Diese Statista-Grafik ist unter einer Lizenz CC-BY-ND erstellt worden und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Begleittext dazu, unser Kommentar, wie immer, am Ende:
Bei einem Vergleich der Rüstungs- und Waffenhilfen von Regierungen an die Ukraine liegt Deutschland nach dem Wert der Waffen mit 0,12 Mrd. Euro an sechster Stelle. Das zeigt die Statista-Grafik auf Basis des Ukraine Support Trackers des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Die größte waffentechnische Unterstützung bekommt die Ukraine aus den USA: Im Zeitraum vom Beginn des Kriegs bis zum 27. März sagten die USA der Ukraine Waffen im Wert von 4,37 Mrd. Euro zu. Das kleine Estland liegt an Position zwei und liefert wertmäßig fast doppelt so viele Waffen wie Deutschland. In Teilen hat Estland allerdings Waffen an die Ukraine geliefert, die ehemals der Bundeswehr gehörten und die aus NVA-Restbeständen stammten. Dazu gehörten Medienberichten zufolge zahlreiche Haubitzen.
Seit Tagen wird in Deutschland hitzig darüber diskutiert, ob die Bundesrepublik mehr und vor allem auch schwere Waffen an die Ukraine liefern soll. Maschinengewehre, Panzerfäuste und Luftabwehrraketen hat Deutschland bereits geliefert. Bundeskanzler Olaf Scholz möchte aber keine Panzer, Flugzeuge und ähnlich schweres Kriegsgerät liefern. Das wohl gewichtigste sicherheitspolitische Argument gegen derartige Waffenlieferungen ist die Befürchtung, Deutschland und die NATO könnten zur Kriegspartei werden. Die Grünen und die FDP haben sich für die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen. Die SPD zeigt sich hier gespalten. Scholz deutete allerdings eine mögliche Beteiligung an der Lieferung von Artillerie aus den USA oder den Niederlanden in die Ukraine an.
Der Ukraine Support Tracker des IfW Kiel erfasst systematisch den Wert der Unterstützung, die Regierungen von 31 westlichen Ländern der Ukraine seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 zugesagt haben. Erfasst sind militärische, finanzielle und humanitäre Hilfen, die öffentlich bekannt sind. Die Datenbank soll die Diskussion über die Unterstützung der Ukraine mit Fakten unterfüttern.
Schauen Sie bitte auch mal in die Datengrundlage vom IfW in Kiel, die von Statista als Basis für die Grafik herangezogen wurde. Was sehen Sie da? Manche Länder, die unglaublich viel Wind machen und deren Regierungen sich für Meisterklasse-Diplomat:innen halten, ohne bei Putin bisher auch nur einen Deut mehr erreicht zu haben als andere, haben noch nicht viel geleistet, während sich die deutschen Gesamtzusagen sehr wohl sehen lassen können. Dass der Vergleich mit dem geopolitischen Großimperium USA nicht der richtige sein kann, sollte wohl jedem hierzulande klar sein.
Dass man nicht dem Säbelrasseln der FDP folgen kann, die es mehr mit Profit als mit Menschen hat, dass man nicht den Spin von Grünen-Politikern abnicken darf, die aus persönlichem Frust darüber, dass sie kein Regierungsamt abgekriegt haben, am liebsten alles kurz und klein schlagen würden, sollte ebenfalls unstreitig sein.
Insofern sind wir nach wie vor der Ansicht, dass Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner bedächtigen Form der Hilfe-Erweiterungen in Sachen Ukrainekrieg weitgehend richtig liegt. Das ist auch keine Führungsschwäche, sondern die allemal gebotene Vorsicht und Umsicht. Deutschland hat nach wie vor eine besondere friedenspolitische Verantwortung, die nicht von Herrn Putin und auch nicht von Herrn Melnyk ins politische Aus befördert werden darf. Dass die Ukraine gerne mehr Waffen hätte, ist verständlich, aber es gibt verschiedene Formen von Hilfe und wenn Sie sich das Panel des IfW anschauen, sehen Sie, dass Deutschland dort viel tut, wo es sich besondere Fähigkeiten oder Möglichkeiten zurechnet, nämlich auf humanitärem Gebiet. Für die USA hingegen ist dieser Krieg gleich in doppelter Hinsicht eine Okkasion, sowohl geopolitisch als auch geschäftlich. Das darf man nicht vergessen, wenn man diesen ewig langen ersten Balken auf der Statista-Grafik betrachtet und sich grämt oder gar schämt, weil der deutsche vergleichsweise kurz ist.
Außerdem gibt es die sogenannte NATO-Rotation, also den Versand von Waffen in die Ukraine durch NATO-Staaten, deren Lücken dann wieder durch andere Staaten, auch durch Deutschland, ersetzt werden. Das ist eine strukturell komplexe Angelegenheit, die sich auf Panels wie dem, welches das IfW erstellt, sicher nicht so leicht darstellen lässt. So muss man sich aber Teile der 2 Milliarden Euro Waffenhilfe, die Deutschland jetzt insgesamt auskehren will, vorstellen: Nicht alles fließt direkt in die Ukraine, hilft ihr aber trotzdem. Daher immer die Ruhe bewahren, wenn Typen wie der Herr Melnyk hier auftreten, als wenn sie eine moralische Position Deutschland gegenüber hätten, die sie besser aus der Vergangenheit herleiten zu können glauben, als die russische Politik ihre Position aus der Vergangenheit, sprich dem Zweiten Weltkrieg, herleiten kann. Beides tritt in diesem Angriffskrieg hinter die Anforderungen des Tages zurück, aber man muss es trotzdem mitdenken, wenn es um grundsätzliche und langfristige Überlegungen geht.
Dies bedeutet wiederum nicht, dass man sich auf die Seite der moralisch kaputten Menschen in einem bestimmten linken Cluster stellen darf, die der Ukraine ihr Selbstverteidigungs- und damit auch ihr Existenzrecht absprechen, nur, weil sie von klein auf mit russischer Propaganda indoktriniert wurden und da nicht mehr rauskommen, egal, was unter der Führung Putins von Russland noch kommen wird. Schon die jüngere Vergangenheit der russischen Politik war nicht so schön, wie einige sie sich gerne malen. Die Gegenwart ist grausam. Die Zukunft könnte einen Flächenbrand bringen, wenn man diesem Potentaten keine Grenzen setzt.
Eine solide Form von Antiimperialismus und der Klassenkampf sind es, worauf es ankommt, aber die totale Schräglage des Mindsets einiger Linker, denen ihre ins Groteske gehende Amerikafeindlichkeit, bei einigen davon wiederum verbunden mit den härtesten Verschwörungstheorien, wichtiger ist als jedes humanistische Denken, drängt gerade die unabdingbaren Bestandteile eines linken politischen Mindsets ins Abseits. Es sieht ganz düster aus für diese Form von „links“ in Deutschland. Im Grunde könnten wir das, wenn wir auch so verkürzt denken würden, Putin ankreiden, aber die aktuellen Reaktionen auf seine Politik bringen nur zutage, was uns immer schon sehr einseitig vorkam. Die Bunkermentalität, die in jenen Kreisen mittlerweile entstanden ist, weil man sich mit Putin sozusagen auf Gedeih und Verderb in den Waffenstand begeben hat und es wagt, dies Pazifismus zu nennen, sehen wir nur noch mit Entsetzen, weil sie uns eine realistische, gleichwohl ethisch saubere Linkspolitik verunmöglicht.
Die Schäden können nicht mehr durch politische Arbeit hierzulande, sondern nur durch eine einzige geopolitische Entwicklung kompensiert werden: Dass der Kapitalismus mehr aufpassen muss als zuletzt, wie er mit den Menschen umgeht, damit das chinesische Modell einer wirtschaftlich sehr fähigen antiwestlichen Diktatur nicht zu attraktiv wird. Sozusagen auf chinesische Hilfe durch allzu offensiv eingesetzte „Soft Power“ von dieser Seite hoffen zu müssen, die den Widerstand der herrschenden Klasse hervorruft, ist sehr frustrierend für alle, die hierzulande etwas für die Menschen und mit diesen Menschen aus eigener Kraft heraus erreichen wollen. Sie stehen nun im politischen Regen, von den harten Ideologen um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Jeden Tag gibt es von dieser Hardliner-Seite neue Einlassungen, für die man sich als politisch links stehender Mensch nur noch fremdschämen kann. Dies alles gibt es schon lange, aber gegenwärtig, im Zeichen des russischen Angriffskrieges, erhält es mehr Aufmerksamkeit von den Medien, als wenn ein paar Sonderlinge destruktive und in jeder Hinsicht schräge Tiraden ablassen, anstatt praktische Modelle für eine solidarische Zukunft mitzuentwickeln.
Grundsätzlich bejahen wir unbeschadet einer Position zwischen den Stühlen die Waffenhilfe für die Ukraine, aber bei jeder Grenzverschiebung muss neu nachgedacht und geprüft werden, welche in diesem Krieg die spezielle Aufgabe Deutschlands ist, was es tun kann und auch tun sollte, und was es angesichts seiner Geschichte nicht tun darf, zum Beispiel direkte Kriegspartei in diesem Konflikt werden. Gegenwärtig ist die Mehrheit in Deutschland gemäß Umfragen gegen die Lieferung von Panzern und Kampfflugzeugen durch Deutschland direkt an die Ukraine. Wenn NATO-Länder ihre Waffen dieser Art abgeben und in Deutschland neue bestellen, damit gleichzeitig ihre Arsenale modernisieren, ist das zwar auch ein Trick der hiesigen Regierung, um nicht zu sehr im grellen Rampenlicht dieses Krieges zu stehen, aber in der politischen Bewertung eben doch nicht ganz das Gleiche wie massive Direkthilfe mit schweren Waffen.
Was immer die hiesige Regierung jetzt tut, sie wird Kritik von der einen oder anderen Seite ernten, und zwar in massiver Form. Wir sind keine Scholz-Anhänger, wegen seiner Vergangenheit, die zu dicht an diversen Finanzskandalen angesiedelt ist und weil die Politik der von ihm geführten Koalition niemals für sozialen Ausgleich sorgen wird, aber bezüglich seines Handelns im Zeichen großer Gefahr wird er u. E. unterbewertet.
Man darf nicht alles für bare Münze nehmen, was die Kriegstreiber unter den Politiker:innen und Medien über Scholz‘ angebliche Führungsschwäche schreiben. Die Ratio, die sein Handeln von jeher geprägt hat, ist nicht das, was das Herz erwärmt und unsere emotionalen Reaktionen auf den Krieg, auf Tod und Zerstörung, bestmöglich spiegelt, aber genau das, was jetzt wichtig und richtig ist, um keine irreversiblen falschen Schritte in einer so kritischen Lage zu gehen, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa nicht mehr hatten.
TH